Film du sollst nicht lügen sat 1

Als im Herbst 2017, in Episode zwei, der „awful garden gnome“ Erwähnung fand, weil ein Schlüssel darunter versteckt sei, da wusste man, dass „Liar“, die von ITV und SundanceTV produzierte und phantastisch erfolgreiche Serie der britischen Brüder Harry und Jack Williams („The Missing“; „Fleabag“) noch zum blutigen Psychohorror ausarten würde. Denn ungeachtet der Beliebtheit von Gartenzwergen in Großbritannien gelten sie als „german at heart“, und den Deutschen traut man auf der Insel bekanntlich jeden Sadismus zu. Passend unklar ist zudem, ob Wichtel ein Geschlecht haben.

Ernüchterung machte sich gegen Mitte der ersten Staffel breit, denn plötzlich verwandelte sich das atmosphärisch dichte, gesellschaftspolitisch aufregende Alltagsdrama in einen marktüblichen Spannungsthriller. Der verstieg sich ins Unglaubwürdige und verriet den erzählerischen Clou. Die Stärke der Serie nämlich lag in ihrer Konzentration: Die Nacht nach dem ersten Date wird von den Beteiligten, einem erfolgreichen Chirurgen (Typ klischeehafter Frauentraum) und einer zunächst gehemmt, dann hilflos wirkenden Lehrerin, sehr unterschiedlich bewertet, als romantisches Abenteuer respektive als Vergewaltigung. Gegenseitig bezichtigen sie einander der Lüge.

Es war die Serie zur Nein-heißt-Nein-Debatte, und sie traute sich – das verlieh ihr die zitternde Anspannung –, die Wahrheit lange offenzulassen. Die Indizien sprachen für die eine, dann wieder für die andere Version. Die Zuschauer wurden hin- und hergerissen, waren auf ihre Vorurteile zurückgeworfen.

Eher Remake als Anlehnung

Nun hat Jochen Alexander Freydank im Auftrag von Sat.1 eine deutsche Adaption der Serie gedreht, die sich in Text und Bild so eng an das Original anlehnt, dass besser von einem (gestrafften) Remake gesprochen werden sollte. Und wieder funktioniert der Grundmechanismus. Felicitas Woll spielt die Protagonistin zwar nicht ganz so zerbrechlich und suizidal verzweifelt wie Joanne Froggatt (Anna aus „Downton Abbey“), und der ebenfalls überzeugende Niederländer Barry Atsma (Fiesling Fenger aus „Bad Banks“) wirkt eine Spur weniger unschuldig als Ioan Gruffudd, aber trotz dieser willkommenen Abschwächung der Geschlechteropposition krachen die Perspektiven mit Macht aufeinander.

Alles an diesen Figuren wirkt echt und zugleich prekär. Laura, frisch getrennt und auch sonst nicht ohne Vorgeschichte, steht neben sich, kann ihren Beruf kaum mehr ausüben. Auch auf Hendriks Leben strahlen die Ereignisse stark aus. Er wird im Dienst verhaftet. Dass Laura ihre Version online bekanntmacht, treibt ihn zur Verleumdungsklage. Schadlos kommt da niemand heraus. Die eingeschalteten Polizisten (Friederike Becht; Gunnar Helm) stehen vor demselben Dilemma wie die Zuschauer.

Ästhetisch ist die deutsche Fassung weniger grandios als das Original. Erweckten etwa ikonische Drohnenaufnahmen von labyrinthischen Salzmarschen in Essex den Eindruck, die Hauptdarstellerin irre durch das Gefängnis des Minotaurus, betonen die korrespondierenden Aufnahmen – Laura am weiten Strand – lediglich ihre Einsamkeit. Andererseits wirkt die Bildsprache jetzt konziser, weil die Kamera von Andreas Doub sich konsequent anschleicht, ständig durch Fenster und Lücken linst und so der Perspektive etwas Verschämtes, Belauerndes, Schuldverstricktes verleiht. Die ursprünglich an der britischen Südwestküste situierte Serie spielt nun in Cuxhaven, ohne dass die Nähe zum Meer inhaltlich konstitutiv wäre. So aber wurde das Remake in vielen Einstellungen fast ununterscheidbar von der Vorlage: Das Restaurant, in dem das Verhängnis beginnt, ist sehr ähnlich gelegen; selbst der Gartenzwerg wurde beibehalten (und nicht etwa in eine britische Bulldogge verwandelt). Das sieht alles ähnlich gut aus wie das Original, doch fragt sich, wozu es eine solche Kopie eigentlich braucht.

Die schwächsten Nebenhandlungen behalten

Als Drehbuchautoren fungieren Astrid Ströher und Dirk Morgenstern, die ihre Arbeit jedoch weitgehend auf das Einkürzen der Williams-Bücher um ein Drittel beschränken. Nur werden dabei die schwächsten Nebenhandlungen beibehalten. Auch hier haben Lauras Exfreund (Sönke Möhring) und ihre Schwester (Sophie Pfennigstorf) eine Affäre: eine aufgesetzt wirkende weitere Ebene des Verrats. Gespart wurde dafür an eher bedrückenden Szenen, in denen Laura leidet. Tempo ist in diesem Fall jedoch kein Gewinn, denn damit geht viel von der emotionalen Intensität verloren.

Nur in homöopathischen Dosen wurden eigene Dialogsätze eingefügt, allerdings meist solche, die in deutscher Fernsehmanier die Botschaft noch einmal faustdick auftragen. So erklärt Laura ihrer Schwester nun im Faktencheck-Tonfall: „Weißt du, wie hoch die Verurteilungsrate ist bei solchen Verbrechen? Nahezu null.“ Ein Entlastungszeuge Hendriks wiederum, von Laura früher bereits der sexuellen Zudringlichkeit beschuldigt, muss gleich gegen „dieses hysterische MeToo-Geschrei“ anpoltern: „Als Mann kann man überhaupt nicht mehr normal mit Frauen umgehen. Als Nächstes wird wahrscheinlich schon das In-die-Augen-Schauen und Anlächeln unter Strafe gestellt.“ Das ist so platt, dass es die ganze Erzählung beschädigt.

Dass Freydank mehr an Genre-Nervenkitzel als an Alltagsdramatik interessiert ist, hat er schon in dem ebenfalls für Sat. 1 gedrehten Stalking-Film „Dein Leben gehört mir“ bewiesen. Und trotzdem ist es schade, dass sich die Macher hier nicht stärker von der (bereits mit einer holprigen zweiten Staffel fortgesetzten) Vorlage abgesetzt und auf den folgenreichen Kernkonflikt konzentriert haben. Dieser ist nämlich so gut (und daueraktuell), dass er keinen Psychopathen-Firlefanz nötig hätte. Empfohlen sei die Serie gleichwohl.

Du sollst nicht lügen läuft heute und morgen um 20.15 Uhr in Doppelepisoden auf Sat.1.

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