Das Mädchen mit dem Perlenohrring Künstler

»Das Mädchen mit dem Perlenohrring« – Eine große Inspiration

»Das Mädchen mit dem Perlenohrring« war kurioserweise zur Zeit seines Entstehens gar nicht so bekannt; mittlerweile ist es so weltberühmt, dass es das Bild gar nach Hollywood geschafft hat. Wir möchten euch zeigen, wie das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert in der zeitgenössischen Populärkultur rezipiert wird. Malerei als Thema in Roman und Film eröffnet dabei nicht nur Fragen nach Intermedialität, sondern beschreibt auch eine mediale Vorgeschichte der Kinematographie. Besonders außergewöhnlich: die Rolle des titelgebenden Mädchens, vor deren Folie Fragen nach weiblichem Musentum, genderspezifischen Mythen des Künstlergenies und sozioökonomische Kontexte neu verhandelt werden können.

Das Gemälde (Jan Vermeer, um 1665)

»Das Mädchen mit dem Perlenohrring« (um 1665) ist das berühmteste Gemälde Jan Vermeers (1632 – 1675). Der Delfter Künstler gehört zu den bedeutendsten Malern des 17. Jahrhunderts, dem sogenannten »Goldenen Zeitalter« der Niederlande. Seine barocken Porträts von Frauen und Mädchen zeichnen sich durch eine Darstellung des Häuslichen, Privaten und scheinbar Alltäglichen aus. Meist zeigte Vermeer seine Modelle bei stillen Tätigkeiten wie Briefe lesen, Schlafen oder Malen. »Die Mona Lisa des Nordens«, wie das Gemälde auch genannt wird, präsentiert ein Mädchen mit einem blauen Turban und dem markanten übergroßen Ohrring vor einem dunklen Hintergrund. Das Bild wirkt geradezu modern, weil das Mädchen mit dem Bildbetrachter zu interagieren scheint: Es ist aus unmittelbarer Nähe gemalt und blickt den Beobachter direkt an; sein Mund ist leicht geöffnet. Bemerkenswert dabei ist Vermeers Umgang mit Licht: Er konnte Konturen allein mit Licht und Schatten erzeugen. Seien es die Glanzeffekte auf den Lippen des Mädchens oder der Schimmer der titelgebenden Perle: Vermeer konnte mit seiner natürlichen Lichttechnik unbelebte Objekte scheinbar zum Leben erwecken. Der Turban und die Perle wurden von Kunsthistorikern als Zeichen des Orientalismus gelesen. Die Kleidung spiegelt das damalige Interesse Hollands an der orientalischen Kultur nach den Türkenkriegen wider; Turbane waren beliebte Modeaccessoires im Barock. Das Gemälde lässt viele Fragen offen. Unbekannt ist, wer das Mädchen im Gemälde ist. Sie könnte ein bezahltes Modell, eine Auftragsarbeit oder eine Angestellte Vermeers gewesen sein. Eine Vermutung ist aber, dass das Bild vielmehr eine sogenannte Tronie (holländisch für »Kopf« oder »Gesichtsausdruck«) darstellt. In der niederländischen Malerei entwickelten sich Tronien zur eigenständigen Bildgattung. Dabei handelt es sich um porträtähnliche Charakterstudien, mit denen Künstler Allegorien oder Typen und keine bestimmten Menschen darstellen wollten. Umstritten ist übrigens auch, ob es sich bei dem Ohrschmuck tatsächlich um eine Perle handelt. Zu besichtigen ist das Ölgemälde heute im Mauritshuis in Den Haag. Weltweit berühmt wurde das Gemälde durch seine moderne Rezeption im 21. Jahrhundert.

Der Roman (Tracy Chevalier, 1999)

Delft, Holland, 17. Jahrhundert: Die amerikanische Autorin Tracy Chevalier entwirft in ihrem historischen Roman »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« (1999) eine fiktive Geschichte rund um das Geheimnis, wer sich hinter der Frau auf Jan Vermeers ikonischem Kunstwerk verbirgt. Der biographische Roman erfindet eine romantische Entstehungsgeschichte zu dem berühmten Gemälde: Die 16-jährige Magd Griet arbeitet im Haushalt des Malers und wird zum Modell für sein Perlenohrring-Bild. Dabei entdeckt sie auch ihr Talent für Kunst. Griet wird zu Vermeers Assistentin, sie mischt seine Farben und ordnet Gegenstände zu künstlerischen Werken. Unterdrücktes Begehren und eine heimliche Liebesgeschichte thematisieren auch Standesunterschiede zwischen Griet und Vermeer. So nimmt der Roman ­– wie ein Sittengemälde – Bezug auf die holländische Klassengesellschaft der Barockzeit und thematisiert den sozioökonomischen Kontext für (erfolgreiche) Malerei. Tatsächlich liegen nur wenig gesicherte Eckdaten über das Leben des niederländischen Malers vor. Tracy Chevalier versucht, diese biografischen Leerstellen zu füllen, indem sie die fiktiven Geschehnisse aus der weiblichen Sicht der Dienstmagd Griet entwirft. Chevalier schafft damit ein feministisches rewriting der Kunstgeschichte: Der Roman verhandelt den bekannten Mythos des männlichen Künstlers und seiner weiblichen Muse teils neu. Die gesellschaftlichen Verhältnisse konturierten meist bis ins 20. Jahrhundert eine dichotome, genderspezifische Kunstordnung: das Künstlergenie (männlich) versus die Muse (weiblich), das autonome Subjekt des Malers (aktiv) versus sein gemaltes Objekt (passiv). Diesmal gibt die Ich-Erzählung jedoch der weiblichen Muse eine Stimme und eine eigene aktive Perspektive, die sonst in der Kunstgeschichte oftmals verschwiegen, ausgelassen oder verdrängt wurde. Prominentes Beispiel hierfür wäre die französische Bildhauerin Camille Claudel (1864 – 1943). Ihr Talent wurde stets verheimlicht, auch wenn sie den berühmten Künstler Rodin inspirierte und selbst Kunstwerke von Bedeutung erschuf. Im Gegensatz dazu erscheint Griet im Roman nicht mehr nur als männliches Blickobjekt, das der Maler auf seine Leinwand zu bannen versucht, sondern als erzählendes Subjekt.

Der Film (Peter Webber, GB/L 2003)

Nach dem internationalen Bestsellererfolg von Tracy Chevaliers Roman verfilmte der britische Regisseur und Kunsthistoriker Peter Webber im Jahre 2003 »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« mit Scarlett Johansson und Colin Firth in den Hauptrollen. Im Gegensatz zum Roman wirft das Biopic aufgrund seiner eigenen medialen Beschaffenheit als Kinofilm spannende Fragen nach (Inter-)Medialität auf. Mit seiner kunstvollen Gestaltung der Bilder ist Peter Webbers Film nicht nur eine inhaltliche Adaptation der literarischen Vorlage, sondern auch eine visuelle Rekonstruktion von Vermeers Bilderwelt. Das alltägliche Geschehen im Haushalt zeigt sich im Film anhand von Szenen, die Vermeers Gemälde regelrecht verlebendigen. Kameramann Eduardo Serra erschafft so kurzzeitige tableaux vivants: Er komponiert sorgfältig ausgeleuchtete Filmbilder, die selbst wie Barockgemälde wirken. Dabei wird die Kamera kaum bewegt und ahmt die stillstehende Ästhetik der Malerei nach. Der Film zitiert anhand von Farben, Belichtung, Kostümen, Interieur und Figuren die holländische Feinmalerei der Delfter Schule: Objekte wie die Laute, das Cembalo oder das Atelier sind ikonographische Referenzen auf Vermeers Gemälde. Das Bild »Die Dame mit dem Perlenhalsband« wird beispielsweise direkt zum Handlungsgegenstand, Vermeers »Dienstmagd mit Milchkrug« dient als visuelle Vorlage für weibliche Filmfiguren. Die Künstlerbiografie thematisiert nicht nur die Genese des Perlenohrring-Kunstwerkes, sondern auch die Entstehungsgeschichte des filmischen Mediums. Vermeers nahezu fotografische Malerei wird schon in den ersten Minuten des Films in eine Linie mit fotografischen Medien und filmischer Lichttechnik gestellt. Tatsächlich dient Kameraleuten kein anderer Maler der Kunstgeschichte so oft als Inspiration für natürliches Licht wie Jan Vermeer. Nicht zufällig setzt der Film daher die Figur Jan Vermeers schon zu Beginn mit einer »Sehmaschine«, einer Camera Obscura, in Szene und macht den Künstler zum Pionier der heutigen Lichtgebung im Film. Das Kino erzählt hier selbstreflexiv seine eigene visuelle Vorgeschichte: vom unbewegten gemalten Bild hin zum bewegten Filmbild. Mit seiner detailgetreuen Rekonstruktion der Barockzeit reiht sich der Film in die seit den 1990er Jahren beliebte Tradition des Kostümdramas oder heritage films (engl. »heritage« = Erbe) ein. Beispiele hierfür wären »The King’s Speech« (2010) oder »Emma« (1996). Dass ausgerechnet Colin Firth die Hauptrolle des Künstlers einnimmt, kann als selbstreflexiver Verweis auf die heritage-film-Tradition gesehen werden. Schließlich wurde Firth weltberühmt mit seiner Rolle als paradigmatischer Kostümdramaheld Mr. Darcy in der BBC-Miniserie von Jane Austens »Pride and Prejudice« (1995), die für den weltweiten heritage-Boom verantwortlich war.

Lese- & Filmtipps

Gemälde und Maler sind eine Inspiration für eine Vielzahl von populären Werken. Wer noch mehr fiktive Geschichte über die Malerei lesen oder sehen möchte, sollte sich unsere folgenden Tipps nicht entgehen lassen:

Wer hat das Mädchen mit den Perlenohrring gemalt?

Das populärste Bild von Jan Vermeer ist das um 1665 entstandene Porträt "Das Mädchen mit dem Perlenohrring".

Warum wurde das Mädchen mit dem Perlenohrring gemalt?

Er ist ein Zeichen für das in der damaligen Zeit vorhandene Interesse an der morgenländischen Kultur infolge der Türkenkriege. Im 17. Jahrhundert waren Turbane deshalb ein beliebtes und weit verbreitetes Accessoire in Europa.

Wie viel kostet das Mädchen mit dem Perlenohrring wert?

Nice to know: „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ wurde 1881 noch für umgerechnet einen Euro versteigert. Wie viel es heute genau wert ist, kann kaum geschätzt werden.

Wo hängt das Original Das Mädchen mit dem Perlenohrring?

Das Mauritshuis beherbergt die besten niederländischen Gemälde aus der Zeit von Rembrandt und Vermeer. Hier erwarten dich berühmte Gemälde wie Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring, Die Anatomiestunde von Rembrandt und Der Distelfink von Fabritius.

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