Wann muss ich vom Rad absteigen?

Nr. 1012-32: Runter vom Rad?

Von Thorsten Böhm

„Rauf aufs Rad“ lautet der Titel eines Faltblattes, mit dem der ADFC seit Jahren für das Radfahren und sich selbst wirbt. „Radfahrer absteigen“ befiehlt ein Verkehrszeichen, das unter anderem im Umfeld von Baustellen mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Boden sprießt. Vergleichbare Regelungen für andere Fahrzeug fahrende Verkehrsteilnehmer sind nicht bekannt, was bei vielen Radfahrern den Eindruck hervor ruft, bevormundet, schikaniert oder als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse behandelt zu werden. In diesem Artikel wollen wir versuchen, unserer geschätzten Leserschaft nicht nur einen Trampelpfad, sondern einen befahrbaren Weg durch Schilderwald und Paragraphendschungel zu weisen.

Verkehrszeichen sind Gefahrzeichen, Vorschriftzeichen und Richtzeichen. Auch Zusatzschilder sind Verkehrszeichen. Die Zusatzschilder zeigen auf weißem Grund mit schwarzem Rand schwarze Zeichnungen oder Aufschriften. Sie sind dicht unter den Verkehrszeichen angebracht (§ 39 Absatz 2 Straßenverkehrsordnung, kurz StVO). Das Schild „Radfahrer absteigen“ ist ein Zusatzschild und trägt die Nummer 1012-32.

Zusatzschild allein auf weiter Flur

Das Aufstellen des Schildes „Radfahrer absteigen“, auf gut amtsdeutsch: des Zusatzschildes Nr. 1012-32, ist ohne Kombination mit einem anderen Verkehrszeichen rechtswidrig. Nach § 39 Abs. 1 StVO dürfen zur Regelung des Verkehrs Verkehrszeichen verwendet werden, wenn dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Zusatzschilder können nur im Zusammenhang mit einem Verkehrszeichen aufgestellt werden, ergänzen dessen Inhalt oder schränken ihn ein (§ 39 Abs. 2 StVO). Ein allein stehendes Schild „Radfahrer absteigen“ ist unzulässig und daher von der Straßenverkehrsbehörde unverzüglich zu entfernen. Die „Zusatzzeichen 1000 – 1019 Gruppe der allgemeinen Zusatzzeichen“ ist im übrigen unterteilt. Die Zusatzzeichen 1012/ 1013 enthalten „sonstige Hinweise durch verbale Angaben“. Ein Hinweis ist jedoch etwas gänzlich anderes als ein Gebot oder Verbot. Es ist auch für sich genommen kein Hinweis auf eine Gefahr. Solche Hinweise auf Gefahren enthalten die Zusatzzeichen 1006/1007.

Zusatzschild in Gesellschaft

Die Verwendung des Zusatzschildes „Radfahrer absteigen“ im Zusammenhang mit dem Verkehrszeichen 239 (Fußgänger) verstößt gegen § 39 Abs. 1 StVO. Das Befahren von mit Verkehrszeichen 239 gekennzeichneten Gehwegen ist bereits nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe a StVO verboten.

Mit dieser Schilderkombination kann auch nicht angeordnet werden, dass Radfahrer absteigen und als Fußgänger, die ein Fahrrad schieben, den Gehweg benutzen müssen. Sofern ein Radweg gesperrt, durch Fußwege unterbrochen oder sonstwie unbenutzbar ist, besteht für Radfahrer keine gesetzliche Verpflichtung, das Fahrrad auf dem Gehweg zu schieben. Vielmehr dürfen sie nach § 2 Abs. 1 StVO die Fahrbahn benutzen. Die Kombination führt daher zu einer unzulässigen Einschränkung der Rechte von Radfahrern und verleitet Kraftfahrer dazu, Radfahrer zu gefährden und zu nötigen, wenn sie ganz legal die Fahrbahn benutzen. Die Verbindung von Zeichen 239 für den Gehweg und Zeichen 254 (Verbot für Radfahrer) für die Fahrbahn ist zwar möglich, aber nur in Verbindung mit einer ordnungsgemäßen Umleitung oder einem Notweg für Radfahrer zulässig (§ 45 Abs. 2 und 6, § 42 Abs. 8 Nr. 4 StVO).

Unlogisch

Die Anordnung der Zeichen 240 (gemeinsamer Fuß- und Radweg) oder 241 (getrennter Rad- und Fußweg) mit Zusatzschild 1012-32 ist unlogisch. Ein Radweg oder gemeinsamer Radweg, auf dem man absteigen und schieben muss, ist kein Radweg mehr. Mit dem Zusatzschild wird die Radwegeeigenschaft faktisch aufgehoben. Ist der fehlerhaft beschilderte Radweg noch benutzbar, kann er wegen des rechtsunwirksamen Zusatzschildes trotzdem fahrend benutzt werden. Eine Benutzungspflicht kann nach der zweifelhaften Beschilderung nicht mehr bestehen. Wenn ein Radweg nicht mehr fahrend benutzt werden kann oder darf, ist die Fahrbahn zu benutzen.

Schiebezwang rechtswidrig

Anzumerken ist hier, dass das Rad schieben auf engen Fußwegen unzulässig sein kann: Fußgänger, die ein Fahrrad schieben, müssen die Fahrbahn benutzen, sofern wegen des mitgeführten Fahrzeuges andere Fußgänger erheblich behindert werden (§ 25 Abs. 2 StVO). Es gibt auch keine Rechtsvorschrift, die es den Straßenverkehrsbehörden erlauben würde, Radfahrer zum Schieben zu zwingen. Die Straßenverkehrsordnung spricht nur im Zusammenhang mit dem Abbiegen in § 9 Abs. 2 StVO das Absteigen von Radfahrern an. Dort dient es aber der Erfüllung der Wartepflicht, und enthält kein Schiebegebot oder anderes Verkehrsverbot für Radfahrer.

Fazit

Die verkehrsrechtliche Anordnung des Zusatzschildes „Radfahrer absteigen“ ist eindeutig rechtswidrig. Rechtsgrundlage für verkehrsbeschränkende Maßnahmen ist die Straßenverkehrsordnung, nicht eine Verwaltungsvorschrift (Katalog der Verkehrszeichen) oder sonstige Richtlinien. Daher regt auch das Standardwerk für Planer und Behörden „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA 95, Seite 90) an, das Zeichen 1012-32 „zu vermeiden“. Die gleiche Auffassung findet sich in der kommentierenden Fachliteratur (z. B. Dietmar Kettler: Notwendigkeit und Perspektiven einer StVO-Reform, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2000, Seite 273 [279]).

Nicht nichtig

Die Rechtswidrigkeit allein bewirkt aber nicht, dass ein Vorschriftzeichen unwirksam ist. Es ist bei bloßer Rechtswidrigkeit nur anfechtbar und bis zu seiner Beseitigung zu befolgen. Widerspruch und Klage gegen ein Verkehrszeichen haben keine aufschiebende Wirkung. Unbeachtlich sind nur Verkehrszeichen, die nichtig sind. Eine solche Nichtigkeit wird z. B. bei offensichtlicher Willkür oder Sinnwidrigkeit (Einbahnstraßenregelung in Sackgasse) angenommen oder bei objektiver Unklarheit, die sich durch Auslegung nicht beheben lässt. Nichtige Verwaltungsakte müssen an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden, der bei verständiger Würdigung aller Umstände offenkundig ist, wenn sich die Fehlerhaftigkeit bei Kenntnis aller wesentlichen Tatsachen ohne weiteres aufdrängt. Angesichts der jahrelangen Praxis, das beanstandete Zusatzschild aufzustellen, darf man zwar zuversichtlich sein, dass die Gerichte von der Rechtswidrigkeit dieser Beschilderung überzeugen werden können, aber nicht von der Nichtigkeit. Denn den Unterschied zwischen Vorschriftzeichen und Zusatzschildern kann man bei durchschnittlich wissenden Verkehrsteilnehmern sicherlich nicht als bekannt voraussetzen.

Gegen die unbedachte Beschilderung mit dem Zusatzschild 1012-32 kann man auch den § 45 Abs. 9 StVO anführen, der 1997 in die StVO eingefügt worden ist. Dort heißt es in Satz 2: „Insbesondere Einschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen [des § 45 StVO] genannten Rechtsgüter (z.B. Schutz vor Straßenschäden, Lärm, Abgasen, Gewässerverunreinigung etc.) erheblich übersteigt“. Ein durch Radverkehr ungebremster Fluss des Kraftverkehrs, den das obligatorische „Radfahrer absteigen“ an Baustellen gewährleisten soll, gehört jedenfalls nicht zu den besonders schützenswerten Rechtsgütern, die § 45 StVO aufzählt. Da die StVO einen höheren Rang hat als die Verwaltungsvorschriften (z. B. für die Beschilderung von Baustellen), die zu ihrer Ausführung erlassen worden sind, ist die Anordnung „Radfahrer absteigen“ auch unter diesem Gesichtspunkt rechtswidrig.

Rätselhaftes aus dem Schilder-Märchenwald im Bereich Herforder Straße/Friedrich-Ebert-Straße: Wie deutlich zu erkennen ist, berührt die Baustelle (rechts im Bild) weder den Gehweg noch den bis hierhin benutzungpflichtigen Radweg (das Verkehrszeichen 241 befindet sich im Rücken des Fotografen). Beide verlaufen getrennt entlang der Herforder Straße. Beeinträchtigend wirken allenfalls die Standfüße der zusätzlich aufgestellten Schilder. Die Beschilderung des Radweges mit Zeichen 239 (Fußgänger) und dem Zusatzschild „Radfahrer absteigen“ kurz vor der Ampel ist gültig bis zur Einmündung, also für eine Strecke von rund zehn Metern, auf der sich keinerlei Baustellentätigkeit abspielt. Foto: Thorsten Böhm

Jenseits der Einmündung wird es spannend. Die etwa auf gleicher Höhe stehenden Zeichen 241 (getrennter Rad- und Fußweg, wie bisher), 138 (Radfahrer kreuzen, wie bisher) und 239 (Fußgänger, neu) verursachen eine nicht unbeträchtliche Reizüberflutung. Die hier möglicherweise beabsichtigte Umwidmung des bisherigen Radweges zum Gehweg ist wegen widersprüchlicher Beschilderung nicht gelungen und überdies für durchschnittlich talentierte Verkehrsteilnehmer nicht nachvollziehbar, da auch hier Geh- und Radweg von der Baustelle nicht berührt werden. Ein paar weiter Meter heißt es „Radweg, Ende nach 10 Metern“. Das Schild steht an einer Stelle, wo der Radweg bereits baulich nicht mehr existiert. Abgesehen davon rätseln wir, welcher Radweg hier enden soll, wenn der einzige in Frage kommende getreu der neuen Beschilderung bereits zum Fußweg mutiert ist. Foto: Thorsten Böhm

Baustelle auf dem Radweg

Steht das Zusatzschild 1012-32 an einer Radverkehrsanlage, auf der sich eine Baustelle befindet, so lassen sich in der Praxis überwiegend diese vier Fälle betrachten:

Fall 1: Gemeinsamer Fuß- und Radweg (Zeichen 240) auf Hochbord

  • Dieser Weg kann von Radfahrern dem Grunde nach auf voller Breite genutzt werden. Unterschreitet die verbleibende Wegbreite wegen der Baustelle ein Mindestmaß, so auf Grund einschlägiger Regelwerke im Interesse des Fußverkehrs die Benutzungspflicht für Radfahrer in der Engstelle nicht nur aufgehoben, sondern das Radfahren (gegebenenfalls sogar das Radschieben) in diesem Bereich untersagt. Der Weg soll hier zum reinen Fußweg werden und müsste deshalb (ausschließlich) mit Verkehrszeichen 239 (Fußgänger) beschildert werden.
  • Die Radweg-Benutzungspflicht gilt grundsätzlich nur insoweit, als der Radweg auch tatsächlich benutzbar ist. Soweit er das nicht ist, haben Radfahrer die Fahrbahn zu benutzen, es sei denn, dies ist ausnahmsweise ausdrücklich untersagt.
  • Ein Verbot des Radfahrens auf der Straße kann durch die Baustellenbeschilderung zu Gunsten des Fußverkehrs nicht erfolgen.

Fall 2: Getrennter Rad- und Fußweg (Verkehrszeichen 241) auf Hochbord

  • Ist der Radweg wegen einer Baustelle nicht benutzbar, so dürften Radfahrer schon deswegen nicht auf dem Hochbord-Bereich weiterfahren, weil der verbleibende Freiraum ein Gehweg ist. Eine Beschilderung wäre dem Grunde nach entbehrlich.
  • Ein Verbot des Radfahrens auf der Straße kann die Baustellenbeschilderung zu Gunsten des Fußverkehrs auch hier nicht bewirken.

Fall 3: Getrennter Rad- und Fußweg (ohne Benutzungspflicht, d. h. ohne Verkehrszeichen 241, sondern nur durch verschiedene Pflasterung verdeutlicht) auf Hochbord

  • Im Prinzip wie Fall 2. Da aber ohnehin keine Radwegbenutzungspflicht besteht, ist hier noch deutlicher, dass die Baustellenbeschilderung zu Gunsten des Fußverkehrs das Radfahren auf der Straße nicht verbieten kann.

Fall 4: Radfahrstreifen auf Fahrbahnniveau

  • Eine Benutzungspflicht gilt auch hier nur insoweit, als der Radfahrstreifen auch tatsächlich benutzbar ist. Ist dies nicht möglich, so müssen Radfahrer die Fahrbahn benutzen, wenn dies nicht ausdrücklich untersagt ist. Wäre das Radfahren auf der Fahrbahn tatsächlich nicht erlaubt, müßten Radfahrer den Gehweg schiebenderweise benutzen. Auch hier bedürfte es dem Grunde nach nicht des Hinweises „Radfahrer absteigen“.
  • Fälle, die ein baustellenunabhängiges Radfahrverbot mit Radfahrstreifen kombinieren, sind allerdings kaum vorstellbar. Gilt das Verbot, die Fahrbahn mit dem Rad zu befahren nur im Zusammenhang mit der Baustelle, ist es nur in Verbindung mit einer ordnungsgemäßen Umleitung oder einem Notweg für Radfahrer zulässig (§ 45 Abs. 2 und 6, § 42 Abs. 8 Nr. 4 StVO).

Was tun?

Der ADFC Bielefeld hat wegen der dargestellten Rechtswidrigkeit und insbesondere aus Gründen der Radverkehrsförderung an die Stadtverwaltung appelliert, auf den obligatorischen Einsatz des Zusatzschildes Nr. 1012-32 bei der Einrichtung von Baustellen zukünftig zu verzichten. Er hat angeregt, bei Radwegen auf dem Hochbord bereits an der letzten Bordsteinabsenkung vor der Baustelle Radfahrer auf die Fahrbahn zu führen und Kraftfahrer hierauf aufmerksam zu machen. Das Amt für Verkehr hat kurz vor Redaktionsschluss mitgeteilt, dass die Belange des Radverkehrs bei der Beschilderung von Baustellen zukünftig berücksichtigt werden sollen. Wir werden in einer der nächsten Radnachrichten berichten. 

Siehe auch Bielefelder Radnachrichten 3/2004, 1/2007 und 1/2008.

© 2022 ADFC Stadtverband Bielefeld e. V.

Wann muss man vom Fahrrad absteigen?

Richtig: Wenn Radfahrende Vorrang haben wollen, müssen sie absteigen und ihr Rad schieben. Sie dürfen über den Zebrastreifen aber auch fahren, müssen dann jedoch querende Fahrzeuge durchfahren lassen.

Warum muss man beim Zebrastreifen absteigen?

Ja, allerdings haben Sie dann keinen Vorrang gegenüber dem querenden Verkehr auf der Fahrbahn und müssen diesen gegebenenfalls vorbeilassen. Möchten Sie das Vorrecht für Fußgänger in Anspruch nehmen, müssen Sie als Radfahrer am Zebrastreifen absteigen und Ihr Fahrrad schieben.

Was bedeutet Radfahrer absteigen?

"Radfahrer absteigen" ist die in Blech gestanzte Ausrede der zuständigen Verkehrsbehörde oder auch mal einer unzuständigen Baufirma. Sie wird dann verwendet, wenn die Anlagen, auf die man den Radverkehr gelockt hat, für ihn tatsächlich ungeeignet sind.

Wie verhalte ich mich als Radfahrer richtig?

Fahren Sie am rechten Fahr- bahnrand. Halten Sie dabei Abstand zu parkenden Fahr- zeugen. Überholen Sie andere Fahrzeuge links, auch auf speziellen Wegen für Rad- fahrer. An Kreuzungen gilt die Vor- fahrtregel „rechts vor links“, sofern keine Verkehrsschil- der oder Ampeln vorhanden sind und etwas anderes an- zeigen.

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