Welche Kriege gab es in den letzten 20 Jahren?

Zwar leben wir im 21. Jahrhundert – im historischen Vergleich – in relativ sicheren und friedlichen Zeiten. Doch während für die Bürger_innen der Europäischen Union bewaffnete Auseinandersetzungen nahezu undenkbar geworden sind, gehört physische Gewalt in vielen Weltregionen zum Durchsetzungsmittel für politische, soziale und wirtschaftliche Interessen. So waren im Jahr 2016 mehr Länder von kriegerischen Handlungen betroffen als in den vergangenen 30 Jahren zuvor. Von einem wirklichen Weltfrieden ist die internationale Staatengemeinschaft noch weit entfernt. Was sich gewandelt hat, ist, dass die Gesichter des Krieges im 21. Jahrhundert vielfältiger geworden sind.

Wer gegen wen? Bewaffnete Konflikte im 21. Jahrhundert werden immer unübersichtlicher

Afghanistan, Irak, Jemen, Libyen, Mali, Ukraine und Syrien – die Konflikte in diesen Ländern haben gemeinsam, was in der Tendenz für Gewaltkonflikte des 21. Jahrhunderts gilt: Sie sind zunehmend unübersichtlich, dauern lange an und sind schwieriger durch externe Parteien wie die Vereinten Nationen zu regulieren.

Vier Faktoren spielen bei dieser Entwicklung eine besonders große Rolle:

  1. Globale Mächteverschiebungen. Regionale Hegemonialmächte mischen sich wieder häufig militärisch in Nachbarschaftskonflikte ein und versuchen den Konfliktausgang in ihrem Sinne zu beeinflussen.
  2. Die steigende Zahl und Bedeutung von nichtstaatlichen Gewaltakteuren wie z.B. Boko Haram oder dem so genannten Islamischen Staat. Aufgrund oftmals unterschiedlicher Wertevorstellungen können sich die Konfliktakteure nicht auf eine gemeinsame Vision politischer und sozialer Ordnung verständigen.
  3. Die Schattenseiten der Globalisierung. Klimawandel, Ressourcenknappheit, internationale organisierte Kriminalität oder Identitätskonflikte verschärfen bestehende Konfliktdynamiken.
  4. Räume fragiler Staatlichkeit: Wo Staaten nicht gelingt, für die Sicherheit ihrer Bürger_innen zu sorgen, drängen andere Akteure in das Vakuum – oft mit verheerenden Folgen.

Zu diesen Ergebnissen kamen z.B. die Weltbank und der Vereinten Nationen in ihrem gemeinsamen Bericht „Pathways for Peace: Inclusive Approaches to Preventing Violent Conflict”.

Die tödlichsten Gewaltkonflikte sind innerstaatlich

Vor allem schwache und demokratisch unzureichende staatliche Strukturen stellen eine große Herausforderung für die globale Sicherheit und den Frieden dar. Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes nehmen innerstaatlichen Gewaltkonflikte in sogenannten Räumen fragiler Staatlichkeit dramatisch zu. In den vergangenen Jahren starben mehr Frauen und Männer durch innergesellschaftliche Gewalt und Bürgerkriege als durch Kriege zwischen Staaten.

Staatsversagen und alternative „Sicherheitsdienstleister“: Quellen der Unsicherheit

Ein legitimes Gewaltmonopol ist eine entscheidende Dimension funktionierender Staatlichkeit – wenn es fehlt oder zusammenbricht, steigt die Gefahr, dass es zu gewaltsamen Konflikten bis hin zu Bürgerkriegen kommt. So gilt Lateinamerika – gemessen an der Zahl von Todesopfern durch Gewalteinwirkung von Dritten – als unsicherste Region der Welt. Hohe Mord- und Kriminalitätsraten sind ein Indiz dafür, dass die staatlichen Sicherheitsakteure nicht mehr handlungsfähig sind. Dieses Problem ist auch in vielen afrikanischen Ländern wie z.B. Liberia, Somalia oder Sudan virulent.

Ziehen sich staatliche Institutionen und Sicherheitsakteure zurück oder werden verdrängt, stoßen in das Vakuum häufig alternative Gewalt- bzw. Sicherheitsakteure. In einigen Fällen werden diese von den vor Ort lebenden Menschen als legitime „Sicherheitsdienstleister“ erachtet. Andernorts gilt das nicht: Wenn terroristische oder kriminelle Gruppierungen Gebiete als Rückzugs- und Operationsräume nutzen und sich die Bevölkerung ihren Interessen widersetzt, werden die „Sicherheits“-akteure zur Quelle von Unsicherheit.

Staatliche Repression führt zu einem Teufelskreis aus Gewalt und Unsicherheit

Gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität gehen einige Staaten mit einer „Politik der harten Hand“ vor, also mit massiven repressiven Maßnahmen. Das hat meist einen hohen Rückhalt in den Teilen der Bevölkerung, die unter der extremen Unsicherheit leiden. Langfristig verschärft repressive Politik das Problem jedoch oft. In vielen lateinamerikanischen Gesellschaften ist dies sichtbar. Beispielsweise unterstützen fast 60 Prozent der mexikanischen Bevölkerung den „Krieg“ der Regierung gegen die Drogenkartelle. Allerdings nehmen durch diese Politik Gewalt und Unsicherheit zu – und dadurch sinkt das Vertrauen in den Staat und das politische System immer mehr. Ein Teufelskreis, der eine zivile Konfliktbearbeitung immer weiter erschwert.

Russland behauptet immer wieder, ein „Friedensstifter“ zu sein, ein Land, das nach Frieden strebt. Seit Beginn des militärischen Konflikts in der Ukraine im Jahre 2014 gab es ein ständiges Narrativ über die „Rettung“ derjeniger, die Russland angeblich beschützen will. Zu ähnlichen Szenarien hat Russland bereits seit Jahrzehnten gegriffen, aber die Welt hat kaum darauf Acht gegeben. Nur durch den Widerstand der Ukraine und das Heldentum der ukrainischen Streitkräfte konnte die Welt verstehen, dass dies kein lokaler Konflikt, sondern ein durchaus globaler Krieg ist.

Prorussische Kämpfer aus transnistrien säubern ihre Waffen im April 1992 während der Kämpfe um die Stadt Dubossary. Nach dem Krieg blieb die Stadt in Transnistrien. Bild: Getty Images

1992-1993 – Russland besetzt Transnistrien (Prydnistrowien)

Nachdem Moldowa unabhängig wurde, erklärte ein Teil des Landes, wo damals die 14. russische Armee stationiert war, ihre Souveränität, die sich sofort in ein Regime unter der Führung des russischen Generals Ljebjed verwandelte. Ein Krieg brach aus, und verwandelte Transnistrien in eine von keinem Staat anerkannte Grauzone mit zerstörter Wirtschaft und internationaler Isolation.

In diesem 20 Monate gedauerten Krieg kamen zwischen 364 und 913 russische Soldaten und ihre Söldner um.

Ein Mann in der Stadt Gori (Georgien) steht vor den durch russische Bomben zerschlagene Wohnhäuser. Bild: Chris Hondros для Getty Images

1992-1993 – Russland provoziert den Krieg in Abchasien

Am 14. August 1992 provozierte Russland einen Krieg zwischen abchasischen Separatisten und der georgischen Regierung, indem es die Ersteren unterstützte. Abchasen bekamen russische Waffen, russische Flugzeuge bombardierten zivile Ziele in dem von Georgien kontrollierten Gebiet, Russland stellte seine Militärschiffe für den Beschuss von Suchumi zur Verfügung. Der Krieg endete mit Trennung Abchasiens von Georgien, was auch das Ziel von Russland war.

Während des einjährigen Krieges wurden ca. 2.220 Soldaten aus von Russland ünterstütztem Abchasien getötet.

Kämpfe um den Präsidentenpalaz in der Stadt Grosnyj, 1995. Bild: Mikhail Evstafiev

1994-1996 – erster russisch-tschetschenischer Krieg

Russland „unterstützte“ andere Nationen dabei, ihre Souveränität zu verlieren, und verstärkte auch separatistische Gefühle. Doch als das tschetschenische Volk versuchte, Unabhängigkeit von Russland zu erlangen, kam es zu einem brutalen Krieg. Die Kampagne 1994-1995 wurde mit einem zerstörerischen Kampf um die Stadt Grosnyj beendet. Russische Truppen versuchten auch, die Bergregionen Tschetscheniens unter ihre Kontrolle zu bringen. Trotz der quantitativen Überlegenheit und besseren Ausrüstung konnten sie dem Guerillakrieg nicht widerstehen. Allgemeine Demoralisierung und öffentliche Proteste gegen den brutalen Krieg zwangen die Regierung von Borys Jelzin 1996 zu einem Waffenstillstand.

Etwa 5.000 russische Soldaten wurden im Laufe des 20 Monate gedauerten Krieges getötet. Nach Angaben der Union der Soldatenmütter Russlands liegt die wirkliche Zahl bei ca. 14.000 Personen.

Russischer Militärangehöriger vor der ruinierten Brücke in Tschetschenien.

1999-2009 – zweiter russisch-tschetschenischer Krieg

Der zweite russisch-tschetschenische Krieg fand vom Sommer 1999 bis zum Frühjahr 2009 statt. Die Kämpfe wurden in Tschetschenien und den Grenzregionen des Nordkaukasus geführt. Die erste Kriegsphase dauerte bis zum Frühjahr 2000 und endete mit der Bildung einer pro-russischen tschetschenischen Regierung. Damit war der Krieg jedoch nicht beendet. In den nächsten 9 Jahren führten russische Spezialeinheiten einen Krieg gegen die aufständische Bewegung im Nordkaukasus. Die Journalistin mit ukrainischen Wurzeln, Anna Politkowska, schrieb ein Buch über diesen Krieg. Sie wurde 2006 genau an Putins Geburtstag ermordet. Ein Saal des Europäischen Parlaments in Brüssel wurde nach ihr benannt.

Offiziellen Angaben zufolge verlor die russische Armee in zehn Kriegsjahren etwa 7.300 Soldaten und Söldner, während die Union der Soldatenmütter Russlands die Zahl auf 14.000 schätzt.

Zchinwali, Südossetien. 10. August 2008. Bild: EPA

2008 – Russisch-georgischer Krieg

Am 8. August 2008 starteten russische Truppen unter dem Vorwand „Schutz der Bevölkerung“ eine Invasion Georgiens aus den Gebieten der separatistischen Republiken Nordossetien und Abchasien. Innerhalb von fünf Tagen führten russische Flugzeuge mehr als 100 Angriffe auf georgische Städte durch. Bomben wurden auf zivile Gebiete geworfen, wodurch unschuldige Menschen starben oder verletzt wurden. Seitdem ist Südossetien eine nicht anerkannte Republik unter russischer Kontrolle.

In 6 Kriegstagen kamen 170 russische Soldaten und ihre Söldner um.

Russische Militärtechnik in Syrien. Bild: AFP

Kämpfer der Wagner-Gruppe in Syrien.

2015-2022 – Russische Invasion in Syrien

Die russische Invasion war ein entscheidender Moment im syrischen Bürgerkrieg, der 2011 begann. Bereits Anfang 2015 war die Regierung unter dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad dem Untergang nahe. Russische Waffen, Luftunterstützung und Truppen verstärkten Assads Diktatur und zerstörten das Leben von Millionen Menschen. Dieses Einschreiten im letzten Moment verhalf Assad zur militärischen Überlegenheit über die Rebellen zum Ende des Jahres 2017 und unterstützt ihn bis heute.

In den sechs Kriegsjahren kamen zwischen 321 und 444 russische Soldaten und Söldner um.

Ukrainische Soldaten im Flughafen von Donezk. Bild: Serhii Loyko

2014-2022 – Russisch-Ukrainischer Krieg

Im Frühjahr 2014 annektierte Russland die Krym und versuchte, die sog. „Volksrepubliken“ im Osten, Süden und Zentrum der Ukraine zu schaffen. Mit Unterstützung russischer Truppen übernahmen russische Bürger die Macht in den Städten Donezk und Luhansk unter dem Deckmantel der „Unabhängigkeitsbewegung“. Die Ukraine hat eine Anti-Terror-Operation gestartet. Nach heftigen Kämpfen in den Jahren 2014 und 2015 wurde der unerklärte Krieg in der Ostukraine auf Eis gelegt. Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine offiziell an, nannte es aber eine „Spezialoperation“.

In nur wenigen Tagen dieses Krieges kamen bereits mehr als 5.000 russische Soldaten um.

Im Jahre 2022 haben die Ukraine und die gesamte zivilisierte Welt die einmalige Chance, der militärischen Aggression des ehemaligen Reiches ein Ende zu legen. Alles, was Russland anfasst, wird auf der internationalen Bühne zu Asche und Leid. Auch wenn man es „Friedensmissionen“ oder „Spezialoperationen“ ausschließlich zum „Schutz der russischsprachigen und orthodoxen Bevölkerung“ nennt.

Beitragende

Text:

Jewhen Monastyrskyj

Chrystyna Kulakowska

Redaktion:

Jewhenija Saposchnykowa

Bildredaktion:

Jurij Stefanjak

Contentmanagement:

Anastasija Schochowa

Übersetzung:

Daryna Arjamnowa

Redaktion der Übersetzung:

Oleksiy Obolenskyy

Wie viele Kriege gab es in den letzten Jahren?

Kriege und Konflikte in der Vergangenheit und der Gegenwart Jahrhundert) oder der Dreißigjährige Krieg (17. Jahrhundert) hinterließen Millionen Todesopfer und gingen in die Geschichte ein. Für das Jahr 2021 erfasste das HIIK nach dem oben genannten Schema insgesamt 355 Konflikte weltweit.

Wann war der letzte Krieg auf der Welt?

Größere Kriege mit 10.000 oder mehr Todesfällen in diesem oder dem letzten Jahr.

Welcher Krieg war vor 30 Jahren?

Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 war ein Konflikt um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich und in Europa, der als Religionskrieg begann und als Territorialkrieg endete.

Wie viele Kriege gab es auf der Welt seit 1945?

Für die Zeit zwischen 1945 und 2020 klassifiziert die AKUF 170 der 242 ausgetragenen Kriege als innerstaatlich, d.h. etwa 70 % (vgl.

Toplist

Neuester Beitrag

Stichworte