Ein deutscher ein türke und ein schwuler

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Hakan* fällt auf. Er trägt Röhrenjeans und einen breiten Silbergürtel, beim Gehen wackelt er mit den Hüften. "Man sieht dir an, dass du schwul bist", sagt ein Freund zu ihm.

"Danke", sagt Hakan und trinkt einen Schluck von seinem Cappuccino.

Hakan erfüllt so ziemlich jedes Klischee eines Schwulen in Deutschland. Er studiert Modedesign in Stuttgart, legt viel Wert auf sein Äußeres, und wenn er redet, klingt seine Stimme schon fast weiblich. Hakan allerdings ist gläubiger Muslim aus einer türkischstämmigen Familie - und in solchen Familien ist Homosexualität oft noch immer ein Tabuthema.

Eine Sache, die es so nicht geben darf. Und wenn doch, dann wird nicht darüber gesprochen.

"Wir reden eigentlich nie über Sex", sagt Hakan, 23, der vor 16 Jahren mit seinem Vater und seinen drei Schwestern nach Deutschland gekommen ist. Seine Mutter starb, als er drei Jahre alt war. Irgendwann merkte Hakan, dass er schwul ist. Zuhause ließ er sich nichts anmerken. Stattdessen suchte er sich woanders Hilfe, als er in der siebten Klasse war. Er steckte seiner Lehrerin einen Zettel zu, auf dem stand: "Ich bin schwul."

Sie half ihm weiter, gab ihm Adressen von Beratungsstellen. Dass die Lehrerin so offen mit ihm über das Thema sprechen konnte, gab Hakan Selbstvertrauen. "Danach konnte ich es auch meinen Schwestern erzählen", sagt er. "Aber meinem Vater? Unmöglich." Das hat er bis heute nicht getan.

"Ich glaube nicht, dass ich jedes Mal eine Sünde begehe"

Vor ein paar Jahren war er mit seiner Familie zu Besuch in der Türkei. Hakan saß im Wohnzimmer und schaute fern, neben ihm stand sein Cousin und telefonierte. Sie waren allein im Zimmer, und Hakan schaute dem Cousin immer wieder verstohlen in den Schritt. Der Vater, der zur Tür hereinkam, bemerkte seinen Blick - und ehe Hakan sich versah, schlug er ihm wortlos ins Gesicht.

Einer der wenigen Menschen, mit denen Hakan offen über Homosexualität sprechen kann, ist sein Freund Murat*, 23, ebenfalls schwul. Murat wurde streng erzogen: "Fünfmal am Tag beten, am Freitag in die Moschee - das hat dazugehört, bis ich 16 war." Dass er Muslim und schwul ist, war für Murat nie ein Problem. "Ich denke, wenn es eine Sünde ist schwul zu sein, dann nur in dem Sinne, dass ich mich eben einmalig für Männer entschieden habe", sagt er. "Aber ich glaube nicht, dass ich nun jedes Mal eine Sünde begehe, wenn ich Sex mit einem Mann habe."

Ein ewiges Versteckspiel

Mit seinen Eltern würde er über diese Gedanken nie sprechen. Obwohl er eigentlich ein gutes Verhältnis zu ihnen hat, besonders zu seiner Mutter. "Sie liebt mich abgöttisch", sagt er. "Wenn es jemand verstehen müsste, dann eigentlich sie." Gesagt hat er es bis jetzt trotzdem nicht.

Einmal hat er einen Freund mit nach Hause gebracht. Den Eltern stellte er ihn als Kumpel vor, als einen Freund aus der Schule. "Der Arme hat sich fast in die Hose gemacht vor Angst. Er dachte, mein Vater sieht ihm direkt an, wer er in Wirklichkeit ist."

Hakan kennt solche Situationen: "Das ist eigentlich ein ewiges Versteckspiel." Ob der Vater wirklich nicht ahnt, dass sein Sohn schwul ist? "Ich glaube, er ist einfach sehr gut im Verdrängen."

Einmal nur hat der Vater das Thema Homosexualität angesprochen, seine Worte waren eine einzige Drohung: "Wenn ich jemals mitbekomme, dass du was mit einem Mann hast, dann bringe ich dich um."

Hakan schwieg - und es wurde nie wieder darüber gesprochen.

Es geht um Männlichkeit, um Ehre, um Respekt

Auch wenn Hakan sich beeilt zu erklären, dass der Vater das mit dem Umbringen wohl eher metaphorisch gemeint habe - es sind harte Worte gegenüber dem eigenen Sohn. "Ich glaube, er hat einfach Angst, das Gesicht zu verlieren, wenn bekannt wird, dass sein Sohn schwul ist", sagt Hakan.

Doch woher kommt diese Homophobie? "Das hat gar nicht so viel mit dem Islam zu tun", sagt der Kölner Islamwissenschaftler Andreas Ismail Mohr. "Es gibt im Koran selbst kein explizites Verbot von Homosexualität." Die Ablehnung habe eher kulturelle Gründe.

Viele türkische Familien in Deutschland haben einen traditionellen konservativen Hintergrund, ein starkes patriarchiales Bild dominiert - es geht um Männlichkeit, um Ehre, um Respekt. "Das gesamte Männerbild hat in der türkischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert", sagt Bali Saygili vom Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) in Berlin. "Wenn diese Männerrolle nun an bestimmten Punkten angegriffen wird, reagieren die meisten darauf mit Ablehnung." Homosexuell zu sein bedeutet eben, genau diesem Männerbild nicht zu entsprechen.

Hinzu komme, dass viele türkische Familien in Deutschland inzwischen ein Wertesystem haben, das fast konservativer ist als in ihrem Heimatland selbst." In der Türkei wird die Homosexualität langsam immer sichtbarer", sagt Saygili. "Dagegen haben wir in den türkischen Gemeinden in Deutschland eine Situation wie vor 20 Jahren - selbst in Großstädten wie Berlin." Hier gilt: Wer dem traditionellen Männerbild nicht entspricht, wird nicht akzeptiert.

Viele schwule Muslime gehen darum einen anderen Weg: Sie heiraten, bekommen Kinder und leben ihr Sexualleben heimlich aus. "Das sind die Schlimmsten", sagt Hakan. "Nach außen hin spielen sie den starken Mann und schimpfen auf die blöden Schwuchteln." Und wenn Hakan später mit ihnen alleine ist, wollen sie Sex.

Eine Scheinehe kommt für Hakan nicht in Frage - aber auch er führt ein ständiges Doppelleben. Im Moment hat er zwar keinen Freund. Aber was passiert, wenn er später einmal eine feste Beziehung führt? "Ich würde sie meinem Vater verheimlichen." Glaubt er nicht, dass sein Vater ihn irgendwann einmal als Schwulen akzeptieren könnte? Hakan schüttelt den Kopf.

"Nein", sagt er nach einem Augenblick. "Niemals."

*Name von der Redaktion geändert