Wer genau ist die elite

Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2008

Beklommen fragt man sich, was dabei wohl alles auf der Strecke bleibt

Julia Friedrichs ist durch Deutschland gereist, auf den Spuren der Wirtschaftselite von morgen. Verstört bemerkt die Autorin das Fraglose und Geschmeidige am Typus des strengen Funktionsträgers.

In der European Business School in Oestrich-Winkel erzählt man der leistungshungrigen Nachwuchselite gern Anekdoten aus dem Reich der Tiere. Zum Beispiel von afrikanischen Antilopen, die, wenn sie morgens aufwachten, genau wüssten, dass sie nur überlebten, wenn sie schneller als jeder Löwe liefen. Die Löwen wiederum müssten schneller als die langsamste Antilope sein, nur so könnten sie ihre Beute erlegen. Nach einer längeren Kunstpause beschließt der Manager seine Geschichte mit einem Appell: "Wir müssen schnell laufen. Denken Sie darüber nach!"

Julia Friedrichs hat darüber nachgedacht, und sie hat ein Buch geschrieben über jene Menschen, die schneller sein wollen als der Rest, effizienter, leistungsstärker. Menschen, deren Leben im Viertelstundenrhythmus durchgetaktet ist und die man "high potentials" nennt. Das Buch heißt "Gestatten: Elite" und es erscheint genau im richtigen Augenblick. Die Autorin hat sich auf die Spuren der Mächtigen von morgen begeben, ein Jahr lang ist sie durch Deutschland gereist und hat den - wie es heißt - Talentschmieden und Eliteuniversitäten einen Besuch abgestattet. Eine junge Frau, die verstehen will, was sich hinter diesen diffusen Begriffen verbirgt, wer die Menschen sind, die die sogenannte Speerspitze des Landes bilden und warum. Was muss man können, um dazuzugehören zu diesem exklusiven Kreis der Gewinner, der sich, so gut es geht, abschottet?

Beginnen wir mit Bernd. Bernd ist Studentensprecher der European Business School, die in einem Schloss mitten im Rheingau residiert. Die Tage des angehenden Leistungsträgers sind so prall gefüllt, dass er auch Investmentbanker sein könnte, zwölf bis vierzehn Stunden sind absolut normal. "Es gibt während der Woche selten Phasen, in denen ich nichts mache", sagt er. Elite, das sind für ihn Menschen, "die vordenken, die Entscheidungen treffen, die alles ein bisschen besser machen". Viel mehr fällt ihm dazu nicht ein. Bernd ist einundzwanzig Jahre alt. Seine Eltern sind vermögend, das müssen sie auch sein, sonst könnten sie sich die 45 000 Euro, die die Ausbildung des Sprösslings kostet, nicht leisten.

Nach seinem Studium wird Bernd einen hochdotierten Job bekommen, das ist jetzt schon sicher, dafür sorgt das gigantische Netzwerk aus ehemaligen Absolventen. Die Elite greift sich gegenseitig gern unter die Arme. Es ist naiv zu glauben, dass allein die Leistung darüber entscheidet, wer sich in den Chefetagen dieser Welt häuslich einrichten darf. Was zählt, sind Habitus und Status oder, nicht ganz so freundlich ausgedrückt, der Stallgeruch. Kinder aus gutem Hause sind die Gewinner dieses Spiels. "Mittelschichtskinder machen trotz eines Doktortitels vor allem in der Wirtschaft wesentlich seltener Karriere als ihre Konkurrenten aus besseren Familien." Natürlich ist das nicht neu, kalt lässt es einen trotzdem nicht.

Zu den Auserwählten gehört auch Oliver. Er besucht das Internat Schloss Salem am Bodensee, eine der renommiertesten und teuersten Adressen des Landes. Wer hier lernt, den werden in Zukunft keine Geld- und Aufstiegssorgen plagen. Aber warum zählt ausgerechnet ein Salemer (vom eng geknüpften Netzwerk einmal abgesehen) zur Elite? Im Gegensatz zu anderen Schulen, sagt Oliver, versuche man in Salem den ganzen Menschen zu bilden, nicht nur das Fachliche. Mut, Verantwortung und Wahrheitsliebe, das seien "die Tugenden, mit denen Menschen zur Elite werden".

Aber Menschen wie diese trifft man vornehmlich auch außerhalb der Vorstandsetagen. Was ist zum Beispiel mit der Pflegerin auf der Kinderhospizstation oder im Krankenhaus, was mit dem Minensucher in Afghanistan? Oder bedeutet Leistung stets Profit? Wie absurd es ist, das Wort Elite für die "Hochleister" unserer Gesellschaft zu reservieren, sticht einem in diesen Tagen, wo so mancher Leistungsträger moralisch sehr tief fällt, besonders ins Auge. Julia Friedrichs zitiert in ihrem Buch den Nationalökonomen Wilhelm Röpke, der einmal den schönen Satz sagte, dass die wahre Elite eine Stellung über den Klassen, Interessen, Leidenschaften, Bosheiten und Torheiten der Menschen einnehmen und sich durch ein exemplarisches und langsam reifendes Leben der entsagungsvollen Leistung für das Ganze auszeichnen würde.

Die junge Wirtschaftselite, der Julia Friedrichs begegnete, lebt nach dem Prinzip "survival of the fittest". Siegessichere Menschen, die die Gesellschaft in oben und unten einteilen, in Gewinner und Verlierer, in Niedrigleister und Turboleister. "Grow or go" heißt das Motto der Beraterbranche: "Mach Karriere oder verschwinde". Auch Julia Friedrichs hätte ihr Leben diesem Diktat unterwerfen können. Sie bestand das berüchtigte Auswahlverfahren der Unternehmensberatung McKinsey, an dem sie aus Recherchegründen teilgenommen hatte. Am Ende hielt sie ein lukratives Jobangebot in ihren Händen: 67 000 Euro Jahresgehalt plus Dienstwagen. Sie sagte nein. Gut für uns, denkt man, sonst hätte sie dieses Buch nie geschrieben.

Das verstörendste für den Leser ist die Bereitschaft in der Nachwuchselite, aus dem Marktgedanken eine Weltanschauung zu machen, unberührt von jeder relativierenden Außensicht. Das System, behaupten die jungen Karrieristen, sei fair. Wer erfolglos bleibe, trage selbst die Schuld, dem fehle eben der nötige Biss, sich in einer globalisierten Welt zu behaupten. Und Seilschaften? Nebensache. Das Rezept laute: Sei extrem fleißig und ehrgeizig, dann öffnen sich automatisch Tür und Tor. Ganz einfach also.

Wir begegnen Menschen, die sich alle im gleichen Takt bewegen. Karriereoptimierern, bei denen es kein Zaudern gibt, keine Verschnaufpause, kein Luft holen, kein Sich-hängen-Lassen. Verächtlich blicken viele von ihnen auf die "faulen Dauerstudenten" hinab, die sich irgendwo im Mittelmaß tummeln und nicht vom Fleck weg kommen. Sich fürs Leben rüsten heißt, sich auf den Hosenboden zu setzen und über Büchern zu grübeln. Biographische Brüche sind in den durchgestylten Werdegängen der Nachwuchselite nicht eingeplant. Wer sich umblickt, hat verloren. "Viel leisten, das heißt in dieser Elitenwelt: funktionieren, nicht nachfragen." Beklommen fragt man sich, was dabei wohl alles auf der Strecke bleibt.

Als sich Julia Friedrichs aufmachte, um zu begreifen, wie unsere Nachwuchselite tickt, hoffte sie, Querdenker zu treffen, Widersprecher, Neinsager. Sie wurde enttäuscht. Es sieht so aus, als vertraue die deutsche Wirtschaft lieber auf die "Smoothlinge", die sich geschmeidig ins System einfügen. Wie wohltuend sind da doch die Ausnahmen. Aadish, ein junger Iraner, ist so eine Ausnahme. Er trifft die Sache auf den Punkt: "Elite ist ein euphemistisches Wort für Macht. Wer in der Elite ist, der hat die Macht und legitimiert die Macht dadurch, dass er Elite ist. Es gibt Schichten, die haben die Macht, die machen die Elite aus und die wollen die Macht auch behalten." Vielleicht ist das in der Tat schon alles.

MELANIE MÜHL

Julia Friedrichs: "Gestatten: Elite". Auf den Spuren der Mächtigen von morgen. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2008. 255 S., geb., 17,95 [Euro].

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Wann gehört man zur Elite?

Generell lässt sich sagen, dass zur Elite die Personen gehören, die in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen. So etwa Regierungsmitglieder, hohe Bundesrichter, hohe Bundesbeamte in Ministerien, Spitzenmanager oder die Eigen- tümer großer Unternehmen.

Wer gehört zu der Elite?

Im Alltag und in den Massenmedien werden unter „Elite“ in der Regel Personen verstanden, die sich in politischen, wirtschaftlichen, sportlichen, künstlerischen, akademischen o. ä. Spitzenpositionen befinden.

Was macht eine Elite aus?

Eine Elite (lat. "eligere": "auslesen") ist eine Auslese von Personen, die besondere Fähigkeiten haben oder zu haben scheinen, oder die aus der Gruppe heraus Macht ausüben und Selbstbewusstsein zeigen. Man orientiert sich oft an Werten und Normen, die von denen der Gesellschaft abweichen, bzw.

Was ist die alte Elite?

Als traditionelle Elite sollen hier die Gruppen verstanden werden, die bereits im Kaiserreich zur Elite zählten und die in der Weimarer Republik einen wie auch immer gearteten Abstieg zu befürchten oder bereits zu spüren bekommen hatten.

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