Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit RTL2

So schnell und schnörkellos werden Quizkandidaten nirgendwo sonst ausgeleuchtet: In der neuen Show "Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit" entlockt ein Lügendetektor ihnen peinliche Geheimnisse - obszöne Auswüchse inklusive. Am Ende ist das Geld weg, die Familie vergrämt, der Ruf ruiniert.

Von Christian Buß

29.01.2008, 09.38 Uhr

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Die einen gehen in Therapie, die anderen zum Fernsehen. In Selbsterfahrungscamps wie dem gerade abgewickelten RTL-Dschungellager versuchen sie ihre Phobien zu überwinden, indem sie zum Beispiel mit Ratten baden gehen. Und über gruppendynamische Prozesse, wie sie im "Big Brother"-Container von RTL II noch immer täglich live mitzuverfolgen sind, arbeiten sie sich zu ihrem wahren Ich vor.

"Nichts als die Wahrheit"-Moderator Bauer: Schnörkellose Aushorchung

Foto: RTL II

Zugegeben, die therapeutischen Maßnahmen sind hart und langwierig, kosten die Krankenkassen aber keinen Cent. Und es gibt sogar was zu gewinnen. Trotzdem wünschen sich manche potentielle TV-Probanden vielleicht, schneller und wirkungsvoller mit den eigenen Ängsten und Lüsten konfrontiert zu werden.

Ihnen kann geholfen werden.

Immer nach der wöchentlichen "Big Brother"-Nachlese am Montag präsentiert RTL II jetzt eine Spielshow mit dem viel versprechenden Titel "Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit". Was bei "Big Brother" oder auch dem "Dschungelcamp" quasi stationär behandelt wird, wickeln die Fernsehmacher hier nun ambulant ab. Eine Viertelstunde Sendezeit nur brauchen sie, dann ist jeweils ein TV-Proband komplett durchleuchtet.

21 Fragen muss jeder Teilnehmer beantworten, ein Lügendetektor soll die Glaubhaftigkeit der Antworten absichern. So stellt man sich saubere CIA-Arbeit vor. Kurz, schmerzlos, aber mit nachhaltiger Wirkung.

Und tatsächlich kann sich der Zuschauer der Effizienz dieser Selbstprüfung nicht ganz entziehen: Warum im australischen Dschungel Känguruhoden runterwürgen, wenn man sich bequem im Studiosessel mit den eigenen Abgründen auseinandersetzen kann?

Große Geschäfte in der Badewanne

Moderator Christoph Bauer, der mit Formaten wie dem BR-Magazin "Kino Kino" bislang eher als öffentlich-rechtlicher Service-Arbeiter agierte, präsentierte sich gestern als adäquat emotionsloser Aushorcher. Fäkalien interessierten ihn genauso wie Familienangelegenheiten.

Seine erste Kandidatin etwa war die lebenslustige Studentin Tina, die er sehr früh mit der Frage konfrontierte, ob sie schon mal "ihr großes Geschäft in der Badewanne verrichtet" hätte. Da bewegte sich die Kandidatin, die zum Erstaunen des Saalpublikums mit Ja antwortete, noch im Bereich der dreistelligen Gewinnmöglichkeiten. Insgesamt ging es um 25.000 Euro.

Später, als es schon etwas mehr Geld für korrekte Antworten gab, bohrte Bauer dann zum Thema Verwandte nach. "Stammen sie aus einer gut aussehenden Familie?", fragte er etwa. Die Verhörte verneinte – und die Regie schnitt wie zum Beweis auf Tinas mit angereiste, pummelige Schwester. Moderator Bauer indes zeigte zum ersten Mal so was wie Anteilnahme und säuselte, dass es ja auch auf innere Werte ankomme.

Man blieb dann erst mal beim Thema Sippschaft. Ob sie sich für die Schlaueste ihrer Familie halte? Tina zauderte, sagte dann aber Nein. Da bezichtigte sie die hallende Frauenstimme aus dem Off der Lüge, und die Ausgeleuchtete musste zugeben, dass sie sich unterbewusst vielleicht doch für die Klügste ihres Clans halte.

Im Stahlbad der Lebenslügen

So gesehen steht "Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit" für eine neue Dimension des Intimitätsterrors im deutschen Fernsehen. So schnell und schnörkellos wie hier wird sonst in keiner anderen Sendung die Ausleuchtung und anschließende Auslöschung der Kandidaten betrieben: Kandidatin Tina etwa war, die vielen Werbeunterbrechungen nicht mit eingerechnet, nur ein paar Minuten auf dem Bildschirm zu sehen, da hieß es schon: Geld weg, Familie vergrämt, Ruf ruiniert.

Der nächste Kandidat war Ingo aus Trier, und ihn erwischte es ebenso hart. Gerade hatte die mit angereiste Freundin des 42-jährigen Versicherungsvertreters vor Moderator Bauer Ingos Ehrlichkeit gerühmt, da musste der unter dem Druck des Lügendetektors einräumen, dass er schon mal heimlich das Handy seiner Lebensgefährtin kontrolliert habe. Wie die ganze Sache ausgeht, ist noch unklar. Nach bester Jauch-Manier verlegte man das Show-Finale samt möglichem Trennungs-Showdown auf die nächste Woche.

Ein Stahlbad in den eigenen Lebenslügen, so könnte man das Unterhaltungsexperiment des gestrigen Abends nennen.

Die Kandidaten wussten allerdings offenbar genau, was sie taten. Vor der Aufzeichnung war man die Fragen schon einmal mit ihnen durchgegangen, es gab keine Überraschungen für die Teilnehmer, sie hätten den Selbstversuch jederzeit abbrechen können. Deshalb kann man "Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit" als rustikale familien- und beziehungstherapeutische Maßnahme nehmen. Das ist eine Privatangelegenheit – die hier eben nur, zugegeben, in der größtmöglichen Öffentlichkeit ausgetragen wird.

Untragbar allerdings wurde es gestern, als man grundsätzliche moralische Fragen behandelte. "Würden sie ihr Kind abtreiben lassen, wenn sie wüssten, dass es behindert wäre?", hatte Christoph Bauer Tina schon ziemlich zum Anfang gefragt. Nicht die Offenbarung von Tinas Toilettengewohnheiten war obszön, sondern die Verkürzung solch ethischer Erwägungen auf Quizshow-Format.

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