Warum sprechen wir nicht über Geld?

Geld ist ein Tabuthema, dabei erben wir heute mehr als je zuvor. Gleichzeitig ist unsere Generation die ärmste von allen. Höchste Zeit, das Schweigen zu beenden und Gerechtigkeit einzufordern. Ein Plädoyer für mehr Offenheit in finanziellen Angelegenheiten.

Von Lars Weisbrod, Eva-Maria Reisinger und Jurek Skrobala

Manchmal scheint es, als wären wir alle Rich Kids of Instagram. Dort guckt sich unsere Generation jedenfalls selbst dabei zu, wie sie täglich den eigenen, gar nicht so kleinen Luxus genießt mithilfe ihrer Art von Statussymbolen; ausbezahlt wird sie in der Währung: Der exklusive Kopi-Luwak-Kaffee steht neben dem Macbook, für dessen Design wir gern einen Tausender mehr hingeblättert haben.

Warum sprechen wir nicht über Geld?

Über die Sennheiser-Kopfhörer hören wir GangstaRap, der es aus der Gosse in unseren SpotifyPremium-Account geschafft hat. Ganz zu schweigen vom Eames Chair, der perfekt ausgeleuchtet im Hintergrund zu erkennen ist. "Seht her" , sagen diese Bilder. "Was wir uns alles leisten können." Das ist die eine Geschichte. Aber es gibt noch eine andere.

Sind wir Gören und Schnösel? Oder bemitleidenswert? 

Die jungen Selbstständigen, Agenturmenschen, Wissenschaftler oder Künstler, von denen nicht alle, aber viele in schönen Vorstadthäusern mit teuren Autos in den Einfahrten aufgewachsen sind, müssen sich heute oft damit abfinden, unterbezahlt zu sein, lange zu arbeiten, alles zu geben und trotzdem nicht aufzusteigen. Weiße Häuser und teure Autos hat kaum einer von ihnen, nicht einmal eine Einfahrt. Auf sie trifft zu, was seit Langem überall gepredigt wird: dass es der Jugend schlechter gehen werde als den Eltern. Gerade wenn man Wohlstand in Bausparverträgen und Nettojahreseinkommen misst und nicht an den Fotos bei Instagram.

Jeder zweite Hollywoodfilm erzählt davon, dass sich Eltern aufreiben, damit es ihre Kinder einmal besser haben als sie selbst. Oder davon, aus dem Nichts ein Imperium aufzubauen. Das ist der amerikanische Traum, der auf einer protestantischen Ethik basiert, wie sie Max Weber vor mehr als hundert Jahren beschrieben hat: Sei fleißig und genügsam, dann wird dir Gnade zuteil. Zumindest die Anekdoten, die wir uns erzählen, sprechen dafür, dass das heute nicht mehr funktioniert. Minijobs, Praktika, betriebswirtschaftlich unsinnige Versuche, sich selbstständig zu machen. Und einmal im Jahr kommt der Brief von der Deutschen Rentenversicherung, das ökonomische Horoskop, in dem keine andere Botschaft steht als: "Wenn Sie so weitermachen wie bisher, können Sie sich später nicht einmal das trockene Brot für die Enten im Park leisten."

Warum sprechen wir nicht über Geld?

Geld ist ein Koordinatensystem, an dem jeder seinen Punkt woanders setzt

Aus kultursoziologischer Sicht ist Geld ein relativer Begriff: Einem serbischen Sprichwort zufolge ist es ein "Seelenverderber", laut einem indischen dagegen ist derjenige ohne Geld schon zu Lebzeiten eine Leiche, also seelenlos. Der Philosoph und Soziologe Georg Simmel hat die Beziehung von Geld und Welt einmal so zusammengefasst: "Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun gibt es sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld." Und es besteht nur auf den ersten Blick aus Zahlen, Münzen, Scheinen und dem Plastik der Kreditkarten.

Am Geld hängen Gefühle: Neid, Stolz, Angst und Selbstwert. Geld ist ein gewaltiges Koordinatensystem, in dem jeder seinen Punkt woanders setzt und die anderen unterschiedlich verortet: Von den einen lassen wir uns für unsere wirtschaftliche Lage bemitleiden, die anderen beschimpfen uns als verwöhnte Gören und Schnösel. Wie geht das zusammen? Es ist an der Zeit, einen Kassensturz zu machen: Wovon leben wir eigentlich? Eine Antwort darauf findet sich zum Beispiel in dem fast 500 Seiten starken Dokument mit dem unspektakulären Namen "Datenreport 2016" , das das Statistische Bundesamt vor Kurzem veröffentlicht hat. Darin stolpert man über eine Tabelle, die uns Sorgen bereiten sollte: Mehr als zwanzig Prozent aller Deutschen zwischen 21 und dreißig Jahren leben unterhalb der relativen Armutsschwelle und hatten 2014 weniger als 987 Euro im Monat. Unser Armutsrisiko ist seit 2000 stetig gestiegen. Es ist das höchste in allen Altersgruppen. Das Risiko für die Alten, jetzt im Alter nicht mehr genug zum Leben zu haben, liegt dagegen bei unter 13 Prozent. Die Politik muss sich also mehr um Junge-Menschen-Armut sorgen.

Auf uns kommt ein Sturm zu

Die britische Zeitung "The Guardian" hat sich die Einkommenssituation unserer Generation angeschaut. Nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in Relation zu der Zeit, als unsere Eltern so alt waren wie wir jetzt und das Modell der sozialen Marktwirtschaft noch existierte. Ergebnis: Wir verdienen vielleicht mehr als unser 80er-Jahre Gegenpart mit Karottenjeans, Pastellpullover und Föhnfrisur. Aber im Vergleich zum Rest der Gesellschaft sind die Jungen jetzt die Verlierer. Im Jahr 2010 lag das Einkommen der 25- bis 29-Jährigen in Deutschland sieben Prozent unter dem Durchschnitt, 1984 waren es nur knapp drei. Der "Guardian" zeichnet ein düsteres Bild. Er nennt das, was auf uns zukommt, einen "perfect storm", also die recht einmalige Zusammenkunft mehrerer Unglücksfaktoren. Dazu gehören Verschuldung, Arbeitslosigkeit, niedrige Geburtenrate so wie sinkende Zinsen und steigende Immobilienpreise und Mieten.

Warum bereitet uns das so wenig Angst? Weil wir denken, dass es so schlimm schon nicht werden wird? Dann haben wir halt weniger Geld, egal, wir wollen sowieso nicht die dicken Autos und weißen Häuser unserer Eltern. Wir wähnen uns in Sicherheit. Dabei geht es um unsere Existenz. Denn wenn diese Hoffnung, dass es uns eines Tages bessergehen werde als unseren Eltern, für so viele wegbricht, dann fehlt uns als Generation eine ganze Menge: Gerechtigkeit zum Beispiel. Je mehr unser Einkommen im Vergleich sinkt, desto wichtiger wird das Vermögen unserer Eltern. Oder, um es mit dem französischen Ökonomen Thomas Piketty zu sagen: "Vor allem die nach 1970 Geborenen leben schon wieder in dem Bewusstsein, dass die Erbschaft in ihrem Leben (...) eine entscheidende Rolle spielt."

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Vierzig Prozent des Vermögens für acht Prozent der Bevölkerung

Die Publizistin Julia Friedrichs hat dieses Problem in ihrem Buch "Wir Erben" beleuchtet: In den nächsten Jahren, schreibt sie, werden in Deutschland zwischen zwei und vier Billionen Euro vererbt Billionen, mit einem B, also tausendmal mehr als eine Milliarde. Von diesem Geld aber, so Friedrichs, wird die Hälfte der Deutschen gar nichts sehen, weil sie keine Eltern hat, die etwas zu vererben haben. Über vierzig Prozent des Vermögens wird an gerade mal acht Prozent der Bevölkerung weitergereicht. Auch wer kein Kommunist ist, kann diese Zahlen als ungerecht empfinden.

Wenn das Einkommen unserer Generation nicht mehr dazu ausreicht, wirklich mitzuspielen, dann wird die Herkunft noch entscheidender und das Gerede von der Chancengleichheit noch unglaubwürdiger. Die einen, so Friedrichs, leiden dann erst recht unter den hohen Mieten, während die anderen von ihrem Erbe plötzlich eine Eigentumswohnung kaufen können. Diese Entwicklung wird bei einem Großteil der Jugend das schon latent vorhandene Gefühl der Ungerechtigkeit und Ohnmacht noch verstärken.

Niemand schweigt so viel über Geld wie wir

Das schreit nach Generalstreik und Revolution oder einer radikalen Veränderung des Steuersystems, um wieder alles ins Lot zu bringen. Aber das Umdenken könnte schon im Kleinen anfangen: Warum reden wir nicht über Geld? Für über sechzig Prozent der Deutschen ist das ein Tabu. Egal, ob Frau oder Mann, Arbeiter oder Professor. So das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Postbank. Im weltweiten Schweige ranking stehen wir demnach ganz oben. Im Büro machen vierzig Prozent vor den Kollegen ein Geheimnis aus ihrem Verdienst, so eine Studie des Portals gehalt.de. Zu Hause wissen laut einer Studie der Consorsbank nur 59 Prozent der Befragten, wie viel der Partner verdient.

Warum sprechen wir nicht über Geld?

Anders in den USA, wo die Einkünfte Teil des Smalltalks sind. Vielleicht tabuisieren wir Geld deshalb, weil die Generationen vor uns im Schnitt genug davon hatten, sodass sie es nicht thematisieren mussten? Vielleicht aus einer protestantisch geprägten Genügsamkeitskultur heraus, dem so deutsch anmutenden, monetär aufgeladenen Sprich wort "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" Rechnung tragend? Vielleicht aber auch aus dem Grund, dass wir schlicht zu wenig über Geld wissen, um darüber offen sprechen zu können.

Wir sollten darüber sprechen, nicht um zu protzen, sondern um zu lernen

Vor einiger Zeit sorgte ein Tweet der Kölner Oberstufenschülerin Naina für große Aufmerksamkeit: "Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen", twitterte sie. "Aber ich kann ’ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen." Man spricht nicht gern über das, worüber man nur wenig weiß. Ein Beispiel sind Steuern: Das deutsche Steuersystem ist komplex, das weiß jeder, der schon einmal die ELSTER-Formulare ausgefüllt hat; vergleichbar mit auf den ersten Blick schwer zu durchdringenden Formelsammlungen in Mathe. Statt uns genau einzulesen, um das Regelwerk zu verstehen, vertrauen wir einem hierfür extra geschaffenen Berufsstand, den Steuerberatern ein Symbol unseres Unvermögens im Umgang mit Steuer-, also auch mit Geldfragen. Geld ist vor allem ein Thema für Banker, die vielleicht genau aus diesem Grund so sehr von unserem System profitieren.

Man kann ja verstehen, warum wir das Thema so gern beiseiteschieben: Geld? Ach, egal. Besser aber wäre es, wenn wir darüber sprechen würden. So, wie wir mit Freunden auch über eine neue Liebe oder alte Beziehungsprobleme sprechen. Über Auf- und Abstieg unseres Lieblingsfußballvereins. Nicht, um zu protzen oder andere zu beneiden, sondern um voneinander zu lernen. Um zu verstehen, was in unserer Generation, was in der Gesellschaft passiert. Um das Große im Kleinen zu sehen. Und dann vielleicht etwas zu unternehmen.

"Ich denke über Geld nach"

Es zeichnet sich aber auch ab, dass unter uns Jüngeren etwas mehr Offenheit herrscht als bei den Generationen vor uns: Laut ConsorsbankStudie wären zwar nur 26 Prozent der Deutschen über 55 bereit, ihre Erfahrungen mit Geld anonym in einer Internet-Community zu teilen, aber schon 43 Prozent der 25- bis 34-Jährigen. Und 49 Prozent der 18- bis 24-Jährigen. Keine schlechte Entwicklung, wenn man bedenkt, was wir alles bei Instagram zur Schau stellen oder wie ungeniert manche ihren Gedankenschrott in den Kommentarspalten abladen. Wenn Facebook das nächste Mal fragt "Was machst du gerade?" , wieso antworten wir dann nicht: "Ich denke über Geld nach. Lasst uns darüber sprechen, Freunde."

Quelle: "The Guardian"

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