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– Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart[5] Das Adjektiv anständig bezeichnet bei Adelung noch in erster Linie eine Kongruenz („Das ist einer fürstlichen Person anständig“), und erst in zweiter Linie, im weiter übertragenen Sinne ein Werturteil („Er weiß von einer jeden Sache sehr geschickt und anständig zu urtheilen. Eine anständige Kleidung“).[7] Dass guter Anstand wenig Rückschlüsse auf den Charakter eines Menschen zulässt, war jedoch bereits den Zeitgenossen klar. Kant schrieb 1796/97:
Im 19. Jahrhundert haben Jakob und Wilhelm Grimm beobachtet, wie die noch bei Adelung beschriebenen rein deskriptiven, nicht wertenden Bedeutungen selten und zunehmend durch eine neue Bedeutung von gutem Anstand (guter Kleidung und Wohlverhalten) ersetzt wurden.[4] Noch Adolph Knigge (Über den Umgang mit Menschen, 1788; Väterlicher Rath für meine Tochter, 1789) hatte den Ausdruck nur vereinzelt verwendet.[9] In der Folge seiner Veröffentlichungen entstand in Deutschland jedoch eine Anstandsliteratur, in der der Terminus häufig verwendet wurde, etwa in Karl August Heinrich Hoffmanns Unentbehrlichem Galanterie-Büchlein für angehende Elegants (1827).[10] Der Redewendung „anständiges Mädchen“ war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere im Jargon der Stellenanzeigen für Dienstboten verbreitet und bezeichnete dort idiomatisch eine unverheiratete Frau mit gutem Charakter und sittlich untadeligem Verhalten.[11] Etwa in den 1870er Jahren begann die Wendung ironischen Zitatcharakter anzunehmen,[12] bis sie im frühen 20. Jahrhundert vollends zum geflügelten Wort wurde und nun fast immer für eine junge Frau stand, die sich auf voreheliche sexuelle Beziehungen nicht einlässt.[13] Parallel entstand im späten 19. Jahrhundert die idiomatische Wendung der „anständigen Frau“, die keinen außerehelichen Geschlechtsverkehr hat.[14] Unter einem „anständigen Kerl“ dagegen versteht man seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert jemanden, der sich gegenüber seinesgleichen oder gegenüber Personen, die von ihm abhängig sind, fair oder sogar großmütig verhält und nicht nur nach Vorschrift oder auf den eigenen Vorteil hin handelt.[15] Parallel zu Wörtern wie „ziemlich“, „ordentlich“ und „gehörig“ erhielt das Adjektiv anständig in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umgangssprachlich auch die Bedeutung von „beträchtlich“: „eine anständige Tracht Prügel“, „eine anständige Portion […]“.[16] Im frühen 20. Jahrhundert definierte Meyers Großes Konversations-Lexikon:
– Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 561[2] Im Jahr 2017 hat der Journalist und Schriftsteller Axel Hacke das Wort wieder aufgegriffen und ihm ein ganzes Buch gewidmet.[17] Er ist überzeugt, es wäre „Zeit“, sich den Begriff wieder „zurück zu holen“.[18] Ein Rezensent urteilte, dass es trotz mancher Kritik, die das Buch auf sich zog, „Spaß“ mache, dem Autor „beim Nachdenken zuzuschauen“.[19] |