Philipp Poisel Ich bin so froh dich zu haben

Im Leben kann einer der härtesten Rückschläge sein, dass man, wenn man mit jemandem, mit dem man sehr viel Zeit verbracht hat und von dem man geglaubt hat, dass er einem was bedeutet. Das, wenn irgendwann der Moment kommt, wo es drauf ankommt und sagt: Hey, hier bin ich. Jetzt ist es, jetzt geht es mir nicht so gut. Hier bin ich und dann... Ist er nicht mehr da und man hat immer geglaubt, dass man vielleicht für den Anderen etwas Besonderes ist und irgendwann merkt man: Okay, vielleicht war das nur die Hoffnung und vielleicht war das nur der Wunsch, dass man dem Anderen so viel bedeutet. Und dann merkt man, dass das nicht so ist und dann tut es vielleicht sehr, sehr weh. Wie soll ein Mensch das ertragen?

Schmerzen, Trauer & BeileidPhilipp Poisel - Wie soll ein Mensch das ertragen, Album: Bis nach Toulouse

Autor: Wann ist man alt genug zum Sterben? – Mit 90 oder vielleicht frühestens Mitte 80? Wann hat man, wie es so schön heißt, „sein Leben gelebt“? – Wenn alle Fernreisen erledigt sind und im Garten vorm abbezahlten Eigenheim die Enkel, besser noch die Urenkel spielen? – Ja, vielleicht könnte man dann zufrieden abtreten und bei der Beerdigung käme noch einmal das erfüllte und eben gelebte Leben zur Sprache. Alle wären traurig – aber nicht schockiert oder verbittert. Das Leben und der Tod hätten so schon ihre Ordnung.

Nicht 90 oder 80, sondern 26 Jahre jung ist er, als bei ihm Krebs diagnostiziert wird. Plötzlich ist er konfrontiert mit der Frage nach Leben und Tod, hat Freunde und Familie an seinem Krankenbett sitzen.

Wann ist man alt genug zum Sterben? – Nach drei Tagen sagt der Arzt zu ihm, er hätte sich geirrt, es sei gar kein Krebs. Der junge Mann geht nach Hause, atmet tief durch – und irgendwann greift er zu seiner Gitarre.

Du bist doch noch so jung, das ist was die Leute sagen, doch wenn ich heute gehen müsste, könnte ich mich wirklich nicht beklagen, was ich alles schon erleben durfte, wenn ich an all' die Menschen denk', die schon so früh ihr Leben ließen, dann ist meines ein Geschenk.

Sprecher:

Du bist doch noch so jung, das ist was die Leute sagen, doch wenn ich heute gehen müsste, könnte ich mich wirklich nicht beklagen, was ich alles schon erleben durfte, wenn ich an all' die Menschen denk', die schon so früh ihr Leben ließen, dann ist meines ein Geschenk.

Autor:

Drei Tage lang dachte der junge Sänger und Songschreiber Philipp Poisel aus Stuttgart, er hätte eine lebensbedrohliche Krankheit. In seinem Lied singt er von den widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen dieser Zeit:

Sprecher:

Ich hab furchtbar Angst vor'm Tod, ich hoffe ich bin dort nicht allein, auch wenn das Leben manchmal traurig ist, bin ich froh, froh dabei zu sein. Ich hab furchtbar Angst vor'm Tod, ich hoffe ich bin dort nicht allein, auch wenn das Leben manchmal traurig ist, bin ich froh, froh dabei zu sein. Da da da da da da, da da da da da. Da da da da da da, da da da da da.

Autor:

Ganz locker und leicht kommt dieser Song daher: Beschwingter Gitarrenriff, keine Grabesschwere, vernuschelte Beiläufigkeit, kein Druck auf die Tränendrüse. Als heldenhafter Überlebens-Soundtrack in einem Hollywood-Film würde dieses Lied kaum taugen, viel zu wenig Pathos. Dafür aber ist der Sänger hier ganz bei sich, trotz aller Erleichterung wird er nicht überschwänglich, sondern bleibt ganz und gar ehrlich: Ja, er hat furchtbare Angst vor dem Tod. Das gibt Philipp Poisel unumwunden zu. In einem Zeitungsinterview erzählt der Sänger, wie er durch die falsche Hiobsbotschaft der Mediziner ganz plötzlich aus dem Leben gerissen wurde:

Sprecher:

„Man hat mir gesagt, ich hätte Krebs, wusste aber noch nicht, was für einen. Ich habe mich schon aufs Schlimmste gefasst gemacht. Da spielt man manchmal die allerschlimmsten Möglichkeiten durch. Ich habe versucht, mich notfalls auch mit dieser Idee anzufreunden. Das reichte von einer gewissen Akzeptanz in manchen Momenten bis hin zu einer völligen Verzweiflung, Resignation und Verlassenheitsängsten. Ich hatte ja eigentlich noch überhaupt keinen Bock zu gehen. Wenn dann die Familie und Freunde da sind, und man merkt, was für eine wunderbare Gemeinschaft das ist, wird die Vorstellung, dass man vielleicht bald sterben muss, fast unerträglich. Aber ich habe tatsächlich auch positive Energie aus all dem geschöpft, insofern dass ich völlig in dem Moment war. Das ging sogar soweit, dass der Moment so allgegenwärtig wurde, dass es gar keine Rolle mehr gespielt hat, ob es jetzt noch fünfzig Jahre oder nur fünfzig Tage so weiter geht. Als ich mit meinen Kumpels draußen auf der Bank vorm Krankenhaus saß, dachte ich: Noch lebst du ja, und die Sonne scheint, eigentlich ist doch alles perfekt!“

Ich hab zwar kein Vermögen, doch ein paar Leute die mich mögen, und außerdem ist da ein Mädchen, das mich liebt, ich weiß nicht ob es auf der Welt was besseres gibt, Zwischen all' dem Sturm und Regen, ging ich auch viel im Sonnenschein, auch wenn die Angst vor'm Sterben weh tut, bin ich froh, froh dabei zu sein. Da da da da da da, da da da da da. Da da da da da da, da da da da da.

Autor:

Wann ist man alt genug zum Sterben? – Womöglich schon mit 26 Jahren, wenn man wie Philipp Poisel sagen oder singen kann: „Ich habe viele schöne Dinge erlebt und wenn ich jetzt gehen müsste, könnte ich mich nicht beklagen. Jedenfalls bin ich froh, dass ich bis hierher dabei war...“? – Ungewöhnlich bescheiden klingen diese Worte, wo es doch ums Große ganze geht, merkwürdig entspannt singt der Sänger vom Leben und Tod. – Doch halt: Noch ist er ja dabei, und der Titel dieses Songs auf Philipp Poisels letztem Album lautet schließlich auch „Froh dabei zu sein“ – nicht etwa „Froh dabei gewesen zu sein“! Vielleicht hätte der Songschreiber ganz andere Töne angeschlagen, wäre seine so offen zugegebene Todesangst durch die Berichtigung der Fehldiagnose nicht wieder in weite Ferne gerückt. Puh, noch einmal davon gekommen. Die Erleichterung darüber, dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein, merkt man dem Sänger an, finde ich. Doch nicht nur das: Auch eine fröhliche und zugleich etwas melancholische Dankbarkeit höre ich in diesem Song, eine Wertschätzung ganz einfach fürs Lebendigsein im hier und jetzt. Die Angst vorm Tod ist damit nicht verschwunden, sie bleibt – aber der Todesschatten ist nicht mehr so lang und düster, er hat irgendwie seinen Schrecken verloren. Zum Lebendürfen gehört das Sterbenmüssen ganz einfach dazu. Im Zeitungsinterview sagt Philipp Poisel:

Sprecher:

„Ich finde es wünschenswert, wenn man den Tod natürlicher einschätzen könnte. Im Grunde genommen ist es ja etwas Neutrales, etwas, das weder gut noch schlecht ist. Es ist Fakt, das man stirbt. Generell ist das alles ja davon geprägt, dass man Angst davor hat. In meinem Krankenhauszimmer lag jemand neben mir, der noch jünger war als ich, er hatte Leukämie. Man weiß ja, dass es im Krankenhaus so eine Station gibt, wo man Leute mit Glatze und so einem Wagen sieht, davon hält man normalerweise eher Abstand. Und auf einmal liegt man selbst mittendrin und denkt sich: Alles ganz normale Leute, die es halt erwischt hat. Der neben mir musste jeden Tag unheimlich viele Untersuchungen über sich ergehen lassen, litt aber am meisten unter der Isolation, weil keiner Lust hatte, sich mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen. Man ist auf dieser Station ein bisschen wie ein Aussätziger. So eine Erfahrung hat mir eine Sichtweise auf die Welt gebracht, mit der ich vieles mehr genießen kann. Ich finde es einfach toll, hier zu sein.“

Wenn ich irgendwann mal gehen muss, dann halte bitte meine Hand, ich will wirklich nicht alleine sein, wenn die Reise los geht, in dieses unbekannte Land. Bin in Flüsse gesprungen, egal wo wir waren, hab so viel gesehen, von der Welt in den Jahren, egal was danach kommt, wohin wir auch gehen, wünsch ich nichts mehr, als dich dort wieder zu sehen.

Autor:

Philipp Poisel liebt das Leben und das Reisen: Zwischen den Konzert-Tourneen oder Studioaufenthalten macht er sich immer wieder auf - und zieht dann als Straßenmusikant durch die Welt. Auch das Sterben stellt er sich wie eine Reise vor:

Sprecher:

Wenn ich irgendwann mal geh´n muss, dann halte bitte meine Hand, ich will wirklich nicht alleine sein, wenn die Reise los geht, in dieses unbekannte Land. Ich hab furchtbar Angst vor'm Tod, ich hoffe wir sind dort nicht allein, auch wen das Leben so oft traurig ist, bin ich froh, froh dabei zu sein.

Autor:

Ja, es ist unbekannt, dieses Land, in das wir alle einmal verreisen werden. Doch es ist da, es ist mehr als Nichts. Und trotz all seiner Todesangst ist der Globetrotter Philipp Poisel anscheinend ganz zuversichtlich, auch diese letzte Etappe irgendwann einmal gut gehen zu können. Bis dahin aber gibt es auch hier noch jede Menge zu entdecken – und vielleicht gilt ja: Das Beste kommt zum Schluss.