Rund 90 Gramm Haushaltszucker verbraucht der Durchschnittsbürger am Tag, das sind umgerechnet rund 29 Stück Würfelzucker. Nicht alles verleibt er sich ein – die statistische Zahl rechnet mit ein, was weggeworfen wird. Und doch isst er eindeutig zu viel davon. Hinzu kommt Süße aus Glukosesirup, Honig, Dick- und Fruchtsaft. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält nur gut die Hälfte für tolerierbar: maximal
50 Gramm zugesetzten Zucker täglich, 25 Gramm (oder 8 Stück Würfelzucker) sind ideal. Ein Achtel dieses Zuckers rieseln die Verbraucher selbst in Kaffee, Kuchen und Pudding. Die große Mehrheit des Süßmachers sehen sie nicht. Er verbirgt sich in verarbeiteten Lebensmitteln. Die Industrie setzt ihn nicht nur Genussmitteln wie Süßwaren zu, sondern auch
Grundnahrungsmitteln. Was mancher nicht ahnt: Auch Fruchtjoghurts, Soßen und Frühstücks-Cerealien sind kräftig gesüßt, und viele Softdrinks strotzen nur so von Zucker. So lautet das Fazit unserer Einkaufstour. Wir haben exemplarisch 60 gesüßte Produkte eingekauft und die Anteile an zugesetztem Zucker in einer realistischen Portion über die Angaben auf den Etiketten berechnet
(Was das Etikett verrät).Mehr als 25 Gramm Zucker täglich sollten es nicht sein
Im Video: So viel Zucker ist drin!
Zucker ist nicht nur in Kuchen und Süßigkeiten
Übergewicht, Bluthochdruck, Infarkt
Zucker ist reich an Energie. Ein Würfel von etwa 3 Gramm liefert 12 Kilokalorien. Zu viel Zucker kann Karies, Übergewicht und Fettleibigkeit fördern. Mit dem Gewicht steigen die Risiken für Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Typ-2-Diabetes. Wissenschaftler halten Softdrinks für einen wichtigen Risikofaktor. „Sie erhöhen die Gesamtzuckerzufuhr und führen nicht dazu, dass man weniger feste Lebensmittel verzehrt“, sagt Professor Matthias Schulze, der am Deutschen Institut für Ernährungsforschung zu Typ-2-Diabetes forscht.
Wie viel Süße zugesetzt ist, erkennt der Verbraucher nicht
Seit 2016 muss der Gesamtzuckergehalt pro 100 Gramm oder Milliliter auf der Verpackung von Fertigprodukten stehen. Wie viel davon zugesetzte Süße ist, erkennt der Verbraucher nicht. Das wäre aber wichtig, denn Zucker, der natürlicherweise in Obst oder Milch vorkommt, gilt als unproblematisch: Die Gehalte sind meist nicht so hoch, Ballaststoffe sättigen zusätzlich, Nährstoffe wie Vitamine kommen hinzu.
Weltweite Steuer auf gezuckerte Getränke?
Die WHO forderte Ende 2016 die Regierungen weltweit auf, eine Steuer auf gezuckerte Getränke zu erheben. In Frankreich ist sie Realität, in Deutschland nicht in Sicht – auch weil die Lebensmittelindustrie sie nicht mitträgt. „Zucker ist nicht die alleinige Ursache für Übergewicht“, betont eine Sprecherin des Bundes Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Bewegungsmangel, genetische Faktoren, Bildung und Stress trügen mit dazu bei.
Zuckergehalte so hoch wie vor Jahren
Die Bundesregierung kündigte 2015 eine „Reduktionsstrategie Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ an. Hersteller sollen den Zucker in bestimmten Lebensmitteln bis 2020 um mindestens 10 Prozent verringern. Das Bundesministerium für Ernährung sagte auf Anfrage von test: „Die Identifizierung der Produktgruppen ist noch nicht abgeschlossen.“ Die Wirtschaft formuliere bereits Rezepturen um. Im Handel ist davon wenig zu merken. Fast alle Produkte unseres aktuellen Einkaufs enthalten etwa so viel Zucker wie die aus früheren Tests: Cerealien für Kinder haben kaum weniger als 2008. Fruchtjoghurts enthalten so viel wie ein durchschnittlicher Erdbeerjoghurt von 2011. Auch in vielen Ketchups, Barbecuesoßen, Colas sind die Zuckergehalte seit Jahren praktisch gleich.
Schönrechnerei mit kleinen Portionen
Die Industrie stülpt Verbrauchern die Verantwortung über, die Zufuhr selbst zu kontrollieren. Zu diesem Zweck haben Konzerne wie Nestlé und Unilever im März eine Ampelkennzeichnung angekündigt. Sie soll die Zucker-, Fett- und Salzanteile über Farben sichtbar machen – rot für viel, grün für wenig. Die Stiftung Warentest ist skeptisch: „Die Farben gelten für Portionen, die der Anbieter festlegt. Er könnte zu kleine Mengen definieren“, sagt Jochen Wettach, der als Lebensmittelchemiker und Test-Projektleiter Kennzeichnungstricks kennt. Schon heute rechnen Anbieter den Zucker in Cerealien durch eine mickrige Portionsangabe schön: Sie gehen von 30 Gramm pro Mahlzeit aus, wir veranschlagten beim Test von Cerealien 60 Gramm.
Mehr Unverarbeitetes essen
Dass Fertigprodukte durch die Bank bald deutlich weniger Zucker enthalten – danach sieht es nicht aus. Die von der Industrie angekündigte Senkung um 10 Prozent gleicht außerdem das Übermaß an Zucker nicht aus, das wir essen. Das Thünen-Institut, eine Forschungseinrichtung des Bundes, prognostiziert, dass der „Gesamtverbrauch von Zucker leicht ansteigt“. Im Herbst läuft die EU-Zuckermarktordnung aus. Sie gab vor, dass hauptsächlich Rübenzucker aus der EU verarbeitet werden sollte. Bald dürfte mehr preiswerte Süße auf den Markt kommen, vor allem Isoglukosesirup auf Maisbasis aus Übersee. Zu viel davon birgt neue Risiken, speziell für die Leber.
Tipp: Wer auf Ketchup und Smacks nicht verzichten will, sollte anderswo Zucker einsparen. Vergleichen hilft, auch um zuckerärmere Produkte als in unserer Auswahl zu finden. Kalkulieren Sie mit realistischen Portionen. Ideal ist ein bunter Speiseplan mit vielen unverarbeiteten Lebensmitteln.