Das jahr 2022 geht zu ende

Stand: 13.08.2022 09:04 Uhr

Die Corona-Sommerwelle geht zu Ende. Doch im Herbst könnten die Zahlen wieder steigen. Wie gut ist Deutschland diesmal vorbereitet? Was bedeuten die Varianten für die Pandemie? Was ein angepasster Impfstoff?

Wie entwickelt sich das Virus weiter?

Wer sich mit dem Coronavirus ansteckt, hat es sehr wahrscheinlich mit der Omikron-Variante BA.5 zu tun. Auch BA.4 und BA.2 konnten laut Robert Koch-Institut in den vergangenen Wochen nachgewiesen werden. Die verschiedenen Omikron-Sublinien haben gemeinsam, dass sie deutlich ansteckender sind als ihre Vorgänger: Der Wildtyp, Alpha, Beta, Delta - die Varianten, die in den ersten Corona-Jahren für die meisten Ansteckungen sorgten, ließen sich nicht so leicht übertragen.

Dafür erkrankten die Menschen schwerer, wenn sie sich infizierten. Das ist neben den Impfungen der Grund, weshalb aktuell trotz hoher Inzidenzen nur vergleichsweise wenige Menschen schwer an Covid erkranken.

Damit sich eine neue Variante gegen die bisherigen durchsetzen kann, braucht sie einen Übertragungsvorteil - das heißt entweder, dass sie durch ihre biologischen Eigenschaften ansteckender ist oder, dass sie sich so verändert hat, dass das Immunsystem des Körpers sie schlechter erkennt. Das sagt Richard Neher, Experte für Virusevolution an der Universität Basel.

Welche Variante auf Omikron folgen könne und welche Eigenschaften diese dann mitbringen wird, das könne man aktuell nicht verlässlich vorhersagen, so der ExpertInnenrat der Bundesregierung. Und auch Neher hält eine Vorhersage, wie sich das Virus weiterentwickeln wird, nicht für sinnvoll.

Steigen die Inzidenzen im Herbst wieder?

Die vergangenen Winter waren von stark ansteigenden Infektionszahlen geprägt. Auch in diesem Jahr werden weitere Herbst- und Winterwellen erwartet. Wie stark diese ausfallen, hängt von der vorherrschenden Virusvariante und deren Eigenschaften ab, eine genaue Vorhersage der kommenden Infektionswellen ist daher nicht möglich.

Aus Sicht der Immunologin Martina Prelog von der Universität Würzburg gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zum vergangenen Jahr: Ein großer Teil der Bevölkerung habe sich drei, zum Teil vier Mal impfen lassen, dazu komme bei vielen eine Infektion mit einer Omikronvariante im Frühling und Sommer.

"Wir haben eine ganz andere Ausgangssituation als letztes Jahr: Es ist wahrscheinlich eine breite Grundimmunität in der Bevölkerung entstanden. Das gilt vor allem auch in den jüngeren Bevölkerungsgruppen." Das bedeutet: Viele Menschen haben mittlerweile ein geringeres Risiko, schwer zu erkranken.

Allerdings nehme die Schutzwirkung der Impfung oder überstandenen Infektion mit der Zeit ab. Vor allem die Antikörper auf den Schleimhäuten gingen zurück. Daher könne man sich auch nach mehrmaliger Impfung nach einigen Monaten wieder anstecken. Jedoch werde durch die Impfung das langfristige Immungedächtnis gestärkt, sodass die meisten mehrfach geimpften Menschen nicht mehr schwer erkrankten - auch, wenn eine neue, engverwandte Virusvariante auftritt.

Dies gelte jedoch vor allem für junge Menschen mit einem gesunden Immunsystem. Ungeimpfte Menschen, deren Immunsystem nur durch eine milde Infektion mit Omikron in Kontakt gekommen ist, scheinen keinen so starken Immunschutz aufzubauen, so Prelog. Auch Ältere oder Immungeschwächte hätten weiterhin ein höheres Risiko, schwer an Covid zu erkranken.


Welche Rolle werden angepasste Impfstoffe spielen?

Wer sich gegen das Coronavirus impfen lässt, erhält die Impfstoffe, die zu Beginn der Pandemie anhand des Ursprungsvirus entwickelt wurden. Damit wurden mittlerweile etwa 63,7 Millionen Menschen in Deutschland mindestens zweimal, 51,5 Millionen sogar mindestens dreimal geimpft. Im vergangenen August lag die Zahl der grundimmunisierten Menschen bei etwa 46 Millionen.

Doch das Virus hat sich verändert und kann dem aufgebauten Immunschutz teilweise ausweichen. Durch die Anpassung an Omikron-Viren soll die verwendete Impfung besser mit den tatsächlich zirkulierenden Viren übereinstimmen.

Die Studienergebnisse, die bisher von den Herstellern zu den veränderten Impfstoffen veröffentlicht wurden, sind positiv zu bewerten, erklärte der Impfstoffforscher Leif Erik Sander gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Die Antikörper kann man auch mit der herkömmlichen vierten Impfung aktivieren, aber bei den angepassten Vakzinen werden sie noch einmal etwas verstärkt und verbreitert. Daraus resultierend wird sich auch ein besserer Schutz ergeben."

Das Bundesgesundheitsministerium erwartet, dass die angepassten Impfstoffe im Herbst zur Verfügung stehen werden. Minister Karl Lauterbach kündigte an, dass die angepassten Impfstoffe bereits am 2. beziehungsweise 28. September ausgeliefert werden könnten.

Laut der Immunologin Prelog müsse dann geklärt werden, welche Bevölkerungsgruppen zuerst Zugang zu den angepassten Impfstoffen bekommen werden.

Für die besonders gefährdeten Gruppen empfehlen Prelog und Sander - genau wie die Ständige Impfkommission - jedoch bereits jetzt eine Auffrischungsimpfung mit dem bisherigen Impfstoff: Für alle über 70-Jährigen, Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Beschäftigte in Pflegeheimen sei eine weitere Auffrischungsimpfung bereits zum jetzigen Zeitpunkt ratsam.  

Da das Immunsystem von älteren Menschen nicht mehr so gut auf neue Erreger oder Varianten reagieren kann, hätten diese ein höheres Risiko, schwer an Covid zu erkranken - insbesondere, wenn die dritte Impfung schon länger her ist, so Prelog. Das gleiche gelte für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem oder bestimmten chronischen Erkrankungen.

Gibt es bessere Medikamente gegen Covid?

Auch wenn Omikron zumeist milderen Verläufen führt, so hatte die Virusvariante auch negative Auswirkungen: Einige Antikörpertherapien, die bei früheren Varianten zur Behandlung von Covid-Patienten eingesetzt wurden, können beispielsweise nicht mehr verwendet werden, weil sie das veränderte Virus nicht mehr verlässlich erkennen. Doch es gibt auch positive Entwicklungen in der Behandlung von Covid-Patienten. Das erklärt Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Köln:

Die Medikamente Paxlovid und Molnupiravir gelten als gut verträglich und sollen schwere Verläufe der Covid-Erkrankung verhindern. Hinzu kommt das Mittel Remdesivir, dass ebenfalls zu Beginn der Infektion per Infusion gegeben werden kann. "Wir haben also mehrere Medikamente an der Hand, von denen wir wissen, dass sie wirken. Das ist ein großer Pluspunkt", so Fätkenheuer.

Bei der medikamentösen Behandlung von schwerkranken Covid-Patienten habe es hingegen keine großen Veränderungen gegeben. Es gebe einige Medikamente wie das Cortison-Präparat Dexamethason, die in der klinischen Behandlung verwendet werden können.

Doch auf der Intensivstation gehe es nicht nur um die Gabe von Medikamenten, so Fätkenheuer: "Bei der intensivmedizinischen Behandlung von Covid-Patienten haben wir in den letzten Jahren viel gelernt, zum Beispiel bei der Beatmung. Wenn man heute früh diagnostiziert wird und mit Covid ins Krankenhaus kommt, dann ist die Prognose besser als vor eineinhalb Jahren." Wichtig sei jedoch eine frühe Diagnose und dass die verfügbaren Medikamente tatsächlich eingesetzt würden.

Wie bewerten Experten die zuletzt angekündigten Maßnahmen?

Um auf steigende Infektionszahlen und eine Belastung des Gesundheitssystem reagieren zu können, hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgestellt, das im kommenden Herbst und Winter greifen soll. In wissenschaftlichen Fachkreisen stieß es auf ein gemischtes Echo: Während im vergangenen Sommer viel darüber diskutiert wurde, ob die Sieben-Tage-Inzidenz oder die Hospitalisierungsrate als Grundlage für mögliche Maßnahmen gelten sollte, fehlen solche Orientierungswerte für den kommenden Herbst noch.

Dies kritisiert unter anderem der Virologe Martin Stürmer im WDR. Ein "handfestes Instrumentarium", wann die Länder etwa eine Hotspot-Regelung auslösen dürften, fehle. Kritik gibt es auch an der geplanten Umsetzung der Maskenpflicht. Derzeit sieht das Infektionsschutzgesetz eine bundesweite Maskenpflicht nur im Fern- und Flugverkehr vor, über den ÖPNV entscheiden die Länder selbst. Außerdem soll es Ausnahmen für frisch Genesene und Geimpfte geben.

Der Infektiologe Leif Erik Sander erklärt, dass es sowohl aus Sicht der Wissenschaft als auch der Bürgerinnen und Bürger wünschenswert wäre, einheitliche Regeln zu haben. Seines Erachtens gebe es in Zeiten mit hohem Infektionsgeschehen eine große Akzeptanz für Masken. Man wisse inzwischen, dass Masken in Innenräumen das Infektionsrisiko senken.

Auch der Virologe Stürmer sieht die geplanten Masken-Regeln kritisch. Er hätte sich eine bundesweit einheitliche Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr gewünscht. Busse und Bahnen seien "im Herbst und Winter generell eine Infektionsquelle".

Wie ist die Corona-Lage in den Krankenhäusern?

Bei einer Infektion mit der Omikron-Variante erkranken die meisten Menschen nicht so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. Da die Infektionszahlen jedoch in diesem Sommer so stark gestiegen sind, befinden sich insgesamt laut Deutschem Intensivregister aktuell mehr als doppelt so viele Menschen mit Covid auf einer Intensivstation wie noch vor einem Jahr.

Laut dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, ist das eine schwierige Situation: "Wir starten mit einer höheren Belastung in den Herbst als 2021."

Während in den vergangenen Wellen noch drohende Überlastungen der Intensivstationen das größte Problem waren, sei die größte Sorge der Krankenhäuser aktuell vor allem der immense Personalausfall durch Erkrankung und Quarantäne. "Wir müssen damit rechnen, dass sich diese Situation nach dem Abflauen der Sommerwelle im Herbst und Winter wieder deutlich verschärfen wird und wir dann mit Kapazitätseinschränkungen und wieder verschobenen Operationen konfrontiert sind", so Gaß.

Davon geht auch der ExpertInnenrat der Bundesregierung aus: Auch, wenn es keine Virusvariante mehr geben sollte, die zu schwereren Erkrankungen führt als Omikron, werde es wahrscheinlich zu erheblichen Belastungen im Gesundheitssystem kommen.

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