Gras mit hohen halmen stängeln 4 buchstaben

The Project Gutenberg EBook of Diesseits, by Hermann Hesse

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Title: Diesseits
       Erz�hlungen

Author: Hermann Hesse

Release Date: December 30, 2014 [EBook #47818]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Produced by Jens Sadowski





Gras mit hohen halmen stängeln 4 buchstaben

Von Hermann Hesse ist im gleichen Verlage erschienen:
Peter Camenzind. 38. Auflage.
Unterm Rad. 15. Auflage.

Erz�hlungen
von
Hermann Hesse

S. Fischer, Verlag, Berlin
1907

Alle Rechte, besonders das der �bersetzung, vorbehalten.
Published, April 5, 1907. Privilege of copyright
in the United States reserved under the act approved
March 3, 1905 by S. Fischer, Verlag, Berlin.

Meiner lieben Frau Mia

Inhalt

Aus Kinderzeiten Seite 9
Die Marmors�ge 47
Heumond 109
Der Lateinsch�ler 185
Eine Fu�reise im Herbst 253

Aus Kinderzeiten

Der ferne braune Wald hat seit wenigen Tagen einen heiteren Schimmer von jungem Gr�n; am Lettensteg fand ich heute die erste halberschlossene Primelbl�te; am feuchten klaren Himmel tr�umen die sanften Aprilwolken und die weiten, kaum gepfl�gten �cker sind so gl�nzend braun und breiten sich der lauen Luft so verlangend entgegen, als h�tten sie Sehnsucht, zu empfangen und zu treiben und ihre stummen Kr�fte in tausend gr�nen Keimen und aufstrebenden Halmen zu erproben, zu f�hlen und wegzuschenken. Alles wartet, alles bereitet sich vor, alles tr�umt und spro�t in einem feinen, z�rtlich dr�ngenden Werdefieber — der Keim der Sonne, die Wolke dem Acker, das junge Gras den L�ften entgegen. Von Jahr zu Jahr steh’ ich um diese Zeit mit Ungeduld und Sehnsucht auf der Lauer, als m��te ein besonderer Augenblick mir das Wunder der Neugeburt erschlie�en, als m�sse es geschehen, da� ich einmal, eine Stunde lang, die Offenbarung der Kraft und der Sch�nheit ganz s�he und begriffe und miterlebte, wie das Leben lachend aus der Erde springt und junge gro�e Augen zum Lichte aufschl�gt. Jahr f�r Jahr auch t�nt und duftet das Wunder an mir vorbei, geliebt und angebetet — und unverstanden; es ist da und ich sah es nicht kommen, ich sah nicht die H�lle des Keimes brechen und den zarten ersten Quell im Lichte zittern. Blumen stehen pl�tzlich allerorten, B�ume gl�nzen mit lichtem Laube oder mit schaumig wei�er Blust, und V�gel werfen sich jubelnd in sch�nen Bogen durch die warme Bl�ue. Das Wunder ist erf�llt, ob ich es auch nicht gesehen habe, W�lder w�lben sich und ferne Gipfel rufen, und es ist Zeit, Stiefel und Tasche, Angelstock und Ruderzeug zu r�sten und sich mit allen Sinnen des jungen Jahres zu freuen, das jedesmal sch�ner ist als es jemals war, und das jedesmal eiliger zu schreiten scheint. — Wie lang, wie unersch�pflich lang ist ein Fr�hling vorzeiten gewesen, als ich noch ein Knabe war!

Und wenn die Stunde es g�nnt und mein Herz guter Dinge ist, leg ich mich lang ins feuchte Gras oder klettere den n�chsten t�chtigen Stamm hinan, wiege mich im Ge�ste, rieche den Knospenduft und das frische Harz, sehe Zweigenetz und Gr�n und Blau sich �ber mir verwirren und trete traumwandelnd als ein stiller Gast in den seligen Garten meiner Knabenzeit. Das gelingt so selten und ist so k�stlich, einmal wieder sich dort hin�berzuschwingen und die klare Morgenluft der ersten Jugend zu atmen und noch einmal, f�r Augenblicke, die Welt so zu sehen wie sie aus Gottes H�nden kam und wie wir alle sie in Kinderzeiten gesehen haben, da in uns selber das Wunder der Kraft und der Sch�nheit sich entfaltete.

Ich bin wahrlich heute und jeden Tag der Welt und meines Lebens froh, aber auch ein Gl�cklicher kann sich den Glanz nicht v�llig bewahren, den sein Auge in Kinderzeiten �ber der Erde sah. Da stiegen die B�ume so freudig und trotzig in die L�fte, da spro� im Garten Narzi� und Hyazinth so glanzvoll sch�n; und die Menschen, die wir noch so wenig kannten, begegneten uns zart und g�tig, weil sie auf unserer glatten Stirn noch den Hauch des G�ttlichen f�hlten, von dem wir nichts wu�ten und das uns ungewollt und ungewu�t im Drang des Wachsens abhanden kam. Was war ich f�r ein wilder und ungeb�ndigter Bub, wieviel Sorgen hat der Vater von klein auf um mich gehabt und wieviel Angst und Seufzen die Mutter! — und doch lag auch auf meiner Stirne Gottes Glanz, und was ich ansah, war sch�n und lebendig, und in meinen Gedanken und Tr�umen, auch wenn sie gar nicht frommer Art waren, gingen Engel und Wunder und M�rchen geschwisterlich hin und wider. Das geht doch nicht ganz verloren, und wenn einer seine Kindheit lieb hat und sich je und je bei ihr zu Gaste ladet, den Staub von sich streift und sich ohne Gedanken wieder in ihre Wildnisse verliert, der h�rt noch einmal Quellen reden und Wolken singen, sieht das Licht der Sonne g�tig sich zur Erde neigen und alle Dinge mit einem Duft von Sch�nheit und M�rchen umgeben. Und viel reicher und m�chtiger und sch�ner k�nnten wir alle sein, wenn wir h�ufiger auf jenen Pfaden gingen und fester an dem goldenen Bande hielten, das uns mit der Kindheit und mit allen Quellen unserer Kr�fte zusammenh�lt.

Mir ist aus Kinderzeiten her mit dem Geruch des frischgepfl�gten Ackerlandes und mit dem keimenden Gr�n der W�lder eine Erinnerung verkn�pft, die mich in jedem Fr�hling heimsucht und mich n�tigt, jene halbvergessene und unbegriffene Zeit f�r Stunden wieder zu leben. Auch jetzt denke ich daran und will versuchen, wenn es m�glich ist, davon zu erz�hlen.

In unserer Schlafkammer waren die L�den zu, und ich lag im Dunkel halbwach, h�rte meinen kleinen Bruder neben mir in festen, gleichen Z�gen atmen und wunderte mich wieder dar�ber, da� ich bei geschlossenen Augen statt des schwarzen Dunkels lauter Farben sah, violette und tr�bdunkelrote Kreise, die best�ndig weiter wurden und in die Finsternis zerflossen und best�ndig von innen her quellend sich erneuerten, jeder von einem d�nnen gelben Streifen umr�ndert. Auch horchte ich auf den Wind, der von den Bergen her in lauen, l�ssigen St��en kam und weich in den gro�en Pappeln w�hlte und sich zuzeiten schwer gegen das �chzende Dach lehnte. Es tat mir wieder leid, da� Kinder nachts nicht aufbleiben und hinausgehen oder wenigstens am Fenster sein d�rfen, und ich dachte an eine Nacht, in der die Mutter vergessen hatte, die L�den zu schlie�en.

Da war ich mitten in der Nacht aufgewacht und leise aufgestanden und mit Zagen ans Fenster gegangen, und vor dem Fenster war es seltsam hell, gar nicht schwarz und todesfinster, wie ich mir vorgestellt hatte. Es sah alles dumpf und verwischt und traurig aus, gro�e Wolken st�hnten �ber den ganzen Himmel, und die bl�ulich-schwarzen Berge schienen mitzufluten, als h�tten sie alle Angst und strebten davon, um einem nahenden Ungl�ck zu entrinnen. Die Pappeln schliefen und sahen ganz matt aus wie etwas Totes oder Erloschenes, auf dem Hof aber stand wie sonst die Bank und der Brunnentrog und der junge Kastanienbaum, auch sie ein wenig m�d und tr�b. Ich wu�te nicht, ob es kurz oder lang war, da� ich im Fenster sa� und in die bleiche verwandelte Welt hin�berschaute; da fing in der N�he ein Tier zu klagen an, �ngstlich und weinerlich. Es konnte ein Hund oder auch ein Schaf oder Kalb sein, das erwacht war und im Dunkeln Angst versp�rte. Sie fa�te auch mich und ich floh in die Kammer und in mein Bett zur�ck, ungewi� ob ich weinen sollte oder nicht. Aber ehe ich dazu kam, war ich eingeschlafen.

Das alles lag jetzt wieder r�tselhaft und lauernd drau�en, hinter den verschlossenen L�den, und es w�re so sch�n und gef�hrlich gewesen wieder hinauszusehen. Ich stellte mir die tr�ben B�ume wieder vor, das m�de, ungewisse Licht, den verstummten Hof, die samt den Wolken fortfliehenden Berge, die fahlen Streifen am Himmel und die bleiche, undeutlich in die graue Weite verschimmernde Landstra�e. Da schlich nun in einen gro�en, schwarzen Mantel verh�llt ein Dieb, oder ein M�rder, oder war jemand verirrt und lief dort hin und her, von der Nacht ge�ngstigt und von Tieren verfolgt. Es war vielleicht ein Knabe, so alt wie ich, der verloren gegangen oder fortgelaufen oder geraubt worden oder ohne Eltern war, und wenn er auch Mut hatte, so konnte doch der n�chste Nachtgeist ihn umbringen oder der Wolf ihn holen. Vielleicht nahmen ihn auch R�uber mit in den Wald, und er wurde selber ein R�uber, bekam ein Schwert oder eine zweil�ufige Pistole, einen gro�en Hut und hohe Reiterstiefel.

Von hier war es nur noch ein Schritt, ein willenloses Sichfallenlassen, und ich stand im Tr�umeland und konnte alles mit Augen sehen und mit H�nden anfassen, was jetzt noch Erinnerung und Gedanke und Phantasie war.

Ich schlief aber nicht ein, denn in diesem Augenblick flo� durch das Schl�sselloch der Kammert�r, aus der Schlafstube der Eltern her, ein d�nner, roter Lichtstrom zu mir herein, f�llte die Dunkelheit mit einer schwachen zitternden Ahnung von Licht und malte auf die pl�tzlich matt aufschimmernde T�r des Kleiderkastens einen gelben, zackigen Fleck. Ich wu�te, da� jetzt der Vater ins Bett ging. Sachte h�rte ich ihn in Str�mpfen herumlaufen, und gleich darauf vernahm ich auch seine ged�mpfte tiefe Stimme. Er sprach noch ein wenig mit der Mutter.

„Schlafen die Kinder?“ h�rte ich ihn fragen.

„Ja, schon lang,“ sagte die Mutter, und ich sch�mte mich, da� ich nun doch wach war. Dann war es eine Weile still, aber das Licht brannte fort. Die Zeit wurde mir lang, und der Schlummer wollte mir schon bis in die Augen steigen, da fing die Mutter noch einmal an.

„Hast auch nach dem Brosi gefragt?“

„Ich hab’ ihn selber besucht,“ sagte der Vater. „Am Abend bin ich dort gewesen. Der kann einem leid tun.“

„Geht’s denn so schlecht?“

„Ganz schlecht. Du wirst sehen, wenn’s Fr�hjahr kommt, wird es ihn wegnehmen; das ist eine b�se Jahreszeit. Ich meine als, er hat schon den Tod im Gesicht.“

„Was denkst du,“ sagte die Mutter, „soll ich den Buben einmal hinschicken? Es k�nnt’ vielleicht gut tun.“

„Wie du willst,“ meinte der Vater, „aber n�tig ist’s nicht. Was versteht so ein klein Kind davon?“

„Also gut Nacht.“

„Ja, gut Nacht.“

Das Licht ging aus, die Luft h�rte auf zu zittern, Boden und Kastent�r waren wieder dunkel, und wenn ich die Augen zumachte, konnte ich wieder violette und dunkelrote Ringe mit einem gelben Rand wogen und wachsen sehen.

Aber w�hrend die Eltern einschliefen und alles stille war, arbeitete meine pl�tzlich erregte Seele m�chtig in die Nacht hinein. Das halbverstandene Gespr�ch war in sie gefallen wie eine Frucht in den Teich, und nun liefen schnellwachsende Kreise eilig und �ngstlich �ber sie hinweg und machten sie vor banger Neugierde zittern.

Der Brosi, von dem die Eltern gesprochen hatten, war fast aus meinem Gesichtskreis verloren gewesen, h�chstens war er noch eine matte, beinahe schon vergl�hte Erinnerung. Nun rang er sich, dessen Namen ich kaum mehr gewu�t hatte, langsam k�mpfend empor und wurde wieder zu einem lebendigen Bilde. Zuerst wu�te ich nur, da� ich diesen Namen fr�her einmal oft geh�rt und selber gerufen habe. Dann fiel ein Herbsttag mir ein, an dem ich von jemand �pfel geschenkt bekommen hatte. Da erinnerte ich mich, da� das Brosis Vater gewesen sei, und da wu�te ich pl�tzlich alles genau wieder, zuerst mit Freude, dann mit Unbehagen — vielleicht weil ich mich sch�mte, so lang nicht mehr daran gedacht zu haben.

Ich sah also einen h�bschen Knaben, ein Jahr �lter, aber nicht gr��er als ich, der hie� Brosi. Vielleicht vor einem Jahre war sein Vater unser Nachbar und der Bub mein Kamerad geworden; doch reichte mein Ged�chtnis nimmer dahin zur�ck, und der Anfang unserer Freundschaft schien mir unendlich weit im unerme�lichen Raum zu liegen. Ich sah ihn wieder deutlich: er trug eine gestrickte blaue Wollenkappe mit zwei merkw�rdigen H�rnern, und er hatte immer �pfel oder Schnitzbrot im Sack, und er hatte gew�hnlich einen Einfall und ein Spiel und einen Vorschlag parat, wenn es anfangen wollte langweilig zu werden. Er trug eine Weste, auch werktags, worum ich ihn sehr beneidete, und fr�her hatte ich ihm fast gar keine Kraft zugetraut, aber da hieb er einmal den Schmiedsbarzle vom Dorf, der ihn wegen seiner H�rnerkappe verh�hnte (und die Kappe war von seiner Mutter gestrickt), j�mmerlich durch, und dann hatte ich eine Zeitlang Angst vor ihm, nat�rlich nur ein klein wenig, und er war ja auch fast ein Jahr �lter. Er besa� einen zahmen Raben, der hatte aber im Herbst zu viel junge Kartoffeln ins Futter bekommen und war gestorben, und wir hatten ihn beim Haftanger begraben. Der Sarg war eine Schachtel, aber sie war zu klein und der Deckel ging nimmer dr�ber, und ich hielt eine Grabrede wie ein Pfarrer, und als der Brosi dabei anfing zu weinen, mu�te mein kleiner Bruder lachen; da schlug ihn der Brosi, da schlug ich ihn wieder, der Kleine heulte und wir liefen auseinander, und nachher kam Brosis Mutter zu uns her�ber und sagte, es t�te ihm leid, und wenn wir morgen nachmittag zu ihr kommen wollten, so g�be es Kaffee und Hefenkranz, er sei schon im Ofen. Und bei dem Kaffee erz�hlte der Brosi uns eine Geschichte, die fing mitten drin immer wieder von vorne an, und obwohl ich die Geschichte nie behalten konnte, mu�te ich doch lachen, so oft ich daran dachte.

Das war aber nur der Anfang. Es fielen mir zu gleicher Zeit tausend Erlebnisse ein, alle aus dem Sommer und Herbst, wo Brosi mein Kamerad gewesen war, und alle hatte ich in den paar Monaten, seit er nimmer kam, so gut wie vergessen. Nun drangen sie von allen Seiten her, wie V�gel, wenn man im Winter K�rner wirft, alle zugleich, ein ganzes Gew�lk.

Es fiel mir der gl�nzende Herbsttag wieder ein, an dem des Dachtelbauers Turmfalk aus der Remise durchgegangen war. Der beschnittene Fl�gel war ihm gewachsen, das messingene Fu�kettlein hatte er durchgerieben und den engen finsteren Schuppen verlassen. Jetzt sa� er dem Haus gegen�ber ruhig auf einem Apfelbaum, und wohl ein Dutzend Leute stand auf der Stra�e davor, schaute hinauf und redete und machte Vorschl�ge. Da war uns Buben sonderbar beklommen zumute, dem Brosi und mir, wie wir mit allen anderen Leuten dastanden und den Vogel anschauten, der still im Baume sa� und scharf und k�hn herab�ugte. „Der kommt nicht wieder,“ rief einer. Aber der Knecht Gottlob sagte: „Fliegen wann er noch k�nnt’, dann w�r er schon lang �ber Berg und Tal.“ Der Falk probierte, ohne den Ast mit den Krallen loszulassen, mehrmals seine gro�en Fl�gel; wir waren schrecklich aufgeregt, und ich wu�te selber nicht, was mich mehr freuen w�rde, wenn man ihn finge oder wenn er davonk�me. Schlie�lich wurde vom Gottlob eine Leiter angelegt, der Dachtelbauer stieg selber hinauf und streckte die Hand nach seinem Falken aus. Da lie� der Vogel den Ast fahren und fing an, stark mit den Fl�geln zu flattern. Da schlug uns Knaben das Herz so laut, da� wir kaum atmen konnten; wir starrten bezaubert auf den sch�nen, fl�gelschlagenden Vogel, und dann kam der herrliche Augenblick, da� der Falk ein paar gro�e St��e tat, und wie er sah, da� er noch fliegen konnte, stieg er langsam und stolz in gro�en Kreisen h�her und h�her in die blaue Luft, bis er so klein wie eine Feldlerche war und still im flimmernden Himmel verschwand. Wir aber, als die Leute schon lang verlaufen waren, standen noch immer da, hatten die K�pfe nach oben gestreckt und suchten den ganzen Himmel ab, und da tat der Brosi pl�tzlich einen hohen Freudensatz in die Luft und schrie dem Vogel nach: „Flieg du, flieg du, jetzt bist du wieder frei.“

Auch an den Karrenschuppen des Nachbars mu�te ich denken. In dem hockten wir, wenn es so recht herunterregnete, im Halbdunkel beisammengekauert, h�rten dem Klingen und Tosen des Platzregens zu und betrachteten den Hofboden, wo B�che, Str�me und Seen entstanden und sich ergossen und durchkreuzten und ver�nderten. Und einmal, als wir so hockten und lauschten, fing der Brosi an und sagte: „Du, jetzt kommt die S�ndflut, was machen wir jetzt? Also alle D�rfer sind schon ertrunken, das Wasser geht jetzt schon bis an den Wald.“ Da dachten wir uns alles aus, sp�hten im Hof umher, horchten auf den sch�ttenden Regen und vernahmen darin das Brausen ferner Wogen und Meeresstr�mungen. Ich sagte, wir m��ten ein Flo� aus vier oder f�nf Balken machen, das w�rde uns zwei schon tragen. Da schrie mich der Brosi aber an: „So, und dein Vater und die Mutter, und mein Vater und meine Mutter, und die Katz und dein Kleiner? Die nimmst nicht mit?“ Daran hatte ich in der Aufregung und Gefahr freilich nicht gedacht, und ich log zur Entschuldigung: „Ja, ich hab mir gedacht, die seien alle schon untergegangen.“ Er aber wurde nachdenklich und traurig, weil er sich das deutlich vorstellte, und dann sagte er: „Wir spielen jetzt was anderes.“

Und damals, als sein armer Rabe noch am Leben war und �berall herumh�pfte, hatten wir ihn einmal in unser Gartenhaus mitgenommen, wo er auf den Querbalken gesetzt wurde und hin und her lief, weil er nicht herunter konnte. Ich streckte ihm den Zeigefinger hin und sagte im Spa�: „Da, Jakob, bei�!“ Da hackte er mich in den Finger. Es tat nicht besonders weh, aber ich war zornig geworden und schlug nach ihm und wollte ihn strafen. Der Brosi packte mich aber um den Leib und hielt mich fest, bis der Vogel, der in der Angst vom Balken heruntergefl�gelt war, sich hinausgerettet hatte. „La� mich los,“ schrie ich, „er hat mich gebissen,“ und rang mit ihm.

„Du hast selber zu ihm gesagt: Jakob bei�!“ rief der Brosi und erkl�rte mir deutlich, der Vogel sei ganz in seinem Recht gewesen. Ich war �rgerlich �ber seine Schulmeisterei, sagte „meinetwegen“ und beschlo� aber im stillen, mich ein anderes Mal an dem Raben zu r�chen.

Nachher, als Brosi schon aus dem Garten und halbwegs daheim war, rief er mir noch einmal und kehrte um, und ich wartete auf ihn. Er kam her und sagte: „Du, gelt du versprichst mir ganz gewi�, da� du dem Jakob nichts mehr tust?“ Und als ich keine Antwort gab und trotzig war, versprach er mir zwei gro�e �pfel, und ich nahm an, und dann ging er heim.

Gleich darauf wurden auf dem fr�hesten Baum in seines Vaters Garten die ersten Jakobi�pfel reif; da gab er mir die versprochenen zwei �pfel von den sch�nsten und gr��ten. Ich sch�mte mich jetzt und wollte sie nicht gleich annehmen, bis er sagte: „Nimm doch, es ist ja nicht mehr wegen dem Jakob; ich h�tt’ sie dir auch so gegeben, und dein Kleiner kriegt auch einen.“ Dann nahm ich sie.

Aber einmal waren wir den ganzen Nachmittag auf dem Wiesenland herumgesprungen und dann in den Wendelswald hineingegangen, wo unter dem Geb�sch ein sch�nes weiches Moos wuchs. Wir waren m�d und setzten uns auf den Boden. Ein paar Fliegen sumsten �ber einem Pilz, und allerlei V�gel flogen; von denen kannten wir einige, die meisten aber nicht; auch h�rten wir einen Specht flei�ig klopfen, und es wurde uns ganz wohl und froh zumute, so da� wir fast gar nichts zueinander sagten, und nur wenn einer etwas Besonderes entdeckt hatte, deutete er dorthin und zeigte es dem andern. In dem �berw�lbten gr�nen Raume flo� ein gr�nes mildes Licht, w�hrend der Waldgrund in die Weite sich in ahnungsvolle braune D�mmerung verlor. Was sich dort hinten regte, Bl�tterger�usch oder Vogelschlag, das kam aus verzauberten M�rchengr�nden her, klang mit geheimnisvoll fremdem Ton und konnte viel bedeuten.

Weil es dem Brosi zu warm vom Laufen war, zog er seine Jacke aus und dann auch noch die Weste, und legte sich ganz ins Moos hin. Da kam es, da� er sich umdrehte und sein Hemd ging am Halse auf und ich erschrak m�chtig, denn ich sah �ber seine wei�e Schulter eine lange rote Narbe hinlaufen. Gleich wollte ich ihn ausfragen, wo denn die Narbe herk�me, und freute mich schon auf eine rechte Ungl�cksgeschichte; aber wer wei� wie es kam, ich mochte auf einmal doch nicht fragen und tat so, als h�tte ich gar nichts gesehen. Jedoch zugleich tat mir Brosi mit seiner gro�en Narbe furchtbar leid, sie hatte sicher schrecklich geblutet und weh getan, und ich fa�te in diesem Augenblick eine viel st�rkere Z�rtlichkeit zu ihm als fr�her, konnte aber nichts sagen. Also gingen wir sp�ter miteinander aus dem Wald und kamen heim, dann holte ich in der Stube meine beste Kugelb�chse aus einem dicken St�ck Holderstamm, die hatte mir der Knecht einmal gemacht, und ging wieder hinunter und schenkte sie dem Brosi. Er meinte zuerst, es sei ein Spa�, dann aber wollte er sie nicht nehmen und legte sogar die H�nde auf den R�cken, und ich mu�te ihm die B�chse in die Tasche stecken.

Und eine Geschichte um die andere, alle kamen mir wieder. Auch die vom Tannenwald, der stand auf der anderen Seite vom Bach, und einmal war ich mit meinem Kameraden hin�bergegangen, weil wir gern die Rehe gesehen h�tten. Wir traten in den weiten Raum, auf den glatten braunen Boden zwischen den himmelhohen geraden St�mmen, aber so weit wir liefen, wir fanden kein einziges Reh. Daf�r sahen wir eine Menge gro�e Felsenst�cke zwischen den blo�en Tannenwurzeln liegen, und fast alle diese Steine hatten Stellen, wo ein schmales B�schelchen helles Moos auf ihnen wuchs, wie kleine gr�ne Male. Ich wollte so ein Moospl�tzchen absch�len, es war nicht viel gr��er als eine Hand. Aber der Brosi sagte schnell: „Nein, la� es dran!“ Ich fragte warum, und er erkl�rte mir: „Das ist, wenn ein Engel durch den Wald geht, dann sind das seine Tritte; �berall wo er hintritt, w�chst gleich so ein Moosplatz in den Stein.“ Nun fragte ich weiter, und wir verga�en die Rehe und warteten, ob vielleicht gerade ein Engel k�me. Wir blieben stehen und pa�ten auf; im ganzen Wald war eine Todesstille und auf dem braunen Boden fackelten helle Sonnenflecken, in der Ferne gingen die senkrechten St�mme wie eine hohe rote S�ulenwand zusammen, in der H�he stand hinter den dichten schwarzen Kronen der blaue Himmel sch�n und ernst. Ein ganz schwaches k�hles Wehen lief unh�rbar hin und wieder vor�ber. Da wurden wir beide bang und feierlich, weil es so ruhig und einsam war und weil vielleicht bald ein Engel kam, und wir gingen nach einer Weile ganz still und schnell miteinander weg, an den vielen Steinen und St�mmen vorbei und aus dem Wald hinaus. Als wir wieder auf der Wiese und �ber dem Bach waren, sahen wir noch eine Zeitlang hin�ber, dann liefen wir schnell nach Haus.

Sp�ter hatte ich noch einmal mit dem Brosi Streit, dann vers�hnten wir uns wieder. Es ging schon gegen den Winter hin, da hie� es, der Brosi sei krank und ob ich nicht zu ihm gehen wollte. Ich ging auch ein- oder zweimal, da lag er im Bett und sagte fast gar nichts, und es war mir bang und langweilig, obgleich seine Mutter mir eine halbe Orange schenkte. Und dann kam nichts mehr; ich spielte mit meinem Bruder und mit dem L�hnersnikel oder mit den M�dchen, und so ging eine lange, lange Zeit vorbei. Es fiel Schnee und schmolz wieder und fiel noch einmal; der Bach fror zu, ging wieder auf und war braun und wei� und machte eine �berschwemmung und brachte vom Obertal eine ertrunkene Sau und eine Menge Holz mit; es wurden kleine H�hner geboren und drei davon starben hintereinander weg; mein Br�derlein wurde krank und wurde wieder gesund; es war in den Scheuern gedroschen und in den Stuben gesponnen worden, und jetzt wurden die Felder wieder gepfl�gt, alles ohne den Brosi. So war er ferner und ferner geworden und am Ende verschwunden und von mir vergessen worden — bis jetzt, bis auf diese Nacht, wo das rote Licht durchs Schl�sselloch flo� und ich den Vater zur Mutter sagen h�rte: „Wenn’s Fr�hjahr kommt, wird’s ihn wegnehmen.“

Unter vielen sich verwirrenden Erinnerungen und Gef�hlen schlief ich ein, und vielleicht w�re schon am n�chsten Tage im Drang des Erlebens das kaum erwachte Ged�chtnis an den entschwundenen Spielgef�hrten wieder untergesunken und w�re dann vielleicht nie mehr in der gleichen, frischen Sch�nheit und St�rke zur�ckgekommen. Aber gleich beim Fr�hst�ck fragte mich die Mutter: „Denkst du auch noch einmal an den Brosi, der immer mit euch gespielt hat?“

Da rief ich „ja“, und sie fuhr fort mit ihrer guten Stimme: „Im Fr�hjahr, wei�t du, w�ret ihr beide miteinander in die Schule gekommen, wenn er auch ein Jahr �lter ist. Aber jetzt ist er so krank, da� es vielleicht nichts damit sein wird. Willst du einmal zu ihm gehen?“

Sie sagte das so ernsthaft und ich dachte an das, was ich in der Nacht den Vater hatte sagen h�ren, und ich f�hlte ein Grauen, aber zugleich eine angstvolle Neugierde. Der Brosi sollte, nach des Vaters Worten, den Tod im Gesicht haben, und das schien mir uns�glich grauenhaft und wunderbar.

Ich sagte wieder „ja“, und die Mutter sch�rfte mir ein: „Denk dran, da� er so krank ist! Du kannst jetzt nicht mit ihm spielen und darfst kein L�rmen verf�hren.“

Ich versprach alles und bem�hte mich schon jetzt ganz still und bescheiden zu sein, und noch am gleichen Morgen ging ich hin�ber. Vor dem Hause, das ruhig und ein wenig feierlich hinter seinen beiden kugelrund geschnittenen, kahlen Kastanienb�umen im k�hlen Vormittagslichte lag, blieb ich stehen und wartete eine Weile, horchte in die Flur hinein und bekam fast Lust, wieder heimzulaufen. Da fa�te ich mir ein Herz, stieg schnell die drei roten Steinstufen hinauf und durch die offenstehende T�rh�lfte, sah mich im Gehen um und klopfte an die n�chste T�r. Des Brosi Mutter war eine kleine, flinke und sanfte Frau, die kam heraus und hob mich auf und gab mir einen Ku�, und dann fragte sie: „Hast du zum Brosi kommen wollen?“

Es ging nicht lang, so stand sie im oberen Stockwerk vor einer wei�en Kammert�r und hielt mich an der Hand. Auf diese ihre Hand, die mich zu den dunkel vermuteten grauenhaften Wunderdingen f�hren sollte, sah ich nicht anders als auf die eines Engels oder eines Zauberers. Das Herz schlug mir ge�ngstigt und ungest�m wie ein Warner, und ich z�gerte nach Kr�ften und strebte zur�ck, so da� die Frau mich fast in die Stube ziehen mu�te. Es war eine gro�e, helle und behaglich nette Kammer; ich stand verlegen und grausend an der T�r und schaute auf das lichte Bett hin, bis die Frau mich hinzuf�hrte. Da drehte der Brosi sich zu uns herum.

Und ich blickte aufmerksam in sein Gesicht, das war schmal und spitzig, aber den Tod konnte ich nicht darin sehen, sondern nur ein feines Licht, und in den Augen etwas Ungewohntes, g�tig Ernstes und Geduldiges, bei dessen Anblick mir �hnlich ums Herz ward, wie bei jenem Stehen und Lauschen im schweigenden Tannenwald, da ich in banger Neugierde den Atem anhielt und Engelsschritte in meiner N�he vorbeigehen sp�rte.

Der Brosi nickte ganz erfreut und heiter und streckte mir eine Hand hin, die hei� und trocken und abgezehrt war. Seine Mutter streichelte ihn, nickte mir zu und ging wieder aus der Stube; so stand ich allein an seinem kleinen hohen Bett und sah ihn an, und eine Zeitlang sagten wir beide kein Wort.

„So, bist du’s denn noch?“ sagte dann der Brosi.

Und ich: „Ja, und du auch noch?“

Und er: „Hat dich deine Mutter geschickt?“

Ich nickte.

Er war m�de und lie� jetzt den Kopf wieder auf das Kissen fallen. Ich wu�te gar nichts zu sagen, nagte an meiner M�tzentroddel und sah ihn nur immer an, und er mich, bis er l�chelte und zum Scherz die Augen schlo�.

Da schob er sich ein wenig auf die Seite, und wie er es tat, sah ich pl�tzlich unter den Hemdkn�pfen durch den Ritz etwas Rotes schimmern, das war die gro�e Narbe auf seiner Schulter, und als ich die gesehen hatte, mu�te ich auf einmal heulen.

„Ja, was hast du denn?“ fragte er gleich.

Ich konnte keine Antwort geben, weinte weiter und wischte mir die Backen mit der rauhen M�tze ab, bis es weh tat.

„Sag’s doch. Warum weinst du?“

„Blo� weil du so krank bist,“ sagte ich jetzt. Aber das war nicht die eigentliche Ursache. Es war nur eine Woge von heftiger und mitleidiger Z�rtlichkeit, wie ich sie schon fr�her einmal gesp�rt hatte, die quoll pl�tzlich in mir auf und konnte sich nicht anders Luft machen.

„Das ist nicht so schlimm,“ sagte der Brosi.

„Wirst du bald wieder gesund?“

„Ja, vielleicht.“

„Wann denn?“

„Ich wei� nicht. Es dauert lang.“

Nach einer Zeit merkte ich auf einmal, da� er eingeschlafen war. Ich wartete noch eine Weile, dann ging ich hinaus, die Stiege hinunter und wieder heim, wo ich sehr froh war, da� die Mutter mich nicht ausfragte. Sie hatte wohl gesehen, da� ich ver�ndert war und etwas erlebt hatte, und sie strich mir nur �bers Haar und nickte, ohne etwas zu sagen.

Trotzdem kann es wohl sein, da� ich an jenem Tage noch sehr ausgelassen, wild und ungattig war, sei es, da� ich mit meinem kleinen Bruder h�ndelte oder da� ich die Magd am Herd �rgerte oder im nassen Feld strolchte und besonders schmutzig heimkam. Etwas Derartiges ist jedenfalls gewesen, denn ich wei� noch gut, da� am selben Abend meine Mutter mich sehr z�rtlich und ernst ansah — mag sein, da� sie mich gern ohne Worte an heute morgen erinnert h�tte. Ich verstand sie auch wohl und f�hlte Reue, und als sie das merkte, tat sie etwas Besonderes. Sie gab mir von ihrem St�nder am Fenster einen kleinen Tonscherben voll Erde, darin steckte eine schw�rzliche Knolle, und diese hatte schon ein paar spitzige, hellgr�ne, saftige junge Bl�ttlein getrieben. Es war eine Hyazinthe. Die gab sie mir und sagte dazu: „Pa� auf, das geb ich dir jetzt. Sp�ter wird’s dann eine gro�e rote Blume. Dort stell ich sie hin, und du mu�t darauf acht geben, man darf sie nicht anr�hren und herumtragen, und jeden Tag mu� man sie zweimal gie�en; wenn du es vergi�t, sag ich dir’s schon. Wenn es aber eine sch�ne Blume werden will, darfst du sie nehmen und dem Brosi hinbringen, da� er eine Freude hat. Kannst du dran denken?“

Sie tat mich ins Bett, und ich dachte indessen mit Stolz an die Blume, deren Wartung mir als ein ehrenvoll wichtiges Amt erschien, aber gleich am n�chsten Morgen verga� ich das Begie�en und die Mutter erinnerte mich dran. „Und was ist denn mit dem Brosi seinem Blumenstock?“ fragte sie, und sie hat es in jenen Tagen mehr als das eine Mal sagen m�ssen. Dennoch besch�ftigte und begl�ckte mich damals nichts so stark wie mein Blumenstock. Es standen noch genug andere, auch gr��ere und sch�nere, im Zimmer und im Garten, und Vater und Mutter hatten sie mir oft gezeigt. Aber es war nun doch das erste Mal, da� ich mit dem Herzen dabei war, ein solches kleines Wachstum mit anzuschauen, zu erw�nschen und zu pflegen und Sorge darum zu haben.

Ein paar Tage lang sah es mit dem Bl�mlein nicht erfreulich aus, es schien an irgend einem Schaden zu leiden und nicht die rechten Kr�fte zum Wachsen zu finden. Als ich dar�ber zuerst betr�bt und dann ungeduldig wurde, sagte die Mutter einmal: „Siehst du, mit dem Blumenstock ist’s jetzt gerade so wie mit dem Brosi, der so krank ist. Da mu� man noch einmal so lieb und sorgsam sein wie sonst.“

Dieser Vergleich war mir verst�ndlich und brachte mich bald auf einen ganz neuen Gedanken, der mich nun v�llig beherrschte. Ich f�hlte jetzt einen geheimen Zusammenhang zwischen der kleinen, m�hsam strebenden Pflanze und dem kranken Brosi, ja ich kam schlie�lich zu dem festen Glauben, wenn die Hyazinthe gedeihe, m�sse auch mein Kamerad wieder gesund werden. K�me sie aber nicht davon, so w�rde er sterben, und ich tr�ge dann vielleicht, wenn ich die Pflanze vernachl�ssigt h�tte, mit Schuld daran. Als dieser Gedankenkreis in mir fertig geworden war, h�tete ich den Blumentopf mit Angst und Eifersucht wie einen Schatz, in welchem besondere, nur mir bekannte und anvertraute Zauberkr�fte verschlossen w�ren.

Drei oder vier Tage nach meinem ersten Besuch — die Pflanze sah noch ziemlich k�mmerlich aus — ging ich wieder ins Nachbarhaus hin�ber. Brosi mu�te ganz still liegen, und da ich nichts zu sagen hatte, stand ich nahe am Bett und sah das nach oben gerichtete Gesicht des Kranken an, das zart und warm aus wei�en Bettt�chern schaute. Er machte hin und wieder die Augen auf und wieder zu, sonst bewegte er sich nicht, und ein kl�gerer und �lterer Zuschauer h�tte vielleicht etwas davon gef�hlt, da� des kleinen Brosi Seele schon unruhig war und sich auf die Heimkehr besinnen wollte. Als gerade eine Angst vor der Stille des St�bleins �ber mich kommen wollte, trat die Nachbarin herein und holte mich freundlich und leisen Schrittes weg.

Das n�chste Mal kam ich mit viel froherem Herzen, denn zu Hause trieb mein Blumenstock mit neuer Lust und Kraft seine spitzigen freudigen Bl�tter heraus. Diesmal war auch der Kranke sehr munter.

„Wei�t du auch noch, wie der Jakob noch am Leben war?“ fragte er mich.

Und wir erinnerten uns an den Raben und sprachen von ihm, ahmten die drei W�rtlein nach, die er hatte sagen k�nnen, und redeten mit Begierde und Sehnsucht von einem grau und roten Papagei, der sich vorzeiten einmal hierher verirrt haben sollte. Ich kam ins Plaudern, und w�hrend der Brosi bald wieder erm�dete, hatte ich sein Kranksein f�r den Augenblick ganz vergessen. Ich erz�hlte die Geschichte von jenem Papagei, die zu den Legenden unseres Hauses geh�rte. Ihr Glanzpunkt war der, da� ein alter Hofknecht den sch�nen Vogel auf dem Dach des Schuppens sitzen sah, sogleich eine Leiter anlegte und ihn einfangen wollte. Als er auf dem Dach erschien und sich dem Papagei vorsichtig n�herte, sagte dieser: „Guten Tag, mein Lieber!“ Da zog der Knecht seine Kappe herunter und sagte: „Bitt um Vergebung, jetzt h�tt ich fast gemeint, Ihr w�ret ein Vogeltier.“

Als ich das erz�hlt hatte, dachte ich, der Brosi m�sse nun notwendig laut hinauslachen. Da er es nicht gleich tat, sah ich ihn ganz verwundert an. Ich sah ihn fein und herzlich l�cheln, und seine Backen waren ein wenig r�ter als vorher, aber er sagte nichts und lachte nicht laut.

Da kam es mir pl�tzlich vor, als sei er um viele Jahre �lter als ich. Meine Lustigkeit war im Augenblick erloschen, statt ihrer befiel mich Verwirrung und Bangigkeit, denn ich empfand wohl, da� zwischen uns beiden jetzt etwas Neues fremd und st�rend aufgewachsen sei.

Es surrte eine gro�e Winterfliege durchs Zimmer und ich fragte, ob ich sie fangen solle.

„Nein, la� sie doch!“ sagte der Brosi.

Auch das kam mir vor wie von einem Erwachsenen gesprochen. Befangen ging ich fort.

Auf dem Heimweg empfand ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas von der ahnungsvollen verschleierten Sch�nheit des Vorfr�hlings, das ich erst um Jahre sp�ter, ganz am Ende der Knabenzeiten, wieder gesp�rt habe.

Was er war und wie es kam, wei� ich nicht. Ich erinnere mich aber, da� ein lauer Wind strich, da� feuchte dunkle Erdschollen am Rande der �cker aufragten und streifenweise blank ergl�nzten, und da� ein besonderer F�hngeruch in der Luft war. Ich erinnerte mich auch dessen, da� ich eine Melodie summen wollte und gleich wieder aufh�rte, weil irgend etwas mich bedr�ckte und still machte.

Dieser kurze Heimweg vom Nachbarhaus ist mir eine merkw�rdig tiefe Erinnerung. Ich wei� kaum etwas Einzelnes mehr davon; aber zuweilen, wenn es mir geg�nnt ist, mit geschlossenen Augen mich dahin zur�ckzufinden, meine ich die Erde noch einmal mit Kindesaugen zu sehen — als Geschenk und Sch�pfung Gottes, im leise gl�henden Tr�umen unber�hrter Sch�nheit, wie wir Alten sie sonst nur aus den Werken der gro�en K�nstler und Dichter kennen. Der Weg war vielleicht nicht ganz zweihundert Schritt lang, aber es lebte und geschah auf ihm und �ber ihm und an seinem Rande unendlich viel mehr als auf mancher ganzen Reise, die ich sp�ter unternommen habe.

Es streckten kahle Obstb�ume verschlungene und drohende �ste, und von den feinen Zweigspitzen rotbraune und harzige Knospen in die Luft, �ber sie hinweg ging Wind und schw�rmende Wolkenflucht, unter ihnen quoll die nackte Erde in der Fr�hlingsg�rung. Es rann ein vollgeregneter Graben �ber und sandte einen schmalen tr�ben Bach �ber die Stra�e, auf dem schwammen alte Birnenbl�tter und braune Holzst�ckchen, und jedes von ihnen war ein Schiff, jagte dahin und strandete, erlebte Lust und Pein und wechselnde Schicksale, und ich erlebte sie mit.

Es hing unversehens vor meinen Augen ein dunkler Vogel in der Luft, �berschlug sich und flatterte taumelnd, stie� pl�tzlich einen langen schallenden Triller aus und stob verglitzernd in die H�hen, und mein Herz flog staunend mit.

Ein leerer Lastwagen mit einem ledigen Beipferd kam gefahren, knarrte und rollte fort und fesselte noch bis zur n�chsten Kr�mme meinen Blick, mit seinen starken Rossen aus einer unbekannten Welt gekommen und in sie verschwindend, fl�chtige sch�ne Ahnungen aufregend und mit sich nehmend.

Das ist eine kleine Erinnerung, oder zwei und drei; aber wer will die Erlebnisse, Erregungen und Freuden z�hlen, die ein Kind zwischen einem Stundenschlag und dem andern an Steinen, Pflanzen, V�geln, L�ften, Farben und Schatten findet und sogleich wieder vergi�t und doch mit hin�bernimmt in die Schicksale und Ver�nderungen der Jahre? Eine besondere F�rbung der Luft am Horizont, ein winziges Ger�usch in Haus oder Garten oder Wald, der Anblick eines Schmetterlings oder irgend ein fl�chtig herwehender Geruch r�hrt oft f�r Augenblicke ganze Wolken von Erinnerungen an jene fr�hen Zeiten in mir auf. Sie sind nicht klar und einzeln erkennbar, aber sie tragen alle denselben k�stlichen Duft von damals, da zwischen mir und jedem Stein und Vogel und Bach ein inniges Leben und Verbundensein vorhanden war, dessen Reste ich eifers�chtig zu bewahren bem�ht bin.

Mein Blumenstock richtete sich indessen auf, reckte die Bl�tter h�her und erstarkte zusehends. Mit ihm wuchs meine Freude und mein Glaube an die Genesung meines Kameraden. Es kam auch der Tag, an welchem zwischen den feisten Bl�ttern eine runde r�tliche Bl�tenknospe sich zu dehnen und aufzurichten begann, und der Tag, an dem die Knospe sich spaltete und ein heimliches Gekr�usel sch�nroter Bl�tenbl�tter mit wei�lichen R�ndern sehen lie�. Den Tag aber, an dem ich den Topf mit Stolz und freudiger Behutsamkeit ins Nachbarhaus hin�bertrug und dem Brosi �bergab, habe ich v�llig vergessen. Da� der Kranke aber seine leise Freude daran hatte und ihn sich h�ufig zeigen lie�, wei� ich noch wohl.

Dann war einmal ein heller Sonnentag; aus dem dunklen Ackerboden stachen schon feine gr�ne Spitzen, die Wolken hatten Goldr�nder, und in den feuchten Stra�en, Hofr�umen und Vorpl�tzen spiegelte ein sanfter reiner Himmel. Das Bettlein des Brosi war n�her zum Fenster gestellt worden, auf dessen Simsen die rote Hyazinthe in der Sonne prunkte, den Kranken hatte man ein wenig aufgerichtet und mit Kissen gest�tzt. Er sprach etwas mehr als sonst mit mir, �ber seinen geschorenen blonden Kopf lief das warme Licht fr�hlich und gl�nzend und schien rot durch seine Ohren. Ich war sehr guter Dinge und sah wohl, da� es nun schnell vollends gut mit ihm werden w�rde. Seine Mutter sa� dabei, und als es ihr genug schien, schenkte sie mir eine gelbe Winterbirne und schickte mich heim. Noch auf der Stiege bi� ich die Birne an, sie war weich und honigs��, und der Saft tropfte mir aufs Kinn und �ber die Hand. Den abgenagten Butzen warf ich unterwegs in hohem Bogen feld�ber.

Tags darauf regnete es was herunter mochte, ich mu�te daheim bleiben und durfte mit sauber gewaschenen H�nden in der Bilderbibel schwelgen, wo ich schon viele Lieblinge hatte, am liebsten aber waren mir doch der Paradiesl�we, die Kamele des Elieser und das Moseskn�blein im Schilf. Als es aber am zweiten Tag in einem Strich fortregnete, wurde ich doch verdrie�lich. Den halben Vormittag starrte ich durchs Fenster auf den pl�tschernden Hof und Kastanienbaum, dann kamen der Reihe nach alle meine Spiele dran, und als sie fertig waren und es gegen Abend ging, bekam ich noch Streit mit meinem Bruder. Das alte Lied: wir reizten einander, bis der Kleine mir ein arges Schimpfwort sagte, da schlug ich ihn, und er floh heulend durch Stube, �hrn, K�che, Stiege und Kammer bis zur Mutter, der er sich in den Scho� warf und die mich seufzend wegschickte. Bis der Vater heimkam, sich alles erz�hlen lie�, mich abstrafte und mit den n�tigen Ermahnungen ins Bett steckte, wo ich mir namenlos ungl�cklich vorkam, aber bald unter noch rinnenden Tr�nen einschlief.

Als ich wieder, vermutlich am folgenden Morgen, in des Brosi Krankenstube stand, hatte seine Mutter best�ndig den Finger am Mund und sah mich warnend an, der Brosi aber lag mit geschlossenen Augen leise st�hnend da. Ich schaute bang in sein Gesicht, es war bleich und vom Schmerz verzogen. Und als seine Mutter meine Hand nahm und sie auf seine legte, machte er die Augen auf und sah mich eine kleine Weile still an. Seine Augen waren gro� und ver�ndert, und wie er mich ansah, war es ein fremder wunderlicher Blick wie aus einer weiten Ferne her, als kenne er mich gar nicht und sei �ber mich verwundert, habe aber zugleich andere und viel wichtigere Gedanken. Auf den Zehen schlich ich nach kurzer Zeit, da die Nachbarin mahnte, wieder hinaus.

Am Nachmittag aber, w�hrend ihm auf seine Bitte die Mutter eine sch�ne Geschichte erz�hlte, sank er in einen m�den Schlummer, der bis an den Abend dauerte und w�hrend dessen sein schwacher Herzschlag langsam eintr�umte und erlosch.

Als ich ins Bett ging, wu�te es meine Mutter schon. Doch sagte sie mir’s erst am Morgen, nach der Milch. Darauf ging ich den ganzen Tag traumwandelnd umher und stellte mir vor, da� der Brosi zu den Engeln gekommen und selber einer geworden sei. Da� sein kleiner magerer Leib mit der Narbe auf der Schulter noch dr�ben im Hause lag, wu�te ich nicht, auch vom Begr�bnis sah und h�rte ich nichts.

Meine Gedanken hatten viel Arbeit damit und es verging wohl eine Zeit, bis der Gestorbene mir fern und unsichtbar wurde. Dann aber kam fr�h und pl�tzlich der ganze Fr�hling, �ber die Berge flog es gelb und gr�n, im Garten roch es nach jungem Wuchs, der Kastanienbaum tastete mit weich gerollten Bl�ttern aus den aufgesprungenen Knospenh�llen, und an allen Gr�ben lachten auf fetten Stielen die goldgelben gl�nzenden Butterblumen.

Die Marmors�ge

Es war so ein Prachtsommer, in dem man das sch�ne Wetter nicht nach Tagen, sondern nach Wochen rechnete, und es war noch Juni und man hatte gerade das Heu eingebracht, so gesund und trocken wie schon lange nicht mehr.

F�r manche Leute gibt es nichts Sch�neres als einen solchen Sommer, wo noch im feuchtesten Ried das Schilf verbrennt und einem die Hitze bis in die Knochen geht. Diese Leute, soweit sie nicht etwa in Indien geboren sind, haben kein sehr zufriedenes und jedenfalls kein gleichm��iges Leben, denn die echten Sommer gibt es nicht alle Jahre. Daf�r saugen sie, sobald ihre Zeit gekommen ist, so viel W�rme und Behagen ein und werden ihres meist ohnehin nicht sehr betriebsamen Daseins so schlaraffisch froh, wie es andern Leuten nie zuteil wird. Zu dieser harmlosen Menschenklasse geh�re auch ich; darum war mir in jenem Sommersanfang auch so m�chtig wohl, freilich mit starken Unterbrechungen, von denen ich nachher das N�tigste erz�hlen werde.

Es war vielleicht der �ppigste Juni, den ich je erlebt habe, und es w�re bald Zeit, da� wieder so einer k�me. Der kleine Blumengarten vor meines Vetters Haus an der Dorfstra�e duftete und bl�hte ganz unb�ndig; die Georginen, die den schadhaften Zaun versteckten, standen dick und hoch und hatten feiste runde Knospen angesetzt, aus deren Ritzen gelb und rot und lila die jungen Bl�tenbl�tter strebten. Der Goldlack brannte so �berschwenglich honigbraun und duftete so ausgelassen und sehnlich, als w��te er wohl, da� seine Zeit schon nahe war, da er verbl�hen und den dicht wuchernden Reseden Platz machen mu�te. Still und br�tend standen die steifen Balsaminen auf dicken, gl�sernen Stengeln, schlank und tr�umerisch die Schwertlilien, fr�hlich hellrot die verwildernden Rosenb�sche. Man sah kaum eine Handbreit Erde mehr, als sei der ganze Garten nur ein gro�er, bunter und fr�hlicher Strau�, der aus einer zu schmalen Vase hervorquoll, und an dessen R�ndern die Kapuziner in den Rosen fast erstickten und in dessen Mitte der prahlerisch emporflammende T�rkenbund mit seinen gro�en geilen Bl�ten sich frech und gewaltt�tig breit machte.

Mir gefiel das ungemein, aber mein Vetter und die Bauersleute sahen es kaum. Denen f�ngt der Garten erst an, ein wenig Freude zu machen, wenn es dann herbstelt und in den Beeten nur noch letzte Sp�trosen, Strohblumen und Astern �brig sind. Jetzt waren sie alle tagt�glich von fr�h bis sp�t im Feld und fielen am Abend m�de und schwer wie umgeworfene Bleisoldaten in die Betten. Und doch wird in jedem Herbst und in jedem Fr�hjahr der Garten wieder treulich besorgt und hergerichtet, der nichts einbringt und den sie in seiner sch�nsten Zeit kaum ansehen. Ich fragte einmal einen Hofbauern, warum und f�r wen er sich eigentlich immer wieder diese M�he mache.

„F�r dich,“ sagte er ernsthaft, „und f�r derlei Faulenzer und arme Schlucker, damit sie auch an etwas ihre Freude haben k�nnen. Wei�t’s jetzt?“

Seit zwei Wochen stand ein hei�er, blauer Himmel �ber dem Land, am Morgen rein und lachend, am Nachmittag stets von niederen, langsam wachsenden, gedr�ngten Wolkenballen umlagert. Nachts gingen nah und fern Gewitter nieder, aber jeden Morgen, wenn man — noch den Donner im Ohr — erwachte, gl�nzte die H�he blau und sonnig herab und war schon wieder ganz von Licht und Hitze durchtr�nkt. Dann begann ich froh und ohne Hast meine Art von Sommerleben: kurze G�nge auf gl�henden und durstig klaffenden Feldwegen durch warm atmende, hohe, gilbende �hrenfelder, aus denen Mohn und Kornblumen, Wicken, Kornraden und Winden lachten, sodann lange, stundenlange Rasten in hohem Gras an Walds�umen, �ber mir K�fergoldgeflimmer, Bienengesang, windstill ruhendes Gezweige im tiefen Himmel; gegen Abend alsdann ein wohlig tr�ger Heimweg durch Sonnenstaub und r�tliches Ackergold, durch eine Luft voll Reife und M�digkeit und sehns�chtigem Kuhgebr�ll, und am Ende lange, laue Stunden bis Mitternacht, versessen unter Ahorn und Linde allein oder mit irgend einem Bekannten bei gelbem Wein, ein zufriedenes, l�ssiges Plaudern in die warme Nacht hinein, bis fern irgendwo das Donnern begann und unter erschrocken aufrauschenden Windschauern erste, langsam und woll�stig aus den L�ften sinkende Tropfen schwer und weich und kaum h�rbar in den dicken Staub fielen.

„Nein, so was Faules wie du!“ meinte mein lieber Vetter mit ratlosem Kopfsch�tteln, „da� dir nur keine Glieder abfallen!“

„Sie h�ngen noch gut,“ beruhigte ich. Und ich freute mich daran, wie m�de und schwei�ig und steifgeschafft er war. Ich wu�te mich in meinem guten Recht; ein Examen und eine lange Reihe von sauren Monaten lagen hinter mir, in denen ich meine Bequemlichkeit t�glich schwer genug gekreuzigt und geopfert hatte. Jetzt war ich obenan — was kost’t die Welt?

Vetter Kilian war auch gar nicht so, da� er mir meine Lust nicht geg�nnt h�tte. Vor meiner Gelehrtheit hatte er tiefen Respekt, sie umgab mich f�r sein Auge mit einem geheiligten Faltenwurf, und ich warf nat�rlich die Falten so, da� die mancherlei L�cher nicht gerade obenhin kamen. Vielmehr fand ich seine Ehrfurcht anfangs zwar komisch, dann aber r�hrend, und in B�lde schien sie mir sogar nat�rlich, wohlverdient und ganz am Platze zu sein.

Es war mir so wohl wie noch nie. Still und langsam schlenderte ich in Feld und Wiesenland, durch Korn und Heu und hohen Schierling, lag regungslos und atmend wie eine Schlange in der sch�nen W�rme und geno� die br�tend stillen Stunden, in denen ich meine Haut langsam braun werden sah und jeden in der N�he t�tigen Feldarbeiter mit herzlicher Schadenfreude betrachtete.

Und dann diese Sommert�ne! Diese T�ne, bei denen einem n�rrisch wohl und traurig wird und die ich so lieb habe: das unendliche, bis �ber Mitternacht anhaltende Zikadenl�uten, an das man sich v�llig verlieren kann wie an den Anblick des Meeres — das satte Rauschen der wogenden �hren — das best�ndig auf der Lauer liegende entfernte leise Donnern — abends das M�ckengeschw�rme und das fernhin rufende, ergreifende Sensendengeln — nachts der schwellende, warme Wind und das leidenschaftliche St�rzen pl�tzlicher Regeng�sse.

Und wie in diesen kurzen, stolzen Wochen alles inbr�nstiger bl�ht und atmet, tiefer lebt und duftet, sehnlicher und inniger lodert! Wie der �berreiche Lindenduft in weichen Schwaden ganze Tale f�llt, und wie neben den m�den, reifenden Korn�hren die farbigen Ackerblumen gierig leben und sich br�sten, wie sie verdoppelt gl�hen und fiebern in der Hast der Augenblicke, bis ihnen viel zu fr�h die Sichel rauscht!

Diese F�lle und Sch�nheit h�tte wohl gen�gt, um mich froh und �berm�tig zu machen, und doch hatte ich das gar nimmer n�tig. Ich war vierundzwanzig Jahre alt, fand die Welt und mich selber sehr wohlbeschaffen und betrieb das Leben noch als eine erg�tzliche Liebhaberkunst, vorwiegend nach �sthetischen Gesichtspunkten. Nur das Verliebtsein kam und verlief ganz ohne meine Wahl nach den althergebrachten Regeln. Doch h�tte mir das niemand sagen d�rfen! Ich hatte mich nach den n�tigen Zweifeln und Schwankungen einer das Leben bejahenden Philosophie ergeben und mir nach mehrfachen schweren Erfahrungen, wie mir schien, eine ruhige und sachliche Betrachtung der Dinge erworben. Au�erdem hatte ich mein Examen bestanden, auf den Herbst eine ungew�hnlich und unverdient gute Anstellung in der Stadt in Aussicht, ein nettes Taschengeld im Sack und zwei Monate Ferien vor mir liegen.

Es gibt wahrscheinlich in jedem Leben solche Zeiten: weit vor sich sieht man glatte Bahn, kein Hindernis, keine Wolke am Himmel, keine Pf�tze im Weg. Da wiegt man sich gar stattlich im Wipfel und glaubt mehr und mehr zu erkennen, da� es eben doch kein Gl�ck und keinen Zufall gibt, sondern da� man das alles und noch eine halbe Zukunft ehrlich verdient und erworben habe, einfach weil man der Kerl dazu war. Und man tut wohl daran, sich dieser Erkenntnis zu freuen, denn auf ihr beruht das Gl�ck der M�rchenprinzen ebenso wie das Gl�ck der Spatzen auf dem Mist, und es dauert ja nie zu lange.

Von den zwei sch�nen Ferienmonaten waren mir erst ein paar Tage durch die Finger geglitten. Bequem und elastisch wie ein heiterer Weiser wandelte ich in den T�lern hin und her, eine Zigarre im Mund, eine Ackerschnalle am Hut, ein Pfund Kirschen und ein gutes B�chlein in der Tasche. Ich tauschte kluge, ernste Worte mit den Gutsbesitzern, sprach da und dort den Leuten im Felde freundlich aufmunternd zu, lie� mich zu allen gro�en und kleinen Festlichkeiten, Zusammenk�nften und Schm�usen, Zweckessen und Backtagen, Taufen und Bockbierabenden einladen, tat gelegentlich am Sp�tnachmittag einen Trunk mit dem Pfarrer, ging mit den Fabrikherren und Wasserp�chtern zum Forellenangeln, bewegte mich ma�voll fr�hlich und schnalzte innerlich mit der Zunge, wenn irgend so ein feister, erfahrener Mann mich ganz wie seinesgleichen behandelte und keine Anspielungen auf meine gro�e Jugend machte. Denn wirklich, ich war nur �u�erlich so l�cherlich jung. Seit einiger Zeit hatte ich entdeckt, da� ich nun �ber die Spielereien hinausgekommen und ein Mann geworden sei; mit stiller Wonne ward ich st�ndlich meiner Reife froh und brauchte gern den Ausdruck, das Leben sei ein Ro�, ein flottes, kr�ftiges Ro�, und wie ein Reiter m�sse man es behandeln, k�hn und auch vorsichtig. Manche Wahrheiten, die mir vor einem Jahr noch altmodisch, pedantisch und greisenhaft geklungen hatten, fand ich neuerdings erstaunlich wahr und tief. Ich fing sogar schon an, Studenten und solches Volk als ‚junge Leute‘ zu empfinden und mit warmem Interesse und Wohlwollen zu betrachten. Alles in allem war ich mein Lebtag noch nie so gl�cklich gewesen. Das Leben war ein Ro�, und t�chtige Rosse reiten war ganz mein Fall.

Und da lag die Erde in ihrer Sommersch�nheit um mich her, die Kornfelder fingen an gelb zu werden, die Luft war noch voll Heugeruch, und das Laub hatte noch lichte, heftige Farben. Die Kinder trugen Brot und Most ins Feld, die Bauern waren eilig und fr�hlich, und abends liefen die jungen M�dchen in Reihen �ber die Gasse, ohne Grund pl�tzlich hinauslachend und ohne Vereinbarung pl�tzlich ihre weichm�tigen Volkslieder anstimmend. Vom Gipfel meiner jungen Mannesreife herab sah ich freundlich zu, g�nnte den Kindern und den Bauern und den M�dchen ihre Lust von Herzen und glaubte das alles wohl zu verstehen. Ich glaubte sogar die Volkslieder zu verstehen. Gar nicht von oben herunter — ein ‚Herr‘ war ich nicht und wollte ich nicht sein. Aber das ganze Dasein so klar und klug zu �berschauen, schien mir ein Hauptvergn�gen. Es war sch�n, �ber mein Leben hinwegzublicken, das bisher so ziellos ausgesehen hatte und so reichlich mit Dummheiten durchsetzt war, und das doch nun so simpel dalag — jetzt, wo ich auf der H�he stand und den krummen Herweg wie den geraden Weiterweg so deutlich �bersehen konnte.

Um mein Gl�ck und meine Weisheit zu kr�nen, beschlo� ich, k�nftighin meine Erfahrungen und K�nste gebotenen Falles auch auf Liebessachen anzuwenden, um mir ein �berlegtes, solides Gl�ck zu erbauen. Lieber Gott, wie hatte ich bisher drauf los geliebt, ohne Direktion und meistens ungl�cklich! Auch unter dieses Jugendkapitel geh�rte nun ein fester, sauber gezogener Strich.

In der k�hlen Waldschlucht des Sattelbachs, der alle paar hundert Schritt eine M�hle treiben mu�, lag stattlich und sauber ein Marmors�gewerk: Schuppen, S�geraum, Stellfalle, Hof, Wohnhaus und G�rtchen, alles einfach, solid und erfreulich aussehend, weder verwittert noch allzu neu. Da wurden Marmorbl�cke langsam und tadellos in Platten und Scheiben zers�gt, gewaschen und geschliffen, ein stiller und reinlicher Betrieb, an dem jeder Zuschauer seine Lust haben mu�te. Fremdartig, aber h�bsch und anziehend war es, mitten in dem engen und gewundenen Tale zwischen Tannen und Buchen und schmalen Wiesenb�ndern den S�gehof daliegen zu sehen, angef�llt mit gro�en Marmorbl�cken, wei�en, bl�ulichgrauen und buntge�derten, mit fertigen Platten von jeder Gr��e, mit Marmorabf�llen und feinem gl�nzendem Marmorstaub. Als ich das erste Mal diesen Hof nach einem Neugierbesuch verlie�, nahm ich ein kleines, einseitig poliertes St�ckchen wei�en Marmors in der Tasche mit; das besa� ich jahrelang und hatte es als Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch liegen. Ich h�tte es heute noch, aber im vorigen Fr�hling kam eine Nacht, in der das Katzengejammer auf dem Nachbarsdache mich nicht schlafen lie�, und da flog nebst andern entbehrlichen St�cken auch jenes kleine Andenken an eine vergangene Zeit den Katzen nach in die D�cher.

Der Besitzer dieser Marmorschleiferei hie� Herr Lampart und schien mir von den t�chtigen Originalen jener ergiebigen Gegend eins der eigent�mlichsten zu sein. Er war fr�h verwitwet und hatte teils durch sein ungeselliges Leben, teils durch sein eigenartiges Gewerbe, das mit der Umgebung und mit dem Leben der Leute ringsum ohne Ber�hrung blieb, einen besonderen Anstrich bekommen. Er galt f�r sehr wohlhabend, doch wu�te das keiner gewi�, denn es gab weit herum niemand, der irgend ein �hnliches Gesch�ft und einen Einblick in dessen Gang und Ertrag gehabt h�tte. Worin seine Besonderheit bestand, hatte ich noch nicht ergr�ndet. Sie war aber da und n�tigte einen, mit Herrn Lampart anders als mit andern Leuten umzugehen. Wer zu ihm kam, war willkommen und fand einen freundlichen Empfang, aber da� der Marmors�ger jemand wiederbesuchte, ist nie vorgekommen; schon das gab seiner ohnehin nicht gew�hnlichen Person etwas Abgeschlossenes und fast Feudales. Erschien er einmal — es geschah selten — bei einer �ffentlichen Feier im Dorf oder zu einer Jagd oder in irgend einer Kommission, so behandelte man ihn sehr h�flich, tastete aber verlegen nach der rechten Begr��ung, denn er kam so ruhig daher und blickte jedem so gleichm�tig ernst ins Gesicht wie ein Einsiedler, der aus dem Wald hervorgekommen ist und bald wieder hineingehen wird.

Man fragte ihn, wie die Gesch�fte gingen. „Danke, es tut sich,“ sagte er, aber er tat keine Gegenfrage. Man erkundigte sich, ob die letzte �berschwemmung oder der letzte Wassermangel ihn gesch�digt habe. „Danke, nicht besonders,“ sagte er, aber er fuhr nicht fort: „Und bei Ihnen?“

Nach dem �u�eren zu urteilen, war er ein Mann, der viele Sorgen gehabt hat und vielleicht noch hat, der aber gewohnt ist, sie mit niemand zu teilen.

In jenem Sommer war es mir zu einer Gewohnheit geworden, sehr oft beim Marmorm�ller einzukehren. Diesen Mann zu studieren und dabei wom�glich einen Triumph meiner Menschenkenntnis zu erleben, schien mir ein edles Ziel. Ich war noch ein Anf�nger in solchen K�nsten und wu�te nicht, da� man so etwas nicht ungestraft treiben kann, sondern auf solchen Entdeckungsfahrten meistens in die Str�mungen eines fremden Lebens hineingezogen wird und ihnen selten ohne Beulen und Wunden wieder entrinnt. �berhaupt war ich noch des frohen jugendlichen Glaubens, ein Mensch k�nne einem andern ins Innere sehen, wie denn jeder junge Weltweise sich f�r einen durchtriebenen Beobachter h�lt, w�hrend er sich selber gern undurchschaulich glaubt. So betrat ich also die M�hle mit Zuversicht und heiterem Eifer, ohne zu ahnen, da� vielleicht gerade hier mein Schicksal verborgen liege und nur auf die rechte Stunde warte, um mir ein wildes St�ck Leben vorzuspielen und einen ersten bitteren Denkzettel mitzugeben.

Oft trat ich nur im Vor�berbummeln f�r eine Viertelstunde in den Hof und in die k�hle d�mmerige Schleiferei, wo blanke Stahlb�nder taktm��ig auf und nieder stiegen, Sandk�rner knirschten und rieselten, schweigsame M�nner am Werk standen und unter dem Boden das Wasser pl�tscherte. Ich schaute den paar R�dern und Riemen zu, setzte mich auf einen Steinblock, drehte mit den Sohlen eine Holzrolle hin und her oder lie� die Marmork�rner und Splitter unter ihnen knirschen, horchte auf das Wasser, steckte eine Zigarre an, geno� eine kleine Weile die Stille und K�hle und lief wieder weg. Den Herrn traf ich dann fast nie. Wenn ich zu ihm wollte, und das wollte ich sehr oft, dann trat ich in das kleine, immer schlummerstille Wohnhaus, kratzte im Gang die Stiefel ab und hustete dazu, bis entweder Herr Lampart oder seine Tochter herunterkam, die T�r einer lichten Wohnstube �ffnete und mir einen Stuhl und ein Glas Wein hinstellte. Der Wein war ein vorz�glicher Markgr�fler, aber mehr als ein Glas trank ich nie davon.

Da sa� ich am schweren Tisch, nippte am Glas, drehte meine Finger umeinander und brauchte immer eine Weile, bis ein Gespr�ch im Lauf war; denn weder der Hausherr noch die Tochter, die aber sehr selten beide zugleich da waren, machten je den Anfang, und mir schien diesen Leuten gegen�ber und in diesem Hause niemals irgend ein Thema, das man sonst etwa vornimmt, am Platze zu sein. Nach einer guten halben Stunde, wenn dann l�ngst eine Unterhaltung beieinander war, hatte ich meistens, trotz aller Behutsamteit, mein Weinglas leer. Ein zweites wurde nicht angeboten, darum bitten mochte ich nicht, vor dem leeren Glase da zu sitzen war mir ein wenig peinlich, also stand ich auf, gab die Hand und setzte den Hut auf.

Was die Tochter betrifft, so war mir im Anfang nichts aufgefallen, als da� sie dem Vater so merkw�rdig �hnlich war. Sie war so gro� gewachsen, aufrecht und dunkelhaarig wie er, sie hatte seine matten schwarzen Augen, seine gerade, klar und scharf geformte Nase, seinen stillen, sch�nen Mund. Sie hatte auch seinen Gang, soweit ein Weib eines Mannes Gang haben kann, und dieselbe gute und ernste Stimme, die an Altgesang erinnerte. Sie streckte einem die Hand mit derselben ruhigen Geste entgegen wie ihr Vater, wartete ebenso wie er ab, was man zu sagen habe, und sie gab auf gleichg�ltige H�flichkeitsfragen ebenso sachlich, kurz und ein wenig wie verwundert Antwort. Im Anfang interessierte der Vater mich mehr; sie kam mir wie ein Pleonasmus vor.

Aber schlie�lich ist ein dreiundzwanzigj�hriges sch�nes M�dchen doch ein ander Ding als ein noch so r�stiger Gesch�ftsmann, und auch bei der auffallendsten Verwandtschafts�hnlichkeit kann man ein Weib nicht lange mit denselben Augen und Interessen ansehen wie einen Mann. Als ich meine Menschenkenntnis am Alten soweit ersch�pft hatte, um mir dar�ber klar zu werden, er sei ein merkw�rdiger Mann und schwer zu verstehen, und als die pl�tzlichen Schlaglichter und Verst�ndnisse g�nzlich ausblieben, die zu einem weiteren Eindringen in sein verh�lltes Wesen n�tig gewesen w�ren, da schien es mir kein Pleonasmus, nun auch die Tochter zu studieren.

Sie war von einer Art Sch�nheit, die man in alemannischen Grenzlanden �fters antrifft und die wesentlich auf einer ebenm��igen Kraft und Wucht der Erscheinung beruht, auch unzertrennlich ist von gro�em, hohem Wuchs und br�unlicher Gesichtsfarbe. Ich hatte sie anf�nglich wie ein h�bsches Bild betrachtet, dann aber fesselte die Sicherheit und Reife des sch�nen M�dchens mich mehr und mehr. So etwa fing meine Verliebtheit an, und sie wuchs bald zu einer Leidenschaft, die ich bisher noch nicht gekannt hatte. Sie w�re wohl bald eklatant geworden, wenn nicht die gemessene Art des M�dchens und die ruhig k�hle Luft des ganzen Hauses mich, sobald ich dort war, wie eine leichte L�hmung umfangen und zahm gemacht h�tte.

Wenn ich ihr oder ihrem Vater gegen�bersa�, kroch mein ganzes Feuer sogleich zu einem scheuen Fl�mmlein zusammen, das ich vorsichtig verbarg, und statt wie in fr�heren F�llen eine Szene zu riskieren und herauszuplatzen, hockte ich zierlich und mutlos im Sessel. Die Stube sah auch durchaus nicht einer B�hne �hnlich, auf der junge Liebesritter mit Erfolg sich ins Knie niederlassen, sondern glich mehr einer St�tte der M��igung und Ergebung, wo ruhige Kr�fte walten und ein ernstes St�ck Leben ernst erlebt und ertragen wird. Trotz alledem sp�rte ich hinter dem stillen Hinleben des M�dchens eine geb�ndigte Lebensf�lle und Erregbarkeit, die nur selten hervorbrach und auch dann nur in einer raschen Geste oder einem pl�tzlich aufgl�henden Blick, wenn ein Gespr�ch sie lebhaft mitri�.

Ich hatte, wie schon angedeutet, vor kurzem den Stein der Weisen gefunden und mich als Meister der Lebensklugheit entdeckt. Kaum ging mir also das erste Licht �ber die Lage der Dinge auf, so hatte meine �berlegene Weisheit auch schon alles stilvoll umgedichtet und mich zu einem klugen Manne gemacht, der zwar eingestandenerma�en sehr verliebt ist, der aber keine Frucht vorzeitig vom Ast brechen will, sondern die sichere Methode des Ma�haltens, Wartens und Reifwerdenlassens befolgt.

Oft genug besann ich mich dar�ber, wie wohl das eigentliche Wesen des sch�nen und strengen M�dchens aussehen m�ge. Sie konnte im Grunde leidenschaftlich sein, oder auch melancholisch, oder auch wirklich gleichm�tig. Jedenfalls war das, was man an ihr zu sehen bekam, nicht ganz ihre wahre Natur. �ber sie, die so frei zu urteilen und so selbst�ndig zu leben schien, hatte ihr Vater eine unbeschr�nkte Macht, und ich f�hlte, da� ihre wahre innere Natur nicht ungestraft durch den v�terlichen Einflu�, wenn auch in Liebe, von fr�h auf unterdr�ckt und in andere Formen gezwungen worden war. Wenn ich sie beide beisammen sah, was freilich sehr selten vorkam, glaubte ich diesen vielleicht ungewollt tyrannischen Einflu� mitzuf�hlen und hatte die unklare Empfindung, es m�sse zwischen ihnen einmal einen z�hen und t�dlichen Kampf geben. Wenn ich aber dachte, da� dies vielleicht einmal um mich geschehen k�nne, schlug mir das Herz, und ich konnte ein leises Grauen nicht unterdr�cken.

Machte meine Freundschaft mit Herrn Lampart wenig oder keine Fortschritte, so gedieh mein Verkehr mit Gustav Becker, dem Verwalter des Rippacher Hofes, desto erfreulicher. Wir hatten sogar vor kurzem, nach stundenlangen Gespr�chen, Br�derschaft getrunken, und ich war nicht wenig stolz darauf, trotz der entschiedenen Mi�billigung meines Vetters. Becker war ein studierter Mann, vielleicht zweiunddrei�ig alt, und ein gewiegter, schlauer Patron. Von ihm beleidigte es mich nicht, da� er meine sch�nen Mannesworte meistens mit einem ironischen L�cheln anh�rte, denn ich sah ihn mit dem gleichen L�cheln viel �lteren und w�rdigeren Leuten aufwarten. Er konnte es sich erlauben, denn er war nicht nur der selbst�ndige Verwalter und vielleicht k�nftige K�ufer des gr��ten Gutes in der Gegend, sondern auch innerlich den meisten Existenzen seiner Umgebung stark �berlegen. Man nannte ihn anerkennend einen h�llisch gescheiten Kerl, aber sehr lieb hatte man ihn nicht. Ich bildete mir ein, er f�hle sich von den Leuten gemieden und gebe sich deshalb so viel mit mir ab.

Freilich brachte er mich oft zur Verzweiflung. Meine S�tze �ber das Leben und die Menschen machte er h�ufig ohne Worte, blo� durch ein grausam ausdrucksvolles Grinsen, mir selber zweifelhaft, und manchmal wagte er es direkt, jede Art von Weltweisheit f�r etwas L�cherliches zu erkl�ren.

„Dr�ber reden kann man ja immerhin. �berhaupt, Reden kostet nichts und ist ganz gesund, verglichen mit andern Vergn�gungen. Einer sagt: das Leben ist ein Rechenexempel, und dann kann man das eine Viertelstunde lang nett und richtig finden. Er kann auch sagen: das Leben ist ein Misthaufen. Es ist auch wahr, und der Erfolg ist der gleiche. Wie gesagt, eine Viertelstunde lang.“

Eines Abends sa� ich mit Gustav Becker im Adlergarten bei einem Glas Bier. Wir sa�en an einem Tisch gegen die Wiese hin ungest�rt und ganz allein. Es war so ein trockener, hei�er Abend, wo alles voll von goldigem Staub ist, der Lindenduft war fast bet�ubend und das Licht schien weder zu- noch abzunehmen.

„Du, du kennst doch den Marmors�ger dr�ben im Sattelbachtal?“ fragte ich meinen Freund.

Er sah nicht vom Pfeifenstopfen auf und nickte nur.

„Ja, sag mal, was ist nun das f�r ein Mensch?“

Becker lachte und stie� die Pfeifenpatrone in die Westentasche.

„Ein ganz gescheiter Mensch ist er,“ sagte er dann. „Darum h�lt er auch immer das Maul. Was geht er dich an?“

„Nichts, ich dachte nur so. Er macht doch einen besonderen Eindruck.“

„Das tun gescheite Leute immer; es gibt nicht so viele.“

„Sonst nichts? Wei�t du nichts �ber ihn?“

„Er hat ein sch�nes M�del.“

„Ja. Das mein’ ich nicht. Warum kommt er nie zu Leuten?“

„Was soll er dort?“

„Ach, einerlei. Ich denke, vielleicht hat er was Besonderes erlebt, oder so.“

„Aha, so was Romantisches? Stille M�hle im Tal? Marmor? Schweigsamer Eremit? Begrabenes Lebensgl�ck? Tut mir leid, aber damit ist’s nichts. Er ist ein vorz�glicher Gesch�ftsmann.“

„Wei�t du das?“

„Er hat’s hinter den Ohren. Der Mann macht Geld.“

Da mu�te er gehen. Es gab noch zu tun. Er zahlte sein Bier und ging direkt �ber die gem�hte Wiese, und als er hinter dem n�chsten B�hel schon eine Weile verschwunden war, kam noch ein langer Strich Pfeifenrauch von dorther, denn Becker lief gegen den Wind. Im Stall fingen die K�he satt und langsam zu br�llen an, auf der Dorfstra�e tauchten die ersten Feierabendgestalten auf, und als ich nach einer kleinen Weile um mich schaute, waren die Berge schon blauschwarz und der Himmel war nimmer rot, sondern gr�nlichblau und sah aus, als m��te jeden Augenblick der erste Stern herauskommen.

Das kurze Gespr�ch mit dem Verwalter hatte meinem Denkerstolz einen leisen Tritt versetzt, und da es so ein sch�ner Abend und doch schon ein Loch in meinem Selbstbewu�tsein war, kam meine Liebe zu der Marmorm�llerin pl�tzlich �ber mich und lie� mich f�hlen, da� mit Leidenschaften nicht zu spielen sei. Ich trank noch manche Halbe aus, und als nun wirklich die Sterne heraus waren und als von der Gasse so ein r�hrendes Volkslied her�berklang, da hatte ich meine Weisheit und meinen Hut auf der Bank liegen lassen, lief langsam in die dunkeln Felder hinein und lie� im Gehen die Tr�nen laufen, wie sie wollten.

Aber durch die Tr�nen hindurch sah ich das sommern�chtige Land daliegen, die m�chtige Flucht der Ackerfelder schwoll am Horizont wie eine starke und weiche Woge in den Himmel, seitw�rts schlief atmend der weithin gestreckte Wald und hinter mir lag fast verschwunden das Dorf, mit wenig Lichtlein und wenigen leisen und fernen T�nen. Himmel, Ackerland, Wald und Dorf samt den vielerlei Wiesend�ften und dem vereinzelt noch h�rbaren Grillengel�ut flo� alles ineinander und umgab mich lau und sprach zu mir wie eine sch�ne, froh und traurig machende Melodie. Nur die Sterne ruhten klar und unbewegt in halbdunkeln H�hen. Ein scheues und doch brennendes Begehren, eine Sehnsucht rang sich in mir auf; ich wu�te nicht, war es ein Hindr�ngen zu neuen, unbekannten Freuden und Schmerzen oder ein Verlangen, r�ckw�rts in die Kinderheimat zu wandern, mich an den v�terlichen Gartenzaun zu lehnen, die Stimmen der toten Eltern und das Kl�ffen unseres toten Hundes noch einmal zu h�ren und mich auszuweinen.

Ohne es zu wollen, kam ich in den Wald und durch d�rres Gezweige und schw�le Finsternis, bis es vor mir pl�tzlich ger�umig und helle ward, und dann stand ich lange zwischen den hohen Tannen �ber dem engen Sattelbachtal, und drunten lag das Lampartische Anwesen mit den matten blassen Marmorhaufen und dem dunkel brausenden schmalen Wehr. Bis ich mich sch�mte und querfeldein den n�chsten Heimweg nahm.

Am n�chsten Tage hatte Gustav Becker mein Geheimnis schon heraus.

„Mach doch keine Redensarten,“ sagte er, „du bist ja einfach in die Lampart verschossen. Das Ungl�ck ist ja nicht so gro�. Du bist in dem Alter, da� dir dergleichen ohne Zweifel noch �fter passieren wird.“

Mein Stolz regte sich schon wieder m�chtig.

„Nein, mein Lieber,“ sagte ich, „da hast du mich doch untersch�tzt. �ber so knabenhafte Liebeleien sind wir hinaus. Ich hab’ mir alles wohl �berlegt und finde, ich k�nnte gar keine bessere Heirat tun.“

„Heiraten?“ lachte Becker. „Junge, du bist reizend.“

Da wurde ich ernstlich zornig, lief aber doch nicht fort, sondern lie� mich darauf ein, dem Verwalter meine Gedanken und Pl�ne in dieser Sache weitl�ufig zu erz�hlen.

„Du vergi�t eine Hauptsache,“ sagte er dann ernsthaft und nachdr�cklich. „Die Lamparts sind nichts f�r dich, das sind Leute von einem schweren Kaliber. Verlieben kann man sich ja in wen man will, aber heiraten darf man nur jemand, mit dem man nachher auch fertig werden und Tempo einhalten kann. Du bist ja ein ordentlicher Kerl, aber die Lamparts sind aus einem ganz andern Stoff. Die reden wenig und haben daf�r eine Wucht nach innen, die du gar nicht verstehst.“

Da ich Gesichter schnitt und ihn heftig unterbrechen wollte, lachte er pl�tzlich wieder und meinte: „Na, dann tummle dich, mein Sohn, und auch viel Gl�ck dazu!“

Von da an sprach ich eine Zeitlang oft mit ihm dar�ber. Da er selten von der Sommerarbeit abkommen konnte, f�hrten wir fast alle diese Gespr�che unterwegs im Felde oder in Stall und Scheuer. Und je mehr ich redete, desto klarer und abgerundeter stand die ganze Sache vor mir, und es wundert mich nachtr�glich, da� ich nicht noch andre Leute in’s Vertrauen zog.

Nur wenn ich in der Marmors�ge sa�, f�hlte ich mich bedr�ckt und merkte wieder, wie weit ich noch vom Ziele war. Das M�dchen war stets von derselben freundlich stillen Art, mit einem Anflug von M�nnlichkeit, der mir k�stlich schien und mich doch sch�chtern machte.

Ich sprach mit ihr �ber Jahreszeit und Wetter, �ber B�cher, die ich ihr lieh, aber am liebsten �ber ‚das Leben‘; das war eben damals mein Leibfach. Zuweilen wollte es mir scheinen, sie s�he mich doch gern und habe mich heimlich lieb; sie konnte mich je und je so selbstvergessen und pr�fend ansehen, wie etwas, woran man Freude hat. Auch ging sie ganz ernsthaft auf meine klugen Reden ein, schien aber im Hintergrund eine unumst��lich andre Meinung zu haben.

Einmal sagte sie: „F�r die Frauen oder wenigstens f�r mich sieht das Leben doch anders aus. Wir m�ssen vieles tun und geschehen lassen, was ein Mann anders machen k�nnte. Wir sind nicht so frei . . .“

Ich sprach davon, da� jedermann sein Schicksal in der Hand habe und sich ein Leben schaffen m�sse, das ganz sein Werk sei und ihm geh�re.

„Ein Mann kann das vielleicht,“ meinte sie. „Das wei� ich nicht. Aber bei uns ist das anders. Auch wir k�nnen etwas aus unserm Leben machen, aber es gilt da mehr, das Notwendige mit Vernunft zu tragen und zu versch�nern, als eigne Schritte zu tun.“

Und als ich nochmals widersprach und eine h�bsche kleine Rede loslie�, wurde sie w�rmer und sagte fast leidenschaftlich:

„Bleiben Sie bei Ihrem Glauben und lassen Sie mir meinen! Sich das Sch�nste vom Leben heraussuchen, wenn man die Wahl hat, ist keine so gro�e Kunst. Aber wer hat denn die Wahl? Wenn Sie heute oder morgen unter ein Wagenrad kommen und Arme und Beine verlieren, was fangen Sie dann mit Ihren Luftschl�ssern an? Dann w�ren Sie froh, Sie h�tten gelernt, mit dem, was �ber Sie verh�ngt ist, auszukommen. Aber fangen Sie nur das Gl�ck, ich g�nne es Ihnen, fangen Sie’s nur!“

Sie war nie so lebhaft gewesen. Dann wurde sie still, l�chelte sonderbar und hielt mich nicht, als ich aufstand und f�r heute Abschied nahm. Meine Weltanschauung hatte sie nicht ersch�ttert, und das Beispiel mit dem Wagenrad fiel mir erst viel sp�ter wieder ein. Aber ihre Worte besch�ftigten mich nun �fters und gingen mir meistens in ganz unpassenden Augenblicken wieder durch den Kopf. Ich hatte im Sinn, mit meinem Freunde auf dem Rippacher Hof dar�ber zu reden; doch wenn ich Beckers k�hle Augen und spottbereit zuckende Lippen ansah, verging mir immer die Lust. �berhaupt kam es allm�hlich so, da� ich, je mehr meine Gespr�che mit Fr�ulein Lampart pers�nlicher und merkw�rdiger wurden, desto weniger �ber sie mit dem Verwalter sprach. Auch schien die Sache ihm nimmer wichtig zu sein. H�chstens fragte er hier und da, ob ich auch flei�ig ins Marmorwerk laufe, neckte mich ein wenig und lie� es wieder gut sein, wie es in seinem Wesen lag.

Einmal traf ich ihn zu meinem Erstaunen in der Lampartschen Einsiedelei. Er sa�, als ich eintrat, in der Wohnstube beim Hausherrn, das �bliche Glas Wein vor sich. Als er es leer hatte, war es mir eine Art Genugtuung, zu sehen, da� auch ihm kein zweites angeboten wurde. Er brach bald auf, und da Lampart besch�ftigt schien und die Tochter nicht da war, schlo� ich mich ihm an.

„Was f�hrt denn dich daher?“ fragte ich ihn, als wir auf der Stra�e waren. „Du scheinst den Lampart ja ganz gut zu kennen.“

„’s geht an.“

„Hast du Gesch�fte mit ihm?“

„Geldgesch�fte, ja. Ich bin eine Art Bankier f�r ihn. Und das L�mmlein ist heute nicht dagewesen, wie? Dein Besuch war so kurz.“

„Ach la� doch!“

Ich war bis jetzt mit dem M�dchen in eine ganz vertrauliche Freundschaftlichkeit gekommen, ohne indessen je mit Wissen etwas von meiner stetig zunehmenden Verliebtheit merken zu lassen. Jetzt nahm sie wider all mein Erwarten pl�tzlich wieder ein andres Wesen an, das mir f�rs erste wieder alle Hoffnung raubte. Scheu war sie eigentlich nicht, aber sie schien einen Weg in das fr�here Fremdsein zur�ck zu suchen, bat nicht mehr um B�cher und bem�hte sich, unsere Unterhaltung an �u�ere und allgemeine Dinge zu fesseln und den angefangenen herzlichen Verkehr mit mir nicht weiter gedeihen zu lassen.

Ich gr�belte nach, lief im Wald herum und kam auf tausend dumme Vermutungen, wurde nun selber noch unsicherer in meinem Benehmen gegen sie und kam in ein k�mmerliches Sorgen und Zweifeln hinein, das ein Hohn auf meine ganze Gl�cksphilosophie war und mich stundenweise wieder v�llig zu einem ratlos verliebten Buben machte. Mittlerweile war auch mehr als die H�lfte meiner Ferienzeit verstrichen, und ich fing an, die Tage zu z�hlen und jedem unn�tz verbummelten mit Neid und Verzweiflung nachzublicken, als w�re jedesmal gerade der unendlich wichtig und unwiederbringlich.

Zwischenhinein kam ein Tag, an dem ich aufatmend und fast erschrocken alles gewonnen glaubte und einen Augenblick vor dem offenen Tor des Gl�cksgartens stand. Ich kam bei der S�gerei vor�ber und sah Helene im G�rtchen zwischen den hohen Dahlienb�schen stehen. Da ging ich hinein, gr��te und half ihr eine liegende Staude anpf�hlen und aufbinden. Es war h�chstens eine Viertelstunde, da� ich dort blieb. Mein Hereinkommen hatte sie �berrascht, sie war viel befangener und scheuer als sonst, und in ihrem Scheusein lag etwas, das ich wie eine deutliche Schrift glaubte lesen zu k�nnen. Sie hat mich lieb, f�hlte ich durch und durch, und da wurde ich pl�tzlich sicher und froh, sah auf das gro�e, stattliche M�dchen z�rtlich und fast mit Mitleid, wollte ihre Befangenheit schonen und tat, als s�he ich nichts, kam mir auch wie ein Held vor, als ich nach kurzer Zeit ihr die Hand gab und weiterging, ohne nur zur�ckzusehen. Sie hat mich lieb, empfand ich mit allen Sinnen, und morgen wird alles gut werden.

Es war wieder ein prachtvoller Tag. �ber den Sorgen und Aufregungen hatte ich f�r eine Weile fast den Sinn f�r die sch�ne Jahreszeit verloren und war ohne Augen herumgelaufen. Nun war wieder der Wald von Licht durchzittert, der Bach war wieder schwarz, braun und silbern, die Ferne licht und zart, auf den Feldwegen lachten rot und blau die R�cke der Bauernweiber. Ich war so and�chtig froh, ich h�tte keinen Schmetterling verjagen m�gen. Am oberen Waldrande, nach einem hei�en Steigen, legte ich mich hin, �bersah die fruchtbare Weite bis zum fernen runden Staufen hin, gab mich der Mittagssonne preis und war mit der sch�nen Welt und mit mir und allem von Herzen zufrieden. Meine scheu gewordene Weltklugheit kehrte siegreich zur�ck, fand alles bestens im Gleise und war fast so stolz und froh, als h�tte sie selber den Gang der Dinge regiert und alles so freundlich gewendet.

Es war gut, da� ich diesen Tag nach Kr�ften geno�, vertr�umte und versang. Abends trank ich sogar im Adlergarten einen Schoppen vom besten alten Roten.

Als ich tags darauf bei den Marmorleuten vorsprach, war dort alles im alten k�hlen Zustande. Vor dem Anblick der Wohnstube, der M�bel und der ruhig ernsten Helene stob meine Sicherheit und mein Siegesmut elend davon, ich sa� da, wie ein armer Reisender auf der Treppe sitzt, und ging nachher davon wie ein nasser Hund, jammervoll n�chtern. Passiert war nichts. Helene war sogar ganz freundlich gewesen. Aber von dem gestrigen Gef�hl war nichts mehr da.

An diesem Tage begann die Sache f�r mich bitter ernst zu werden. Ich hatte eine Ahnung vom Gl�cke vorausgeschmeckt.

Nun verzehrte mich die Sehnsucht wie ein gieriger Hunger, Schlaf und Seelenruhe waren dahin. Die Welt versank um mich her, und ich blieb abgetrennt in einer Einsamkeit und Stille zur�ck, in der ich nichts vernahm, als das leise und laute Schreien meiner Leidenschaft. Mir hatte getr�umt, das gro�e, sch�ne, ernste M�dchen k�me zu mir und lege sich an meine Brust; jetzt streckte ich weinend und fluchend die Arme ins Leere aus und schlich bei Tag und Nacht um die Marmorm�hle, wo ich kaum mehr einzukehren wagte.

Es half nichts, da� ich mir vom Verwalter Becker ohne Widerspruch die sp�ttische Predigt einer glaubenslosen N�chternheit gefallen lie�. Es half nichts, da� ich Stunden auf Stunden durch die Bruthitze �ber Feld lief oder mich in die kalten Waldb�che legte, bis mir die Z�hne klapperten. Es half auch nichts, da� ich am Samstag abend mich an einem gro�en Raufhandel im Dorfe beteiligte und den Leib voller Beulen gehauen bekam.

Und die Zeit lief weg wie Wasser. Noch vierzehn Tage Ferien! Noch zw�lf Tage! Noch zehn! Zweimal in dieser Zeit ging ich in die S�gerei. Das eine Mal traf ich nur den Vater an, ging mit ihm zur S�ge und sah stumpfsinnig zu, wie ein neuer Block eingespannt wurde. Herr Lampart ging in den Vorratsschuppen hin�ber, um irgend etwas zu besorgen, und als er nicht gleich wiederkam, lief ich fort und hatte im Sinn, nimmer herzukommen.

Trotzdem stand ich nach zwei Tagen wieder da. Helene empfing mich wie immer, und ich konnte den Blick nicht von ihr lassen. In meiner fahrigen und haltlosen Stimmung kramte ich gedankenlos eine Menge von dummen Witzen, Redensarten und Anekdoten aus, die sie sichtlich �rgerten.

„Warum sind Sie heut so?“ fragte sie schlie�lich und sah mich so sch�n und offen an, da� mir das Herz zu schlagen begann.

„Wie denn?“ fragte ich, und der Teufel wollte, da� ich dabei zu lachen versuchte.

Das mi�gl�ckte Lachen gefiel ihr nicht, sie zuckte die Achseln und sah fast traurig aus. Mir war einen Augenblick, sie habe mich gern gehabt und mir entgegenkommen wollen und sei nun darum betr�bt. Eine Minute lang schwieg ich beklommen, da war der Teufel wieder da, da� ich in die vorige Narrenstimmung zur�ckfiel und wieder ins Geschw�tz geriet, von dem jedes Wort mir selber weh tat und das M�dchen �rgern mu�te. Und ich war jung und dumm genug, meinen Schmerz und meine widersinnige Narrheit fast wie ein Schauspiel zu genie�en und im Bubentrotz die Kluft zwischen mir und ihr wissentlich zu vergr��ern, statt mir lieber die Zunge abzubei�en oder Helene ehrlich um Verzeihung zu bitten. In meinen allerfr�hesten Liebesversuchen war ich kein gr��erer Hanswurst gewesen!

Dann verschluckte ich mich in der Hast am Wein, mu�te m�chtig husten und verlie� Stube und Haus elender als jemals.

Nun waren von meiner Ferienzeit nur noch acht Tage �brig.

Es war ein so sch�ner Sommer, es hatte alles so verhei�ungsvoll und heiter angefangen. Jetzt war meine Freude dahin — was sollte ich noch mit den acht Tagen anfangen? Ich war entschlossen, schon morgen abzureisen. In der Stadt m��te sich dann irgend ein modus vivendi finden.

Aber vorher mu�te ich noch einmal in ihr Haus. Ich mu�te noch einmal hingehen, ihre kraftvoll edle Sch�nheit anschauen und ihr sagen: ‚Ich habe dich lieb, warum hast du mit mir gespielt?‘

Zun�chst ging ich zu Gustav Becker auf den Rippacher Hof, den ich neuerdings etwas vernachl�ssigt hatte. Er stand in seiner gro�en, kahlen Stube an einem l�cherlich schmalen Stehpult und schrieb Briefe.

„Ich will dir adieu sagen,“ sagte ich, „wahrscheinlich geh’ ich schon morgen fort. Wei�t du, es mu� jetzt wieder an ein strammes Arbeiten gehen.“

Zu meiner Verwunderung machte der Verwalter gar keine Witze. Er schlug mir auf die Schulter, l�chelte fast mitleidig und sagte: „So, so. Ja, dann geh in Gottes Namen, Junge!“

Und als ich schon unter der T�r war, zog er mich noch einmal in die Stube zur�ck und sagte: „Du, h�r mal, du tust mir leid. Aber da� das mit dem M�del nichts werden w�rde, hab’ ich gleich gewu�t. Du hast da so je und je deine Weisheitsspr�che verzapft — halte dich jetzt dran und bleib im Sattel, wenn dir auch der Sch�del noch so brummt! Da� du ein wirklicher Mann wirst, das h�ngt gar nicht von deiner Weisheit ab; — ein Mann wird man nur durch Narben, und das tut vorher elend weh. Also komm dar�ber weg, gelt?“

Das war vor Mittag.

Den Nachmittag sa� ich im Moos am Abhang, steil �ber der Sattelbachschlucht, und schaute auf den Bach und die Werke und auch auf das Lampartsche Haus hinunter. Ich lie� mir Zeit, Abschied zu nehmen und zu tr�umen und nachzudenken, namentlich �ber das, was Becker mir gesagt hatte. Von meinem jungen Hochmut war nimmer viel �brig. Mit Schmerzen sah ich die Schlucht und die paar D�cher unten liegen, den Bach gl�nzen und die wei�e Fahrstra�e im leichten Winde st�uben; ich bedachte, da� ich nun wohl f�r eine lange Zeit nicht hierher zur�ckkommen w�rde, w�hrend hier Bach und M�hlwerke und Menschen ihren stetigen Lauf weitergingen. Vielleicht wird Helene einmal ihre Resignation und Schicksalsruhe wegwerfen und ihrem inneren Verlangen nach ein kr�ftiges Gl�ck oder Leid ergreifen und sich daran ers�ttigen? Vielleicht, wer wei�, wird auch mein eigner Weg noch einmal sich aus Schluchten und Talgewirre hervorwinden und in ein klares, weites Land der Ruhe f�hren? — Wer wei�?

Ich glaubte nicht daran. Mich hatte zum ersten Mal eine echte, ernste Leidenschaft in die �berm�chtigen Arme genommen, und ich wu�te keine Macht in mir stark und edel genug, sie zu besiegen.

Es kam mir der Gedanke, lieber abzureisen, ohne noch einmal mit Helene zu sprechen. Das war gewi� das beste. Ich nickte ihrem Haus und Garten zu, beschlo�, sie nicht mehr sehen zu wollen, und blieb Abschied nehmend bis gegen den Abend in der H�he liegen.

Tr�umerisch ging ich weg, waldabw�rts, oft in der Steile strauchelnd, und erwachte erst mit heftigem Erschrecken aus meiner Versunkenheit, als meine Schritte auf den Marmorsplittern des Hofes krachten und ich mich vor der T�r stehen fand, die ich nicht mehr hatte sehen und anr�hren wollen. Nun war es zu sp�t.

Ohne zu wissen, wie ich hereingekommen war, sa� ich dann innen in der D�mmerung am Tisch, und Helene sa� mir gegen�ber, mit dem R�cken gegen das Fenster, schwieg und sah in die Stube hinein. Es kam mir vor, ich sitze schon lange so da und habe schon stundenlang gehockt und geschwiegen. Und indem ich jetzt aufschrak, kam mir pl�tzlich zum Bewu�tsein, es sei das letzte Mal.

„Ja,“ sagte ich, „ich bin nun am Adieusagen. Meine Ferien sind aus.“

„Ach?“

Und wieder war alles still. Man h�rte die Arbeiter im Schuppen hantieren, auf der Stra�e fuhr ein Lastwagen langsam vorbei, und ich horchte ihm nach, bis er um die Biegung war und verklang. Ich h�tte gern dem Wagen noch lange, lange nachgelauscht. Nun ri� es mich vom Stuhl auf, ich wollte gehen.

Ich trat zum Fenster hin�ber. Auch sie stand auf und sah mich an. Ihr Blick war fest und ernst und wich mir eine ganze lange Weile nicht aus.

„Wissen Sie nimmer,“ sagte ich, „damals im Garten?“

„Ja, ich wei�.“

„Helene, damals meinte ich, Sie h�tten mich lieb. Und jetzt mu� ich gehen.“

Sie nahm meine ausgestreckte Hand und zog mich ans Fenster.

„Lassen Sie sich noch einmal ansehen,“ sagte sie und bog mit der linken Hand mein Gesicht in die H�he. Dann n�herte sie ihre Augen den meinen und sah mich seltsam fest und steinern an. Und da mir nun ihr Gesicht so nahe war, konnte ich nicht anders und legte meinen Mund auf ihren. Da schlo� sie die Augen und gab mir den Ku� zur�ck, und ich legte den Arm um sie, zog sie fest an mich und fragte leise: „Schatz, warum erst heut?“

„Nicht reden!“ sagte sie. „Geh jetzt fort und komm in einer Stunde wieder. Ich mu� dr�ben nach den Leuten sehen. Der Vater ist heut nicht da.“

Ich ging und schritt davon, talabw�rts durch unbekannte, merkw�rdige Gegenden, zwischen blendend lichten Wolkenbildern, h�rte nur wie im Traume zuweilen den Sattelbach rauschen und dachte an lauter ganz entfernte, wesenlose Dinge — an kleine drollige oder r�hrende Szenen aus meiner Kleinkinderzeit und dergleichen Geschichten, die aus den Wolken heraus mit halbem Umri� erstanden und, ehe ich sie ganz erkennen konnte, wieder untergingen. Ich sang auch im Gehen ein Lied vor mich hin, aber es war ein gew�hnlicher Gassenhauer. So irrte ich in fremden R�umen, bis eine seltsame, s��e W�rme mich wohlig durchdrang und die gro�e, kr�ftige Gestalt Helenes vor meinen Gedanken stand. Da kam ich zu mir, fand mich weit unten im Tal bei anbrechender D�mmerung, und eilte nun schnell und freudig zur�ck.

Sie wartete schon, lie� mich durch Haustor und Stubent�r ein, da setzten wir uns beide auf den Tischrand, hielten unsre H�nde ineinander und sprachen kein Wort. Es war lau und dunkel, ein Fenster stand offen, in dessen H�he �ber dem Bergwald ein schmaler Strich des blassen Himmels schimmerte, von spitzigen Tannenkronen schwarz durchschnitten. Wir spielten jedes mit des andern Fingern, und mich �berlief bei jedem leichten Druck ein Schauer von Gl�ck.

„Helene!“

„Ja?“

„O du! —“

Und unsre Finger tasteten aneinander, bis sie stille wurden und ruhig ineinander lagen. Ich schaute auf den bleichen Himmelsspalt, und nach einer Zeit, als ich mich umwandte, sah ich auch sie dorthin blicken und sah mitten im Dunkel ein schwaches Licht von dorther in ihren Augen und in zwei gro�en, unbeweglich an ihren Lidern h�ngenden Tr�nen widergl�nzen. Die k��te ich langsam hinweg und wunderte mich, wie k�hl und salzig sie schmeckten. Da zog sie mich an sich, k��te mich lang und m�chtig und stand auf.

„Es ist Zeit. Jetzt mu�t du gehen.“

Und als wir unter der T�r standen, k��te sie mich pl�tzlich noch einmal mit heftiger Leidenschaft, und dann zitterte sie so, da� es auch mich sch�ttelte, und sagte mit einer kaum mehr h�rbaren, erstickenden Stimme:

„Geh, geh! H�rst du, geh jetzt!“ Und als ich drau�en stand: „Adieu, du! Komm nimmer, komm nicht wieder! Adieu!“

Ehe ich etwas sagen konnte, hatte sie die T�r zugezogen. Mir war bang und unklar ums Herz, doch �berwog mein gro�es Gl�cksgef�hl, das mich auf dem Heimweg wie ein Fl�gelbrausen umgab. Ich ging mit schallenden Tritten, ohne es doch zu sp�ren, und daheim tat ich die Kleider ab und legte mich im Hemd ins Fenster.

So eine Nacht m�chte ich noch einmal haben. Der laue Wind tat mir wie eine Mutterhand, vor dem hochgelegenen Fensterchen fl�sterten und dunkelten die gro�en, runden Kastanienb�ume, ein leichter Felderduft wehte hin und wieder durch die Nacht, und in der Ferne flog das Wetterleuchten golden zitternd �ber den schweren Himmel. Ein leises fernes Donnern t�nte je und je her�ber, schwach und von fremdartigem Klang, als ob irgendwo weit weg die W�lder und Berge im Schlafe sich regten und schwere, m�de Traumworte lallten. Das alles sah und h�rte ich wie ein K�nig von meiner hohen Gl�cksburg herab, es geh�rte mir und war nur da, um meiner tiefen Lust ein sch�ner Rastort zu sein. Mein Wesen atmete in Wonne auf und verlor sich wie ein sch�ner Liebesvers hinstr�mend und doch unersch�pft in die Nachtweite �ber das schlafende Land, an die ferne leuchtenden Wolken streifend, von jedem aus der Schw�rze sich w�lbenden Baum und von jedem matten H�gelfirst wie von Liebesh�nden ber�hrt. Es ist nichts, um es mit Worten zu sagen, aber es lebt noch unverloren in mir weiter, und ich k�nnte, wenn es daf�r eine Sprache g�be, jede in die Dunkelheit verlaufende Bodenwelle, jedes Wipfelger�usch, die Adern der entfernten Blitze und den geheimen Rhythmus des Donners noch genau beschreiben.

Nein, ich kann es nicht beschreiben. Das Sch�nste und Innerlichste und K�stlichste kann man ja nicht sagen. Aber ich wollte, jene Nacht k�me mir noch einmal wieder, da ich bis ins innerste Herz hinein ein Seliger war.

Wenn ich vom Verwalter Becker nicht schon Abschied genommen h�tte, w�re ich gewi� am folgenden Morgen zu ihm gegangen. Statt dessen trieb ich mich im Dorf herum und schrieb dann einen langen Brief an Helene. Ich meldete mich auf den Abend an und machte ihr eine Menge Vorschl�ge, setzte ihr genau und ernsthaft meine Umst�nde und Aussichten auseinander und fragte, ob sie es f�r gut halte, da� ich gleich mit ihrem Vater rede, oder ob wir damit noch warten wollten, bis ich der in Aussicht stehenden Anstellung und damit der n�chsten Zukunft sicher w�re. Und abends ging ich zu ihr. Der Vater war wieder nicht da; es war seit einigen Tagen einer seiner Lieferanten in der Gegend, der ihn in Anspruch nahm.

Ich k��te meinen sch�nen Schatz, zog ihn in die Stube und fragte nach meinem Brief. Ja, sie hatte ihn erhalten. Und was sie denn dar�ber denke? Sie schwieg und sah mich flehentlich an, und da ich in sie drang, legte sie mir die Hand auf den Mund, k��te mich auf die Stirn und st�hnte leise, aber so jammervoll, da� ich mir nicht zu helfen wu�te. Auf all mein z�rtliches Fragen sch�ttelte sie nur den Kopf, l�chelte dann aus ihrem Schmerz heraus merkw�rdig weich und fein, schlang den Arm um mich und sa� wieder mit mir, ganz wie gestern, schweigend und hingegeben. Sie lehnte sich fest an mich, legte den Kopf an meine Brust, und ich k��te sie langsam, ohne etwas denken zu k�nnen, auf Haar und Stirn und Wange und Nacken, bis mir schwindelte. Ich sprang auf.

„Also soll ich morgen mit deinem Vater reden oder nicht?“

„Nein,“ sagte sie, „bitte, nicht.“

„Warum denn? Hast du Angst?“

Sie sch�ttelte den Kopf.

„Also warum denn?“

„La� nur, la�! Rede nicht davon. Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit.“

Da sa�en wir und hielten uns still umfangen, und w�hrend sie sich an mich schmiegte und bei jeder Liebkosung den Atem anhielt und schauerte, ging ihre Bedr�cktheit und Schwermut auf mich �ber. Ich wollte mich wehren und redete ihr zu, an mich und an unser Gl�ck zu glauben.

„Ja, ja,“ nickte sie, „nicht davon reden! Wir sind ja jetzt gl�cklich.“

Darauf k��te sie mich mehrmals mit stummer Kraft und Glut und hing dann erschlaffend und m�de in meinem Arm. Und als ich gehen mu�te, und als sie mir in der T�r mit der Hand �bers Haar strich, sagte sie mit halber Stimme: „Adieu Schatz. Komm morgen nicht! Komm gar nicht wieder, bitte! Du siehst doch, da� es mich ungl�cklich macht.“

Mit einem qu�lenden Zwiespalt im Herzen ging ich heim und vergr�belte die halbe Nacht. Warum wollte sie nicht glauben und gl�cklich sein? Ich mu�te an das denken, was sie mir schon vor einigen Wochen einmal gesagt hatte: „Wir Frauen sind nicht so frei wie ihr; man mu� tragen lernen, was �ber einen verh�ngt ist.“ Was war denn �ber sie verh�ngt?

Das mu�te ich jedenfalls wissen, und darum schickte ich ihr am Vormittag einen Zettel und wartete abends, als das Werk stillstand und die Arbeiter alle gegangen waren, hinter dem Schuppen bei den Marmorbl�cken. Sie kam sp�t und z�gernd her�ber.

„Warum bist du gekommen? La� es jetzt genug sein. Der Vater ist drinnen.“

„Nein,“ sagte ich, „du mu�t mir jetzt sagen, was du noch auf dem Herzen hast, alles und alles, ich gehe nicht eher weg.“

Helene sah mich ruhig an und war so bla� wie die Steinplatten, vor denen sie stand.

„Qu�l mich nicht,“ fl�sterte sie m�hsam. „Ich kann dir nichts sagen, ich will nicht. Ich kann dir nur sagen — reise ab, heut oder morgen, und vergi� das, was jetzt ist. Ich kann nicht dir geh�ren.“

Sie schien trotz der lauen Juliabendluft zu frieren, so zitterte sie. Schwerlich habe ich je eine �hnliche Qual empfunden, wie in diesen Augenblicken. Aber so konnte ich nicht gehen.

„Sag mir jetzt alles,“ wiederholte ich, „ich mu� es wissen.“

Sie sah mich an, da� mir alles weh tat. Aber ich konnte nicht anders.

„Rede,“ sagte ich fast rauh, „sonst geh’ ich jetzt im Augenblick zu deinem Vater hin�ber.“

Sie richtete sich unwillig auf und war in ihrer Bl�sse bei dem D�mmerlicht von einer traurigen und gro�artigen Sch�nheit. Sie sprach ohne Leidenschaft, aber lauter als vorher.

„Also. Ich bin nicht frei, und du kannst mich nicht haben. Es ist schon ein andrer da. Ist das genug?“

„Nein,“ sagte ich, „das ist nicht genug. Hast du denn den andern lieb? Lieber als mich?“

„O du!“ rief sie heftig. „Nein, nein, ich hab’ ihn ja nicht lieb. Aber ich bin ihm versprochen, und daran ist nichts zu �ndern.“

„Warum nicht? Wenn du ihn nicht magst!“

„Damals wu�te ich ja noch nichts von dir. Er gefiel mir; lieb hatte ich ihn nicht, aber es war ein rechter Mann, und ich kannte keinen andern. Da hab’ ich ‚ja‘ gesagt, und jetzt ist es so und mu� so bleiben.“

„Es mu� nicht, Helene. So etwas kann man doch zur�cknehmen.“

„Ja, schon. Aber es ist nicht um jenen, es ist um den Vater. Dem darf ich nicht untreu werden.“

„Aber ich will mit ihm reden —“

„O du Kindskopf! Verstehst du denn gar nichts —?“

Ich sah sie an. Sie lachte fast.

„Verkauft bin ich, von meinem Vater und mit meinem Willen verkauft, f�r Geld. Im Winter ist Hochzeit.“

Sie wendete sich ab, ging ein paar Schritte weit und kehrte wieder um. Und sagte: „Schatz, sei tapfer! Du darfst nicht mehr kommen, du darfst nicht —“

„Und blo� ums Geld?“ mu�te ich fragen.

Sie zuckte die Achseln.

„Was liegt daran? Mein Vater kann nimmer zur�ck, er ist so fest angebunden wie ich. Du kennst ihn nicht! Wenn ich ihn im Stich lasse, gibt es ein Ungl�ck. Also sei brav, sei gescheit, du Kind!“

Und dann brach sie pl�tzlich aus: „Versteh doch, du, und bring mich nicht um! — Jetzt kann ich noch, wie ich will. Aber wenn du mich noch einmal anr�hrst — ich halte das nimmer aus . . . Ich kann dir keinen Ku� mehr geben, sonst gehen wir alle verloren.“

Einen Augenblick war alles stille, so stille, da� man im Haus dr�ben den Vater auf und ab gehen h�rte.

„Ich kann heute nichts entscheiden,“ war meine Antwort. „Willst du mir nicht noch sagen — wer es ist?“

„Der andre? Nein, es ist besser, du wei�t es nicht. O, komm jetzt nicht wieder — mir zulieb!“

Sie ging ins Haus, und ich sah ihr nach. Ich wollte fortgehen, verga� es aber und setzte mich auf die k�hlen wei�en Steine, h�rte dem Wasser zu und f�hlte nichts als ein Gleiten, Gleiten und Hinwegstr�men ohne Ende. Es war, als liefe mein Leben und Helenens Leben und viele ungez�hlte Schicksale an mir vorbei dahin, schluchtabw�rts ins Dunkle, gleichg�ltig und wortlos wie Wasser. Wie Wasser . . .

Sp�t und todm�de kam ich nach Haus, schlief und stand am Morgen wieder auf, beschlo�, den Koffer zu packen, verga� es wieder und schlenderte nach dem Fr�hst�ck in den Wald. Es wurde kein Gedanke in mir fertig, sie stiegen nur wie Blasen aus einem stillen Wasser in mir auf und plagten und waren nichts mehr, sobald sie sichtbar geworden waren.

‚Also jetzt ist alles aus,‘ dachte ich hier und da, aber es war kein Bild, keine Vorstellung dabei; es war nur ein Wort, ich konnte dazu aufatmen und mit dem Kopf nicken, war aber so klug wie vorher.

Erst im w�hrenden Nachmittag wachte die Liebe und das Elend in mir auf und drohte mich zu �berw�ltigen. Auch dieser Zustand war kein Boden f�r gute und klare Gedanken, und statt mich zu zwingen und eine besonnene Stunde abzuwarten, lie� ich mich fortrei�en und legte mich in der N�he des Marmorwerks auf die Lauer, bis ich den Herrn Lampart das Haus verlassen und talaufw�rts auf der Landstra�e gegen das Dorf hin verschwinden sah.

Da ging ich hin�ber.

Als ich eintrat, schrie Helene auf und sah mich tief verwundet an.

„Warum?“ st�hnte sie. „Warum noch einmal?“

Ich war ratlos und besch�mt und bin mir nie so j�mmerlich vorgekommen wie da. Die T�r hatte ich noch in der Hand, aber es lie� mich nicht fort, so ging ich langsam zu ihr hin, die mich mit angstvollen, leidenden Blicken ansah.

„Verzeih, Helene,“ sagte ich nun.

Sie nickte viele Mal, blickte zu Boden und wieder auf, wiederholte immer: „Warum? O du! O du!“ In Gesicht und Geb�rden schien sie �lter und reifer und m�chtiger geworden zu sein, ich erschien mir daneben fast wie ein Knabe.

„Nun, also?“ fragte sie schlie�lich und versuchte zu l�cheln.

„Sag mir noch etwas,“ bat ich beklommen, „damit ich gehen kann.“

Ihr Gesicht zuckte, ich glaubte, sie w�rde jetzt in Tr�nen ausbrechen. Aber da l�chelte sie unversehens, ich kann nicht sagen wie weich und aus Qualen heraus, und richtete sich auf und sagte ganz fl�sternd: „Komm doch, warum stehst du so steif da!“ Und ich tat einen Schritt und nahm sie in die Arme. Wir hielten uns mit allen Kr�ften umklammert, und w�hrend bei mir die Lust sich immer mehr mit Bangigkeit und Schrecken und verhaltenem Schluchzen mischte, wurde sie zusehends heiter, streichelte mich wie ein Kind, nannte mich mit phantastischen Kosenamen, bi� mich in die Hand und war erfinderisch in kleinen Liebestorheiten. In mir k�mpfte ein tiefes Angstgef�hl gegen die treibende Leidenschaft, ich fand keine Worte und hielt Helene an mich gezogen, w�hrend sie mich mutwillig und schlie�lich lachend liebkoste und neckte.

„Sei doch ein bi�chen froh, du Eiszapfen!“ rief sie mir zu und zog mich am Schnurrbart.

Und ich fragte �ngstlich: „Ja, glaubst du jetzt, da� es doch noch gut wird? Wenn du doch nicht mir geh�ren kannst —“

Sie fa�te meinen Kopf mit ihren beiden H�nden, sah mir ganz nah ins Gesicht und sagte: „Ja, nun wird alles gut.“

„Dann darf ich hierbleiben, und morgen wiederkommen und mit deinem Vater sprechen?“

„Ja, dummer Bub, das darfst du alles. Du darfst sogar im Gehrock kommen, wenn du einen hast. Morgen ist so wie so Sonntag.“

„Jawohl, ich hab’ einen,“ lachte ich und war auf einmal so kindisch froh, da� ich sie mitri� und ein paar Mal mit ihr durch das Zimmer walzte. Dann strandeten wir an der Tischecke, ich hob sie auf meinen Scho�, sie legte die Stirn an meine Wange, und ich spielte mit ihrem dunkeln, dicken Haar, bis sie aufsprang und zur�cktrat und ihr Haar wieder aufsteckte, mir mit dem Finger drohte und rief: „Jeden Augenblick kann der Vater kommen. Sind wir Kindsk�pfe!“

Ich bekam noch einen Ku�, und noch einen, und aus dem Strau� vom Fenstersims eine Resede an den Hut. Es ging gegen den Abend, und da es Samstag war, fand ich im Adler allerlei Gesellschaft, trank einen Schoppen, schob eine Partie Kegel mit und ging dann zeitig heim. Dort holte ich den Gehrock aus dem Schrank, h�ngte ihn �ber die Stuhllehne und betrachtete ihn mit Wohlgefallen. Er war so gut wie neu, seinerzeit zum Examen gekauft und seither fast nie getragen. Das schwarze, gl�nzende Tuch erweckte lauter feierliche und w�rdevolle Gedanken in mir. Statt ins Bett zu gehen, setzte ich mich hin und �berlegte, was ich morgen Helenens Vater zu sagen h�tte. Genau und deutlich stellte ich mir vor, wie ich vor ihn treten w�rde, bescheiden und doch mit W�rde, malte mir seine Einw�nde, meine Erwiderungen, ja auch seine und meine Gedanken und Geb�rden aus. Ich sprach sogar laut, wie ein sich �bender Prediger, und machte die n�tigen Gesten dazu, und noch als ich schon im Bette lag und nahe am Einschlafen war, deklamierte ich einzelne S�tze aus der mutma�lichen Unterredung von morgen her.

‚Gewi�, Herr Lampart, ich verstehe das vollkommen. Allein ich darf vielleicht darauf hinweisen —‘

Am Ende wurde es mir selber l�cherlich.

Dann war es Sonntagmorgen. Ich blieb, um nochmals in Ruhe nachzudenken, im Bett liegen, bis die Kirchenglocken l�uteten. W�hrend der Kirchzeit zog ich mein Staatskleid an, mindestens so umst�ndlich und peinlich wie damals vor dem Examen, rasierte mich aufs feinste, trank meine Morgenmilch und hatte immerhin ein wenig, das hei�t ganz erheblich Herzklopfen. Unruhig wartete ich, bis der Gottesdienst aus war, und schritt, als kaum das Ausl�uten vert�nt hatte, langsam und ernsthaft und die staubigen Wegstellen vermeidend, durch den schon hei�en, dunstigen Vormittag die Stra�e zum Sattelbach und talabw�rts meinem Ziel entgegen. Trotz meiner Behutsamkeit geriet ich in dem Gehrock und hohen Kragen in ein leises Schwitzen.

Als ich die Marmors�ge erreichte, standen im Weg und auf dem Hofe zu meinem Erstaunen und Unbehagen einige Leute aus dem Dorf herum, auf irgend etwas wartend und in kleinen Gruppen leise redend, wie etwa bei einer Gant.

Doch mochte ich niemand fragen, was das bedeute, und ging an den Leuten vorbei zur Haust�r, verwundert und beklommen wie in einem �ngstlich sonderbaren Traume. Eintretend stie� ich in dem Flur auf den Verwalter Becker, den ich kurz und verlegen gr��te. Es war mir peinlich, ihn da zu treffen, da er doch glauben mu�te, ich sei l�ngst abgereist. Doch schien er daran nimmer zu denken. Er sah angestrengt und m�de aus, auch bla�.

„So, kommst du auch?“ sagte er nickend und mit ziemlich bissiger Stimme. „Ich f�rchte, Teuerster, du bist heute hier entbehrlich.“

„Herr Lampart ist doch da?“ fragte ich dagegen.

„Jawohl, wo soll er sonst sein?“

„Und das Fr�ulein?“

Er deutete auf die Stubent�r.

„Da drinnen?“

Becker nickte, und ich wollte eben anklopfen, als die T�r aufging und ein Mann herauskam. Dabei sah ich, da� mehrere Besucher in dem Zimmer herumstanden und da� die M�bel teilweise umgestellt waren.

Jetzt wurde ich stutzig.

„Becker, du, was ist hier geschehen? Was wollen die Leute? Und du, warum bist du hier?“

Der Verwalter drehte sich um und sah mich sonderbar an.

„Wei�t du’s denn nicht?“ fragte er mit ver�nderter Stimme.

„Was denn? Nein.“

Er stellte sich vor mich hin und sah mir ins Gesicht.

„Dann geh nur wieder heim, Junge,“ sagte er leise und fast weich und legte mir die Hand auf den Arm. Mir stieg im Hals ein W�rgen auf, eine namenlose Angst flog mir durch alle Glieder.

Und Becker sah mich noch einmal so merkw�rdig pr�fend an. Dann fragte er leise: „Hast du gestern mit dem M�dchen gesprochen?“ Und als ich rot wurde, hustete er gewaltsam, es klang aber wie ein St�hnen.

„Was ist mit Helene? Wo ist sie?“ schrie ich angstvoll heraus. „Etwas Schlimmes?“

Becker nickte, ging auf und ab und schien mich vergessen zu haben. Ich lehnte am Pfosten des Treppengel�nders und f�hlte mich von fremden, blutlosen Gestalten beengend und h�hnisch umflattert. Nun ging Becker wieder an mir vorbei, sagte: „Komm!“ und stieg die Treppe hinauf, bis wo sie eine Biegung machte. Dort setzte er sich auf eine Stufe, und ich setzte mich neben ihn, meinen sch�nen Gehrock r�cksichtslos zerknitternd. Einen Augenblick war es totenstill durchs ganze Haus, dann fing Becker zu sprechen an.

„Nimm dein Herz in die Hand und bei� auf die Z�hne, Kleiner. Also die Helene Lampart ist tot, und zwar haben wir sie heut morgen vor der unteren Stellfalle aus dem Bach gezogen. — Sei still, sag nichts! Und nicht umfallen! Du bist nicht der einzige, dem das kein Spa� ist. Probier’s jetzt und dr�ck’ die M�nnlichkeit durch. Jetzt liegt sie in der Stube dort und sieht wieder sch�n genug aus, aber wie wir sie herausgeholt haben — das war b�s, du, das war b�s . . .“

Er hielt inne und sch�ttelte den Kopf.

„Sei still! Nichts sagen! Sp�ter ist zum Reden Zeit genug. Es geht mich n�her an als dich. — Oder nein, lassen wir’s; ich sag’ dir das alles dann morgen.“

„Nein,“ bat ich, „Becker, sag mir’s! Ich mu� alles wissen.“

„Nun ja. Kommentar und so weiter steht dir sp�ter jederzeit zu Diensten. Ich kann jetzt nur sagen, es war gut mit dir gemeint, da� ich dich all die Zeit hier ins Haus laufen lie�. Man wei� ja nie vorher. — Also, ich bin mit der Helene verlobt gewesen. Noch nicht �ffentlich, aber —“

Im Augenblick meinte ich, ich m�sse aufstehen und dem Verwalter mit aller Kraft ins Gesicht hauen. Er schien es zu merken.

„Nicht so!“ sagte er ruhig und sah mich an. „Wie gesagt, zu Erkl�rungen ist ein andermal Zeit.“

Wir sa�en schweigend. Wie eine Gespensterjagd flog die ganze Geschichte zwischen Helene und Becker und mir an mir vorbei, so klar wie schnell. Warum hatte ich das nicht fr�her erfahren, warum nicht selber gemerkt? Wieviel M�glichkeiten h�tte es da noch gegeben! Nur ein Wort, nur eine Ahnung, und ich w�re still meiner Wege gegangen, und sie l�ge jetzt nicht dort drinnen.

Mein Zorn war schon erstickt. Ich f�hlte wohl, da� Becker die Wahrheit ahnen mu�te, und ich begriff, welche Last nun auf ihm lag, da er in seiner Sicherheit mich hatte spielen lassen und nun den gr��eren Teil der Schuld auf seiner Seele hatte. Jetzt mu�te ich noch eine Frage tun.

„Du, Becker — hast du sie lieb gehabt? Ernstlich lieb gehabt?“

Er wollte etwas sagen, aber die Stimme brach ihm ab. Er nickte nur, zweimal, dreimal. Und als ich ihn nicken sah, und als ich sah, wie diesem z�hen und harten Menschen die Stimme versagte, und wie auf seinem herben, �bern�chtigen Gesicht die Muskeln so deutlich redend zuckten, da fiel mich das ganze Weh erst an, und ich senkte den Kopf und schluchzte ohne Halt.

Nach einer guten Weile, da ich durch die versiegenden Tr�nen aufschaute, stand jener vor mir und hielt mir die Hand hingestreckt. Ich nahm sie an und dr�ckte sie, er stieg langsam vor mir her die steile Treppe hinunter und �ffnete leise die T�r des Wohnzimmers, in dem Helene lag und das ich mit tiefem Grauen an jenem Morgen zum letzten Mal betrat.

Heumond

Das Landhaus Erlenhof lag nicht weit vom Wald und Gebirge in der hohen Ebene.

Vor dem Hause war ein gro�er Kiesplatz, in den die Landstra�e m�ndete. Hier konnten die Wagen vorfahren, wenn Besuch kam. Sonst lag der viereckige Platz immer leer und still und schien dadurch noch gr��er als er war, namentlich bei gutem Sommerwetter, wenn das blendende Sonnenlicht und die hei�e Zitterluft ihn so anf�llte, da� man nicht daran denken mochte ihn zu �berschreiten.

Der Kiesplatz und die Stra�e trennten das Haus vom Garten. ‚Garten‘ sagte man wenigstens, aber es war vielmehr ein m��ig gro�er Park, nicht sehr breit aber tief, mit sch�nen stattlichen Ulmen, Ahornen und Platanen, gewundenen Spazierwegen, einem jungen Tannendickicht und vielen Ruheb�nken. Dazwischen lagen sonnige, lichte Rasenst�cke, einige leer und einige mit Blumenrondels oder Zierstr�uchern geschm�ckt, und in dieser heiteren, warmen Rasenfreiheit standen allein und auffallend zwei gro�e einzelne B�ume.

Der eine war eine Trauerweide. Um ihren Stamm lief eine schmale Lattenbank und ringsum hingen die langen, seidig zarten, m�den Zweige so tief und dicht herab, da� es innen ein Zelt oder Tempel war, wo trotz des ewigen Schattens und D�mmerlichtes eine stete, matte W�rme br�tete.

Der andere Baum, von der Weide durch eine niedrig umz�unte Wiese getrennt, war eine m�chtige Blutbuche. Sie sah von weitem dunkelbraun und fast schwarz aus. Wenn man jedoch n�her kam oder sich unter sie stellte und emporschaute, brannten alle Bl�tter der �u�eren Zweige, vom Sonnenlichte durchdrungen, in einem warmen, leisen Purpurfeuer, das mit verhaltener und feierlich ged�mpfter Glut wie in einem Kirchenfenster leuchtete. Die alte Blutbuche war die ber�hmteste und merkw�rdigste Sch�nheit des gro�en Gartens und man konnte sie von �berall her sehen. Sie stand allein und dunkel mitten in dem hellen Graslande, und sie war hoch genug, da� man, wo man auch vom Park aus nach ihr blickte, ihre runde, feste, ruhig und sch�n gew�lbte Krone mitten im blauen Luftraum stehen sah, und je heller und blendender die Bl�ue war, desto schw�rzer und feierlicher ruhte der Baumwipfel in ihr. Er konnte je nach der Witterung und Tageszeit sehr verschieden aussehen. Oft sah man ihm an, da� er wu�te, wie sch�n er sei und da� er nicht ohne Grund allein und stolz weit von den anderen B�umen stehe. Er br�stete sich und blickte k�hl �ber alles hinweg in den Himmel. Oft auch sah er aber aus, als wisse er wohl, da� er der einzige seiner Art im Garten sei und keine Br�der habe. Dann schaute er zu den �brigen, entfernten B�umen hin�ber, suchte und hatte Sehnsucht. Morgens war er am sch�nsten, und auch abends bis die Sonne rot wurde, aber dann war er pl�tzlich gleichsam erloschen und es schien an seinem Orte eine Stunde fr�her Nacht zu werden als sonst �berall. Das eigent�mlichste und d�sterste Aussehen hatte er jedoch an Regentagen. W�hrend die anderen B�ume atmeten und sich reckten und freudig mit hellerem Gr�n erprangten, stand er wie tot in seiner Einsamkeit, vom Wipfel bis zum Boden schwarz anzusehen. Ohne da� er zitterte, konnte man doch sehen, da� er fror und da� er mit Unbehagen und Scham so allein und preisgegeben stand.

Auch unter den gesellig in sch�nen Gruppen beieinander stehenden Parkb�umen gab es einige besonders herrliche. Den gr��ten, die alte Ulme, sah man schon eine Stunde weit von allen Stra�en aus wie einen dunklen und schweren Turm aufragen. Es gab sogar ein Habichtnest auf ihr. Dann folgten im Rang und Alter die Platanen, von denen eine ganze Allee da war. Von ihren graugr�nen, tigerartig gefleckten St�mmen bekam der ganze Weg, auch wenn er voll Schatten war, etwas Helles und Spielendes, weil die lichten Rindeflecken an stehengebliebenen Sonnenschein erinnerten. Doch waren die vielen Ahorne und die paar gro�en, k�hlen Waldbuchen nicht weniger sch�n. Und auf allen nisteten Singv�gel jeder Art.

Fr�her war der regelm��ig angelegte Lustpark ein strenges Kunstwerk gewesen. Als dann aber l�ngere Zeiten kamen, in welchen den Menschen ihr m�hseliges Warten und Pflegen und Beschneiden verleidet war und niemand mehr nach den mit M�he hergepflanzten Anlagen fragte, waren die B�ume auf sich selber angewiesen. Sie hatten Freundschaft untereinander geschlossen, sie hatten ihre kunstm��ige, isolierte Rolle vergessen, sie hatten sich in der Not ihrer alten Waldheimat erinnert, sich aneinander gelehnt, mit den Armen umschlungen und gest�tzt. Sie hatten die schnurgeraden Wege mit dickem Laub verborgen und mit ausgreifenden Wurzeln an sich gezogen und in n�hrenden Waldboden verwandelt, ihre Wipfel ineinander verschr�nkt und festgewachsen, und sie sahen in ihrem Schutze ein eifrig aufstrebendes junges Baumvolk aufwachsen, das mit glatteren St�mmen und lichteren Laubfarben die Leere f�llte, den brachen Boden eroberte und durch Schatten und Bl�tterfall die Erde schwarz, weich und fett machte, so da� nun auch die Moose und Gr�ser und kleinen Gestr�uche ein leichtes Fortkommen hatten.

Als nun sp�ter von neuem Menschen herkamen und den einstigen Garten zu Rast und Lustbarkeit gebrauchen wollten, war er ein kleiner Wald geworden. Man mu�te sich bescheiden. Zwar wurde der alte Weg zwischen den zwei Platanenreihen wiederhergestellt, sonst aber begn�gte man sich damit, schmale und gewundene Fu�wege durch das Dickicht zu ziehen, die heidigen Lichtungen mit Rasen zu bes�en und an guten Pl�tzen gr�ne Sitzb�nke aufzustellen. Die B�ume konnten damit zufrieden sein und noch mehr die Singv�gel, welchen nun eine gute Pflege ward. Man versuchte sogar Nachtigallen einzugew�hnen, aber sie konnten sich nicht halten. Und die Leute, deren Gro�v�ter die Platanen nach der Schnur gepflanzt und beschnitten und nach Gutd�nken gestellt und geformt hatten, kamen nun mit ihren Kindern zu ihnen zu Gast und waren froh, da� in der langen Verwahrlosung aus den Alleen ein Wald geworden war, in welchem Sonne und Winde ruhen und V�gel singen und Menschen ihren Gedanken, Tr�umen und Gel�sten nachh�ngen konnten.

Paul Abderegg lag im Halbschatten zwischen Geh�lz und Wiese und hatte ein wei� und rot gebundenes Buch in der Hand. Bald las er darin, bald sah er �bers Gras hinweg den flatternden Bl�ulingen nach. Er stand eben da, wo Frithjof �ber Meer f�hrt, Frithjof der Liebende, der Tempelr�uber, der von der Heimat Verbannte. Groll und Reue in der Brust segelt er �ber die ungastliche See, am Steuer stehend; Sturm und Gewoge bedr�ngen das schnelle Drachenschiff und bitteres Heimweh bezwingt den starken Steuermann.

�ber der Wiese br�tete die W�rme, hoch und gellend sangen die Grillen und im Innern des W�ldchens sangen tiefer und s��er die V�gel. Es war herrlich, in dieser einsamen Wirrnis von D�ften und T�nen und Sonnenlichtern hingestreckt in den hei�en Himmel zu blinzeln, oder r�ckw�rts in die dunkeln B�ume hinein zu lauschen, oder mit geschlossenen Augen sich auszurecken und das tiefe, warme Wohlsein durch alle Glieder zu sp�ren. Aber Frithjof fuhr �ber Meer, und morgen kam Besuch, und wenn er nicht heute noch das Buch zu Ende las, war es vielleicht wieder nichts damit, wie im vorigen Herbst. Da war er auch hier gelegen und hatte die Frithjofsage angefangen, und es war auch Besuch gekommen und mit dem Lesen hatte es ein Ende gehabt. Das Buch war dageblieben, er aber ging in der Stadt in seine Schule und dachte zwischen Homer und Tacitus best�ndig an das angefangene Buch und was im Tempel geschehen w�rde, mit dem Ring und der Bilds�ule.

Er las mit neuem Eifer, halblaut, und �ber ihm lief ein schwacher Wind durch die Ulmenkronen, sang das Gev�gel und flogen die glei�enden Falter, M�cken und Bienen. Und als er zuklappte und in die H�he sprang, hatte er das Buch zu Ende gelesen, und die Wiese war voll Schatten und am hellroten Himmel erlosch der Abend. Eine m�de Biene setzte sich auf seinen �rmel und lie� sich tragen. Die Grillen sangen noch immer. Paul ging schnell davon, durchs Geb�sch und den Platanenweg und dann �ber die Stra�e und den stillen Vorplatz ins Haus. Er war sch�n anzusehen, in der schlanken Kraft seiner sechzehn Jahre, und den Kopf hatte er mit stillen Augen gesenkt, noch von den Schicksalen des nordischen Helden erf�llt und zum Nachdenken gen�tigt.

Die Sommerstube, wo man die Mahlzeiten hielt, lag zu hinterst im Hause. Sie war eigentlich eine Halle, vom Garten nur durch eine Glaswand getrennt, und sprang ger�umig als ein kleiner Fl�gel aus dem Hause vor. Hier war nun der eigentliche Garten, der von alters her „am See“ genannt wurde, wenngleich statt eines Sees nur ein kleiner, l�nglicher Teich zwischen den Beeten, Spalierw�nden, Rabatten, Wegen und Obstpflanzungen lag. Die aus der Halle ins Freie f�hrende Treppe war von Oleandern und Palmen eingefa�t, im �brigen sah es „am See“ nicht herrschaftlich, sondern behaglich l�ndlich aus.

„Also morgen kommen die Leutchen,“ sagte der Vater. „Du freust dich hoffentlich, Paul?“

„Ja, schon.“

„Aber nicht von Herzen? Ja, mein Junge, da ist nichts zu machen. F�r uns paar Leute ist ja Haus und Garten viel zu gro�, und f�r niemand soll doch die ganze Herrlichkeit nicht da sein! Ein Landhaus und ein Park sind dazu da, da� fr�hliche Menschen drin herumlaufen und je mehr desto besser. �brigens kommst du mit solenner Versp�tung. Suppe ist nimmer da.“

Dann wandte er sich an den Hauslehrer.

„Verehrtester, man sieht Sie ja gar nie im Garten. Ich hatte immer gedacht, Sie schw�rmen f�rs Landleben.“

Herr Homburger runzelte die Stirn.

„Sie haben vielleicht recht. Aber ich m�chte die Ferienzeit doch m�glichst zu meinen Privatstudien verwenden.“

„Alle Hochachtung, Herr Homburger! Wenn einmal Ihr Ruhm die Welt erf�llt, lasse ich eine Tafel unter Ihrem Fenster anbringen. Ich hoffe bestimmt es noch zu erleben.“

Der Hauslehrer verzog das Gesicht. Er war sehr nerv�s.

„Sie �bersch�tzen meinen Ehrgeiz,“ sagte er frostig. „Es ist mir durchaus einerlei, ob mein Name einmal bekannt wird oder nicht. Was die Tafel betrifft —“

„O, seien Sie unbesorgt, lieber Herr! Aber Sie sind entschieden zu bescheiden. Paul, nimm dir ein Muster!“

Der Tante schien es nun an der Zeit, den Kandidaten zu erretten. Sie kannte diese Art von h�flichen Dialogen, die dem Hausherrn so viel Vergn�gen machten, und sie f�rchtete sie. Indem sie Wein anbot, lenkte sie das Gespr�ch in andere Gleise und hielt es darin fest.

Es war haupts�chlich von den erwarteten G�sten die Rede. Paul h�rte kaum darauf. Er a� nach Kr�ften und besann sich nebenher wieder einmal dar�ber, wie es k�me, da� der junge Hauslehrer neben dem fast grauhaarigen Vater immer aussah, als sei er der �ltere.

Vor den Fenstern und Glast�ren begann Garten, Baumland, Teich und Himmel sich zu verwandeln, vom ersten Schauer der heraufkommenden Nacht ber�hrt. Die Geb�sche wurden schwarz und rannen in dunkle Wogen zusammen, und die B�ume, deren Wipfel die ferne H�gellinie �berschnitten, reckten sich mit ungeahnten, bei Tage nie gesehenen Formen dunkel und mit einer stummen Leidenschaft und Gro�artigkeit in den lichteren Himmel. Die vielf�ltige fruchtbare Landschaft verlor ihr friedlich buntes zerstreutes Wesen mehr und mehr und r�ckte in gro�en, fest geschlossenen Massen zusammen. Die entfernten Berge sprangen k�hner und entschlossener empor, die Ebene lag schw�rzlich hingebreitet und lie� nur noch die st�rkeren Schwellungen des Bodens durchf�hlen. Vor den Fenstern k�mpfte das noch vorhandene Tageslicht m�de mit dem herabfallenden Lampenschimmer.

Paul stand in dem offenen T�rfl�gel und schaute zu, ohne viel Aufmerksamkeit und ohne viel dabei zu denken. Er dachte wohl, aber nicht an das was er sah. Er sah es Nacht werden. Aber er konnte nicht f�hlen, wie sch�n es war. Er war zu jung und lebendig, um so etwas hinzunehmen und zu betrachten und sein Gen�ge daran zu finden. Woran er dachte, das war eine Nacht am nordischen Meer. Am Strande zwischen schwarzen B�umen w�lzt der d�ster lodernde Tempelbrand Glut und Rauch gen Himmel, an den Felsen bricht sich die See und spiegelt wilde rote Lichter, im Dunkel enteilt mit vollen Segeln ein Wikingerschiff.

„Nun Junge,“ rief der Vater, „was hast du denn heut wieder f�r einen Schm�ker drau�en gehabt?“

„O, den Frithjof!“

„So so, lesen das die jungen Leute noch immer? Herr Homburger, wie denken Sie dar�ber? Was h�lt man heutzutage von diesem alten Schweden? Gilt er noch?“

„Sie meinen Esajas Tegner?“

„Ja, richtig, Esajas. Nun?“

„Ist tot, Herr Abderegg, vollkommen tot.“

„Das glaub’ ich gerne! Gelebt hat der Mann schon zu meinen Zeiten nimmer, ich meine damals, als ich ihn las. Ich wollte fragen, ob er noch Mode ist.“

„Ich bedaure, �ber Mode und Moden bin ich nicht unterrichtet. Was die wissenschaftlich-�sthetische Wertung betrifft —“

„Nun ja, das meinte ich. Also die Wissenschaft — —?“

„Die Literaturgeschichte verzeichnet jenen Tegner lediglich noch als Namen. Er war, wie Sie sehr richtig sagten, eine Mode. Damit ist ja alles gesagt. Das Echte, Gute ist nie Mode gewesen, aber es lebt. Und Tegner ist, wie ich sagte, tot. Er existiert f�r uns nicht mehr. Er scheint uns unecht, geschraubt, s��lich . . . .“

Paul wandte sich heftig um.

„Das kann doch nicht sein, Herr Homburger!“

„Darf ich fragen, warum nicht?“

„Weil es sch�n ist! Ja, es ist einfach sch�n.“

„So? Das ist aber doch kein Grund, sich so aufzuregen.“

„Aber Sie sagen, es sei s��lich und habe keinen Wert. Und es ist doch wirklich sch�n.“

„Meinen Sie? Ja, wenn Sie so felsenfest wissen, was sch�n ist, sollte man Ihnen einen Lehrstuhl einr�umen. Aber wie Sie sehen, Paul — diesmal stimmt Ihr Urteil nicht mit der �sthetik. Sehen Sie, es ist gerade umgekehrt wie mit Thucydides. Den findet die Wissenschaft sch�n, und Sie finden ihn schrecklich. Und den Frithjof —“

„Ach, das hat doch mit der Wissenschaft nichts zu tun.“

„Es gibt nichts, schlechterdings nichts in der Welt, womit die Wissenschaft nicht zu tun h�tte. — Aber, Herr Abderegg, Sie erlauben wohl, da� ich mich empfehle.“

„Schon?“

„Ich sollte noch etwas schreiben.“

„Schade, wir w�ren gerade so nett ins Plaudern gekommen. Aber �ber alles die Freiheit! Also gute Nacht!“

Herr Homburger verlie� das Zimmer h�flich und steif und verlor sich ger�uschlos im Korridor.

„Also die alten Abenteuer haben dir gefallen, Paul?“ lachte der Hausherr. „Dann la� sie dir von keiner Wissenschaft verhunzen, sonst geschieht’s dir recht. Du wirst doch nicht verstimmt sein?“

„Ach, es ist nichts. Aber wei�t du, ich hatte doch gehofft, der Herr Homburger w�rde nicht mit aufs Land kommen. Du hast ja gesagt, ich brauche in diesen Ferien nicht zu b�ffeln.“

„Ja, wenn ich das gesagt habe, ist’s auch so und du kannst froh sein. Und der Herr Lehrer bei�t dich ja nicht.“

„Warum mu�te er denn mitkommen?“

„Ja siehst du, Junge, wo h�tt’ er denn sonst bleiben sollen? Da wo er daheim ist, hat er’s leider nicht sonderlich sch�n. Und ich will doch auch mein Vergn�gen haben! Mit unterrichteten und gelehrten M�nnern verkehren ist Gewinn, das merke dir. Ich m�chte unsern Herrn Homburger nicht gern entbehren.“

„Ach, Papa, bei dir wei� man nie, was Spa� und was Ernst ist.“

„So lerne es unterscheiden, mein Sohn. Es wird dir n�tzlich sein. Aber jetzt wollen wir noch ein bi�chen Musik machen, nicht?“

Paul zog den Vater sogleich freudig ins n�chste Zimmer. Es geschah nicht so h�ufig, da� Papa unaufgefordert mit ihm spielte. Und das war kein Wunder, denn er war ein Meister auf dem Klavier und der Junge konnte, mit ihm verglichen, nur eben so ein wenig klimpern.

Tante Grete blieb allein zur�ck. Vater und Sohn geh�rten zu den Musikanten, die nicht gerne einen Zuh�rer vor der Nase haben, aber gerne einen unsichtbaren, von dem sie wissen, da� er nebenan sitzt und lauscht. Das wu�te die Tante wohl. Wie sollte sie es auch nicht wissen? Wie sollte ihr irgend ein kleiner, zarter Zug an den beiden fremd sein, die sie seit Jahren mit Liebe umgab und beh�tete und die sie beide wie Kinder ansah.

Sie sa� ruhend in einem der biegsamen Rohrsessel und horchte. Was sie h�rte, war eine vierh�ndig gespielte Ouvert�re, die sie gewi� nicht zum ersten Mal vernahm, deren Namen sie aber nicht h�tte sagen k�nnen; denn so gern sie Musik h�rte, verstand sie doch wenig davon. Sie wu�te, nachher w�rde der Alte oder der Bub beim Herauskommen fragen: „Tante, was war das f�r ein St�ck?“ Dann w�rde sie sagen „von Mozart“ oder „aus Carmen“, und daf�r ausgelacht werden, denn es war immer etwas anderes gewesen.

Sie horchte, lehnte sich zur�ck und l�chelte. Es war schade, da� niemand es sehen konnte, denn ihr L�cheln war von der echten, sch�nen, gottgeschenkten Art. Es geschah weniger mit den Lippen als mit den Augen; das ganze Gesicht, Stirn und Wangen gl�nzten innig mit, und es sah aus wie ein tiefes Verstehen und Liebhaben.

Sie l�chelte und horchte. Es war eine sch�ne Musik und sie gefiel ihr h�chlich. Doch h�rte sie keineswegs die Ouvert�re allein, obwohl sie ihr zu folgen versuchte. Zuerst bem�hte sie sich herauszubringen, wer oben sitze und wer unten. Paul sa� unten, das hatte sie bald erhorcht. Nicht da� es gehapert h�tte, aber die oberen Stimmen klangen so leicht und k�hn und sangen so von innen heraus, wie kein Sch�ler spielen kann. Und nun konnte sich die Tante alles vorstellen. Sie sah die zwei am Fl�gel sitzen. Bei pr�chtigen Stellen sah sie den Vater z�rtlich schmunzeln. Paul aber sah sie bei solchen Stellen mit ge�ffneten Lippen und flammenden Augen sich auf dem Sessel h�her recken. Bei besonders heiteren, fidelen Wendungen pa�te sie auf, ob Paul nicht lachen m�sse. Dann schnitt n�mlich der Alte manchmal eine Grimasse oder machte so eine burschikose Armbewegung, da� es f�r junge Leute nicht leicht war an sich zu halten.

Je weiter die Ouvert�re vorw�rts gedieh, desto deutlicher sah das Fr�ulein ihre beiden vor sich, desto inniger las sie in ihren vom Spielen erregten Gesichtern. Und mit der raschen Musik lief ein gro�es St�ck Leben, Erfahrung und Liebe an ihr vorbei.

Es war Nacht, man hatte einander schon Schlafwohl gesagt und jeder war in sein Zimmer gegangen. Hier und dort ging noch eine T�re, ein Fenster auf oder zu. Dann ward es still.

Was auf dem Lande sich von selber versteht, die Stille der Nacht, ist doch f�r den St�dter immer wieder ein Wunder. Wer aus seiner Stadt heraus auf ein Landgut oder in einen Bauernhof kommt und den ersten Abend am Fenster steht oder im Bette liegt, den umf�ngt diese Stille wie ein Heimatzauber und Ruheport, als w�re er dem Wahren und Gesunden n�her gekommen und sp�re ein Wehen des Ewigen.

Es ist ja keine vollkommene Stille. Sie ist voll von Lauten, aber es sind dunkle, ged�mpfte, geheimnisvolle Laute der Nacht, w�hrend in der Stadt die Nachtger�usche sich von denen des Tages so bitter wenig unterscheiden. Es ist das Singen der Fr�sche, das Rauschen der B�ume, das Pl�tschern des Baches, der Flug eines Nachtvogels, einer Fledermaus. Und wenn etwa einmal ein versp�teter Leiterwagen vor�berjagt oder ein Hofhund anschl�gt, so ist es ein erw�nschter Gru� des Lebens und wird majest�tisch von der gro�en Weite des Luftraums ged�mpft und verschlungen.

Wer an Unruhe und schnelles Leben gew�hnt ist und nun einmal in diese Stille hinein lauschen darf, der empfindet tief das Wesen der Nacht, der Tr�sterin und K�nigin, die aus unersch�pften Quellen Rast und Einkehr, Trost und Tr�ume, Selbstvergessen, Schlummer und neue Kr�fte spendet. Und der wunderliche Mensch, zumal wenn er jung ist, meint eine solche Nacht nicht besser feiern zu k�nnen als durch ein recht langes Wachbleiben. Der Hauslehrer hatte noch Licht brennen und ging unruhig und m�de in der Stube auf und ab. Er hatte den ganzen Abend bis gegen Mitternacht gelesen.

Dieser junge Herr Homburger war nicht, was er schien oder scheinen wollte. Er war kein Denker. Er war nicht einmal ein wissenschaftlicher Kopf. Aber er hatte einige Gaben und er war jung. So konnte es ihm, in dessen Wesen es keinen befehlenden und unausweichlichen Schwerpunkt gab, an Idealen nicht fehlen.

Zur Zeit besch�ftigten ihn einige B�cher, in welchen merkw�rdig schmiegsame J�nglinge sich einbildeten, Bausteine zu einer neuen Kultur aufzut�rmen, indem sie in einer weichen, wohllauten Sprache bald Ruskin, bald Nietzsche um allerlei kleine, sch�ne, leicht tragbare Kleinode bestahlen. Diese B�cher waren viel am�santer zu lesen als Ruskin und Nietzsche selber, sie waren von koketter Grazie, gro� in kleinen Nuancen und von seidig vornehmem Glanze. Und wo es auf einen gro�en Wurf, auf Machtworte und Leidenschaft ankam, zitierten sie Dante oder Zarathustra.

Deshalb war auch Homburgers Stirn umw�lkt, sein Auge m�de wie vom Durchmessen ungeheurer R�ume und sein Schritt erregt und ungleich. Er f�hlte, da� an die ihn umgebende schale Alltagswelt allenthalben Mauerbrecher gelegt waren und da� es galt, sich an die Propheten und Bringer der neuen Seligkeit zu halten. Sch�nheit und Geist w�rde ihre Welt durchfluten und jeder Schritt in ihr w�rde von Poesie und Weisheit triefen.

Vor seinen Fenstern lag und wartete der gestirnte Himmel, die schwebende Wolke, der tr�umende Park, das schlafend atmende Feld und die ganze Sch�nheit der Nacht. Sie wartete darauf, da� er ans Fenster trete und sie schaue. Sie wartete darauf, sein Herz mit Sehnsucht und Heimweh zu verwunden, seine Augen k�hl zu baden, seiner Seele gebundene Fl�gel zu l�sen. Er legte sich aber ins Bett, zog die Lampe n�her und las im Liegen weiter.

Paul Abderegg hatte kein Licht mehr brennen, schlief aber noch nicht, sondern sa� im Hemde auf dem Fensterbrett und schaute in die ruhigen Baumkronen hinein. Den Helden Frithjof hatte er vergessen. Er dachte �berhaupt an nichts Bestimmtes, er geno� nur die sp�te Stunde, deren reges Gl�cksgef�hl ihn noch nicht schlafen lie�. Wie sch�n die Sterne in der Schw�rze standen! Und wie der Vater heute wieder gespielt hatte! Und wie still und m�rchenhaft der Garten da im Dunkeln lag!

Die Juninacht umschlo� den Knaben zart und dicht, sie kam ihm still entgegen, sie k�hlte, was noch in ihm hei� und flammend war. Sie nahm ihm leise den �berflu� seiner unb�ndigen Jugend ab, bis seine Augen ruhig und seine Schl�fen k�hl wurden, und dann blickte sie ihm l�chelnd als eine gute Mutter in die Augen. Er wu�te nicht mehr, wer ihn anschaue und wo er sei, er lag schlummernd auf dem Lager, atmete tief und schaute gedankenlos hingegeben in gro�e, stille Augen, in deren Spiegel Gestern und Heute zu wunderlich verschlungenen Bildern und schwer zu entwirrenden Sagen wurden.

Auch des Kandidaten Fenster war nun dunkel. Wenn jetzt etwa ein Nachtwanderer auf der Landstra�e vor�berkam und Haus und Vorplatz, Park und Garten lautlos im Schlummer liegen sah, konnte er wohl mit einem Heimweh her�berblicken und sich des ruhevollen Anblicks mit halbem Neide freuen. Und wenn es ein armer, obdachloser Fechtbruder war, konnte er unbesorgt in den arglos offenstehenden Park eintreten und sich die l�ngste Bank zum Nachtlager aussuchen.

Am Morgen war diesmal gegen seine Gewohnheit der Hauslehrer vor allen andern wach. Munter war er darum nicht. Er hatte sich mit dem langen Lesen bei Lampenlicht Kopfweh geholt; als er dann endlich die Lampe gel�scht hatte, war das Bett schon zu warmgelegen und zerw�hlt zum Schlafen, und nun stand er n�chtern und fr�stelnd mit matten Augen auf. Er f�hlte deutlicher als je die Notwendigkeit einer neuen Renaissance, hatte aber f�r den Augenblick zur Fortsetzung seiner Studien keine Lust, sondern sp�rte ein heftiges Bed�rfnis nach frischer Luft. So verlie� er leise das Haus und wandelte langsam feldeinw�rts.

�berall waren schon die Bauern an der Arbeit und blickten dem ernst Dahinschreitenden fl�chtig und, wie es ihm zuweilen scheinen wollte, sp�ttisch nach. Dies tat ihm weh und er beeilte sich, den nahen Wald zu erreichen, wo ihn K�hle und mildes Halblicht umflo�. Eine halbe Stunde trieb er sich verdrossen dort umher. Dann f�hlte er eine innere �de und begann zu erw�gen, ob es nun wohl bald einen Kaffee geben werde. Er kehrte um und lief an den schon warm besonnten Feldern und unerm�dlichen Bauersleuten vor�ber wieder heimw�rts.

Unter der Haust�r kam es ihm pl�tzlich unfein vor, so heftig und happig zum Fr�hst�ck zu eilen. Er wandte um, tat sich Gewalt an und beschlo�, vorher noch gem��igten Schrittes einen Gang durch die Parkwege zu tun, um nicht atemlos am Tisch zu erscheinen. Mit k�nstlich bequemem Schlenderschritt lief er durch die Platanenallee und wollte soeben gegen den Ulmenwinkel umwenden, als ein unvermuteter Anblick ihn erschreckte.

Auf der letzten, durch Holundergeb�sche etwas versteckten Bank lag ausgestreckt ein Mensch. Er lag b�uchlings und hatte das Gesicht auf die Ellbogen und H�nde gelegt. Herr Homburger war im ersten Schrecken geneigt, an eine Greueltat zu denken, doch belehrte ihn bald das feste tiefe Atmen des Daliegenden, da� er vor einem ruhig Schlafenden stehe. Dieser sah abgerissen und windig aus und je mehr der Lehrersmann erkannte, da� er es mit einem vermutlich ganz jungen und unkr�ftigen B�rschlein zu tun habe, desto h�her stieg der Mut und die Entr�stung in seiner beleidigten Seele. �berlegenheit und sch�ner Mannesstolz erf�llten ihn, als er nach kurzem Z�gern entschlossen n�her trat und den Schl�fer wachsch�ttelte.

„Stehen Sie auf, Kerl! Was machen Sie denn hier?“

Das Handwerksb�rschlein taumelte erschrocken empor und starrte verst�ndnislos und �ngstlich in die Welt. Er sah einen Herrn im Gehrock befehlend vor sich stehen und besann sich eine Weile, was das bedeuten k�nne, bis ihm einfiel, da� er zu Nacht in einen offenen Garten eingetreten sei und dort gen�chtigt habe. Er hatte mit Tagesanbruch weiter wollen, nun war er verschlafen und wurde zur Rechenschaft gezogen.

„K�nnen Sie nicht reden, was tun Sie hier?“

„Nur geschlafen hab’ ich,“ seufzte der Angedonnerte und erhob sich vollends. Als er auf den Beinen stand, best�tigte sein schm�chtiges Gliederger�ste den unfertig jugendlichen Ausdruck seines fast noch kindlichen Gesichts. Er konnte h�chstens achtzehn Jahr alt sein.

„Kommen Sie mit mir!“ gebot der Kandidat und nahm den willenlos folgenden Fremdling mit zum Hause hin�ber, wo ihm gleich unter der T�re Herr Abderegg begegnete.

„Guten Morgen, Herr Homburger, Sie sind ja fr�h auf! Aber was bringen Sie da f�r merkw�rdige Gesellschaft?“

„Dieser Bursche hat Ihren Park als Nachtherberge ben�tzt. Ich glaubte Sie davon unterrichten zu m�ssen.“

Der Hausherr begriff sofort. Er schmunzelte.

„Ich danke Ihnen, lieber Herr. Offen gestanden, ich h�tte kaum ein so weiches Herz bei Ihnen vermutet. Aber Sie haben recht, es ist ja klar, da� der arme Kerl zum mindesten einen Kaffee bekommen mu�. Vielleicht sagen Sie drinnen dem Fr�ulein, sie m�chte ein Fr�hst�ck f�r ihn herausschicken? Oder warten Sie, wir bringen ihn gleich in die K�che. — Kommen Sie mit, Kleiner, es ist schon was �brig.“

Am Kaffeetisch umgab sich der Mitbegr�nder einer neuen Kultur mit einer majest�tischen Wolke von Ernst und Schweigsamkeit, was den alten Herrn nicht wenig freute. Es kam jedoch zu keiner Neckerei, schon weil die heute erwarteten G�ste alle Gedanken in Anspruch nahmen.

Die Tante h�pfte immer wieder sorgend und l�chelnd von einer Gaststube in die andere, die Dienstboten nahmen ma�voll an der Aufregung teil oder grinsten zuschauend, und gegen Mittag setzte sich der Hausherr mit Paul in den Wagen, um zur nahen Bahnstation zu fahren.

Wenn es in Pauls Wesen lag, da� er die Unterbrechungen seines gewohnten stillen Ferienlebens durch Gastbesuche f�rchtete, so war es ihm ebenso nat�rlich, die einmal Angekommenen nach seiner Weise m�glichst kennen zu lernen, ihr Wesen zu beobachten und sie sich irgendwie zu eigen zu machen. So betrachtete er auf der Heimfahrt im etwas �berf�llten Wagen die drei Fremden mit stiller Aufmerksamkeit, zuerst den lebhaft redenden Professor, dann mit einiger Scheu die beiden Frauensleute.

Der Professor gefiel ihm, schon weil er wu�te, da� er ein Duzfreund seines Vaters war. Im �brigen fand er ihn ein wenig streng und �ltlich, aber nicht zuwider und jedenfalls uns�glich gescheit. Viel schwerer war es, �ber die M�dchen ins reine zu kommen. Die eine war eben schlechthin ein junges M�dchen, ein Backfisch, jedenfalls ziemlich gleich alt wie er selber. Es w�rde nur darauf ankommen, ob sie von der sp�ttischen oder gutm�tigen Art war, je nachdem w�rde es Krieg oder Freundschaft zwischen ihm und ihr geben. Im Grunde waren ja alle jungen M�dchen dieses Alters gleich und es war mit allen gleich schwer zu reden und auszukommen. Es gefiel ihm, da� sie wenigstens still war und nicht gleich einen Sack voll Fragen auskramte.

Die andere gab ihm mehr zu raten. Sie war, was er freilich nicht zu berechnen verstand, vielleicht drei- oder vierundzwanzig und geh�rte zu der Art von Damen, welche Paul zwar sehr gerne sah und von weitem betrachtete, deren n�herer Umgang ihn aber scheu machte und meist in unz�hlige Verlegenheiten verwickelte. Er wu�te an solchen Wesen die nat�rliche Sch�nheit durchaus nicht von der eleganten Haltung und Kleidung zu trennen, fand ihre Gesten und ihre Frisuren meist affektiert und vermutete bei ihnen eine Menge von �berlegenen Kenntnissen �ber Dinge, die ihm tiefe R�tsel waren.

Wenn er genau dar�ber nachdachte, ha�te er diese ganze Gattung. Sie sahen alle sch�n aus, aber sie hatten auch alle die gleiche dem�tigende Zierlichkeit und Sicherheit im Benehmen, die gleichen hochm�tigen Anspr�che und die gleiche geringsch�tzende Herablassung gegen J�nglinge seines Alters. Und wenn sie lachten oder l�chelten, was sie sehr h�ufig taten, sah es oft so unleidlich maskenhaft und verlogen aus. Darin waren die Backfische doch viel ertr�glicher.

Am Gespr�ch nahm au�er den beiden M�nnern nur Fr�ulein Thusnelde — das war die �ltere, elegante — teil. Die kleine blonde Berta schwieg ebenso scheu und beharrlich wie Paul, dem sie gegen�ber sa�. Sie trug einen gro�en, weich gebogenen, ungef�rbten Strohhut mit blauen B�ndern und ein ganz bla�blaues, d�nnes Sommerkleid mit losem G�rtel und schmalen wei�en S�umen. Es schien, als sei sie ganz in den Anblick der sonnigen Felder und hei�en Heuwiesen verloren.

Aber zwischenein warf sie h�ufig einen schnellen Blick auf Paul. Sie w�re noch einmal so gern mit nach Erlenhof gekommen, wenn nur der Junge nicht gewesen w�re. Er sah ja sehr ordentlich aus, aber gescheit, und die Gescheiten waren doch meistens die Widerw�rtigsten. Da w�rde es gelegentlich so heimt�ckische Fremdw�rter geben und auch solche herablassende Fragen, etwa nach dem Namen einer Feldblume, und dann, wenn sie ihn nicht wu�te, so ein unversch�mtes L�cheln, und so weiter. Sie kannte das von ihren zwei Vettern, von denen einer Student und der andere Gymnasiast war, und der Gymnasiast war eher der schlimmere, einmal bubenhaft ungezogen und ein andermal von jener unausstehlich h�hnischen Kavalierh�flichkeit, vor der sie so Angst hatte.

Eins wenigstens hatte Berta gelernt und sie hatte beschlossen, sich auch jetzt auf alle F�lle daran zu halten: Weinen durfte sie nicht, unter keinen Umst�nden. Nicht weinen und nicht zornig werden, sonst war sie unterlegen. Und das wollte sie hier um keinen Preis. Es fiel ihr tr�stlich ein, da� f�r alle F�lle auch noch eine Tante da sein w�rde; an die wollte sie sich dann um Schutz wenden, falls es n�tig werden sollte.

„Paul, bist du stumm?“ rief Herr Abderegg pl�tzlich.

„Nein, Papa. Warum?“

„Weil du vergi�t, da� du nicht allein im Wagen sitzest. Du k�nntest dich der Berta schon etwas freundlicher zeigen.“

Paul seufzte unh�rbar. Also nun fing es an.

„Sehen Sie, Fr�ulein Berta, dort hinten ist dann unser Haus.“

„Aber Kinder, ihr werdet doch nicht Sie zueinander sagen!“

„Ich wei� nicht, Papa — ich glaube doch.“

„Na, dann weiter! ist aber recht �berfl�ssig.“

Berta war rot geworden und kaum sah es Paul, so ging es ihm nicht anders. Die Unterhaltung zwischen ihnen war schon wieder zu Ende und beide waren froh, da� die Alten es nicht merkten. Es wurde ihnen unbehaglich und sie atmeten auf, als der Wagen mit pl�tzlichem Krachen auf den Kiesweg einbog und am Hause vorfuhr.

„Bitte, Fr�ulein,“ sagte Paul und half Berta beim Aussteigen. Damit war er der Sorge um sie f�rs erste entledigt, denn im Tor stand schon die Tante und es schien als l�chle das ganze Haus, �ffne sich und fordere zum Eintritt auf, so gastlich froh und herzlich nickte sie und streckte die Hand entgegen und empfing eins um das andere und dann jedes noch ein zweites Mal. Die G�ste wurden in ihre Stuben begleitet und gebeten, recht bald und recht hungrig zu Tische zu kommen.

Auf der wei�en Tafel standen zwei gro�e Blumenstr�u�e und dufteten m�chtig in die Speisenger�che hinein. Herr Abderegg tranchierte den Braten, die Tante visierte scharf�ugig Teller und Sch�sseln. Der Professor sa� wohlgemut und festlich im Gehrock am Ehrenplatz, warf der Tante sanfte Blicke zu und st�rte den eifrig arbeitenden Hausherrn durch zahllose Fragen und Witze. Fr�ulein Thusnelde half zierlich und l�chelnd beim Herumbieten der Teller und kam sich zu wenig besch�ftigt vor, da ihr Nachbar, der Kandidat, zwar wenig a�, aber noch weniger redete. Die Gegenwart eines altmodischen Professors und zweier junger Damen wirkte versteinernd auf ihn. Er war im Angstgef�hl seiner jungen W�rde best�ndig auf irgend welche Angriffe, ja Beleidigungen gefa�t, welche er zum voraus durch eiskalte Blicke und angestrengtes Schweigen abzuwehren bem�ht war.

Berta sa� neben der Tante und f�hlte sich geborgen. Paul widmete sich mit Anstrengung dem Essen, um nicht in Gespr�che verwickelt zu werden, verga� sich dar�ber und lie� es sich wirklich besser schmecken als alle anderen.

Gegen das Ende der Mahlzeit hatte der Hausherr nach hitzigem Kampfe mit seinem Freunde das Wort an sich gerissen und lie� es sich nicht wieder nehmen. Der besiegte Professor fand nun erst Zeit zum Essen und holte ma�voll nach. Herr Homburger merkte endlich, da� niemand Angriffe auf ihn plane, sah aber nun zu sp�t, da� sein Schweigen unfein gewesen war, und glaubte sich von seiner Nachbarin h�hnisch betrachtet zu f�hlen. Er senkte deshalb den Kopf so weit, da� eine leichte Falte unterm Kinn entstand, zog die Augenbrauen hoch und schien Probleme im Kopf zu w�lzen.

Fr�ulein Thusnelde begann, da der Hauslehrer dauernd versagte, ein sehr z�rtliches Geplauder mit Berta, an welchem die Tante sich beteiligte.

Paul hatte sich inzwischen voll gegessen und legte, indem er sich pl�tzlich �bersatt f�hlte, Messer und Gabel nieder. Aufschauend erblickte er zuf�llig gerade den Professor in einem komischen Augenblick: Er hatte eben einen stattlichen Bissen zwischen den Z�hnen und noch nicht von der Gabel los, als ihn gerade ein Kraftwort in der Rede Abdereggs aufzumerken n�tigte. So verga� er f�r Augenblicke, die Gabel zur�ckzuziehen, und schielte gro��ugig und mit offenem Munde auf seinen sprechenden Freund hin�ber. Da brach Paul, der einem pl�tzlichen Lachreiz nicht widerstehen konnte, in ein m�hsam ged�mpftes Kichern aus.

Herr Abderegg fand im Drang der Rede nur Zeit zu einem eiligen Zornblick. Der Kandidat bezog das Lachen auf sich und bi� auf die Unterlippe. Berta lachte mitgerissen ohne weiteren Grund pl�tzlich auch. Sie war so froh, da� Paul diese Jungenhaftigkeit passierte. Er war also wenigstens keiner von den Tadellosen.

„Was freut Sie denn so?“ fragte Fr�ulein Thusnelde.

„O, eigentlich gar nichts.“

„Und dich, Berta?“

„Auch nichts. Ich lache nur so mit.“

„Darf ich Ihnen noch einschenken?“ fragte Herr Homburger mit gepre�tem Ton.

„Danke, nein.“

„Aber mir, bitte,“ sagte die Tante freundlich, lie� jedoch den Wein alsdann ungetrunken stehen.

Man hatte abgetragen und es wurden Kaffee, Kognak und Zigarren gebracht — „wenn die Damen es wirklich gern erlauben.“ Sie erlaubten es, und auch der Kandidat steckte sich eine Zigarre an.

Paul wurde von Fr�ulein Thusnelde gefragt, ob er auch rauche.

„Nein,“ sagte er, „es schmeckt mir gar nicht.“

Dann f�gte er, nach einer Pause, pl�tzlich ehrlich hinzu: „Ich darf auch noch nicht.“

Als er das sagte, l�chelte Fr�ulein Thusnelde ihm schelmisch zu, wobei sie den Kopf etwas auf die Seite neigte. In diesem Augenblick erschien sie dem Knaben scharmant und er bereute den vorher auf sie geworfenen Ha�.

Sie konnte doch sehr nett sein.

Der Abend war so warm und einladend, da� man noch um elf Uhr unter den leise flackernden Windlichtern im Garten drau�en sa�. Und da� die G�ste sich von der Reise m�de gef�hlt hatten und eigentlich fr�h zu Bett hatten gehen wollen, daran dachte jetzt niemand mehr.

Die warme Luft wogte in leichter Schw�le ungleich und tr�umend hin und wider, der Himmel war ganz in der H�he sternklar und feuchtgl�nzend, gegen die Berge hin tiefschwarz und goldig vom fiebernden Ge�der des Wetterleuchtens �berspannt. Die Geb�sche dufteten s�� und schwer und der wei�e Jasmin schimmerte mit unsicheren Lichtern fahl aus der Finsternis.

„Sie glauben also, diese Reform unsrer Kultur werde nicht aus dem Volksbewu�tsein kommen, sondern von einem oder einigen genialen Einzelnen?“

Der Professor legte eine gewisse Nachsicht in den Ton seiner Frage.

„Ich denke es mir so —“ erwiderte etwas steif der Hauslehrer und begann eine lange Rede, welcher au�er dem Professor niemand zuh�rte.

Herr Abderegg scherzte mit der kleinen Berta, welcher die Tante Beistand leistete. Er lag voll Behagen im Stuhl zur�ck und trank Wei�wein mit Sauerwasser.

„Sie haben den Ekkehard also auch gelesen?“ fragte Paul das Fr�ulein Thusnelde.

Sie lag in einem sehr niedrig gestellten Klappstuhl, hatte den Kopf ganz zur�ckgelegt und sah geradeaus in die H�he.

„Jawohl,“ sagte sie. „Eigentlich sollte man Ihnen solche B�cher noch verbieten.“

„So? Warum denn?“

„Weil Sie ja doch noch nicht alles verstehen k�nnen.“

„Glauben Sie?“

„Nat�rlich.“

„Es gibt aber Stellen darin, die ich vielleicht besser als Sie verstanden habe.“

„Wirklich? Welche denn?“

„Die lateinischen.“

„Was Sie f�r Witze machen!“

„Man tut eben, was man tun kann.“

Paul war sehr munter. Er hatte zu Abend mehr Wein zu trinken bekommen als sonst, nun fand er es k�stlich, in die weiche, dunkle Nacht hinein zu reden, und wartete neugierig, ob es ihm gel�nge, die elegante Dame ein wenig aus ihrer tr�gen Ruhe zu bringen, zu einem heftigeren Widerspruch oder zu einem Gel�chter. Aber sie schaute nicht zu ihm her�ber. Sie lag unbeweglich, das Gesicht nach oben, eine Hand auf dem Stuhl, die andre bis zur Erde herabh�ngend. Ihr wei�er Hals und ihr wei�es Gesicht hob sich matt schimmernd von den schwarzen B�umen ab.

„Was hat Ihnen denn im Ekkehard am besten gefallen?“ fragte sie jetzt, wieder ohne ihn anzusehen.

„Der Rausch des Herrn Spazzo.“

„Ach?“

„Nein, wie die alte Waldfrau vertrieben wird.“

„So?“

„Oder eigentlich hat mir doch das am besten gefallen, wie die Praxedis ihn aus dem Kerker entwischen l��t. Das ist fein.“

„Ja, das ist fein. Wie war es nur?“

„Wie sie nachher Asche hinsch�ttet —“

„Ach ja. Ja, ich wei�.“

„Aber jetzt m�ssen Sie mir auch sagen, was Ihnen am besten gef�llt.“

„Im Ekkehard?“

„Ja, nat�rlich.“

„Dieselbe Stelle. Wo Praxedis dem M�nch davonhilft. Wie sie ihm da noch einen Ku� mitgibt, und dann l�chelt und ins Schlo� zur�ckgeht.“

„Ja — ja,“ sagte Paul langsam, aber er konnte sich des Kusses nicht erinnern.

Des Professors Gespr�ch mit dem Hauslehrer war zu Ende gegangen. Herr Abderegg steckte sich eine Virginia an und Berta sah neugierig zu, wie er die Spitze der langen Zigarre �ber der Kerzenflamme verkohlen lie�. Das M�dchen hielt die neben ihr sitzende Tante mit dem rechten Arm umschlungen und h�rte gro��ugig den fabelhaften Erlebnissen zu, von denen der alte Herr ihr erz�hlte. Es war von Reiseabenteuern, namentlich in Neapel, die Rede.

„Ist das wirklich wahr?“ wagte sie einmal zu fragen.

Herr Abderegg lachte.

„Das kommt allein auf Sie an, kleines Fr�ulein. Wahr ist an einer Geschichte immer nur das, was der Zuh�rer glaubt.“

„Aber nein?! Da mu� ich Papa dr�ber fragen.“

„Tun Sie das!“

Die Tante streichelte Bertas Hand, die ihre Taille umfing.

„Es ist ja Scherz, Kind.“

Sie h�rte dem Geplauder zu, wehrte die taumelnden Nachtmotten von ihres Bruders Weinglas ab und gab jedem, der sie etwa anschaute, einen g�tigen Blick zur�ck. Sie hatte ihre Freude an den alten Herren, an Berta und dem lebhaft schwatzenden Paul, an der sch�nen Thusnelde, die aus der Gesellschaft heraus in die Nachtbl�ue schaute, am Hauslehrer, der seine klugen Reden nachgeno�. Sie war noch jung genug und hatte nicht vergessen, wie es der Jugend in solchen Gartensommern�chten warm und wohl sein kann. Wie viel Schicksal noch auf alle diese sch�nen Jungen und klugen Alten wartete! Auch auf den Hauslehrer. Wie jedem sein Leben und seine Gedanken und W�nsche so wichtig waren! Und wie sch�n Fr�ulein Thusnelde aussah! Eine wirkliche Sch�nheit.

Die g�tige Dame streichelte Bertas rechte Hand, l�chelte dem jetzt etwas vereinsamten Kandidaten liebreich zu und f�hlte von Zeit zu Zeit hinter den Stuhl des Hausherrn, ob auch seine Weinflasche noch sch�n im Eise stehe.

„Erz�hlen Sie mir etwas aus Ihrer Schule!“ sagte Thusnelde zu Paul.

„Ach, die Schule! Jetzt sind doch Ferien.“

„Gehen Sie denn nicht gern ins Gymnasium?“

„Kennen Sie jemand, der gern hineingeht?“

„Sie wollen aber doch studieren?“

„Nun ja. Ich will schon.“

„Aber was m�chten Sie noch lieber?“

„Noch lieber? — Haha —. Noch lieber m�cht’ ich Seer�uber werden.“

„Seer�uber?“

„Jawohl, Seer�uber. Pirat.“

„Dann k�nnten Sie aber nimmer so viel lesen.“

„Das w�re auch nicht n�tig. Ich w�rde mir schon die Zeit vertreiben.“

„Glauben Sie?“

„O gewi�. Ich w�rde —“

„Nun?“

„Ich w�rde —, ach das kann man gar nicht sagen.“

„Dann sagen Sie es eben nicht.“

„Das tu ich auch.“

Es wurde ihm langweilig. Er r�ckte zu Berta hin�ber und half ihr zuh�ren. Papa war ungemein lustig. Er sprach jetzt ganz allein und alles h�rte zu und lachte.

Da stand Fr�ulein Thusnelde in ihrem losen, feinen englischen Kleide langsam auf und trat an den Tisch.

„Ich m�chte Gutenacht sagen.“

Nun brachen alle auf, sahen auf die Uhr und konnten nicht begreifen, da� es wirklich schon Mitternacht sei.

Auf dem kurzen Weg bis zum Hause ging Paul neben Berta, die ihm pl�tzlich sehr gut gefiel, namentlich seit er sie �ber Papas Witze so herzlich hatte lachen h�ren. Er war ein Esel gewesen, sich �ber den Besuch zu �rgern. Es war doch fein, so des Abends mit M�dchen zu plaudern.

Er f�hlte sich als Kavalier und begann zu bedauern, da� er sich den ganzen Abend nur um die andere gek�mmert hatte. Die war doch wohl ein Fratz. Berta war ihm viel lieber und es tat ihm leid, da� er sich heute nicht zu ihr gehalten hatte. Und er versuchte ihr das zu sagen. Sie kicherte.

„O, Ihr Papa war so unterhaltend! Es war reizend.“

Er schlug ihr f�r morgen einen Spaziergang auf den Eichelberg vor. Es sei nicht weit und so sch�n. Er kam ins Beschreiben, sprach vom Weg und von der Aussicht und redete sich ganz in Feuer.

Da ging gerade Fr�ulein Thusnelde an ihnen vor�ber, w�hrend er im eifrigsten Reden war. Sie wandte sich ein wenig um und sah ihm ins Gesicht. Es geschah ruhig und etwas neugierig, aber er fand es sp�ttisch und verstummte pl�tzlich. Berta blickte erstaunt auf und sah ihn verdrie�lich werden, ohne zu wissen warum.

Da war man schon im Hause. Berta gab Paul die Hand. Er sagte Gutenacht. Sie nickte und ging.

Thusnelde war vorausgegangen, ohne ihm Gutenacht zu sagen. Er sah sie mit einer Handlampe die Treppe hinaufgehen und indem er ihr nachschaute, �rgerte er sich �ber sie.

Paul lag wach im Bette und verfiel dem feinen Fieber der warmen Nacht. Die Schw�le war im Zunehmen, das Wetterleuchten zitterte best�ndig an den W�nden. Zuweilen glaubte er es in weiter Ferne leise donnern zu h�ren. In langen Pausen kam und ging ein schlaffer Wind, der kaum die Wipfel rauschen machte.

Der Knabe �berdachte halbtr�umend den vergangenen Abend und f�hlte, da� er heute anders gewesen sei als sonst. Er kam sich erwachsener vor, vielmehr schien ihm die Rolle des Erwachsenen heute besser gegl�ckt als bei fr�heren Versuchen. Mit dem Fr�ulein hatte er sich doch ganz gut unterhalten, und nachher auch mit Berta.

Es qu�lte ihn, ob Thusnelde ihn ernst genommen habe. Vielleicht hatte sie eben doch nur mit ihm gespielt. Und das mit dem Ku� der Praxedis mu�te er morgen nachlesen. Ob er das wirklich nicht verstanden, oder nur vergessen hatte?

Er h�tte gern gewu�t, ob Fr�ulein Thusnelde wirklich sch�n sei, richtig sch�n. Es schien ihm so, aber er traute weder sich noch ihr. Wie sie da beim schwachen Lampenlicht im Stuhl halb sa� und halb lag, so schlank und ruhig, mit der auf den Boden niederh�ngenden Hand, das hatte ihm doch gefallen. Wie sie l�ssig nach oben schaute, halb vergn�gt und halb m�de, und der wei�e schlanke Hals — im hellen, langen Damenkleid — das k�nnte gerade so auf einem Gem�lde vorkommen.

Freilich, Berta war ihm entschieden lieber. Sie war ja vielleicht ein wenig sehr naiv, aber sanft und h�bsch, und man konnte doch mit ihr reden ohne den Argwohn, sie mache sich heimlich �ber einen lustig. Wenn er es von Anfang an mit ihr gehalten h�tte, statt erst im letzten Augenblick, dann k�nnten sie m�glicherweise jetzt schon ganz gute Freunde sein. �berhaupt begann es ihm jetzt leid zu tun, da� die G�ste nur noch zwei Tage bleiben wollten.

Aber warum hatte ihn, als er beim Heimgehen mit der Berta lachte, die andere so angesehen?

Er sah sie wieder an sich vorbeigehen und den Kopf umwenden, und er sah wieder ihren Blick. Sie war doch sch�n. Er stellte sich alles wieder deutlich vor, aber er kam nicht dar�ber hinweg — ihr Blick war sp�ttisch gewesen, �berlegen sp�ttisch. Warum? Noch wegen des Ekkehard? Oder weil er mit der Berta gelacht hatte?

Der �rger dar�ber folgte ihm noch in den Schlaf.

Am Morgen war der ganze Himmel bedeckt, doch hatte es noch nicht geregnet. Es roch �berall nach Heu und nach warmem Erdstaub.

„Schade,“ klagte Berta beim Herunterkommen, „man wird heute keinen Spaziergang machen k�nnen?“

„O, es kann sich noch den ganzen Tag halten,“ tr�stete Herr Abderegg.

„Du bist doch sonst nicht so eifrig f�rs Spazierengehen,“ meinte Fr�ulein Thusnelde.

„Aber wenn wir doch nur so kurz hier sind!“

„Wir haben eine Luftkegelbahn,“ schlug Paul vor. „Im Garten. Auch ein Krocket. Aber Krocket ist langweilig.“

„Ich finde Krocket sehr h�bsch,“ sagte Fr�ulein Thusnelde.

„Dann k�nnen wir ja spielen.“

„Gut, nachher. Wir m�ssen doch erst Kaffee trinken.“

Nach dem Fr�hst�ck gingen die jungen Leute in den Garten; auch der Kandidat schlo� sich an. F�rs Krocketspielen fand man das Gras zu hoch, und man entschlo� sich nun doch zu dem andern Spiel. Paul schleppte eifrig die Kegel herbei und stellte auf.

„Wer f�ngt an?“

„Immer der, der fragt.“

„Also gut. Wer spielt mit?“

Paul bildete mit Thusnelde die eine Partei. Er spielte sehr gut und hoffte von ihr daf�r gelobt oder auch nur geneckt zu werden. Sie sah es aber gar nicht und schenkte �berhaupt dem Spiel keine Aufmerksamkeit. Wenn Paul ihr die Kugel gab, schob sie unachtsam und z�hlte nicht einmal, wieviel Kegel fielen. Statt dessen unterhielt sie sich mit dem Hauslehrer �ber Turgenjeff. Herr Homburger war heute sehr h�flich. Nur Berta schien ganz beim Spiel zu sein. Sie half stets beim Aufsetzen und lie� sich von Paul das Zielen zeigen.

„K�nig aus der Mitte!“ schrie Paul. „Fr�ulein, nun gewinnen wir sicher. Das gilt zw�lf.“

Sie nickte nur.

„Eigentlich ist Turgenjeff gar kein richtiger Russe,“ sagte der Kandidat und verga�, da� es an ihm war zu spielen. Paul wurde zornig.

„Herr Homburger, Sie sind dran!“

„Ich?“

„Ja doch, wir warten alle.“

Er h�tte ihm am liebsten die Kugel ans Schienbein geschleudert. Berta, die seine Verstimmung bemerkte, wurde nun auch unruhig und traf nichts mehr.

„Dann k�nnen wir ja aufh�ren.“

Niemand hatte etwas dagegen. Fr�ulein Thusnelde ging langsam weg, der Lehrer folgte ihr. Paul warf verdrie�lich die noch stehenden Kegel mit dem Fu�e um.

„Sollen wir nicht weiterspielen?“ fragte Berta sch�chtern.

„Ach, zu zweien ist es nichts. Ich will aufr�umen.“

Sie half ihm bescheiden. Als alle Kegel wieder in der Kiste waren, sah er sich nach Thusnelde um. Sie war im Park verschwunden. Nat�rlich, er war ja f�r sie nur ein dummer Junge. Der Fratz! Der Fratz!

„Was nun?“

„Vielleicht zeigen Sie mir den Park ein wenig?“

Da schritt er so rasch durch die Wege voran, da� Berta au�er Atem kam und fast laufen mu�te, um nachzukommen. Er zeigte ihr das W�ldchen und die Platanenallee, dann die Blutbuche und die Wiesen. W�hrend er sich beinahe ein wenig sch�mte, so grob und wortkarg zu sein, wunderte er sich zugleich, da� er sich vor Berta gar nimmer geniere. Er ging mit ihr um, wie wenn sie zwei Jahre j�nger w�re. Und sie war still, sanft und sch�chtern, sagte kaum ein Wort und sah ihn nur zuweilen an, als b�te sie f�r irgend etwas um Entschuldigung.

Bei der Trauerweide trafen sie mit den beiden andern zusammen. Der Kandidat redete noch fort, das Fr�ulein war still geworden und schien verstimmt. Paul wurde pl�tzlich gespr�chiger. Er machte auf den alten Baum aufmerksam, schlug die herabh�ngenden Zweige auseinander und zeigte die um den Stamm laufende Rundbank.

„Wir wollen sitzen,“ befahl Fr�ulein Thusnelde.

Alle setzten sich nebeneinander auf die Bank. Es war hier sehr warm und dunstig, die gr�ne D�mmerung war schlaff und schw�l und machte schl�frig. Paul sa� rechts neben Thusnelde.

„Wie still es da ist!“ begann Herr Homburger.

Das Fr�ulein nickte.

„Und so hei�!“ sagte sie. „Wir wollen eine Weile gar nichts reden.“

Da sa�en alle vier schweigend. Neben Paul lag auf der Bank Thusneldes Hand, eine lange und schmale Damenhand mit schlanken Fingern und feinen, gepflegten, mattgl�nzenden N�geln. Paul sah best�ndig die Hand an. Sie kam aus einem weiten hellgrauen �rmel hervor, so wei� wie der bis �bers Gelenk sichtbare Arm, sie bog sich vom Gelenk etwas nach au�en und lag ganz still, als sei sie m�de.

Und alle schwiegen. Paul dachte an gestern abend. Da war dieselbe Hand auch so lang und still und ruhend herabgeh�ngt, und die ganze Gestalt so regungslos halb gesessen halb gelegen. Es pa�te zu ihr, zu ihrer Figur und zu ihren Kleidern, zu ihrer angenehm weichen, nicht ganz freien Stimme, auch zu ihrem Gesicht, das mit den ruhigen Augen so klug und abwartend und gelassen aussah.

Herr Homburger sah auf die Uhr.

„Verzeihen Sie, meine Damen, ich sollte nun an die Arbeit. Sie bleiben doch hier, Paul?“

Er verbeugte sich und ging.

Die andern blieben schweigend sitzen. Paul hatte seine Linke langsam und mit �ngstlicher Vorsicht wie ein Verbrecher der Frauenhand gen�hert und dann dicht neben ihr liegen lassen. Er wu�te nicht, warum er es tat. Es geschah ohne seinen Willen, und dabei wurde ihm so dr�ckend bang und hei�, da� seine Stirne voll von Tropfen stand.

„Krocket spiele ich auch nicht gerne,“ sagte Berta leise, wie aus einem Traum heraus. Durch das Weggehen des Hauslehrers war zwischen ihr und Paul eine L�cke entstanden und sie hatte sich die ganze Zeit besonnen, ob sie herr�cken solle oder nicht. Es war ihr, je l�nger sie zauderte, immer schwerer vorgekommen es zu tun, und nun fing sie, nur um sich nicht l�nger ganz allein zu f�hlen, zu reden an.

„Es ist wirklich kein nettes Spiel,“ f�gte sie nach einer langen Pause mit unsicherer Stimme hinzu. Doch antwortete niemand.

Es war wieder ganz still. Paul glaubte sein Herz schlagen zu h�ren. Es trieb ihn, aufzuspringen und irgend etwas Lustiges oder Dummes zu sagen, oder wegzulaufen. Aber er blieb sitzen, lie� seine Hand liegen und hatte ein Gef�hl, als w�rde ihm langsam, langsam die Luft entzogen, bis zum Ersticken. Nur war es angenehm, auf eine traurige, qu�lende Art angenehm.

Fr�ulein Thusnelde blickte in Pauls Gesicht, mit ihrem ruhigen und etwas m�den Blick. Sie sah, da� er unverwandt auf seine Linke schaute, die dicht neben ihrer Rechten auf der Bank lag.

Da hob sie ihre Rechte ein wenig, legte sie fest auf Pauls Hand und lie� sie da liegen.

Ihre Hand war weich, doch kr�ftig, und von trockener W�rme. Paul erschrak wie ein �berraschter Dieb und fing zu zittern an, zog aber seine Hand nicht weg. Er konnte kaum noch atmen, so stark arbeitete sein Herzschlag, und sein ganzer Leib brannte und fror zugleich. Langsam wurde er bla� und sah das Fr�ulein flehend und angstvoll an.

„Sind Sie erschrocken?“ lachte sie leise. „Ich glaube, Sie waren eingeschlafen?“

Er konnte nichts sagen. Sie hatte ihre Hand weggenommen, aber seine lag noch da und f�hlte die Ber�hrung noch immer. Er w�nschte sie wegzuziehen, aber er war so matt und verwirrt, da� er keinen Gedanken oder Entschlu� fassen und nichts tun konnte, nicht einmal das.

Pl�tzlich erschreckte ihn ein ersticktes, �ngstliches Ger�usch, das er hinter sich vernahm. Er wurde frei und sprang tief atmend auf. Auch Thusnelde war aufgestanden.

Da sa� Berta tiefgeb�ckt an ihrem Platz und schluchzte.

„Gehen Sie hinein,“ sagte Thusnelde zu Paul, „wir kommen gleich nach.“

Und als Paul wegging, setzte sie noch hinzu: „Sie hat Kopfweh bekommen.“

„Komm, Berta. Es ist zu hei� hier, man erstickt ja vor Schw�le. Komm, nimm dich zusammen! Wir wollen ins Haus gehen.“

Berta gab keine Antwort. Ihr magerer Hals lag auf dem hellblauen �rmel des leichten Backfischkleidchens, aus dem der d�nne, eckige Arm mit dem breiten Handgelenk herabhing. Und sie weinte still und leise schluckend, bis sie nach einer langen Weile rot und verwundert sich aufrichtete, das Haar zur�ckstrich und langsam und mechanisch zu l�cheln begann.

Paul fand keine Ruhe. Warum hatte Thusnelde ihre Hand so auf seine gelegt? War es nur ein Scherz gewesen? Oder wu�te sie, wie seltsam weh das tat? So oft er es sich wieder vorstellte, hatte er von neuem dasselbe Gef�hl: ein erstickender Krampf vieler Nerven oder Adern, ein Druck und leichter Schwindel im Kopf, eine Hitze in der Kehle und ein l�hmend ungleiches, wunderliches Wallen des Herzens, als sei der Puls unterbunden. Aber es war angenehm, so weh es tat.

Er lief am Hause vorbei zum Weiher und in den Obstg�ngen auf und ab. Indessen nahm die Schw�le stetig zu. Der Himmel hatte sich vollends ganz bezogen und sah gewitterig aus. Es ging kein Wind, nur hin und wieder im Gezweig ein feiner, zager Schauer, vor dem auch der fahle, glatte Spiegel des Weihers f�r Augenblicke kraus und silbern erzitterte.

Der kleine alte Kahn, der angebunden am Rasenufer lag, fiel dem Jungen ins Auge. Er stieg hinein und setzte sich auf die einzige noch vorhandene Ruderbank. Doch band er das Schifflein nicht los: es waren auch schon l�ngst keine Ruder mehr da. Er tauchte die H�nde ins Wasser, das war widerlich lau.

Unvermerkt �berkam ihn eine grundlose Traurigkeit, die ihm ganz fremd war. Er kam sich wie in einem beklemmenden Traume vor — als k�nnte er, wenn er auch wollte, kein Glied r�hren. Das fahle Licht, der dunkel bew�lkte Himmel, der laue dunstige Teich und der alte, am Boden moosige Holznachen ohne Ruder, das sah alles unfroh, trist und elend aus, einer schweren, faden Trostlosigkeit hingegeben, die er ohne Grund teilte.

Er h�rte Klavierspiel vom Hause her�bert�nen, undeutlich und leise. Nun waren also die andern drinnen und wahrscheinlich spielte Papa ihnen vor. Bald erkannte Paul auch das St�ck, es war aus Griegs Musik zum Peer Gynt, und er w�re gern hineingegangen. Aber er blieb sitzen, starrte �ber das tr�ge Wasser weg und durch die m�den, regungslosen Obstzweige in den fahlen Himmel. Er konnte sich nicht einmal wie sonst auf das Gewitter freuen, obwohl es sicher bald ausbrechen mu�te und das erste richtige in diesem Sommer sein w�rde.

Da h�rte das Klavierspiel auf und es war eine Weile ganz still. Bis ein paar zarte, wiegend laue Takte aufklangen, eine scheue und ungew�hnliche Musik. Und nun Gesang, eine Frauenstimme. Das Lied war Paul unbekannt, er hatte es nie geh�rt, er besann sich auch nicht dar�ber. Aber die Stimme kannte er, die leicht ged�mpfte, ein wenig m�de und willenlose Stimme. Das war Thusnelde. Ihr Gesang war vielleicht nichts Besonderes, vielleicht nicht einmal sch�n, aber er traf und reizte den Knaben ebenso beklemmend und qu�lend wie die Ber�hrung ihrer Hand. Er horchte, ohne sich zu r�hren, und w�hrend er noch sa� und horchte, schlugen die ersten tr�gen Regentropfen lau und schwer in den Weiher. Sie trafen seine H�nde und sein Gesicht, ohne da� er es sp�rte. Er f�hlte nur, da� etwas Dr�ngendes, G�rendes, Gespanntes um ihn her oder auch in ihm selber sich verdichte und schwelle und Auswege suche. Zugleich fiel ihm eine Stelle aus dem Ekkehard ein und in diesem Augenblick �berraschte und erschreckte ihn pl�tzlich die sichere Erkenntnis. Er wu�te, da� er Thusnelde lieb habe. Und zugleich wu�te er, da� sie erwachsen und eine Dame war, er aber ein Schuljunge, und da� sie morgen abreisen w�rde.

Da klang — der Gesang war schon eine Weile verstummt — die hellt�nige Tischglocke, und Paul ging langsam zum Hause hin�ber. Vor der T�re wischte er sich die Regentropfen von den H�nden, strich das Haar zur�ck und tat einen tiefen Atemzug, als sei er im Begriff einen schweren Schritt zu tun.

Ach, nun regnet es doch schon,“ klagte Berta. „Nun wird also nichts daraus?“

„Aus was denn?“ fragte Paul, ohne vom Teller aufzublicken.

„Wir hatten ja doch — — Sie hatten mir versprochen, mich heut auf den Eichelberg zu f�hren.“

„Ja so. Nein, das geht bei dem Wetter freilich nicht.“

Halb sehnte sie sich danach, er m�chte sie ansehen und eine Frage nach ihrem Wohlsein tun, halb war sie froh, da� er’s nicht tat. Er hatte den peinlichen Augenblick unter der Weide, da sie in Tr�nen ausgebrochen war, v�llig vergessen. Dieser pl�tzliche Ausbruch hatte ihm ohnehin wenig Eindruck gemacht und ihn nur in dem Glauben best�rkt, sie sei doch noch ein recht kleines M�dchen. Statt auf sie zu achten, schielte er best�ndig zu Fr�ulein Thusnelde hin�ber.

Diese f�hrte mit dem Hauslehrer, der sich seiner albernen Rolle von gestern sch�mte, ein lebhaftes Gespr�ch �ber Sportsachen. Es ging Herrn Homburger dabei wie vielen Leuten; er sprach �ber Dinge, von denen er nichts verstand, viel gef�lliger und glatter als �ber solche, die ihm vertraut und wichtig waren. Meistens hatte die Dame das Wort und er begn�gte sich mit Fragen, Nicken, Zustimmen und pausenf�llenden Redensarten. Die etwas kokette Plauderkunst der jungen Dame enthob ihn seiner gewohnten dickbl�tigen Art; es gelang ihm sogar, als er beim Weineinschenken daneben go�, selber zu lachen und die Sache leicht und komisch zu nehmen. Seine mit Schlauheit eingef�delte Bitte jedoch, dem Fr�ulein nach Tisch ein Kapitel aus einem seiner Lieblingsb�cher vorlesen zu d�rfen, wurde zierlich abgelehnt.

„Du hast kein Kopfweh mehr, Kind?“ fragte Tante Grete.

„O nein, gar nimmer,“ sagte Berta halblaut. Aber sie sah noch elend genug aus.

„O ihr Kinder!“ dachte die Tante, der auch Pauls erregte Unsicherheit nicht entgangen war. Sie hatte mancherlei Ahnungen und beschlo�, die zwei jungen Leutchen nicht unn�tig zu st�ren, wohl aber aufmerksam zu sein und Dummheiten zu verh�ten. Bei Paul war es das erste Mal, dessen war sie sicher. Wie lang noch, und er w�rde ihrer F�rsorge entwachsen sein und seine Wege ihrem Blick entziehen! — O ihr Kinder!

Drau�en war es beinahe finster geworden. Der Regen rann und lie� nach mit den wechselnden Windst��en, das Gewitter z�gerte noch und der Donner klang noch meilenfern.

„Haben Sie Furcht vor Gewittern?“ fragte Herr Homburger seine Dame.

„Im Gegenteil, ich wei� nichts Sch�neres. Wir k�nnten nachher in den Pavillon gehen und zusehen. Kommst du mit, Berta?“

„Wenn du willst, ja gern.“

„Und Sie also auch, Herr Kandidat? — Gut, ich freue mich darauf. Es ist in diesem Jahr das erste Gewitter, nicht?“

Gleich nach Tisch brachen sie mit Regenschirmen auf, zum nahen Pavillon. Berta nahm ein Buch mit.

„Willst du dich denen nicht anschlie�en, Paul?“ ermunterte die Tante.

„Danke, nein. Ich mu� eigentlich �ben.“

Er ging in einem Wirrwarr von quellenden Gef�hlen ins Klavierzimmer. Aber kaum hatte er zu spielen begonnen, er wu�te selbst nicht was, so kam sein Vater herein.

„Junge, k�nntest du dich nicht um einige Zimmer weiter verf�gen? Brav, da� du �ben wolltest, aber alles hat seine Zeit, und wir �lteren Semester m�chten bei dieser Schw�le doch gern ein wenig zu schlafen versuchen. Auf Wiedersehen, Bub!“

Der Knabe ging hinaus und durchs E�zimmer, �ber den Gang und zum Tor. Dr�ben sah er gerade die andern den Pavillon betreten. Als er hinter sich den leisen Schritt der Tante h�rte, trat er rasch ins Freie und eilte mit unbedecktem Kopf, die H�nde in den Taschen, durch den Regen davon. Der Donner nahm stetig zu und erste scheue Blitze rissen zuckend durch das schw�rzliche Grau.

Paul ging um das Haus herum und gegen den Weiher hin. Er f�hlte mit trotzigem Leid den Regen durch seine Kleider dringen. Die noch nicht erfrischte, schwebende Luft erhitzte ihn, so da� er beide H�nde und die halbentbl��ten Arme in die schwerfallenden Tropfen hielt. Nun sa�en die andern vergn�gt im Pavillon beisammen, lachten und schwatzten, und an ihn dachte niemand. Es zog ihn hin�ber, doch �berwog sein Trotz; hatte er einmal nicht mitkommen wollen, so wollte er ihnen auch nicht hinterdrein nachlaufen. Und Thusnelde hatte ihn ja �berhaupt nicht aufgefordert. Sie hatte Berta und Herrn Homburger mitkommen hei�en, und ihn nicht. Warum ihn nicht?

Ganz durchn��t kam er, ohne auf den Weg zu achten, ans G�rtnerh�uschen. Die Blitze jagten jetzt fast ohne Pause herab oder quer durch den Himmel, in phantastisch k�hnen Linien, und der Regen rauschte lauter. Unter der Holztreppe des G�rtnerschuppens klirrte es auf und mit verhaltenem Grollen kam der gro�e Hofhund heraus. Als er Paul erkannte, dr�ngte er sich fr�hlich und schmeichelnd an ihn. Und Paul, in pl�tzlich �berwallender Z�rtlichkeit, legte ihm den Arm um den Hals, zog ihn in den d�mmernden Treppenwinkel zur�ck und blieb dort bei ihm kauern und sprach und koste mit ihm, er wu�te nicht wie lang.

Im Pavillon hatte Herr Homburger den eisernen Gartentisch an die gemauerte R�ckwand geschoben, die mit einer italienischen K�stenlandschaft bemalt war. Die heiteren Farben, Blau, Wei� und Rosa, pa�ten schlecht in das Regengrau und schienen trotz der Schw�le zu frieren.

„Sie haben schlechtes Wetter f�r Erlenhof,“ sagte Herr Homburger.

„Warum? Ich finde das Gewitter pr�chtig.“

„Und Sie auch, Fr�ulein Berta?“

„O, ich sehe es ganz gerne.“

Es machte ihn w�tend, da� die Kleine mitgekommen war. Gerade jetzt, wo er anfing sich mit der sch�nen Thusnelde besser zu verstehen.

„Und morgen werden Sie wirklich schon wieder reisen?“

„Warum sagen Sie das so tragisch?“

„Es mu� mir doch leid tun.“

„Wahrhaftig?“

„Aber gn�diges Fr�ulein —“

Der Regen prasselte auf dem d�nnen Dach und quoll in leidenschaftlichen St��en aus den M�ndungen der Traufen.

„Wissen Sie, Herr Kandidat, Sie haben da einen lieben Jungen zum Sch�ler. Es mu� ein Vergn�gen sein, so einen zu unterrichten.“

„Ist das Ihr Ernst?“

„Aber gewi�. Er ist doch ein pr�chtiger Junge. — Nicht, Berta?“

„O, ich wei� nicht, ich sah ihn ja kaum.“

„Gef�llt er dir denn nicht?“

„Ja, das schon. — O ja.“

„Was stellt das Wandbild da eigentlich vor, Herr Kandidat? Es scheint eine Rivieravedute?“

Paul war nach zwei Stunden ganz durchn��t und todm�de heimgekommen, hatte ein kaltes Bad genommen und sich umgekleidet. Dann wartete er, bis die drei ins Haus zur�ckkehrten, und als sie kamen und als Thusneldes Stimme im Gang laut wurde, schrak er zusammen und bekam Herzklopfen. Dennoch tat er gleich darauf etwas, wozu er sich selber noch einen Augenblick zuvor den Mut nicht zugetraut h�tte.

Als das Fr�ulein allein die Treppe heraufstieg, lauerte er ihr auf und �berraschte sie in der oberen Flur. Er trat auf sie zu und streckte ihr einen kleinen Rosenstrau� entgegen. Es waren wilde Heckenr�schen, die er im Regen drau�en abgeschnitten hatte.

„Ist das f�r mich?“ fragte Thusnelde.

„Ja, f�r Sie.“

„Womit hab’ ich denn das verdient? Ich f�rchtete schon, Sie k�nnten mich gar nicht leiden.“

„O, Sie lachen mich ja nur aus.“

„Gewi� nicht, lieber Paul. Und ich danke sch�n f�r die Blumen. Wilde Rosen, nicht?“

„Hagrosen.“

„Ich will eine davon anstecken, nachher.“

Damit ging sie weiter nach ihrem Zimmer.

Am Abend blieb man diesmal in der Halle sitzen. Es hatte sch�n abgek�hlt und drau�en fielen noch die Tropfen von den blank gesp�lten Zweigen. Man hatte im Sinn gehabt zu musizieren, aber der Professor wollte lieber die paar Stunden noch mit Abderegg verplaudern. So sa�en nun alle bequem plaudernd in dem gro�en Raum, die Herren rauchten und die jungen Leute hatten Limonadebecher vor sich stehen.

Die Tante sah mit Berta ein Album an und erz�hlte ihr alte Geschichten. Thusnelde war guter Laune und lachte viel. Den Hauslehrer hatte das lange erfolglose Reden im Pavillon stark mitgenommen, er war wieder nerv�s und zuckte leidend mit den Gesichtsmuskeln. Da� sie jetzt so l�cherlich mit dem B�blein Paul kokettierte, fand er geschmacklos, und er suchte w�hlerisch nach einer Form, ihr das zu sagen.

Paul war der Lebhafteste von allen. Da� Thusnelde seine Rosen im G�rtel trug und da� sie lieber Paul zu ihm gesagt hatte, war ihm wie ein starker Wein zu Kopf gestiegen. Er machte Witze, erz�hlte Geschichtchen, hatte gl�hende Backen und lie� den Blick nicht von seiner Dame, die sich seine Huldigung so grazi�s gefallen lie�. Dabei rief es im Grund seiner Seele ohne Unterla�: „Morgen geht sie fort! morgen geht sie fort!“ und je lauter und schmerzlicher es rief, desto sehnlicher klammerte er sich an den sch�nen Augenblick und desto lustiger redete er darauf los.

Herr Abderegg, der einen Augenblick her�berhorchte, rief lachend: „Paul, du f�ngst fr�h an!“

Er lie� sich nicht st�ren. F�r Augenblicke fa�te ihn ein dr�ngendes Verlangen, hinauszugehen, den Kopf an den T�rpfosten zu lehnen und zu schluchzen. Aber nein, nein!

W�hrenddessen hatte Berta mit der Tante ‚Du‘ gemacht und gab sich dankbar unter ihren Schutz. Es lag wie eine Last auf ihr, da� Paul von ihr allein nichts wissen wollte, da� er den ganzen Tag kaum ein Wort an sie gerichtet hatte, und m�de und ungl�cklich �berlie� sie sich der g�tigen Z�rtlichkeit der Tante.

Die beiden alten Herren �berboten einander im Aufw�rmen von Erinnerungen und sp�rten kaum etwas davon, da� neben ihnen junge unausgesprochene Leidenschaften sich kreuzten und bek�mpften.

Herr Homburger fiel mehr und mehr ab. Da� er hin und wieder eine schwach vergiftete Pointe ins Gespr�ch warf, wurde kaum beachtet, und je mehr die Bitterkeit und Auflehnung in ihm wuchs, desto weniger wollte es ihm gelingen Worte zu finden. Er fand es kindisch, wie Paul sich gehen lie�, und unverzeihlich, wie das Fr�ulein darauf einging. Am liebsten h�tte er gute Nacht gesagt und w�re gegangen. Aber das mu�te aussehen wie ein Gest�ndnis, da� er sein Pulver verschossen habe und kampfunf�hig sei. Lieber blieb er da und trotzte. Und so widerw�rtig ihm Thusneldes ausgelassen spielerisches Wesen heute abend war, so h�tte er sich doch vom Anblick ihrer weichen Gesten und ihres schwach ger�teten Gesichtes jetzt nicht trennen m�gen.

Thusnelde durchschaute ihn und gab sich keine M�he, ihr Vergn�gen �ber Pauls leidenschaftliche Aufmerksamkeiten zu verbergen, schon weil sie sah, da� es den Kandidaten �rgerte. Und dieser, der in keiner Hinsicht ein Kraftmensch war, f�hlte langsam seinen Zorn in jene weichlich tr�be, faule Resignation �bergehen, mit der bis jetzt fast alle seine Liebesversuche geendet hatten. War er denn je von einem Weib verstanden und nach seinem Wert gesch�tzt worden? O, aber er war K�nstler genug, um auch die Entt�uschung den Schmerz, das Einsambleiben mit allen ihren verborgensten Reizen zu genie�en. Wenn auch mit zuckender Lippe, er geno� es doch; und wenn auch verkannt und verschm�ht, er war doch der Held in der Szene, der Tr�ger einer stummen Tragik, l�chelnd mit dem Dolch im Herzen.

Und nun l�chelte er best�ndig. Er nahm kaum mehr am Gespr�ch teil, aber er l�chelte nachsichtig, schmerzlich und �berlegen, und es war ihm ein neuer, bitterer Triumph, da� niemand sehen wollte, wie wund sein L�cheln war. So geschah es, da� dieser seltsame Hanswurst im Innersten vielleicht befriedigter war als alle anderen.

Man trennte sich erst sp�t. Als Paul in sein k�hles Schlafzimmer trat, sah er durchs offene Fenster den beruhigten Himmel mit stillstehenden, milchwei�en Flaumw�lkchen bedeckt; durch ihre d�nnen Fl�re drang das Mondlicht weich und stark und spiegelte sich tausendmal in den nassen Bl�ttern der Parkb�ume. Fern �ber den H�geln, nicht weit vom dunkeln Horizont, leuchtete schmal und langgestreckt wie eine Insel ein St�ck reinen Himmels feucht und milde, darin ein einziger blasser Stern.

Der Knabe blickte lange hinaus und sah es nicht, sah nur ein bleiches Wogen und f�hlte reine, frisch gek�hlte L�fte um sich her, h�rte niegeh�rte, tiefe Stimmen wie entfernte St�rme brausen und atmete die weiche Luft einer anderen Welt. Vorgebeugt stand er am Fenster und schaute, ohne etwas zu sehen, wie ein Geblendeter, und vor ihm ungewi� und m�chtig ausgebreitet lag das Land des Lebens und der Leidenschaften, von hei�en St�rmen durchzittert und von dunkelschw�lem Gew�lk verschattet.

Die Tante war die letzte, die zu Bette ging. Wachsam hatte sie noch T�ren und L�den revidiert, nach den Lichtern gesehen und einen Blick in die dunkle K�che getan, dann war sie in ihre Stube gegangen und hatte sich beim Kerzenlicht in den altmodischen Sessel gesetzt. Sie wu�te ja nun, wie es um den Kleinen stand, und sie war im Innersten froh, da� morgen die G�ste wieder reisen wollten. Wenn nur auch alles gut ablief! Es war doch eigen, so ein Kind von heut auf morgen zu verlieren. Denn da� Pauls Seele ihr nun entgleiten und mehr und mehr undurchsichtig werden m�sse, wu�te sie wohl, und sie sah ihn mit Sorge seine ersten, knabenhaften Schritte in den Garten der Liebe tun, von dessen Fr�chten sie selber zu ihrer Zeit nur wenig und fast nur die bitteren gekostet hatte. Dann dachte sie an Berta, seufzte und l�chelte ein wenig und suchte dann lange in ihren Schubladen nach einem tr�stenden Abschiedsgeschenk f�r die Kleine. Dabei erschrak sie pl�tzlich, als sie sah, wie sp�t es schon war.

�ber dem schlafenden Haus und dem d�mmernden Garten standen ruhig die milchwei�en, flaumig d�nnen Wolken, die Himmelsinsel am Horizont wuchs langsam zu einem weiten, reinen, dunkelklaren Felde, zart von schwachgl�nzenden Sternen durchgl�ht, und �ber die entferntesten H�gel lief eine milde, schmale Silberlinie, sie vom Himmel trennend. Im Garten atmeten die erfrischten B�ume tief und rastend und auf der Parkwiese wechselte mit d�nnen, wesenlosen Wolkenschatten der schwarze Schattenkreis der Blutbuche.

Die sanfte, noch von Feuchtigkeit ges�ttigte Luft dampfte leise gegen den v�llig klaren Himmel. Kleine Wasserlachen standen auf dem Kiesplatz und auf der Landstra�e, blitzten goldig oder spiegelten die zarte Bl�ue. Knirschend fuhr der Wagen vor und man stieg ein. Der Kandidat machte mehrere tiefe B�cklinge, die Tante nickte liebevoll und dr�ckte noch einmal allen die H�nde, die Hausm�dchen sahen vom Hintergrunde der Flur der Abfahrt zu.

Paul sa� im Wagen Thusnelde gegen�ber und spielte den Fr�hlichen. Er lobte das gute Wetter, sprach r�hmend von k�stlichen Ferientouren in die Berge, die er vorhabe, und sog jedes Wort und jedes Lachen des M�dchens gierig ein. Am fr�hen Morgen war er mit sehr schlechtem Gewissen in den Garten geschlichen und hatte in dem peinlich geschonten Lieblingsbeet seines Vaters die pr�chtigste halboffene Teerose abgeschnitten. Die trug er nun, zwischen Seidenpapier gelegt, versteckt in der Brusttasche und war best�ndig in Sorge, er k�nnte sie zerdr�cken. Eben so bang war ihm vor der M�glichkeit einer Entdeckung durch den Vater.

Die kleine Berta war ganz still und hielt den bl�henden Jasminzweig vors Gesicht, den ihr die Tante mitgegeben hatte. Sie war im Grunde fast froh, nun fortzukommen.

„Soll ich Ihnen einmal eine Karte schicken?“ fragte Thusnelde munter.

„O ja, vergessen Sie es nicht! Das w�re sch�n.“

Und dann f�gte er hinzu: „Aber Sie m�ssen dann auch unterschreiben, Fr�ulein Berta.“

Sie schrak ein wenig zusammen und nickte.

„Also gut, hoffentlich denken wir auch daran,“ sagte Thusnelde.

„Ja, ich will dich dann erinnern.“

Da war man schon am Bahnhof. Der Zug sollte erst in einer Viertelstunde kommen. Paul empfand diese Viertelstunde wie eine unsch�tzbare Gnadenfrist. Aber es ging ihm sonderbar; seit man den Wagen verlassen hatte und vor der Station auf und ab spazierte, fiel ihm kein Witz und kein Wort mehr ein. Er war pl�tzlich bedr�ckt und klein, sah oft auf die Uhr und horchte, ob der kommende Zug schon zu h�ren sei. Erst im letzten Augenblick zog er seine Rose hervor und dr�ckte sie noch an der Wagentreppe dem Fr�ulein in die Hand. Sie nickte ihm fr�hlich zu und stieg ein. Dann fuhr der Zug ab, und alles war aus.

Vor der Heimfahrt mit dem Papa graute ihm, und als dieser schon eingestiegen war, zog er den Fu� wieder vom Tritt zur�ck und meinte: „Ich h�tte eigentlich Lust, zu Fu� heimzugehen.“

„Schlechtes Gewissen, Paulchen?“

„O nein, Papa, ich kann ja auch mitkommen.“

Aber Herr Abderegg winkte lachend ab und fuhr allein davon.

„Er soll’s nur ausfressen,“ knurrte er unterwegs vor sich hin, „umbringen wird’s ihn nicht.“ Und er dachte, seit Jahren zum ersten Mal, an sein erstes Liebesabenteuer und war verwundert, wie genau er alles noch wu�te. Nun war also schon die Reihe an seinem Kleinen! Aber es gefiel ihm, da� der Kleine die Rose gestohlen hatte. Er hatte sie wohl gesehen.

Zu Hause blieb er einen Augenblick vor dem B�cherschrank im Wohnzimmer stehen. Er nahm den Werther heraus und steckte ihn in die Tasche, zog ihn aber gleich darauf wieder heraus, bl�tterte ein wenig darin herum, begann ein Lied zu pfeifen und stellte das B�chlein an seinen Ort zur�ck.

Mittlerweile lief Paul auf der warmen Landstra�e heimw�rts und war bem�ht, sich das Bild der sch�nen Thusnelde immer wieder vorzustellen. Erst als er hei� und erschlafft die Parkhecke erreicht hatte, �ffnete er die Augen und besann sich, was er nun treiben solle. Da zog ihn die pl�tzlich aufblitzende Erinnerung unwiderstehlich zur Trauerweide hin. Er suchte den Baum mit heftig wallendem Verlangen auf, schl�pfte durch die tiefh�ngenden Zweige und setzte sich auf dieselbe Stelle der Bank, wo er gestern neben Thusnelde gesessen war und wo sie ihre Hand auf seine gelegt hatte. Er schlo� die Augen, lie� die Hand auf dem Holze liegen und f�hlte noch einmal den ganzen Sturm, der gestern ihn gepackt und berauscht und gepeinigt hatte. Flammen wogten um ihn, und Meere rauschten, und hei�e St�rme zitterten sausend auf purpurnen Fl�geln vor�ber.

Paul sa� noch nicht lange an seinem Platz, so klangen Schritte und jemand trat herzu. Er blickte verwirrt auf, aus hundert Tr�umen gerissen, und sah den Herrn Homburger vor sich stehen.

„Ah, Sie sind da, Paul? Schon lange?“

„Nein, ich war ja mit an der Bahn. Ich kam zu Fu� zur�ck.“

„Und nun sitzen Sie hier und sind melancholisch.“

„Ich bin nicht melancholisch.“

„Also nicht. Ich habe Sie zwar schon munterer gesehen.“

Paul antwortete nicht.

„Sie haben sich ja sehr um die Damen bem�ht.“

„Finden Sie?“

„Besonders um die eine. Ich h�tte eher gedacht, Sie w�rden dem j�ngeren Fr�ulein den Vorzug geben.“

„Dem Backfisch? Hm.“

„Ganz richtig, dem Backfisch.“

Da sah Paul, da� der Kandidat ein fatales Grinsen aufsetzte, und ohne noch ein Wort zu sagen, kehrte er sich um und lief davon, mitten �ber die Wiese.

Mittags bei Tisch ging es sehr ruhig zu.

„Wir scheinen ja alle ein wenig m�de zu sein,“ l�chelte Herr Abderegg. „Auch du, Paul. Und Sie, Herr Homburger? Aber es war eine angenehme Abwechslung, nicht?“

„Gewi�, Herr Abderegg.“

„Sie haben sich mit dem Fr�ulein gut unterhalten? Sie soll ja riesig belesen sein.“

„Dar�ber m��te Paul unterrichtet sein. Ich hatte leider nur f�r Augenblicke das Vergn�gen.“

„Was sagst du dazu, Paul?“

„Ich? Von wem sprecht ihr denn?“

„Von Fr�ulein Thusnelde, wenn du nichts dagegen hast. Du scheinst einigerma�en zerstreut zu sein —.“

„Ach, was wird der Junge sich viel um die Damen gek�mmert haben,“ fiel die Tante ein.

„Ja, da hast du recht.“

Es wurde schon wieder hei�. Der Vorplatz strahlte Hitze aus und auf der Stra�e waren die letzten Regenpf�tzen vertrocknet. Auf ihrer sonnigen Wiese stand die alte Blutbuche, von warmem Licht umflossen und auf einem ihrer starken �ste sa� der junge Paul Abderegg, an den Stamm gelehnt und ganz von r�tlich dunkeln Laubschatten umfangen. Das war ein alter Lieblingsplatz des Knaben, er war dort vor jeder �berraschung sicher. Dort auf dem Buchenast hatte er heimlicherweise im Herbst vor drei Jahren die ‚R�uber‘ gelesen, dort hatte er seine erste halbe Zigarre geraucht und dort hatte er damals das Spottgedicht auf seinen fr�heren Hauslehrer gemacht, bei dessen Entdeckung sich die Tante so furchtbar aufgeregt hatte. Er dachte an diese und andere Streiche mit einem �berlegenen, nachsichtigen Gef�hl, als w�re das alles vor Urzeiten gewesen. Kindereien, Kindereien!

Mit einem Seufzer richtete er sich auf, kehrte sich behutsam im Sitze um, zog sein Taschenmesser heraus und begann am Stamm zu ritzen. Es sollte ein Herz daraus werden, das den Buchstaben T umschlo�, und er nahm sich vor, es sch�n und sauber auszuschneiden, wenn er auch mehrere Tage dazu brauchen sollte.

Noch am selben Abend ging er zum G�rtner hin�ber, um sein Messer schleifen zu lassen. Er trat selber das Rad dazu. Auf dem R�ckweg setzte er sich eine Weile in das alte Boot, pl�tscherte mit der Hand im Wasser und suchte sich auf die Melodie des Liedes zu besinnen, das er gestern von hier aus hatte singen h�ren. Der Himmel war halb verw�lkt und es sah aus, als werde in der Nacht schon wieder ein Gewitter kommen.

Der Lateinsch�ler

Mitten in dem enggebauten alten St�dtlein liegt ein phantastisch gro�es Haus mit vielen kleinen Fenstern und j�mmerlich ausgetretenen Vorstaffeln und Treppenstiegen, halb ehrw�rdig und halb l�cherlich, und ebenso war dem jungen Karl Bauer zumute, welcher als siebzehnj�hriges Sch�lerlein jeden Morgen und Mittag mit seinem B�chersack hineinging. Da hatte er seine Herzensfreude an dem sch�nen, klaren und t�ckelosen Latein und an den altdeutschen Dichtern, und hatte seine Plage mit dem schwierigen Griechisch und mit der Algebra, die ihm im dritten Jahr so wenig lieb war wie im ersten, und wieder seine Freude an ein paar graub�rtigen alten Lehrern und seine Not mit ein paar jungen; denn die jungen wollten immer ihren Sch�lern durchaus den eigentlichen tieferen Sinn der Dinge beibringen, und die Knaben hatten doch mit dem Auswendiglernen schon Pein und M�he genug.

Nicht weit vom Schulhaus, schon in der �bern�chsten Gasse, stand ein uralter Kaufladen, da ging es �ber dunkelfeuchte Stufen durch die immer offene T�re unabl�ssig aus und ein mit Leuten, und im pechfinsteren Hausgang roch es nach Sprit, Petroleum und K�se. Karl fand sich aber gut im Dunkeln durch, denn hoch oben im selben Haus hatte er seine Kammer, dort ging er zu Kost und Logis bei der Mutter des Ladenbesitzers. So finster es unten war, so hell und frei war es droben; dort hatten sie Sonne, soviel nur schien, und sahen �ber die halbe Stadt hinweg, deren D�cher sie fast alle kannten und einzeln mit Namen nennen konnten.

Aber von den vielerlei guten Sachen, die es im Laden in gro�er Menge gab, kam nur sehr weniges die steile Treppe herauf, zu Karl Bauer wenigstens, denn der Kosttisch seiner alten Frau Kusterer war mager bestellt und s�ttigte ihn niemals. Davon aber abgesehen hausten sie und er ganz freundschaftlich zusammen, und seine Kammer besa� er wie ein F�rst sein Schlo�. Niemand st�rte ihn darin, er mochte treiben, was es war, und er trieb vielerlei. Die zwei Meisen im K�fig w�ren noch das wenigste gewesen, aber er hatte auch eine Art Schreinerwerkstatt eingerichtet, und im Ofen schmolz und go� er Blei und Zinn, und sommers hielt er Blindschleichen und Eidechsen in einer Kiste — sie verschwanden immer nach kurzer Zeit durch immer neue L�cher im Drahtgitter. Au�erdem hatte er auch noch seine Geige, und wenn er nicht las oder schreinerte, so geigte er gewi�, zu allen Stunden bei Tag und bei Nacht. Nicht da� er darum viel gekonnt h�tte; im Gegenteil, er hatte das spr�de Notenwesen mit Seufzen wieder aufgegeben und fr�hnte einem ziellosen Probieren und Phantasieren, das ihm unendliche Freude machte. Au�erdem spielte er t�glich seine Lieblingslieder ‚Am Brunnen vor dem Tore‘, ‚z’ Lauterbach han i mein Strumpf verlore‘, ‚Fahr mir net �ber mei �ckerle‘, ‚Wei�t du wieviel Sternlein‘ und eine Menge andre, auch Chor�le.

So hatte der junge Mensch jeden Tag seine Freuden und lie� sich die Zeit niemals lang werden, zumal da es ihm nicht an B�chern fehlte, die er entlehnte, wo er eins stehen sah. Er las eine Menge, aber freilich war ihm nicht eins so lieb wie das andre, sondern er zog die M�rchen und Sagen sowie Trauerspiele in Versen allen andern vor.

Das alles, so sch�n es war, h�tte ihn aber doch nicht satt gemacht. Darum stieg er, wenn der fatale Hunger wieder zu m�chtig wurde, so still wie ein Wiesel die alten, schwarzen Stiegen hinunter bis in den steinernen Hausgang, in welchen nur aus dem Laden her ein schwacher Lichtstreifen fiel. Dort war es nicht selten, da� auf einer hohen leeren Kiste ein Rest guten K�ses lag, oder es stand ein halbvolles Heringsf��chen offen neben der T�r, und an guten Tagen oder wenn Karl unter dem Vorwand der Hilfsbereitschaft mutig in den Laden selber trat, kamen auch zuweilen ein paar H�nde voll ged�rrte Zwetschgen, Birnenschnitze oder dergleichen in seine Tasche.

Diese Z�ge unternahm er jedoch nicht mit Hinterlist, Habsucht und schlechtem Gewissen, sondern teils mit der Harmlosigkeit des Hungernden, teils mit den edel verachtungsvollen Gef�hlen eines hochherzigen R�ubers, der keine Menschenfurcht kennt und der Gefahr mit k�hlem Stolz ins Auge blickt. Auch schien es ihm ganz den Gesetzen der sittlichen Weltordnung zu entsprechen, da� das, was die alte Mutter geizig an ihm sparte, der �berf�llten Schatzkammer ihres Sohnes entzogen w�rde.

Diese verschiedenartigen Gewohnheiten, Besch�ftigungen und Liebhabereien h�tten, neben der allm�chtigen Schule her, eigentlich gen�gen k�nnen, um seine Zeit und seine Gedanken auszuf�llen. Karl Bauer war aber davon noch nicht befriedigt. Teils in Nachahmung einiger Mitsch�ler, teils infolge seiner vielen sch�ngeistigen Lekt�re, teils auch aus eignem Herzensbed�rfnis betrat er in jener Zeit zum ersten Mal das sch�ne ahnungsvolle Land der Frauenliebe. Und da er doch zum voraus genau wu�te, da� sein derzeitiges Streben und Werben zu keinem realen Ziele f�hren w�rde, war er nicht allzu bescheiden und weihte seine Verehrung dem sch�nsten M�dchen der Stadt, die aus reichem Hause war und schon durch die Pracht ihrer Kleidung alle gleichaltrigen Jungfern weit �berstrahlte. An ihrem Hause ging der Sch�ler t�glich vorbei, und wenn sie ihm begegnete, zog er den Hut so tief wie vor dem Rektor nicht. Das konnte er gefahrlos wagen, da mindestens ein Dutzend von seinen Mitsch�lern dem sch�nen Kinde dieselben Huldigungen darbrachte. Sodann versuchte er es mit Gedichten, wobei jedoch nichts Nennenswertes herauskam, denn au�erdem da� seine Verse nicht die edelsten waren, fehlte auch der lebendige Trieb einer wirklich echten Zuneigung, um nicht gar Leidenschaft zu sagen.

So waren seine Umst�nde beschaffen, als durch einen Zufall eine ganz neue Farbe in sein Dasein kam und neue Tore zum Leben sich ihm �ffneten.

Eines Abends gegen Ende des Herbstes, da Karl von der Schale mit d�nnem Milchkaffee wieder gar nicht satt geworden war, trieb ihn der Hunger auf die Streife. Er glitt unh�rbar die Treppe hinab und revierte im Hausgang, wo er nach kurzem Suchen mit hei�em Dankgef�hl einen irdenen Teller stehen sah, auf welchem zwei Winterbirnen von k�stlicher Gr��e und Farbe sich an eine rotger�nderte Scheibe Holl�nderk�se lehnten.

Leicht h�tte der Hungrige erraten k�nnen, da� diese Kollation f�r den Tisch des Hausherrn bestimmt und nur f�r Augenblicke von der Magd beiseite gestellt worden sei; aber im �berquellenden Entz�cken des unerwarteten Anblicks lag ihm der Gedanke an eine g�tige Schicksalsf�gung viel n�her, und er barg die Gabe mit dankbaren Gef�hlen in seine Taschen.

Noch ehe er damit fertig und wieder verschwunden war, trat jedoch die Dienstmagd Babett auf leisen Pantoffeln aus der Kellert�re, hatte ein Kerzenlicht in der Hand und entdeckte entsetzt den Frevel. Der junge Dieb hatte noch den K�se in der Hand; er blieb regungslos stehen und sah zu Boden, w�hrend in ihm alles auseinanderging und in einen Abgrund von weinerlich-zorniger Scham versank. So standen die beiden da, von der Kerze beleuchtet, und das Leben hat dem k�hnen Knaben seither wohl schmerzlichere Augenblicke beschert, aber gewi� nie einen peinlicheren.

„Nein, so was!“ sprach Babett endlich und sah den zerknirschten Frevler an, als w�re er eine Moritat. Dieser hatte leider nichts zu sagen.

„Das sind Sachen!“ fuhr sie fort. „Ja, wei�t du denn nicht, da� das gestohlen ist?“

„Doch, ja.“

„Herr du meines Lebens, wie kommst du denn dazu?“

„Es ist halt dagestanden, Babett, und da hab’ ich gedacht —“

„Was denn hast gedacht?“

„Weil ich halt so elend Hunger gehabt hab’ . . .“

Bei diesen Worten ri� das alte M�dchen ihre Augen weit auf und starrte den Armen mit unendlichem Verst�ndnis, Erstaunen und Erbarmen an.

„Hunger hast? Ja, kriegst denn nichts zu futtern da droben?“

„Wenig, Babett, wenig.“

„Jetzt da soll doch! Nun, ’s ist gut, ’s ist gut. Behalt’ das nur, was du im Sack hast, und den K�s auch, behalt’s nur, ’s ist noch mehr im Haus. Aber jetzt t�t’ ich raufgehen, sonst kommt noch jemand.“

In merkw�rdiger Stimmung kehrte Karl in seine Kammer zur�ck, setzte sich hin und verzehrte nachdenklich erst den Holl�nder und dann die Birnen. Dann wurde ihm freier ums Herz, er atmete auf, reckte sich und stimmte alsdann auf der Geige eine Art Dankpsalm an. Kaum war dieser beendet, so klopfte es leise an, und wie er aufmachte, stand vor der T�r die Babett und streckte ihm ein gewaltiges, ohne Sparsamkeit bestrichenes Butterbrot entgegen.

So sehr ihn dieses erfreute, wollte er doch h�flich ablehnen, aber sie litt es nicht, und er gab gerne nach.

„Geigen tust du aber m�chtig sch�n,“ sagte sie bewundernd, „ich hab’s schon �fter geh�rt. Und wegen dem Essen, da will ich schon sorgen. Am Abend kann ich dir gut immer was bringen, es braucht’s niemand zu wissen. Warum gibt sie dir’s auch nicht besser, wo doch wahrhaftig dein Vater genug Kostgeld zahlen mu�.“

Noch einmal versuchte der Bursche sch�chtern dankend abzulehnen, aber sie h�rte gar nicht darauf und er f�gte sich gerne. Am Ende kamen sie dahin �berein, da� Karl an Tagen der Hungersnot beim Heimkommen auf der Stiege das Lied ‚G�ldne Abendsonne‘ pfeifen sollte, dann k�me sie und br�chte ihm zu essen. Wenn er etwas andres pfiffe oder gar nichts, so w�re es nicht n�tig. Zerknirscht und dankbar legte er seine Hand in ihre breite Rechte, die mit starkem Druck das sch�ne B�ndnis besiegelte.

Und von dieser Stunde an geno� der Gymnasiast mit Behagen und nicht ohne eine gewisse dankbare R�hrung die Teilnahme und F�rsorge eines guten Frauengem�tes, zum ersten Mal seit den heimatlichen Knabenjahren, denn er war schon fr�h in Pension getan worden, da seine Eltern auf dem Lande wohnten. An jene Heimatjahre ward er auch oft erinnert, denn die Babett bewachte und verw�hnte ihn ganz wie eine Mutter, was sie ihren Jahren nach auch ann�hernd h�tte sein k�nnen. Sie war gegen vierzig und im Grunde eine eiserne, unbeugsame, energische Natur; aber Gelegenheit macht Diebe, und da sie so unerwartet an dem J�ngling einen dankbaren Freund und Sch�tzling und Futtervogel gefunden hatte, trat mehr und mehr aus dem bisher schlummernden Grunde ihres geh�rteten Gem�tes ein fast zaghafter Hang zu einiger Weichheit und selbstlosen Milde an den Tag.

Diese Regung kam dem Karl Bauer zugute und verw�hnte ihn schnell, wie denn so junge Knaben alles Dargebotene, sei es auch die seltenste Frucht, mit ruhiger Bereitwilligkeit und fast wie ein gutes Recht hinnehmen. So kam es auch, da� er schon nach wenigen Tagen jene so besch�mende erste Begegnung bei der Kellert�re v�llig vergessen hatte und jeden Abend seine ‚G�ldne Abendsonne‘ auf der Treppe erschallen lie�, als w�re es nie anders gewesen.

Trotz aller Dankbarkeit w�re vielleicht Karls Erinnerung an die Babett nicht so unverw�stlich lebendig geblieben, wenn ihre Wohltaten sich dauernd auf das E�bare beschr�nkt h�tten. Jugend ist hungrig, aber sie ist nicht weniger schw�rmerisch, und ein Verh�ltnis zu J�nglingen l��t sich mit K�se und Schinken, ja selbst mit Kellerobst und Wein nicht auf die Dauer warmhalten.

Die Babett war nicht nur im Hause Kusterer hochgeachtet und unentbehrlich, sondern geno� in der ganzen Nachbarschaft den Ruf einer tadelfreien und doch wieder nicht zu herben Ehrbarkeit. Wo sie dabei war, ging es auf eine anst�ndige Weise heiter zu. Das wu�ten die Nachbarinnen, und sie sahen es daher gern, wenn ihre Dienstm�gde, namentlich die jungen, mit ihr Umgang hatten. Wen sie empfahl, der fand gute Aufnahme, und wer ihren vertrauteren Verkehr geno�, der war besser aufgehoben als im M�gdestift oder Jungfrauenverein.

Feierabends und an den Sonntagnachmittagen war also die Babett selten allein, sondern stets von einem Kr�nzlein j�ngerer M�gde umgeben, denen sie die Zeit herumbringen half und mit allerlei Rat zur Hand ging, aber gar nicht k�hl und streng, sondern mit Witz und kr�ftigen Spr�chen. Dabei wurden Spiele gespielt, Lieder gesungen, Scherzfragen und R�tsel aufgegeben, und wer etwa einen Br�utigam oder einen ordentlichen Bruder besa�, durfte ihn gern mitbringen. Freilich geschah das nur sehr selten, denn die Br�ute wurden dem Kreise meistens bald untreu, und die jungen Gesellen und Knechte hatten es mit der Babett nicht so freundschaftlich wie die M�dchen. Denn lockere Liebesgeschichten duldete sie nicht; wenn von ihren Sch�tzlingen eine auf solche Wege geriet und durch ernstes Vermahnen nicht zu bessern war, so blieb sie ausgeschlossen.

In diese muntere Jungferngesellschaft ward der Lateinsch�ler als harmloser Gast aufgenommen, und vielleicht hat er dort mehr gelernt als im Gymnasium, wenn auch nicht in den offiziellen Lehrf�chern. Den Abend seines Eintritts hat er nicht vergessen. Es war im Hinterhof, die M�dchen sa�en auf Treppenstaffeln und leeren Kisten, es war dunkel und oben flo� der viereckig abgeschnittene Abendhimmel noch in schwachem mildblauem Licht. Die Babett sa� vor der halbrunden Kellereinfahrt auf einem F��chen, und Karl stand sch�chtern neben ihr an den Torbalken gelehnt, sagte nichts und schaute in der D�mmerung die ruhigen Gesichter der M�dchen an. Zugleich dachte er ein wenig �ngstlich daran, was wohl seine Kameraden zu diesem abendlichen Verkehr sagen w�rden, wenn sie davon erf�hren.

Ach, diese M�dchengesichter! Fast alle kannte er vom Sehen schon, aber nun waren sie, so im Halblicht zusammenger�ckt, ganz ver�ndert und sahen ihn wie lauter R�tsel an. Er wei� auch heute noch alle Namen und alle Gesichter, und von vielen die Geschichte dazu. Was f�r Geschichten! Wieviel Schicksal, Ernst, Wucht und auch Anmut in den paar kleinen M�gdeleben!

Es war die Anna vom Gr�nen Baum da, die hatte als ganz junges Ding in ihrem ersten Dienst einmal gestohlen und war einen Monat gesessen. Nun war sie seit Jahren treu und ehrlich und galt f�r ein Kleinod. Sie hatte gro�e braune Augen und einen herben Mund, sa� schweigsam da und sah den J�ngling mit k�hler Neugierde an. Aber ihr Schatz, der ihr damals bei der Polizeigeschichte untreu geworden war, hatte inzwischen geheiratet und war schon wieder Witwer geworden. Er lief ihr jetzt wieder nach und wollte sie durchaus noch haben, aber sie machte sich hart und tat, als wollte sie nichts mehr von ihm wissen, obwohl sie ihn heimlich noch so lieb hatte wie je.

Die Margret aus der Binderei war immer fr�hlich, sang und klang und hatte Sonne in den rotblonden Kraushaaren. Sie war best�ndig sauber gekleidet und hatte immer etwas Sch�nes und Heiteres an sich, ein blaues Band oder ein paar Blumen, und doch gab sie niemals Geld aus, sondern schickte jeden Pfennig ihrem Stiefvater heim, der’s versoff und ihr nicht danke sagte. Sie hat dann sp�ter ein schweres Leben gehabt, ungeschickt geheiratet und sonst vielerlei Pech und Not, aber auch dann ging sie noch leicht und h�bsch einher, hielt sich rein und schmuck und l�chelte zwar seltener, aber desto sch�ner.

Und so fast alle, eine um die andre, wie wenig Freude und Geld und Freundliches haben sie gehabt und wieviel Arbeit, Sorge und �rger, und wie haben sie sich durchgebracht und sind obenan geblieben, mit wenig Ausnahmen lauter wackere und unverw�stliche K�mpferinnen! Und wie haben sie in den paar freien Stunden gelacht und sich fr�hlich gemacht mit nichts, mit einem Witz und einem Lied, mit einer Handvoll Waln�sse und einem roten Bandrestchen! Wie haben sie vor Lust gezittert, wenn eine recht grausame Martergeschichte erz�hlt wurde, und wie haben sie bei traurigen Liedern mitgesungen und geseufzt und gro�e Tr�nen in den guten Augen gehabt!

Ein paar von ihnen waren ja auch widerw�rtig, krittelig und stets zum N�rgeln und Klatschen bereit, aber die Babett fuhr ihnen, wenn es not tat, schon �bers Maul. Und auch sie trugen ja ihre Last und hatten es nicht leicht. Die Gret vom Bischofseck namentlich war eine Ungl�ckliche. Sie trug schwer am Leben und schwer an ihrer gro�en Tugend, sogar im Jungfrauenverein war es ihr nicht fromm und streng genug, und bei jedem kr�ftigen Wort, das an sie kam, seufzte sie tief in sich hinein, bi� die Lippen zusammen und sagte leise: „Der Gerechte mu� viel leiden.“ Sie litt jahraus jahrein und gedieh am Ende doch dabei, aber wenn sie ihren Strumpf voll ersparter Taler �berz�hlte, wurde sie ger�hrt und fing zu weinen an. Zweimal konnte sie einen Meister heiraten, aber sie tat es beide Mal nicht, denn der eine war ein Leichtfu� und der andere war selber so gerecht und edel, da� sie bei ihm das Seufzen und Unverstandensein h�tte entbehren m�ssen.

Die alle sa�en da in der Ecke des dunkeln Hofes, erz�hlten einander ihre Begebenheiten und warteten darauf, was der Abend nun Gutes und Fr�hliches bringen w�rde. Ihre Reden und Geb�rden wollten dem gelehrten J�ngling anf�nglich nicht die kl�gsten und nicht die feinsten scheinen, aber bald wurde ihm, da seine Verlegenheit wich, freier und wohler, und er blickte nun auf die im Dunkel beisammen kauernden M�dchen wie auf ein ungew�hnliches, sonderbar sch�nes Bild.

„Ja, das w�re also der Herr Lateinsch�ler,“ sagte die Babett und wollte sogleich die Geschichte seines kl�glichen Hungerleidens vortragen, doch da zog er sie flehend am �rmel, und sie schonte ihn gutm�tig.

„Da m�ssen Sie sicher schrecklich viel lernen?“ fragte die rotblonde Margret aus der Binderei, und sie fuhr sogleich fort: „Auf was wollen Sie denn studieren?“

„Ja, das ist noch nicht ganz bestimmt. Vielleicht Doktor.“

Das erweckte Ehrfurcht, und alle sahen ihn aufmerksam an.

„Da m�ssen Sie aber doch zuerst noch einen Schnurrbart kriegen,“ meinte die Lene vom Apotheker, und nun lachten sie teils leise kichernd, teils kreischend auf und kamen mit hundert Neckereien, deren er sich ohne Babetts Hilfe schwerlich erwehrt h�tte. Schlie�lich verlangten sie, er solle ihnen eine Geschichte erz�hlen. Ihm wollte, so viel er auch gelesen hatte, keine einfallen als das M�rchen von dem, der auszog, das Gruseln zu lernen; doch hatte er kaum recht angefangen, da lachten sie und riefen: „Das wissen wir schon lang,“ und die Grete vom Bischofseck sagte geringsch�tzig: „Das ist blo� f�r Kinder.“ Da h�rte er auf und sch�mte sich, und die Babett versprach an seiner Stelle: „N�chstes Mal erz�hlt er was andres, er hat ja so viel B�cher daheim!“ Das war ihm auch recht und er beschlo�, sie gl�nzend zufriedenzustellen.

Unterdessen hatte der Himmel den letzten blauen Schimmer verloren, und auf seiner matten Schw�rze schwamm ein Stern.

„Jetzt m�sset ihr aber heim,“ ermahnte die Babett, und sie standen auf, sch�ttelten und r�ckten die Z�pfe und Sch�rzen zurecht, nickten einander zu und gingen davon, die einen durchs hintere Hoft�rlein, die andern durch den Gang und die Haust�re.

Auch Karl Bauer sagte Gutenacht und stieg in seine hohe Kammer hinauf, befriedigt und auch nicht, mit unklarem Gef�hl. Denn so tief er in Jugendhochmut und Lateinsch�lertorheiten steckte, so hatte er doch gemerkt, da� unter diesen seinen neuen Bekannten ein andres Leben gelebt ward als das seinige und da� fast alle diese M�dchen, mit fester Kette ans r�hrige Alltagsleben gebunden, Kr�fte in sich trugen und Dinge wu�ten, die f�r ihn so fremd wie ein M�rchen waren. Nicht ohne einen kleinen Forscherd�nkel gedachte er m�glichst tief in die interessante Poesie dieses naiven Lebens, in die Welt des Urvolkst�mlichen, der Moritaten und Soldatenlieder hineinzublicken. Aber doch f�hlte er diese Welt der seinigen in gewissen Dingen unheimlich �berlegen und f�rchtete heimlich allerlei Tyrannei und �berw�ltigung von ihr.

Einstweilen lie� sich jedoch keine derartige Gefahr blicken, auch wurden die abendlichen Zusammenk�nfte der M�gde immer k�rzer, denn es ging schon stark in den Winter hinein, und man machte sich, wenn es auch noch mild war, jeden Tag auf den ersten Schnee gefa�t. Immerhin fand Karl noch Gelegenheit, seine Geschichte loszuwerden. Es war die vom Zundelheiner und Zundelfrieder, die er im Schatzk�stlein gelesen hatte, und sie fand keinen geringen Beifall. Die Moral am Schlusse lie� er weg, aber die Babett f�gte eine solche aus eignem Bed�rfnis und Verm�gen hinzu. Die M�dchen, mit Ausnahme der Gret, lobten den Erz�hler �ber Verdienst, wiederholten abwechselnd die Hauptszenen und baten sehr, er m�ge n�chstens wieder so etwas zum besten geben. Er versprach es auch, aber schon am andern Tag wurde es so kalt, da� an kein Herumstehen im Freien mehr zu denken war, und dann kamen, je n�her die Weihnacht r�ckte, andre Gedanken und Freuden �ber ihn.

Er schnitzelte alle Abend an einem Tabakskasten f�r seinen Papa und dann an einem lateinischen Vers dazu. Der Vers wollte jedoch niemals jenen klassischen Adel bekommen, ohne welchen ein lateinisches Distichon gar nicht auf seinen F��en stehen kann, und so schrieb er schlie�lich nur ‚Wohl bekomm’s!‘ in gro�en Schn�rkelbuchstaben auf den Deckel, zog die Linien mit dem Schnitzmesser nach und polierte den Kasten mit Bimsstein und Wachs. Alsdann reiste er wohlgemut in die Ferien.

Der Januar war kalt und klar, und Karl ging, so oft er eine freie Stunde hatte, auf den Eisplatz zum Schlittschuhlaufen. Dabei ging ihm eines Tages sein bi�chen eingebildeter Liebe zu jenem sch�nen B�rgerm�dchen verloren. Seine Kameraden umwarben sie mit hundert kleinen Kavalierdiensten, und er konnte wohl sehen, da� sie einen wie den andern mit derselben k�hlen, ein wenig neckischen H�flichkeit und Koketterie behandelte. Da wagte er es einmal und forderte sie zum Fahren auf, ohne allzusehr zu err�ten und zu stottern, aber immerhin mit einigem Herzklopfen. Sie legte eine kleine, in weiches, feines Leder gekleidete Linke in seine frostrote Rechte, fuhr mit ihm dahin und verhehlte kaum ihre Belustigung �ber seine hilflosen Anl�ufe zu einer galanten Konversation. Schlie�lich machte sie sich mit leichtem Dank und Kopfnicken los, und gleich darauf h�rte er sie mit ihren Freundinnen, von denen manche listig nach ihm her�berschielten, so herzlich hell und boshaft lachen, wie es nur h�bsche und verw�hnte kleine M�dchen k�nnen.

Das war ihm zu viel, er tat von da an diese ohnehin nicht echte Schw�rmerei entr�stet von sich ab und machte sich ein Vergn�gen daraus, k�nftighin den Fratz, wie er sie jetzt nannte, weder auf dem Eisplatz noch auf der Stra�e mehr zu gr��en.

Seine Freude dar�ber, dieser unw�rdigen Fesseln einer faden Galanterie wieder ledig zu sein, suchte er dadurch zum Ausdruck zu bringen und wom�glich zu erh�hen, da� er h�ufig in den Abendstunden mit einigen verwegenen Kameraden auf Abenteuer auszog. Sie h�nselten die Polizeidiener, klopften an erleuchtete Parterrefenster, zogen an Glockenstr�ngen und klemmten elektrische Dr�cker mit Z�ndholzsp�nen fest, brachten angekettete Hofhunde zur Raserei und erschreckten M�dchen und Frauen in entlegenen Vorstadtgassen durch Pfiffe, Knallerbsen und Kleinfeuerwerk.

Karl Bauer f�hlte sich bei diesen Unternehmungen im winterlichen Abenddunkel eine Zeitlang �beraus wohl; ein fr�hlicher �bermut und zugleich ein fast �ngstlich beklemmendes Erlebensfieber machte ihn dann wild und k�hn und bereitete ihm ein k�stliches Herzklopfen, das er niemand eingestand und das er doch wie einen Rausch geno�. Nachher spielte er dann zu Hause noch lange auf der Geige oder las spannende B�cher und kam sich dabei vor wie ein vom Beutezug heimgekehrter Raubritter, der seinen S�bel abgewischt und an die Wand geh�ngt und einen friedlich leuchtenden Kienspan entz�ndet hat, um sich noch ein stilles Feierabendvergn�gen zu g�nnen.

Als aber bei diesen D�mmerungsfahrten allm�hlich alles immer wieder auf die gleichen kleinen Streiche und Erg�tzungen hinauslief und als niemals etwas von den heimlich erwarteten richtigen Abenteuern passieren wollte, fing das Vergn�gen allm�hlich an ihm zu verleiden, und er zog sich von der ausgelassenen Kameradschaft entt�uscht mehr und mehr zur�ck. Und gerade an jenem Abend, da er zum letzten Mal mitmachte und nur mit halbem Herzen noch dabei war, mu�te ihm dennoch ein kleines Erlebnis bl�hen.

Die Buben liefen zu viert in der Br�helgasse hin und her, spielten mit kleinen Spazierst�ckchen und sannen auf Schandtaten. Der eine hatte einen blechernen Zwicker mit Fenstergl�sern auf der Nase, und alle vier trugen ihre H�te und M�tzen mit burschikoser Leichtfertigkeit schief auf dem Hinterkopf. Nach einer Weile wurden sie von einem eilig daherkommenden Dienstm�dchen �berholt, sie streifte rasch an ihnen vorbei und trug einen gro�en Henkelkorb am Arm. Aus dem Korbe hing ein langes St�ck schwarzes Band herunter, flatterte bald lustig auf und ber�hrte bald mit dem schon beschmutzten Ende den Boden.

Ohne eigentlich etwas dabei zu denken, fa�te Karl Bauer im �bermut nach dem B�ndel und hielt ihn fest. W�hrend die junge Magd sorglos weiterging, rollte das Band sich immer l�nger ab, und die Buben brachen in ein frohlockendes Gel�chter aus. Da drehte das M�dchen sich um, stand wie der Blitz vor den lachenden J�nglingen, sch�n und jung und blond, gab dem Bauer eine Ohrfeige, nahm das verlorene Band hastig auf und eilte schnell davon.

Der Spott ging nun �ber den Gez�chtigten her, aber Karl war ganz schweigsam geworden und nahm an der n�chsten Stra�enecke kurzen Abschied.

Es war ihm sonderbar ums Herz. Das M�dchen, dessen Gesicht er nur einen Augenblick in der halbdunkeln Gasse gesehen hatte, war ihm sehr sch�n und lieb erschienen, und der Schlag von ihrer Hand, so sehr er sich seiner sch�mte, hatte ihm mehr wohl als weh getan. Aber wenn er daran dachte, da� er dem lieben Gesch�pf einen dummen Bubenstreich gespielt hatte und da� sie ihm nun z�rnen und ihn f�r einen einf�ltigen Ulkmacher ansehen m�sse, dann brannte ihn Reue und Scham so heftig, als h�tte er mindestens einen Brudermord ver�bt.

Langsam ging er heim und pfiff auf der steilen Treppe diesmal kein Lied, sondern stieg still und bedr�ckt in seine Kammer hinauf. Eine halbe Stunde lang sa� er in dem dunkeln und kalten St�blein, die Stirn an der Fensterscheibe. Dann langte er die Geige hervor und spielte lang und viel, aber keine heftigen Phantasieen, sondern lauter sanfte, alte Lieder aus seiner Kinderzeit und darunter manche, die er seit vier und f�nf Jahren nimmer gesungen oder gegeigt hatte. Er dachte an seine Schwester und an den Garten daheim, an den Kastanienbaum und an die rote Kapuzinerbl�te an der Veranda, und an seine Mutter. Und als er dann m�de und verwirrt zu Bett gegangen war und doch nicht gleich schlafen konnte, da geschah es dem trotzigen Abenteurer und Gassenhelden, da� er ganz leise und sanft zu weinen begann und stille weiter weinte, bis er eingeschlummert war.

Karl kam nun bei den bisherigen Genossen seiner abendlichen Streifz�ge in den Ruf eines Feiglings und Deserteurs, denn er nahm nie wieder an diesen G�ngen teil. Statt dessen las er den Don Carlos, die Gedichte Emanuel Geibels und die Hallig von Biernatzki, fing ein Tagebuch an und nahm die Hilfsbereitschaft der guten Babett nur selten mehr in Anspruch.

Diese gewann den Eindruck, es m�sse etwas bei dem jungen Manne nicht in Ordnung sein, und da sie nun einmal eine Art m�tterlicher F�rsorge um ihn �bernommen hatte, erschien sie eines Tages an seiner Kammert�r, um nach dem Rechten zu sehen. Sie kam nicht mit leeren H�nden, sondern brachte ein sch�nes St�ck Lyonerwurst mit und drang darauf, da� Karl es sofort vor ihren Augen verzehre.

„Ach la� nur, Babett,“ meinte er, „jetzt hab’ ich gerade keinen Hunger.“

Sie war jedoch der Ansicht, junge Leute m��ten zu jeder Stunde essen k�nnen, und lie� nicht nach, bis er ihren Willen erf�llt hatte. Sie hatte einmal von der �berb�rdung der Jugend an den Gymnasien geh�rt und wu�te nicht, wie fern ihr Sch�tzling sich von jeder �beranstrengung im Studieren hielt. Nun sah sie in der auffallenden Abnahme seiner E�lust eine beginnende Krankheit, redete ihm ernstlich ins Gewissen, erkundigte sich nach den Einzelheiten seines Befindens und bot ihm am Ende ein bew�hrtes volkst�mliches Laxiermittel an. Da mu�te Karl doch lachen und erkl�rte ihr, da� er v�llig gesund sei und da� sein geringerer Appetit nur von einer Laune oder Verstimmung herr�hre. Das begriff sie sofort.

„Pfeifen h�rt man dich auch fast gar nimmer,“ sagte sie lebhaft, „und es ist dir doch niemand gestorben. Sag, du wirst doch nicht gar verliebt sein?“

Karl konnte nicht verhindern, da� er ein wenig rot wurde, doch wies er diesen Verdacht mit Entr�stung zur�ck und behauptete, ihm fehle nichts als ein wenig Zerstreuung, er habe Langeweile.

„Dann wei� ich dir gleich etwas,“ rief Babett fr�hlich. „Morgen hat die kleine Lies vom unteren Eck Hochzeit. Sie war ja schon lang genug verlobt, mit einem Arbeiter. Eine bessere Partie h�tte sie schon machen k�nnen, sollte man denken, aber der Mann ist nicht unrecht, und das Geld allein macht auch nicht selig. Und zu der Hochzeit mu�t du kommen, die Lies kennt dich ja schon, und alle haben eine Freude, wenn du kommst und zeigst, da� du nicht zu stolz bist. Die Anna vom Gr�nen Baum und die Gret vom Bischofseck sind auch da, und ich, sonst nicht viel Leute. Wer sollt’s auch zahlen? Es ist halt nur so eine stille Hochzeit, im Haus, und kein gro�es Essen und kein Tanz und nichts dergleichen. Man kann ohne das vergn�gt sein.“

„Ich bin aber doch nicht eingeladen,“ meinte Karl zweifelnd, da die Sache ihm nicht gar so verlockend vorkam. Aber die Babett lachte nur.

„Ach was, das besorg’ ich schon, und es handelt sich ja auch blo� um eine Stunde oder zwei am Abend. Und jetzt f�llt mir noch das Allerbeste ein! Du bringst deine Geige mit. — Warum nicht gar! Ach, dumme Ausreden! Du bringst sie mit, gelt ja, das gibt eine Unterhaltung, und man dankt dir noch daf�r.“

Es dauerte nicht lange, so hatte der junge Herr zugesagt.

Am andern Tage holte ihn die Babett gegen Abend ab; sie hatte ein wohlerhaltenes Prachtkleid aus ihren j�ngeren Jahren angelegt, das sie stark beengte und erhitzte, und sie war ganz aufgeregt und rot vor Festfreude. Doch duldete sie nicht, da� Karl sich umkleide, nur einen frischen Kragen solle er umlegen, und die Stiefel b�rstete sie trotz des Staatskleides ihm sogleich an den F��en ab. Dann gingen sie miteinander in das �rmliche Vorstadthaus, wo jenes junge Ehepaar eine Stube nebst K�che und Kammer gemietet hatte. Und Karl nahm seine Geige mit.

Sie gingen langsam und vorsichtig, denn seit gestern war Tauwetter eingetreten, und sie wollten doch mit reinen Stiefeln drau�en ankommen. Babett trug einen ungeheuer gro�en und massiven Regenschirm unter den Arm geklemmt und hielt ihren rotbraunen Rock mit beiden H�nden hoch heraufgezogen, nicht zu Karls Freude, der sich ein wenig sch�mte, mit ihr gesehen zu werden.

In dem sehr bescheidenen, wei�gegipsten Wohnzimmer der Neuverm�hlten sa�en um den tannenen, sauber gedeckten E�tisch sieben oder acht Menschen in ehrbarer Fr�hlichkeit beieinander, au�er dem Paare selbst zwei Kollegen des Hochzeiters und ein paar Basen oder Freundinnen der jungen Frau. Es hatte einen Schweinebraten mit Salat zum Festmahl gegeben, und nun stand ein Kuchen auf dem Tisch und daneben am Boden zwei gro�e Bierkr�ge. Als die Babett mit Karl Bauer ankam, standen alle auf, der Hausherr machte zwei schamhafte Verbeugungen, die redegewandte Frau �bernahm die Begr��ung und Vorstellung und jeder von den G�sten gab den Angekommenen die Hand.

„Nehmet vom Kuchen,“ sagte die Wirtin. Und der Mann stellte schweigend zwei neue Gl�ser hin und schenkte Bier hinein.

Karl hatte, da noch keine Lampe angez�ndet war, bei der Begr��ung niemand als die Gret vom Bischofseck erkannt. Auf einen Wink Babetts dr�ckte er ein in Papier gewickeltes Geldst�ck, das sie ihm zu diesem Zwecke vorher �bergeben hatte, der Hausfrau in die Hand und sagte einen Gl�ckwunsch dazu. Dann wurde ihm ein Stuhl hingeschoben, und er kam vor sein Bierglas zu sitzen.

In diesem Augenblick sah er mit pl�tzlichem Erschrecken neben sich das Gesicht jener jungen Magd, die ihm neulich in der Br�helgasse die Ohrfeige versetzt hatte. Sie schien ihn jedoch nicht zu erkennen, wenigstens sah sie ihm gleichm�tig ins Gesicht und hielt ihm, als jetzt auf den Vorschlag des Wirtes alle miteinander anstie�en, ruhig und freundlich ihr Glas entgegen. Hierdurch ein wenig beruhigt, wagte Karl sie offen anzusehen. Er hatte in letzter Zeit jeden Tag oft genug an dies Gesicht gedacht, das er damals nur einen Augenblick und seither nicht wieder gesehen hatte, und nun wunderte er sich, wie anders sie aussah. Sie war sanfter und zarter, auch etwas schlanker und leichter als das Bild, das er von ihr herumgetragen hatte. Aber sie war nicht weniger h�bsch und noch viel liebreizender, und es wollte ihm scheinen, sie sei kaum �lter als er.

W�hrend die andern, namentlich Babett und die Anna, sich lebhaft unterhielten, wu�te Karl nichts zu sagen und sa� stille da, drehte sein Bierglas in der Hand und lie� die Junge, Blonde nicht aus den Augen. Wenn er daran dachte, wie oft es ihn verlangt hatte, diesen Mund zu k�ssen, erschrak er beinahe, denn das schien ihm nun, je l�nger er sie ansah, desto schwieriger und verwegener, ja ganz unm�glich zu sein.

Er wurde kleinlaut und blieb eine Weile schweigsam und unfroh sitzen. Da rief ihn die Babett auf, er solle seine Geige nehmen, und etwas spielen. Der Junge str�ubte und zierte sich ein wenig, griff dann aber schnell in den Kasten, zupfte, stimmte und spielte alsdann ein beliebtes Lied, das, obwohl er zu hoch angestimmt hatte, die ganze Gesellschaft sogleich mitsang.

Damit war das Eis gebrochen, und es entstand eine laute, wennschon sehr ehrbare Fr�hlichkeit um den Tisch. Eine nagelneue kleine Stehlampe ward vorgezeigt, mit �l gef�llt und angez�ndet, Lied um Lied klang in der Stube auf, ein frischer Krug Bier wurde aufgestellt, und als Karl Bauer einen der wenigen T�nze, die er konnte, anstimmte, waren im Augenblick drei Paare auf dem Plan und drehten sich lachend durch den viel zu engen Raum.

Gegen neun Uhr brachen die G�ste auf. Die Blonde hatte eine Stra�e lang denselben Weg wie Karl und Babett, und auf diesem Wege wagte er es, ein Gespr�ch mit dem M�dchen zu f�hren.

„Wo sind Sie denn hier im Dienst?“ fragte er sch�chtern.

„Beim Kaufmann Kolderer, in der Salzgasse am Eck.“

„So, so.“

„Ja.“

„Ja freilich. So . . .“

Dann gab es eine l�ngere Pause. Aber er riskierte es und fing noch einmal an.

„Sind Sie schon lange hier?“

„Ein halb Jahr.“

„Ich mein’ immer, ich h�tte Sie schon einmal gesehen.“

„Ich Sie aber nicht.“

„Einmal am Abend, in der Br�helgasse, nicht?“

„Ich wei� nichts davon. Liebe Zeit, man kann ja nicht alle Leute auf der Gasse so genau angucken.“

Gl�cklich atmete er auf, da� sie den �belt�ter von damals nicht in ihm erkannt hatte; er war schon entschlossen gewesen, sie um Verzeihung zu bitten.

Da war sie an der Ecke ihrer Stra�e und blieb stehen, um Abschied zu nehmen. Sie gab der Babett die Hand und zu Karl sagte sie: „Adieu, denn, Herr Student. Und danke auch sch�n.“

„F�r was denn?“

„F�r die Musik, f�r die sch�ne. Also Gutnacht miteinander.“

Karl streckte ihr, als sie eben umdrehen wollte, die Hand hin, und sie legte die ihre fl�chtig darein. Dann war sie fort.

Als er nachher auf dem Treppenabsatz der Babett Gutnacht sagte, fragte sie: „Nun, ist’s sch�n gewesen oder nicht?“

„Sch�n ist’s gewesen, wundersch�n, jawohl,“ sagte er gl�cklich und war froh, da� es so dunkel war, denn er f�hlte, wie ihm das warme Blut ins Gesicht stieg.

Die Tage nahmen zu. Es wurde allm�hlich w�rmer und blauer, auch in den verstecktesten Gr�ben und Hofwinkeln schmolz das alte graue Grundeis weg, und an hellen Nachmittagen wehte schon Vorfr�hlingsahnung in den L�ften.

Da er�ffnete auch die Babett ihren abendlichen Hofzirkel wieder und sa�, so oft es die Witterung dulden wollte, vor der Kellereinfahrt im Gespr�ch mit ihren Freundinnen und Schutzbefohlenen. Karl aber hielt sich fern und lief in der Traumwolke seiner Verliebtheit herum. Das Vivarium in seiner Stube hatte er eingehen lassen, auch das Schnitzen und Schreinern trieb er nicht mehr. Daf�r hatte er sich ein Paar eiserne Hanteln von unm��iger Gr��e und Schwere angeschafft und turnte damit, wenn das Geigen nimmer helfen wollte, bis zur Ersch�pfung in seiner Kammer auf und ab.

Drei- oder viermal war er der hellblonden jungen Magd wieder auf der Gasse begegnet und hatte sie jedesmal liebenswerter und sch�ner gefunden. Aber mit ihr gesprochen hatte er nicht mehr und sah auch keine Aussicht dazu offen.

Da geschah es an einem Sonntagnachmittag, dem ersten Sonntag im M�rz, da� er beim Verlassen des Hauses nebenan im H�flein die Stimmen der versammelten M�gde erlauschte und in pl�tzlich erregter Neugierde sich ans angelehnte Tor stellte und durch den Spalt hinaussp�hte. Er sah die Gret und die fr�hliche Margret aus der Binderei dasitzen und hinter ihnen einen lichtblonden Kopf, der sich in diesem Augenblick ein wenig erhob. Und Karl erkannte sein M�dchen, die blonde Tine, und mu�te vor frohem Schrecken erst veratmen und sich zusammenraffen, ehe er die T�r aufsto�en und zu der Gesellschaft treten konnte.

„Wir haben schon gemeint, der Herr sei vielleicht zu stolz geworden,“ rief die Margret lachend und streckte ihm als erste die Hand entgegen. Die Babett drohte ihm mit dem Finger, machte ihm aber zugleich einen Platz frei und hie� ihn sitzen. Dann fuhren die Weiber in ihren vorigen Gespr�chen fort. Karl aber verlie� sobald wie m�glich, scheinbar um sich schlendernd ein wenig im Hofe umzuschauen, seinen Sitz und schritt eine Weile hin und her, bis er neben der Tine Halt machte.

„So, sind Sie auch da?“ fragte er leise.

„Jawohl, warum auch nicht? Ich habe immer geglaubt, Sie k�men einmal. Aber Sie m�ssen gewi� alleweil lernen.“

„O, so schlimm ist das nicht mit dem Lernen, das l��t sich noch zwingen. Wenn ich nur gewu�t h�tte, da� Sie dabei sind, dann w�r’ ich sicher immer gekommen.“

„Ach, gehen Sie doch mit so Komplimenten!“

„Es ist aber wahr, ganz gewi�. Wissen Sie, damals bei der Hochzeit ist es so sch�n gewesen.“

„Ja, ganz nett.“

„Weil Sie dortgewesen sind, blo� deswegen.“

„Sagen Sie keine so Sachen, Sie machen ja nur Schund.“

„Nein, nein. Sie m�ssen mir nicht b�s sein.“

„Warum auch b�s?“

„Ich hatte schon Angst, ich sehe Sie am Ende gar nimmer.“

„So, und was dann?“

„Dann — dann wei� ich gar nicht, was ich getan h�tte. Vielleicht w�r’ ich ins Wasser gesprungen.“

„O je, ’s w�r’ schad um die Haut, sie h�tt’ k�nnen na� werden.“

„Ja, Ihnen w�r’s nat�rlich nur zum Lachen gewesen.“

„Das doch nicht. Aber Sie reden auch ein Zeug, da� man ganz sturm im Kopf k�nnt’ werden. Geben Sie obacht, sonst auf einmal glaub’ ich’s Ihnen.“

„Das d�rfen Sie auch tun, ich mein’ es nicht anders.“

Hier wurde er von der herben Stimme der Gret �bert�nt. Sie erz�hlte schrill und klagend eine lange Schreckensgeschichte von einer b�sen Herrschaft, die eine Magd erb�rmlich behandelt und gespeist und dann, nachdem sie krank geworden war, ohne Sang und Klang entlassen hatte. Und kaum war sie mit dem Erz�hlen fertig, so fiel der Chor der andern laut und heftig ein, bis die Babett zum Frieden mahnte. Im Eifer der Debatte hatte Tines n�chste Nachbarin dieser den Arm um die H�fte gelegt und Karl Bauer merkte, da� er einstweilen auf eine Fortf�hrung des Zwiegespr�ches verzichten m�sse.

Er kam auch zu keiner neuen Ann�herung, harrte aber wartend aus, bis nach nahezu zwei Stunden die Margret das Zeichen zum Aufbruch gab. Es war schon d�mmerig und k�hl geworden. Er sagte kurz adieu und lief eilig davon.

Als eine Viertelstunde sp�ter die Tine sich in der N�he ihres Hauses von der letzten Begleiterin verabschiedet hatte und die kleine Strecke vollends allein ging, trat pl�tzlich hinter einem sch�nen alten Ahornbaume hervor der Lateinsch�ler ihr in den Weg und gr��te sie mit sch�chterner H�flichkeit. Sie erschrak ein wenig und sah ihn beinahe zornig an.

„Was wollen Sie denn, Sie?“

Da bemerkte sie, da� der junge Kerl ganz �ngstlich und bleich aussah, und sie milderte Blick und Stimme betr�chtlich.

„Also, was ist’s denn mit Ihnen?“

Er stotterte sehr und brachte wenig Deutliches heraus. Dennoch verstand sie, was er meine, und verstand auch, da� es ihm ernst sei, und kaum sah sie den Jungen so hilflos in ihre H�nde geliefert, so tat er ihr auch schon erb�rmlich leid, nat�rlich ohne da� sie darum weniger Stolz und Freude �ber ihren Triumph empfunden h�tte.

„Machen Sie keine dummen Sachen,“ redete sie ihm g�tig zu. Und als sie h�rte, da� er erstickte Tr�nen in der Stimme hatte, f�gte sie hinzu: „Wir sprechen ein andermal miteinander, jetzt mu� ich heim. Sie d�rfen auch nicht so aufgeregt sein, nicht wahr? Also aufs Wiedersehen!“

Damit enteilte sie nickend, und er ging langsam, langsam davon, w�hrend die D�mmerung zunahm und vollends in Finsternis und Nacht �berging. Er schritt durch Stra�en und �ber Pl�tze, an H�usern, Mauern, G�rten und sanftflie�enden Brunnen vorbei, ins Feld vor die Stadt hinaus und wieder in die Stadt hinein, unter den Rathausbogen hindurch und am oberen Marktplatz hin, aber alles war verwandelt und ein unbekanntes Fabelland geworden. Er hatte ein M�dchen lieb, und er hatte es ihr gesagt, und sie war g�tig gegen ihn gewesen und hatte ‚auf Wiedersehen‘ zu ihm gesagt!

Lange schritt er ziellos so umher, und da es ihm k�hl wurde, hatte er die H�nde in die Hosentaschen gesteckt, und als er beim Einbiegen in seine Gasse aufschaute und den Ort erkannte und aus seinem Traum erwachte, fing er ungeachtet der sp�ten Abendstunde an laut und durchdringend zu pfeifen, worauf er sich ganz vortrefflich verstand. Es t�nte widerhallend durch die n�chtige Stra�e und verklang erst im k�hlen Hausgang der Witwe Kusterer.

Tine machte sich dar�ber, was aus der Sache werden solle, viel Gedanken, jedenfalls mehr als der Verliebte, der vor Erwartungsfieber und s��er Erregung nicht zum Nachdenken kam. Das M�dchen fand, je l�nger sie sich das Geschehene vorhielt und �berlegte, desto weniger Tadelnswertes an dem h�bschen und flotten Knaben; auch war es ihr ein neues und k�stliches Gef�hl, einen so feinen und gebildeten, dazu unverdorbenen J�ngling in sie verliebt zu wissen. Dennoch dachte sie keinen Augenblick an ein Liebesverh�ltnis, das ihr nur Schwierigkeiten oder gar Schaden bringen und jedenfalls zu keinem soliden und ersprie�lichen Ziele f�hren konnte.

Hingegen widerstrebte es ihr auch wieder, dem armen Buben durch eine harte Antwort oder durch gar keine wehe zu tun. Am liebsten h�tte sie ihn halb schwesterlich, halb m�tterlich in G�te und Scherz zurechtgewiesen. Denn obwohl sie keine zwei Jahre �lter war als Karl Bauer und obwohl sie seine Manieren hochsch�tzte und vor der Gelehrsamkeit, die sie unn�tigerweise bei ihm vermutete, Respekt hatte, schien er ihr doch gar unerwachsen und b�bchenm��ig. M�dchen sind ohnehin in diesen Jahren h�ufig schon fertiger und ihres Wesens sicherer als Knaben, und eine Dienstmagd vollends, die ihr eigen Brot verdient und ihre feste Stellung und Pflicht im Leben hat, ist in Dingen der Lebensklugheit ohne Zweifel jedem Sch�ler oder Studentlein weit �berlegen, zumal wenn dieser verliebt ist und sich willenlos ihrem Gutd�nken �berl��t.

Die Gedanken und Entschl�sse der bedr�ngten Magd schwankten zwei Tage lang hin und wider. So oft sie zu dem Schlu� gekommen war, eine strenge und deutliche Abweisung sei doch das richtige, so oft wehrte sich ihr Herz, das in den Jungen zwar keineswegs verliebt, aber ihm doch in mitleidig-g�tigem Wohlwollen zugetan war.

Und schlie�lich machte sie es, wie es die meisten Leute in derartigen Lagen machen; sie wog ihre Entschl�sse so lang gegeneinander ab, bis sie gleichsam abgenutzt waren und zusammen wieder dasselbe zweifelnde Schwanken darstellten wie in der ersten Stunde. Und als es Zeit zu handeln war, tat und sagte sie kein Wort von dem zuvor Bedachten und Beschlossenen, sondern �berlie� sich v�llig dem Augenblick, gerade wie Karl Bauer auch.

Diesem begegnete sie am dritten Abend, als sie ziemlich sp�t noch auf einen Ausgang geschickt wurde, in der N�he ihres Hauses. Er gr��te bescheiden und sah ziemlich kleinlaut und kl�glich aus, denn das Warten hatte ihn doch mitgenommen. Nun standen die zwei jungen Leute voreinander und wu�ten nicht recht, was sie einander zu sagen h�tten. Die Tine f�rchtete, man m�chte sie sehen, und trat schnell in eine offenstehende, dunkle Toreinfahrt, wohin Karl ihr �ngstlich folgte. Nebenzu scharrten Rosse in einem Stall, und in irgendeinem benachbarten Hof oder Garten probierte ein unerfahrener Dilettant seine Anf�ngergriffe auf einer Blechfl�te.

„Was der aber zusammenbl�st!“ sagte Tine leise und lachte gezwungen.

„Tine!“

„Ja, was denn?“

„Ach Tine — —“

Der scheue Junge wu�te nicht, was f�r ein Spruch seiner warte, aber es wollte ihm scheinen, die Blonde z�rne ihm nicht unvers�hnlich.

„Du bist so lieb,“ sagte er ganz leise und erschrak sofort dar�ber, da� er sie ungefragt geduzt h�tte.

Sie z�gerte eine Weile mit der Antwort. Da griff er, dem der Kopf ganz leer und wirbelig war, nach ihrer Hand, und er tat es so kinderm��ig sch�chtern und hielt die Hand so �ngstlich lose und bittend, da� es ihr unm�glich wurde, ihm den verdienten Tadel zu erteilen. Vielmehr l�chelte sie beinahe ger�hrt und fuhr dem armen Liebhaber mit ihrer freien Linken sachte �bers Haar.

„Bist du mir auch nicht b�s?“ fragte er, selig best�rzt.

„Nein, du Bub, du kleiner,“ lachte die Tine nun freundlich. „Aber fort mu� ich jetzt, man wartet daheim auf mich. Ich mu� ja noch Wurst holen.“

„Darf ich nicht mit?“

„Nein, was denkst du auch! Geh voraus und heim, nicht da� uns jemand beieinander sieht.“

„Also gut Nacht, Tine.“

„Ja, geh jetzt nur! Gut Nacht.“

Er hatte noch mehreres fragen und erbitten wollen, aber er dachte jetzt nimmer daran und ging gl�cklich fort, mit leichten, ruhigen Schritten, als sei die gepflasterte Stadtstra�e ein weicher Rasenboden, und mit blinden, einw�rts gekehrten Augen, als komme er aus einem blendend lichten Lande. Er hatte ja kaum mit ihr gesprochen, aber er hatte ‚du‘ zu ihr gesagt und sie zu ihm, er hatte ihre Hand gehalten, und sie war ihm mit der ihren �bers Haar gefahren. Das schien ihm mehr als genug und auch noch nach vielen Jahren und vielen St�rmen f�hlte er, so oft er an diesen Abend im M�rzen dachte, ein lindes, warmes Gl�cklichsein und eine dankbare G�te seine Seele wie ein Lichtschein erf�llen.

Die Tine freilich, als sie nachtr�glich das Begebnis �berdachte, konnte durchaus nimmer begreifen, wie das zugegangen war. Doch f�hlte sie wohl, da� Karl an diesem Abend ein gro�es Gl�ck erlebt habe und ihr daf�r mehr als dankbar sei, auch verga� sie seine kindliche Versch�mtheit und sch�chterne Z�rtlichkeit nicht und konnte schlie�lich in dem Geschehenen, das ja doch nimmer zu bessern war, kein so gro�es Unheil finden. Immerhin wu�te sich das kluge und brave M�dchen von jetzt an f�r den Schw�rmer verantwortlich und nahm sich vor, ihn so sanft und sicher wie m�glich an dem angesponnenen Faden zum Rechten zu f�hren. Denn da� eines Menschen erste Verliebtheit, sie m�ge noch so heilig und k�stlich sein, doch nur ein Behelf und ein Umweg sei, das hatte sie, es war noch nicht so lange her, selber mit Schmerzen am eignen Leben erfahren. Nun hoffte sie, dem Kleinen ohne allzu vieles unn�tige Wehetun �ber die Sache hin�ber zu helfen.

Das n�chste Wiedersehen geschah erst am Sonntag bei der Babett. Dort begr��te Tine den Gymnasiasten freundlich, nickte ihm von ihrem Platze aus ein- oder zweimal l�chelnd zu, zog ihn mehrmals mit ins Gespr�ch und schien im �brigen nicht anders mit ihm zu stehen als fr�her. F�r ihn aber war jedes L�cheln von ihr ein unsch�tzbares Geschenk und jeder Blick eine Flamme, die ihn mit Glanz und Glut umh�llte.

Einige Tage sp�ter aber kam Tine endlich dazu, deutlich mit dem Jungen zu reden. Es war nachmittags nach der Schule, und Karl hatte wieder in der Gegend um ihr Haus herum gelauert, was ihr nicht gefiel. Sie nahm ihn durch den kleinen Garten in einen Holzspeicher hinter dem Hause mit, wo es nach S�gsp�nen und trockenem Buchenholz roch. Dort nahm sie ihn vor, untersagte ihm vor allem sein Verfolgen und Auflauern und machte ihm klar, was sich f�r einen jungen Liebhaber von seiner Art geb�hre.

„Du siehst mich jedesmal bei der Babett, und von dort kannst du mich ja allemal begleiten, wenn du magst, aber nur bis dahin, wo die andern mitgehen, nicht den ganzen Weg. Allein mit mir gehen darfst du nicht, und wenn du vor den andern nicht Obacht gibst und dich zusammennimmst, dann geht alles schlecht. Die Leute haben ihre Augen �berall, und wo sie’s rauchen sehen, schreien sie gleich Feurio.“

„Ja, wenn ich doch aber dein Schatz bin,“ erinnerte Karl etwas weinerlich. Sie lachte.

„Mein Schatz! Was hei�t jetzt das wieder! Sag das einmal der Babett oder deinem Vater daheim, oder deinem Lehrer! Ich hab’ dich ja ganz gern und will nicht unrecht mit dir sein, aber eh’ du mein Schatz sein k�nntest, da m��test du vorher dein eigner Herr sein und dein eignes Brot essen, und bis dahin ist’s doch noch recht lang. Einstweilen bist du einfach ein verliebter Schulbub, und wenn ich’s nicht gut mit dir meinte, w�rd’ ich gar nimmer mit dir dr�ber reden. Deswegen brauchst du aber nicht den Kopf zu h�ngen, das bessert nichts.“

„Was soll ich dann tun? Hast du mich nicht gern?“

„O Kleiner! Davon ist doch nicht die Rede. Nur vern�nftig sein sollst du und nicht Sachen verlangen, die man in deinem Alter noch nicht haben kann. Wir wollen gute Freunde sein und einmal abwarten, mit der Zeit kommt schon alles, wie es soll.“

„Meinst du? Ja, du mu�t’s wissen. Aber du, etwas hab’ ich doch sagen wollen —“

„Und was?“

„Ja, sieh — n�mlich — —“

„Red’ doch!“

„— ob du mir nicht auch einmal einen Ku� geben willst.“

Sie betrachtete sein rotgewordenes, unsicher fragendes Gesicht und seinen knabenhaften, h�bschen Mund, und einen Augenblick schien es ihr nahezu erlaubt, ihm den Willen zu tun. Dann schalt sie sich aber sogleich und sch�ttelte streng den blonden Kopf.

„Einen Ku�? F�r was denn?“

„Nur so. Du mu�t nicht b�s sein.“

„Ich bin nicht b�s. Aber du mu�t auch nicht keck werden. Sp�ter einmal reden wir wieder davon. Kaum kennst du mich und willst gleich k�ssen! Mit so Sachen soll man kein Spiel treiben. Also sei jetzt brav, am Sonntag seh’ ich dich wieder, und dann k�nntest du auch einmal deine Geige bringen, nicht?“

„Ja, gern.“

Sie lie� ihn gehen und sah ihm nach, wie er nachdenklich und ein wenig unlustig davonschritt. Und sie fand, er sei doch ein ordentlicher Kerl, dem sie nicht zu weh tun d�rfe.

Wenn Tines Ermahnungen auch eine bittere Pille f�r Karl Bauer gewesen waren, er folgte doch und befand sich schlie�lich gar nicht schlecht dabei. Zwar hatte er vom Liebeswesen einigerma�en andre Vorstellungen gehabt und war anfangs ziemlich entt�uscht, aber bald entdeckte er die alte Wahrheit, da� Geben seliger als Nehmen ist und da� Lieben sch�ner ist und seliger macht als Geliebtwerden. Da� er seine Liebe nicht verbergen und sich ihrer nicht sch�men mu�te, sondern sie anerkannt, wenn auch zun�chst nicht belohnt sah, das gab ihm ein Gef�hl der Lust und Freiheit und hob ihn aus dem engen Kreise seiner bisherigen unbedeutenden Existenz in die h�here Welt der gro�en Gef�hle und Ideale.

Bei den Zusammenk�nften der M�gde spielte er jetzt jedesmal ein paar St�cklein auf der Geige vor.

„Das ist blo� f�r dich, Tine,“ sagte er nachher, „weil ich dir sonst nichts geben und zulieb tun kann.“

Zweimal gew�hrte sie ihm ein besonderes Stelldichein, einmal an einem freien Nachmittag hinter dem Hause und einmal an einem Freitag Abend auf einem einsamen Zimmerplatz in der Vorstadt. Beide Mal, ohne da� sie ihn irgend z�rtlicher behandelt oder ihm mehr als das Halten und Streicheln ihrer Hand geg�nnt h�tte, begl�ckte ihn die Heimlichkeit der Verabredung und des Zusammenseins und das Vertrauen, das sie ihm damit zeigte, und er kehrte wie von gro�en Abenteuern und �berschwenglichen Gen�ssen heim.

Der Fr�hling r�ckte n�her und war pl�tzlich da, mit gelben Sternbl�mlein auf zartgr�nen Matten, mit dem tiefen F�hnblau ferner Waldgebirge, mit feinen Schleiern jungen Laubes im Gezweige und wiederkehrenden Zugv�geln. Die Hausfrauen stellten ihre Stockscherben mit Hyazinthen und Geranien auf die gr�nbemalten Blumenbretter vor den Fenstern. Die M�nner verdauten mittags unterm Haustor in Hemd�rmeln und konnten abends im Freien Kegel schieben. Die jungen Leute kamen in Unruhe, wurden schw�rmerischer und verliebten sich.

An einem Sonntag, der mildblau und l�chelnd �ber dem schon gr�nen Flu�tal aufgegangen war und nach Mittag schon ganz erstaunlich w�rmte, ging die Tine mit einer Freundin spazieren. Sie wollten eine Stunde weit nach der Emanuelsburg laufen, einer Ruine im Wald. Als sie aber schon gleich vor der Stadt an einem fr�hlichen Wirtsgarten vor�berkamen, wo eine Musik erschallte und auf einem runden Rasenplatz ein Schleifer getanzt wurde, gingen sie zwar an der Versuchung vor�ber, aber langsam und z�gernd, und als die Stra�e einen Bogen machte, und als sie bei dieser Windung noch einmal das s�� anschwellende Wogen der schon ferner t�nenden Musik vernahmen, da gingen sie noch langsamer und gingen schlie�lich gar nicht mehr, sondern lehnten am Wiesengatter des Stra�enrandes und lauschten hin�ber, und als sie nach einer Weile wieder Kraft zum Gehen hatten, war doch die lustig sehns�chtige Musik st�rker als sie und zog sie r�ckw�rts.

„Die alte Emanuelsburg lauft uns nicht davon,“ sagte die Freundin, und damit tr�steten sich beide und traten err�tend und mit gesenkten Blicken in den Garten, wo man durch ein Netzwerk von Zweigen und braunen, harzigen Kastanienknospen den Himmel noch blauer lachen sah. Es war ein herrlicher Nachmittag, und als Tine gegen Abend in die Stadt zur�ckkehrte, tat sie es nicht allein, sondern wurde h�flich von einem kr�ftigen, h�bschen Mann begleitet, um den ihre nebenher laufende Freundin sie mit Recht nicht wenig beneidete.

Und diesmal war die h�bsche Tine an den Rechten gekommen. Er war Zimmermannsgesell und ein brauchbarer Mensch, der mit dem Meisterwerden und einer etwaigen Heirat nicht mehr allzu lange zu warten brauchte. Er sprach andeutungsweise und stockend von seiner Liebe und deutlich und flie�end von seinen Verh�ltnissen und Aussichten. Es zeigte sich, da� er unbekannterweise die Tine schon einige Mal gesehen und begehrenswert gefunden hatte und da� es ihm nicht nur um ein vor�bergehendes Liebesvergn�gen zu tun war. Eine Woche lang sah sie ihn t�glich und gewann ihn t�glich lieber, zugleich besprachen sie offen alles N�tige, und dann waren sie einig und galten voreinander und vor ihren Bekannten als Verlobte.

Auf die erste traumartige Erregung folgte bei Tine ein stilles, fast feierliches Fr�hlichsein, �ber welchem sie eine Weile alles verga�, auch den armen Sch�ler Karl Bauer, der in dieser ganzen Zeit vergeblich auf sie wartete.

Als ihr der vernachl�ssigte Junge wieder ins Ged�chtnis kam, tat er ihr so leid, da� sie im ersten Augenblick daran dachte, ihm die Neuigkeit noch eine Zeitlang vorzuenthalten. Dann wieder schien ihr dies doch nicht gut und erlaubt zu sein, und je mehr sie es bedachte, desto schwieriger kam die Sache ihr vor. Sie bangte davor, sogleich ganz offen mit dem Ahnungslosen zu reden, und wu�te doch, da� das der einzige Weg zum Guten war; und jetzt sah sie erst ein, wie gef�hrlich, wenn nicht unrecht ihr wohlgemeintes Spiel mit dem Knaben gewesen war. Jedenfalls mu�te sogleich etwas geschehen, ehe der Junge durch andre von ihrem neuen Verh�ltnis erfuhr und dumme Streiche machte. Auch wollte sie durchaus nicht, da� er schlecht von ihr denke. Sie f�hlte, ohne es deutlich zu wissen, da� sie dem J�ngling einen Vorgeschmack und eine Ahnung der Liebe gegeben hatte und da� die Erkenntnis des Betrogenseins ihn sch�digen und ihm das Erlebte vergiften w�rde. Sie hatte nie gedacht, da� diese harmlose Knabengeschichte ihr so zu schaffen machen k�nnte.

Am Ende ging sie in ihrer Ratlosigkeit zur Babett, welche freilich in Liebesangelegenheiten nicht die berufenste Richterin sein mochte. Aber sie wu�te, da� die Babett ihren Lateinsch�ler ehrlich lieb hatte und sich um sein Ergehen sorgte, und so wollte sie lieber einen Tadel von ihr ertragen als den jungen Verliebten unbeh�tet alleingelassen wissen.

Der Tadel blieb allerdings nicht aus. Die Babett, nachdem sie die ganze Erz�hlung des M�dchens aufmerksam und schweigend angeh�rt hatte, stampfte zornig auf den Boden und fuhr die reum�tige Bekennerin mit rechtschaffener Entr�stung an.

„Mach keine sch�nen Worte!“ rief sie ihr heftig zu. „Du hast ihn einfach an der Nase herumgef�hrt und deinen gottlosen Spa� mit ihm gehabt, mit dem Bauer, und nichts weiter.“

„Das Schimpfen hilft nicht viel, Babett. Wei�t du, wenn mir’s blo� ums Am�sieren gewesen w�r’, dann w�r’ ich jetzt nicht zu dir gelaufen und h�tte dir’s eingestanden. Es ist mir nicht so leicht gewesen.“

„So? Und jetzt, was stellst du dir vor? Wer soll jetzt die Suppe ausfressen, he? Ich vielleicht? Und es bleibt ja doch alles an dem Bub hangen, an dem armen.“

„Ja, der tut mir leid genug. Aber h�r mir zu. Ich meine, ich rede jetzt mit ihm und sag’ ihm alles selber, ich will mich nicht schonen. Nur hab’ ich wollen, da� du davon wei�t, damit du nachher kannst ein Aug’ auf ihn haben, falls es ihn zu arg plagt. — Wenn du also willst —?“

„Kann ich denn anders? Kind, dummes, vielleicht lernst du was dabei. Die Eitelkeit und das Herrgottspielenwollen betreffend, meine ich. Es k�nnte nicht schaden.“

Diese Unterredung hatte das Ergebnis, da� die alte Magd noch am selben Tag eine Zusammenkunft der beiden im Hofe veranstaltete, ohne da� Karl ihre Mitwisserschaft erriet. Es ging gegen den Abend, und das St�ckchen Himmel �ber dem kleinen Hofraum gl�hte mit schwachem Goldfeuer. In der Torecke aber war es dunkel, und niemand konnte die zwei jungen Leute dort sehen.

„Ja, ich mu� dir was sagen, Karl,“ fing das M�dchen an. „Heut m�ssen wir einander adieu sagen. Es hat halt alles einmal sein Ende.“

„Aber was denn — — warum —?“

„Weil ich jetzt einen Br�utigam hab’ —“

„Einen — — —“

„Sei ruhig, gelt, und h�r mich zuerst. Siehst, du hast mich ja gern gehabt, und ich hab’ dich nicht wollen so ohne H�st und ohne Hott fortschicken, wie man’s auch oft macht. Ich hab’ dir ja auch gleich gesagt, wei�t du, da� du dich deswegen nicht als meinen Schatz ansehen darfst, nicht wahr?“

Karl schwieg.

„Nicht wahr?“

„Ja, also.“

„Und jetzt m�ssen wir ein Ende machen, und du mu�t es auch nicht schwer nehmen, es lauft auf der Gasse voll mit M�dchen, und ich bin nicht die einzige und auch nicht die rechte f�r dich, wo du doch studierst und sp�ter ein Herr wirst und vielleicht ein Doktor.“

„Nein du, Tine, sag das nicht!“

„Es ist halt doch so und nicht anders. Und das will ich dir auch noch sagen, da� das niemals das Richtige ist, wenn man sich zum ersten Mal verliebt. So jung wei� man ja noch gar nicht, was man will. Es wird nie etwas draus, und sp�ter sieht man dann alles anders an und sieht ein, da� es nicht das Rechte war.“

Karl wollte etwas antworten, er hatte viel dagegen zu sagen, aber vor Leid und innerem Schluchzen brachte er kein Wort heraus. Doch k�mpfte er tapfer mit den Tr�nen und hielt sich m�nnlich aufrecht.

„Hast du was sagen wollen?“ fragte die Tine.

„O du, du wei�t ja gar nicht — —“

„Was, Karl?“

„Ach, nichts. O Tine, was soll ich denn anfangen?“

„Nichts anfangen, blo� ruhig bleiben. Das dauert nicht lang, und nachher bist du froh, da� es so gekommen ist.“

„Du redest, ja, du redest —“

„Ich red’ nur, was in der Ordnung ist, und du wirst sehen, da� ich ganz recht hab’, wenn du auch jetzt nicht dran glauben willst. Es tut mir ja leid, du, es tut mir wirklich so leid.“

„Tut’s dir? — Tine, ich will ja nichts sagen, du sollst ja ganz recht haben — — aber da� das alles so auf einmal aufh�ren soll, alles —“

Er kam nicht weiter, und sie legte ihm die Hand auf die zuckende Schulter und wartete still, bis sein Weinen nachlie�.

„H�r mich,“ sagte sie dann entschlossen. „Du mu�t mir jetzt versprechen, da� du brav und gescheit sein willst.“

„Ich will nicht gescheit sein! Tot m�cht’ ich sein, lieber tot, als so — —“

„Du, Karl, tu nicht so w�st! Schau, du hast fr�her einmal einen Ku� von mir haben wollen — wei�t noch?“

„Ich wei�.“

„Also. Jetzt, wenn du brav sein willst — sieh, ich mag doch nicht, da� du nachher �bel von mir denkst; ich m�cht’ so gern im Guten von dir Abschied nehmen. Wenn du brav sein willst, dann will ich dir den Ku� heut geben. Willst du?“

Er nickte nur und sah sie aus verweinten Augen ratlos an. Und sie trat dicht zu ihm hin und gab ihm den Ku�, und der war still und ohne Gier, rein gegeben und genommen. Zugleich nahm sie seine Hand und dr�ckte sie leise, dann ging sie schnell durchs Tor in den Hausgang und davon.

Karl Bauer h�rte ihre Schritte im Gang schallen und verklingen; er h�rte, wie sie das Haus verlie� und �ber die Vortreppe auf die Stra�e ging. Er h�rte es, aber er dachte an andre Dinge.

Er dachte an eine winterliche Abendstunde, in der ihm auf der Gasse eine junge blonde Magd eine Ohrfeige gegeben hatte, und dachte an einen Vorfr�hlingsabend, da im Schatten einer Hofeinfahrt ihm eine M�dchenhand das Haar gestreichelt hatte, und die Welt war verzaubert und die Stra�en der Stadt waren fremde, selig sch�ne R�ume gewesen. Melodien fielen ihm ein, die er fr�her gegeigt hatte, und jener Hochzeitsabend in der Vorstadt mit Bier und Kuchen. Bier und Kuchen, kam es ihm vor, war eigentlich eine l�cherliche Zusammenstellung, aber er konnte nicht weiter daran denken, denn er hatte ja seinen Schatz verloren und war betrogen und verlassen worden. Freilich, sie hatte ihm einen Ku� gegeben — einen Ku� . . . O Tine!

M�de setzte er sich auf eine von den vielen leeren Kisten, die im Hof herumstanden. Das kleine Himmelsviereck �ber ihm wurde rot und wurde silbern, dann erlosch es und blieb lange Zeit tot und dunkel, und nach Stunden, da es mondhell wurde, sa� Karl Bauer noch immer auf seiner Kiste, und sein verk�rzter Schatten lag schwarz und mi�gestaltet vor ihm auf dem unebenen Steinpflaster.

Es waren nur fl�chtige und vereinzelte Blicke eines Zaungastes gewesen, die der junge Bauer ins Land der Liebe getan hatte, aber sie waren hinreichend gewesen, ihm das Leben ohne den Trost und Glanz der Frauenliebe traurig und wertlos erscheinen zu lassen. So lebte er jetzt leere, schwerm�tige Tage und verhielt sich gegen die Ereignisse und Pflichten des allt�glichen Lebens teilnahmslos wie einer, der nicht mehr dazu geh�rt. Sein Griechischlehrer verschwendete nutzlose Ermahnungen zu Selbstzucht und flei�igerer Arbeit an den unaufmerksamen Tr�umer; auch die guten Bissen der getreuen Babett schlugen ihm nicht an und ihr wohlgemeinter Zuspruch glitt ohne Wirkung an ihm ab.

Es war eine sehr scharfe, au�erordentliche Vermahnung vom Rektor und eine schm�hliche Arreststrafe n�tig, um den Entgleisten wieder auf die ebene Bahn der Arbeit und Vernunft zu zwingen. Er sah ein, da� es t�richt und �rgerlich w�re, gerade vor dem letzten Schuljahr noch sitzen zu bleiben, und begann in die immer l�nger werdenden Fr�hsommerabende hinein zu studieren, da� ihm der Kopf rauchte.

Das war der Anfang zur Genesung, obwohl Karl selber nicht daran glaubte. Die vielen Stunden trostlos traurigen Br�tens hatten ihn elend gemacht, so da� jetzt die unerl��liche strenge Arbeit ihm wohltat, schon weil sie seine Gedanken nicht um den ewig gleichen Jammer weiter kreisen lie�.

Freilich zuweilen geschah es trotzdem noch, da� abends im Bett oder auch auf einsamen Spazierg�ngen die halbbet�ubte Verzweiflung wieder erwachte, da� er Tines Namen hundertmal aussprach und sich hei� und m�de weinte. Manchmal suchte er auch die Salzgasse auf, in der Tine gewohnt hatte, und begriff nicht, warum er ihr kein einziges Mal mehr begegnete. Das hatte jedoch seinen guten Grund. Das M�dchen war schon bald nach ihrem letzten Gespr�ch mit Karl abgereist, um in der Heimat ihre Aussteuer fertig zu machen. Er glaubte, sie sei noch da und weiche ihm aus, und nach ihr fragen mochte er niemand, auch die Babett nicht. Nach solchen Fehlg�ngen kam er, je nachdem, ingrimmig oder traurig heim, st�rmte wild auf der Geige oder starrte lang durchs kleine Fenster auf die vielen D�cher hinaus.

Immerhin ging es vorw�rts mit ihm, und daran hatte auch die Babett ihren Teil. Wenn sie merkte, da� er einen �beln Tag hatte, dann kam sie nicht selten am Abend heraufgestiegen und klopfte an seine T�re. Und dann sa� sie, obwohl sie ihn nicht wissen lassen wollte, da� sie den Grund seines Leides kenne, lange bei ihm und brachte ihm Trost. Sie redete nicht von der Tine und nichts von Liebessachen, aber sie erz�hlte ihm kleine drollige Anekdoten, brachte ihm eine halbe Flasche Most oder Wein mit, bat ihn um ein Lied auf der Geige oder um das Vorlesen einer Geschichte. So verging der Abend friedlich, und wenn es sp�t war und die Babett wieder ging, war Karl stiller geworden und konnte ohne b�se Tr�ume schlafen. Und das alte M�dchen bedankte sich noch jedesmal, wenn sie adieu sagte, f�r den sch�nen Abend.

Langsam gewann der Liebeskranke seine fr�here Art und seinen Frohmut wieder, ohne zu wissen, da� die Tine sich bei der Babett �fters in Briefen nach ihm erkundigte. Er war ein wenig m�nnlicher und reifer geworden, hatte das in der Schule Vers�umte wieder eingebracht und f�hrte nun so ziemlich dasselbe Leben wie vor einem Jahre, nur die Eidechsensammlung und das V�gelhalten fing er nicht wieder an. Aus den Gespr�chen der Oberprimaner, die im Abgangsexamen standen, drangen verlockend klingende Worte �ber akademische Herrlichkeiten ihm ins Ohr, und da er nun wu�te, da� er nicht sitzen bleiben m�sse, f�hlte er sich diesem Paradiese wohlig n�her ger�ckt und begann sich nun allm�hlich auf die langen Sommerferien ungeduldig zu freuen. Jetzt erst erfuhr er auch durch die Babett, da� Tine schon lange die Stadt verlassen habe, und wenn auch die Wunde noch zuckte und leise brannte, so war sie doch schon geheilt und dem Vernarben nahe.

Auch wenn weiter nichts geschehen und die ganze Sache nun abgeschlossen gewesen w�re, h�tte Karl die Geschichte seiner ersten Liebe in gutem und dankbarem Andenken behalten und gewi� nie vergessen. Es kam aber noch ein kurzes Nachspiel dazu, das er noch weniger vergessen hat.

Acht Tage vor den Sommerferien hatte die Freude auf die Heimkehr und Freiheit in seiner noch biegsamen Seele die nachklingende Liebestrauer �bert�nt und verdr�ngt. Er begann schon zu packen, verbrannte alte Schulhefte und trieb mit den B�chern, die er im legten Schuljahr nimmer brauchte, seinen Schacher. Die Aussicht auf Waldspazierg�nge, Flu�bad und Nachenfahrten, auf Heidelbeeren und Jakobi�pfel und ungebunden fr�hliche Bummeltage machte ihn so froh, wie er lange nicht mehr gewesen war. Gl�cklich lief er durch die hei�en Stra�en, und an Tine hatte er schon seit mehreren Tagen gar nimmer gedacht.

Um so heftiger schreckte er zusammen, als er eines Nachmittags auf dem Heimweg von der Turnstunde in der Malzgasse unvermutet mit Tine zusammentraf. Er blieb stehen, gab ihr verlegen die Hand und sagte beklommen Gr��gott. Aber trotz seiner eigenen Verwirrung bemerkte er bald, da� sie traurig und verst�rt aussah.

„Wie geht’s, Tine?“ fragte er sch�chtern und wu�te nicht, ob er zu ihr ‚du‘ oder ‚Sie‘ sagen solle.

„Nicht gut,“ sagte sie einfach. „Kommst du ein St�ck weit mit?“

Er kehrte um und schritt langsam neben ihr die Stra�e zur�ck, w�hrend er daran denken mu�te, wie sie sich fr�her dagegen gestr�ubt hatte, mit ihm gesehen zu werden. Freilich, sie ist ja jetzt verlobt, dachte er, und um nur etwas zu sagen, tat er eine Frage nach dem Befinden ihres Br�utigams. Da zuckte Tine so j�mmerlich zusammen, da� es auch ihm weh tat.

„Wei�t du also noch nichts?“ sagte sie leise.

„Nein, aber was ist denn —“

„Er liegt im Spital, und man wei� nicht, ob er mit dem Leben davonkommt. — Was ihm fehlt? Von einem Neubau ist er abgest�rzt und ist seit gestern nicht zu sich gekommen.“

Schweigend gingen sie weiter. Karl besann sich vergebens auf irgendein gutes Wort der Teilnahme; ihm war es wie ein be�ngstigender Traum, da� er jetzt so neben ihr durch die Stra�en ging und Mitleid mit ihr haben mu�te.

„Wo gehst du jetzt hin?“ fragte er schlie�lich, da er das Schweigen nimmer ertrug.

„Wieder zu ihm. Sie haben mich mittags fortgeschickt, weil mir’s nicht gut war.“

Er begleitete sie bis an das gro�e stille Krankenhaus, das heiter und reinlich zwischen hohen B�umen und umz�unten Anlagen stand, und ging auch leise schaudernd mit hinein �ber die breite Treppe und durch die mit Matten belegten sauberen Flure, deren mit Medizinger�chen erf�llte Luft ihn scheu machte und bedr�ckte.

Dann trat Tine allein in eine numerierte T�re. Er wartete still auf dem Gang; es war sein erster Aufenthalt in einem solchen Hause, und die Vorstellung der vielen Schrecken und Leiden, die hinter allen diesen lichtgrau gestrichenen T�ren verborgen waren, nahm sein Gem�t mit Grauen gefangen. Er wagte sich kaum zu r�hren, bis Tine wieder herauskam.

„Es ist ein wenig besser, sagen sie, und vielleicht wacht er heut noch auf. Also adieu, Karl, ich bleib jetzt drinnen, und danke auch sch�n.“

Leise ging sie wieder hinein und schlo� die T�re, auf der Karl zum hundertstenmal gedankenlos die Ziffer siebzehn las. Seltsam erregt verlie� er das unheimliche Haus. Die vorige Fr�hlichkeit war ganz in ihm erloschen, aber was er jetzt empfand, war auch nicht mehr das einstige Liebesweh. Wohl f�hlte er dieses noch, aber eingeschlossen und umh�llt von einem viel weiteren, gr��eren F�hlen und Erleben. Er sah sein gro�es Entsagungsleid klein und l�cherlich werden neben dem greifbaren Ungl�ck, dessen Anblick ihn �berrascht hatte. Er sah auch pl�tzlich ein, da� sein kleines Schicksal nichts Besonderes und keine grausame Ausnahme sei, sondern da� auch �ber denen, die er f�r Gl�ckliche angesehen hatte, unentrinnbar das Schicksal walte.

Aber er sollte noch mehr und noch Besseres und Wichtigeres lernen. In den folgenden Tagen, da er Tine h�ufig im Spital aufsuchte, und dann, als der Kranke so weit war, da� Karl ihn zuweilen sehen durfte, da erlebte er nochmals etwas ganz Neues.

Da lernte er sehen, da� auch das unerbittliche Schicksal noch nicht das H�chste und Endg�ltige ist, sondern da� schwache, angstvolle, gebeugte Menschenseelen es �berwinden und zwingen k�nnen. Noch wu�te man nicht, ob dem Verungl�ckten mehr als das hilflos elende Weiterleben eines Siechen und Gel�hmten zu retten sein werde. Aber �ber diese angstvolle Sorge hinweg sah Karl Bauer die beiden Armen sich des Reichtums ihrer Liebe erfreuen, er sah das erm�dete, von Sorgen verzehrte M�dchen aufrecht bleiben und Licht und Freude um sich verbreiten und sah das blasse Gesicht des gebrochenen Mannes trotz der Schmerzen von einem frohen Glanz z�rtlicher Dankbarkeit verkl�rt.

Und er blieb, als schon die Ferien begonnen hatten, noch mehrere Tage da, bis die Tine selber ihn zum Abreisen n�tigte.

Im Gang vor den Krankenzimmern nahm er von ihr Abschied, anders und sch�ner als damals im Hof des Kustererschen Ladens. Er nahm nur ihre Hand und dankte ihr ohne Worte, und sie nickte ihm unter Tr�nen zu. Er w�nschte ihr Gutes und hatte selber in sich keinen besseren Wunsch, als da� auch er einmal auf die heilige Art lieben und Liebe empfangen m�chte wie das arme M�dchen und ihr Verlobter. Darauf reiste er nach Hause, und am ersten Ferienabend, als er fr�h zu Bett gegangen war, sagte sein Vater l�chelnd zur Mutter: „Ist er nicht ver�ndert, der Karl? Was denkst du?“

„Ja,“ meinte sie nachdenklich, „er ist anders geworden. Beinahe schon wie ein rechter Mann, und mehr soll er ja auch nicht werden.“

Eine Fu�reise im Herbst

See�berfahrt

Ein sehr k�hler Abend, feucht, ungastlich und fr�h dunkelnd. Auf einem steilen Str��lein, zum Teil lehmiger Hohlweg, war ich vom Berge herabgestiegen und stand am Seeufer allein und fr�stelnd. Nebel rauchte jenseits von den H�geln, der Regen hatte sich ersch�pft und es fielen nur noch einzelne Tropfen, kraftlos und vom Winde vertrieben.

Am Strande lag ein flaches Boot halb auf den Kies gezogen. Es war gut im Stande, sauber gemalt, kein Wasser am Boden, und die Ruder schienen ganz neu zu sein. Daneben stand eine Warteh�tte aus Tannenbrettern, unverschlossen und leer. Am T�rpfosten hing ein altes messingenes Horn, mit einer d�nnen Kette befestigt. Ich blies hinein. Ein z�her, unwilliger Ton kam heraus und flog tr�ge dahin. Ich blies noch einmal, l�nger und st�rker. Dann setzte ich mich ins Boot und wartete, ob jemand k�me.

Der See war nur leicht bewegt. Ganz kleine Wellen schlugen mit schw�chlichem Klatschen an die d�nnen Bootw�nde. Mich fror ein wenig und ich wickelte mich fest in meinen weiten, regenfeuchten Mantel, steckte die H�nde unter die Achseln und betrachtete die Seefl�che.

Eine kleine Insel, dem Anscheine nach nur ein stattlicher Felsen, ragte in der Seemitte schw�rzlich aus dem bleifarbenen Wasser. Ich w�rde, wenn sie mein w�re, einen Turm darauf bauen lassen, mit wenigen Zimmern und quadratischem Grundri�. Ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, ein E�zimmer und eine Bibliothek.

Dann w�rde ich einen W�rter hineinsetzen, der m��te alles in Ordnung halten und jede Nacht im obersten Zimmer Licht brennen. Ich aber w�rde weiterreisen und w��te nun zu jeder Zeit eine Zuflucht und Ruhest�tte auf mich warten. In fernen St�dten w�rde ich jungen Frauen von meinem Turm im See erz�hlen.

„Ist auch ein Garten dabei?“ w�rde vielleicht eine fragen. Und ich: „Ich wei� nicht mehr, ich war so lange nimmer dort. Wollen Sie, da� wir hinreisen?“

Sie w�rde mir mit dem Finger drohen und lachen, und der Blick ihrer hellbraunen Augen w�rde sich pl�tzlich ver�ndern. M�glich auch, da� ihre Augen blau sind oder schwarz, und ihr Gesicht und Nacken br�unlich, und ihr Kleid dunkelrot mit Pelzbes�tzen.

Wenn es nur nicht so k�hl gewesen w�re! Eine unangenehme Verdrie�lichkeit wuchs in mir herauf.

Was geht mich die schwarze Felseninsel an? Sie ist l�cherlich klein, wenig besser als ein Vogeldreck, und man k�nnte auf ihr �berhaupt nicht bauen. Wozu auch, bitte? Und was liegt daran, ob eine junge Frau, die ich mir erdenke und der ich m�glicherweise, falls sie wirklich existierte, mein Turmschlo� zeigen w�rde, falls ich eines h�tte — ob diese junge Frau blond ist oder braun und ob ihr Kleid einen Pelzbesatz hat oder Spitzen oder gew�hnliche Litzen? W�ren mir Litzen etwa nicht gut genug?

Gott bewahre, ich gab den Pelzbesatz, den Turm und die Insel preis, rein um des Friedens willen. Meine Verdrie�lichkeit kassierte die Bilder m�rrisch, schwieg und nahm zu statt ab.

„Bitte,“ fragte sie nach einer Weile wieder, „wozu sitzest du eigentlich hier, an einem weltfremden Ort, in der N�sse am Strand und frierst?“

Da knirschte der Kies, und eine tiefe Stimme rief mich an. Es war der F�hrmann.

„Lang gewartet?“ fragte er, w�hrend ich ihm das Boot ins Wasser schieben half.

„Gerade lang genug, scheint mir. Jetzt also los!“

Wir h�ngten zwei Paar Ruder ein, stie�en ab, drehten und probierten den Takt aus, dann arbeiteten wir schweigend mit starken Schl�gen. Mit dem Erwarmen der Glieder und mit der flotten, taktfesten Bewegung kam ein anderer Geist in mir auf und machte dem fr�stelnd tr�gen Unmut ein rasches Ende.

Der Schiffsmann war graub�rtig, gro� und mager. Ich kannte ihn, er hatte mich vor Jahren mehrmals gerudert; doch erkannte er mich nicht wieder.

Wir hatten eine halbe Stunde zu rudern, und w�hrend wir unterwegs waren, ward es vollends Nacht. Mein linkes Ruder rieb in seiner �se bei jedem Zuge mit rostig knarrendem Ton, unter dem Vorderteil des Bootes schlug das schwache Gewoge unregelm��ig mit hohlem Ger�usch an den Schiffsboden. Ich hatte zuerst den Mantel, dann auch noch die Jacke ausgezogen und neben mich gelegt, und als wir uns dem jenseitigen Ufer n�herten, war ich in einen leichten Schwei� geraten.

Jetzt spielten vom Strande her Lichter auf dem dunkeln Wasser, zuckten springend in gebrochenen Linien und blendeten mehr als sie leuchteten. Wir stie�en ans Land, der F�hrmann warf seine Bootskette um einen dicken Pfahl. Aus dem schwarzen Torbogen trat der Z�llner mit einer Laterne. Ich gab dem Schiffsmann seinen kleinen Lohn, lie� den Z�llner an meinem Mantel schnuppern und zog mir die Hemd�rmel unter der Jacke zurecht.

Im Augenblick, da ich wegging, fiel mir der vergessene Name des Schiffers wieder ein. „Gut Nacht, Hans Leutwin,“ rief ich ihm zu und ging davon, w�hrend er, die Hand vorm Auge, mir erstaunt und brummend nachglotzte.

Im goldenen L�wen

In dem alten St�dtlein, das ich nun vom Seegestade her durch den ungeheuren Torbogen betrat, begann erst eigentlich meine Lustreise. In diesen Gegenden hatte ich vorzeiten eine Weile gelebt und mancherlei Sanftes und Herbes erfahren, wovon ich jetzt da oder dort noch einen leisen Duft und Nachklang anzutreffen hoffte.

Ein Gang durch n�chtige Stra�en, von erleuchteten Fenstern her sp�rlich bestrahlt, an alten Giebelformen und Vortreppen und Erkern vor�ber. In der schmalen, krummen Maiengasse hielt mich vor einem altmodischen Herrenhause ein Oleanderbaum mit ungest�mer Mahnung fest. Ein Feierabendb�nklein vor einem andern Hause, ein Wirtsschild, ein Laternenpfahl taten dasselbe und ich war erstaunt, wieviel l�ngst Vergessenes in mir doch nicht vergessen war. Zehn Jahre hatte ich das Nest nimmer gesehen, und nun wu�te ich pl�tzlich alle Geschichten jener merkw�rdigen, sch�nen J�nglingszeit wieder.

Da kam ich auch am Schlo� vorbei, das stand mit schwarzen T�rmen und wenigen roten Fenstervierecken k�hn und verschlossen in der regnerischen Herbstnacht. Damals als junger Kerl ging ich abends selten dran vor�ber, ohne da� ich mir im obersten Turmzimmer eine Grafentochter einsam weinend dachte, und mich mit Mantel und Strickleiter �ber halsbrechenden Mauern, bis an ihr Fenster empor.

„Mein Retter,“ stammelte sie freudig erschrocken.

„Vielmehr Ihr Diener,“ antwortete ich mit einer Verbeugung. Dann trug ich sie sorgsam die �ngstlich schaukelnde Leiter hinab — ein Schrei, der Strick war gerissen — ich lag mit gebrochenem Bein im Graben und neben mir rang die Sch�ne ihre schlanken H�nde.

„O Gott, was nun? Wie soll ich Ihnen helfen?“

„Retten Sie sich, Gn�digste, ein treuer Knecht wartet Ihrer bei der hintern Pforte.“

„Aber Sie?“

„Eine Kleinigkeit, seien Sie unbesorgt! Ich bedaure nur, Sie f�r heute nicht weiter begleiten zu k�nnen.“

Es hatte seither, wie ich aus der Zeitung wu�te, im Schlo� gebrannt; doch sah man, wenigstens jetzt bei Nacht, keine Spuren davon, es war alles wie fr�her. Ich betrachtete mir den Umri� des alten Geb�udes eine kleine Weile, dann bog ich in die n�chste Gasse ein.

Und da hing auch noch derselbe groteske Blechl�we im Schild des ehrw�rdigen Wirtshauses. Hier beschlo� ich einzukehren und um Nachtlager zu fragen.

Ein gewaltiger L�rm schlug mir aus dem weiten Portal entgegen, Musik, Geschrei, Hin und Wider der Dienerschaft, Gel�chter und Pokulieren, und im Hofe standen abgeschirrte Wagen, an denen Kr�nze und Girlanden aus Tannenreis und Papierblumen hingen. Beim Eintreten fand ich den Saal, die Wirtsstube und sogar noch das Nebenzimmer von einer fr�hlichen Hochzeitsgesellschaft besetzt. An ein ruhiges Abendessen, eine beschaulich erinnerungsselige D�mmerstunde beim einsamen Schoppen und ein fr�hes, friedliches Schlafengehen war da nicht zu denken.

Indem ich die Saalt�re �ffnete, drang ein ausgesperrter kleiner Hund zwischen meinen Beinen durch in den Raum, ein schwarzer Spitzerhund, und st�rzte mit w�tendem Freudengebell unter den Tischen hindurch seinem Herrn entgegen, den er sogleich erblickt hatte, denn er stand gerade aufrecht an der Tafel und hielt eine Rede.

„— und also, meine verehrten Herrschaften,“ rief er mit rotem Gesicht und �berlaut, da fuhr wie ein Sturm der Hund an ihm hinauf, kl�ffte freudig und unterbrach die Rede. Gel�chter und Scheltworte erklangen durcheinander, der Redner mu�te seinen Hund hinausbringen, die verehrten Herrschaften grinsten schadenfroh und tranken einander zu. Ich dr�ckte mich beiseite, und als der Herr des Spitzerhundes wieder an seinem Platz und wieder in seiner Rede war, hatte ich das Nebenzimmer erreicht, legte Hut und Mantel weg und setzte mich ans Ende eines Tisches.

An vortrefflichen Speisen fehlte es heute nicht. Und schon w�hrend ich am Hammelbraten arbeitete, erfuhr ich von meinen Tischnachbarn das N�tigste �ber die Hochzeit. Das Paar war mir nicht bekannt, wohl aber eine gro�e Zahl der G�ste — Gesichter, die mir vor Jahren vertraut gewesen waren und die mich nun, viele schon im halben Rausch, beim Schein der Lampen und Kronleuchter umgaben, mehr oder minder ver�ndert und gealtert. Einen feinen Bubenkopf mit ernsten Augen, mager und zart geschnitten, sah ich wieder — erwachsen, lachend, schnurrb�rtig, eine Zigarre im Mund, und ehemalige junge Bursche, denen das Leben um einen Ku� und die Welt um einen Narrenstreich feil gewesen war, staken nun in Backenb�rten, hatten die Hausfrau bei sich und regten sich in Philistergespr�chen �ber Bodenpreise und �nderungen des Eisenbahnfahrplans auf.

Alles war ver�ndert und doch noch l�cherlich kenntlich, und am wenigsten ver�ndert war erfreulicherweise die Wirtsstube und der gute wei�e Landwein. Der flo� noch wie je so herb und freudig, blinkte gelblich im fu�losen Glase und weckte in mir das schlummernde Ged�chtnis zahlreicher Kneipn�chte und Kneipenstreiche. Mich aber kannte niemand wieder und ich sa� im Get�mmel und nahm am Gespr�che teil als ein zuf�llig herein verschlagener Fremder.

Gegen Mitternacht, nachdem auch ich einen Becher oder zwei �ber den Durst genossen hatte, gab es einen Streit. Um eine Bagatelle, die ich schon am andern Tag vergessen habe, ging es los, hitzige Worte klangen, und drei, vier halbberauschte M�nner schrieen zornig auf mich ein. Da hatte ich genug und stand auf.

„Danke meine Herren, an H�ndeln liegt mir nichts. �brigens sollte der Herr da sich nicht so unn�tig erhitzen, er hat ja ein Leberleiden.“

„Woher wissen Sie das?“ rief er noch barsch, aber verbl�fft.

„Ich sehe es Ihnen an, ich bin Arzt. Sie sind f�nfundvierzig Jahre alt, nicht wahr?“

„Stimmt.“

„Und haben vor etwa zehn Jahren eine schwere Lungenentz�ndung durchgemacht?“

„Herrgott, ja. An was sehen Sie denn das?“

„Ja, das sieht man eben, wenn man ge�bt ist. Also gute Nacht, ihr Herren!“

Sie gr��ten alle ganz h�flich, der Leberleidende machte sogar eine Verbeugung. Ich h�tte ihm auch noch seinen Vor- und Zunamen und den seiner Frau sagen k�nnen, ich kannte ihn so gut und hatte fr�her manches Feierabendgespr�ch mit ihm gehabt.

In meiner Schlafkammer wusch ich mir das hei�e Gesicht, schaute vom Fenster �ber die D�cher weg auf den blassen See hin�ber und ging dann zu Bett. Eine Zeitlang h�rte ich noch dem langsam abnehmenden Festl�rmen zu, dann �bernahm mich die M�digkeit und ich schlief bis zum Morgen.

Sturm

Am verst�rmten Himmel trieben zerfaserte Wolkenb�nder, grau und lila, und ein heftiger Wind empfing mich, als ich am n�chsten Vormittag nicht zu fr�h meine Weiterreise antrat. Bald war ich oben auf dem H�gelkamm und sah das St�dtchen, das Schlo�, die Kirche und den kleinen Bootshafen eng und spielzeughaft lustig am Gestade unter mir liegen. Schnurrige Geschichten aus der Zeit meines fr�heren Hierseins fielen mir ein und machten mich lachen. Das konnte ich brauchen, denn je n�her ich dem Ziel meiner Wanderung r�ckte, desto befangener und schw�ler wurde mir, ohne da� ich es mir gestehen mochte, das Herz.

Das Gehen in der k�hlen sausenden Luft tat mir wohl. Ich h�rte dem ungest�men Winde zu und sah im Vorw�rtsschreiten auf dem Gratsteig mit aufregender Wonne die Landschaft weiter und gewaltiger werden. Von Nordost her hellte der Himmel auf, dorthin�ber war die Aussicht frei und zeigte lange, bl�uliche Gebirgsz�ge in gro�artiger Ordnung aufgebaut.

Wunderlich, wie aus diesem Halbkreis wild und wirr geschichteter Bergz�ge, die wie eine erstarrte Sintflut oder Titanenschlacht aussehen, pl�tzlich ein klares, vern�nftig und sogar elegant konstruiertes System wird, sobald man sie als Wasserspeicher f�r die Tieflande ansieht! Ein Naturforscher hat mich einmal darauf hingewiesen. Freilich kann ich nur f�r Minuten auf seine Art betrachten, dann flie�t die Ordnung wieder ins Chaos zusammen und ich mag nicht glauben, dieses Gebirge sei so zackig und jenes so mild gewellt, nur damit die Leute in der und jener Stadt auch Trink- und Waschwasser haben.

Der Wind nahm zu, je h�her ich kam. Er sang herbstlich toll, mit St�hnen und mit Lachen, fabelhafte Leidenschaften andeutend, neben denen unsere nur Kindereien w�ren. Er schrie mir niegeh�rte, urweltliche Worte ins Ohr, wie Namen alter G�tter. Er strich �ber den ganzen Himmel hinweg die irrenden Wolkentr�mmer zu parallelen Streifen aus, in deren gleicher Linie etwas widerwillig Geb�ndigtes lag und unter welchen die Berge sich zu b�cken schienen.

Dem Brausen der L�fte und dem Anblick der weiten Bergl�nder wich die leise Befangenheit und B�nglichkeit meiner Seele. Da� ich einem Wiedersehen mit meiner Jugendzeit und einem Kreise noch ungewisser Erregungen entgegenging, war nicht mehr so wichtig und beherrschend, seit Weg und Wetter mir lebendig geworden waren.

Bald nach Mittag stand ich ausruhend auf dem h�chsten Punkte des H�henweges und mein Blick flog suchend und best�rzt �ber das ungeheuer ausgebreitete Land hinweg. Gr�ne Berge standen da, und weiter entfernt blaue Waldberge und gelbe Felsberge, tausendfach gefaltete H�gelgel�nde, dahinter das Hochgebirg mit j�hen Steinzacken und milden, bleichen Schneepyramiden. Zu F��en in seiner ganzen Fl�che der gro�e See, meerblau mit wei�en Wellensch�umen, zwei vereinzelte fl�chtige Segel darauf, geduckt hingleitend, an den gr�n und braunen Ufern lodernd gelbe Weinberge, farbige W�lder, blanke Landstra�en, Bauernd�rfer in Obstb�umen, kahlere Fischerd�rfer, hell und dunkel get�rmte St�dte. �ber alles weg br�unliche Wolken fegend, dazwischen St�cke eines tief klaren, gr�nblau und opalfarben durchleuchteten Himmels, Sonnenstrahlen f�cherf�rmig aufs Gew�lk gemalt. Alles bewegt, auch die Bergreihen wie hinflutend und die ungleich beleuchteten Alpengipfel j�h, unstet und springend.

Mit dem Sturm- und Wolkentreiben flog auch mein F�hlen und Begehren ungest�m und fiebernd �ber die Weite, ferne Schneezacken umarmend und fl�chtig in hellgr�nen Seebuchten rastend. Alte, bet�rende Wandergef�hle liefen wechselnd und farbig wie Wolkenschatten �ber meine Seele, Empfindung der Trauer �ber Vers�umtes, K�rze des Lebens und F�lle der Welt, Heimatlosigkeit und Heimatsuchen, wechselnd mit einem hinstr�menden Gef�hl der v�lligen Losl�sung von Raum und Zeit.

Langsam verrannen die Wogen, sangen und sch�umten nicht mehr, und mein Herz wurde still und ruhte unbewegt, wie ein Vogel in gro�en H�hen.

Da sah ich mit L�cheln und wiederkehrender W�rme Stra�enkr�mmen, Waldkuppen und Kircht�rme der vertrauten N�he; das Land meiner sch�nen J�nglingsjahre blickte mich unver�ndert mit den alten Augen an. Wie ein Soldat auf seiner Landkarte den Feldzug von damals aufsucht und �berliest, von R�hrung so sehr wie vom Gef�hl der Geborgenheit erw�rmt, las ich in der herbstfarbenen Landschaft die Geschichte vieler wundervoller Torheiten und die schon fast zur Sage verkl�rte Geschichte einer gewesenen Liebe.

Erinnerungen

In einem ruhigen Winkel, wo mir ein breiter Felsen den Sturm abhielt, a� ich mein Mittagsbrot. Schwarzbrot, Wurst und K�se. — Nach ein paar Stunden Bergaufmarsch bei starkem Winde der erste Bi� in ein belegtes Brot — das ist eine Lust, fast die einzige, die noch das ganze durchdringend K�stliche, bis zur S�ttigung Begl�ckende der echten Knabenfreuden hat.

Morgen werde ich vielleicht an der Stelle im Buchenwald vor�berkommen, an der ich den ersten Ku� von Julie bekam. Auf einem Ausflug des B�rgervereins Konkordia, in den ich Julies wegen eingetreten war. Am Tag nach jenem Ausflug trat ich wieder aus.

Und �bermorgen vielleicht, wenn es gl�ckt, werde ich sie selber wiedersehen. Sie hat einen wohlhabenden Kaufmann namens Herschel geheiratet, und sie soll drei Kinder haben, von denen eins ihr auffallend gleicht und auch Julie hei�t. Mehr wei� ich nicht, es ist auch mehr als genug.

Aber ich wei� noch genau, wie ich ihr ein Jahr nach meiner Abreise aus der Fremde schrieb, da� ich keine Aussicht auf Stellung und Geldverdienst habe und da� sie nicht auf mich warten m�ge. Sie schrieb zur�ck, ich solle mir und ihr das Herz nicht unn�tig schwer machen; sie werde da sein, wenn ich wiederk�me, sei es bald oder sp�t. Und ein halbes Jahr sp�ter schrieb sie doch wieder und bat sich frei, f�r jenen Herschel, und im Leid und Zorn der ersten Stunde schrieb ich keinen Brief, sondern telegraphierte ihr mit meinem letzten Gelde, vier oder f�nf gesch�ftsm��ige Worte. Die gingen �bers Meer und waren nicht zu widerrufen.

Es geht so n�rrisch im Leben zu! War es Zufall oder Schicksalshohn oder kam es vom Mut der Verzweiflung — kaum lag das Liebesgl�ck in Scherben, da kam Erfolg und Gewinn und Geld wie hergezaubert, da war das nimmer Erhoffte im Spiel erreicht und war doch wertlos. Das Schicksal hat Mucken, dachte ich, und vertrank mit Kameraden in zwei Tagen und N�chten eine Brusttasche voll Banknoten.

Doch an diese Geschichten dachte ich nicht lange, als ich nach der Mahlzeit mein leeres Wurstpapier dem Winde hinwarf und, in den Mantel gewickelt, Mittagsrast hielt. Ich dachte lieber an meine damalige Liebe, und an Julies Gestalt und Gesicht, das schmale feine Gesicht mit den noblen Brauen und gro�en dunkeln Augen. Und dachte lieber an den Tag im Buchenwald, wie sie langsam und widerstrebend mir nachgab und dann bei meinen K�ssen zitterte und dann endlich wieder k��te und ganz leise, wie aus einem Traum hervor l�chelte, w�hrend noch Tr�nen an ihren Wimpern gl�nzten.

Vergangene Dinge! Das Beste daran war aber nicht das K�ssen und nicht das abendliche Zusammenpromenieren und Heimlichtun. Das Beste war die Kraft, die mir aus jener Liebe flo�, die fr�hliche Kraft, f�r sie zu leben, zu streiten, durch Feuer und Wasser zu gehen. Sich wegwerfen k�nnen f�r einen Augenblick, Jahre opfern k�nnen f�r das L�cheln einer Frau, das ist Gl�ck. Und das ist mir unverloren.

Pfeifend stand ich auf und ging weiter.

Als die Stra�e jenseits vom H�gelkamm abw�rts sank und ich gen�tigt war, vom Anblick der Seeweite Abschied zu nehmen, lag eben die Sonne, schon dem Untergehen nah, im Kampf mit tr�gen, gelben Wolkenmassen, die sie langsam umschleierten und verschlangen. Ich hielt inne und schaute rastend den fabelhaften Vorg�ngen am Himmel zu:

Hellgelbe Lichtb�ndel strahlten vom Rande einer schweren Wolkenbank in die H�he und gegen Osten. Rasch entz�ndete sich der ganze Himmel gelbrot, gl�hend purpurne Streifen durchschnitten den Raum, zur gleichen Zeit wurden alle Berge dunkelblau, an den Seeufern brannte das r�tlich welke Ried wie Heidefeuer. Dann verschwand alles Gelb, und das rote Licht wurde warm und milde, spielte paradiesisch um traumzarte, hingehauchte Schleierw�lkchen und lief in tausend feinen Adern rosenrot durch mattgraue Nebelw�nde, deren Grau sich langsam mit dem Rot zu einem uns�glich sch�nen Lilaton vermischte. Der See wurde tiefblau und nahezu schwarz, die Untiefen in der N�he der Ufer traten hellgr�n mit scharfen R�ndern hervor.

Als der fast schmerzlich sch�ne Farbenkrampf erlosch, dessen Feuer und rapide Fl�chtigkeit an gro�en Horizonten immer etwas hinrei�end K�hnes hat, wandte ich mich landeinw�rts und blickte erstaunt in eine schon v�llig abendklare, gek�hlte T�lerlandschaft. Unter einem gro�en Nu�baum trat ich auf eine bei der Lese vergessene Frucht, hob sie auf und sch�lte mir die frische lichtbraune feuchte Nu� heraus. Und als ich sie zerbi� und den scharfen Geruch und Geschmack versp�rte, �berraschte mich unversehens eine Erinnerung. Wie von einem St�ck Spiegelglas ein Lichtstrahl reflektiert und in einen dunkeln Raum geworfen wird, so blitzt oft mitten im Gegenw�rtigen, durch eine Nichtigkeit entz�ndet, ein vergessenes, l�ngst gewesenes St�ckchen Leben auf, erschreckend und unheimlich.

Das Erlebnis, an das ich in jenem Augenblick nach vielleicht zw�lf oder mehr Jahren zum ersten Mal wieder dachte, war mir ebenso peinlich wie teuer. Als ich mit etwa f�nfzehn Jahren ausw�rts in einem Gymnasium war, besuchte mich eines Tages im Herbst meine Mutter. Ich hielt mich sehr k�hl und stolz, wie es mein Gymnasiastenhochmut forderte, und tat ihr mit hundert Kleinigkeiten weh. Andern Tages reiste sie wieder ab, kam aber vorher noch ans Schulhaus und wartete unsere Morgenpause ab. Als wir l�rmend aus den Klassenzimmern hervorbrachen, stand sie bescheiden und l�chelnd drau�en, und ihre sch�nen g�tigen Augen lachten mir schon von weitem entgegen. Mich aber genierte die Gegenwart meiner Herren Mitsch�ler, darum ging ich ihr nur langsam entgegen, nickte ihr leichthin zu und trat so auf, da� sie ihre Absicht, mir einen Abschiedsku� und Segen zu geben, aufgeben mu�te. Betr�bt aber tapfer l�chelte sie mich an, und pl�tzlich lief sie schnell �ber die Stra�e zur Bude eines Fruchth�ndlers, kaufte ein Pfund N�sse und gab mir die T�te in die Hand. Dann ging sie fort, zur Eisenbahn, und ich sah sie mit ihrer kleinen altmodischen Ledertasche um die Stra�enecke verschwinden. Kaum war sie mir aus den Augen, so tat mir alles bitter leid und ich h�tte ihr meine t�richte Bubenroheit unter Tr�nen abbitten m�gen. Da kam einer meiner Kameraden vorbei, mein Hauptrivale in Angelegenheiten des savoir vivre. „Bonbons von Mamachen?“ fragte er boshaft l�chelnd. Ich, sofort wieder stolz, bot ihm die T�te an, und da er nicht annahm, verteilte ich alle N�sse, ohne eine f�r mich zu behalten, an die Kleinen von der vierten Klasse.

Zornig bi� ich auf meine Nu�, warf die Schalen ins schw�rzliche Laub, das den Boden bedeckte, und wanderte auf der bequemen Stra�e unter einem gr�nblau und goldig verhauchenden Sp�thimmel hin zu Tal und bald darauf an herbstgelben Birken und fr�hlichen Vogelbeerb�scheln vorbei in die bl�uliche D�mmerung junger Tannenst�nde und dann in die tiefen Schatten eines hohen Buchenwaldes hinein.

Das stille Dorf

Zwei Stunden sp�ter am Abend hatte ich mich, nach langem sorglosem Schlendern, in einem Gewimmel schmaler, finsterer Waldwege verlaufen und suchte, je dunkler und k�hler es wurde, desto ungeduldiger nach einem Ausgang. Mich geradeaus durch den Laubwald zu schlagen ging nicht an, der Wald war dicht und der Boden stellenweise sumpfig, auch wurde es allm�hlich stockfinster.

Stolpernd und m�de tastete ich in der wunderlichen Aufregung des n�chtlichen Verirrtseins weiter. H�ufig blieb ich stehen, um zu rufen und dann lang zu lauschen. Es blieb alles still, und die k�hle Feierlichkeit und dichte Schw�rze des lautlosen Waldinnern umgab mich von allen Seiten, wie Vorh�nge von dickem Sammet. So t�richt und eitel es war, machte mir doch der Gedanke Freude, da� ich um ein Wiedersehen mit einer fast vergessenen Geliebten in dem fremd gewordenen Lande mich durch Wald und Nacht und K�lte schlage. Ich fing leise meine alten Liebeslieder zu singen an:

Mein Blick erstaunt und mu� sich senken,

mein Herz schlie�t alle Tore zu,

dem Wunder heimlich nachzudenken —

so sch�n bist du!

Dazu war ich durch L�nder gewandert und hatte mir in langen K�mpfen den Leib — und die Seele voll Narben geholt, um nun die alten dummen Verse zu singen und den Schatten lang verbla�ter Knabentorheiten nachzulaufen! Aber es machte mir nicht wenig Freude, und w�hrend ich m�hsam den gewundenen Pfad verfolgte, sang ich weiter, dichtete und phantasierte, bis ich m�de ward und stille weiterlief. Suchend tastete ich an dicke Buchenst�mme, die von Efeu�sten umklammert waren und deren Zweige und Wipfel unsichtbar im Finstern schwammen. So ging es noch eine halbe Stunde und ich begann endlich kleinlaut zu werden. Da erlebte ich etwas unverge�lich K�stliches.

Urpl�tzlich war der Wald zu Ende und ich stand zwischen den letzten St�mmen hoch an einer steilen Bergwand, und unter mir schlief ein weites Waldtal in der Nachtbl�ue, und mitten darin zu meinen F��en lag still und heimlich mit sechs, sieben kleinen rotleuchtenden Fenstern ein D�rflein. Die niederen H�user, von denen ich fast nur die breiten, leise schimmernden Schindeld�cher sah, lehnten sich eng aneinander, in einer leichten Biegung, und zwischen ihnen lief schmal und dunkel die schattige Gasse, und an ihrem Ende stand ein gro�er Dorfbrunnen. Weiter oben, am halben Berge gegen�ber, lag allein zwischen vielen d�mmernden Kirchhofkreuzen die Kapelle. In ihrer N�he lief auf einem steilen H�gelwege bergan ein Mann mit einer Laterne. Und drunten im D�rflein, in irgend einem Hause, sangen ein paar M�dchen mit kr�ftigen, hellen Stimmen ein Lied.

Ich wu�te nicht, wo ich war und wie das Dorf hei�e, und ich nahm mir vor, auch nicht danach zu fragen.

Mein bisheriger Weg verlor sich am Waldrande bergaufw�rts, so stieg ich behutsam ohne Pfad durch steile Weiden hinab, dem Dorf entgegen. Ich geriet in G�rten und auf schmale Steinstaffeln, fiel �ber eine St�tzmauer und mu�te schlie�lich einen Zaun �berklettern und durch den seichten Bach springen, dann aber war ich im Dorfe und trat am ersten Geh�fte vorbei in die krumme, schlafende Gasse. Bald fand ich das Wirtshaus, das hie� zum Ochsen, und war noch nicht geschlossen.

Das Erdgescho� war still und dunkel, aus der gepflasterten Flur f�hrte eine alte verschwenderisch gebaute Treppe mit bauchigen Gel�nders�ulen, von einer am Strick aufgeh�ngten Laterne erleuchtet, empor in einen Fliesengang und zur G�stestube. Diese war reichlich gro�, und der von einer H�ngelampe beschienene Tisch beim Ofen, an dem drei Bauern vor ihren Weingl�sern sa�en, lag wie eine Lichtinsel in dem halbdunkeln, gro�en Raum.

Der Ofen war geheizt, ein w�rfelf�rmiges Geb�ude mit dunkelgr�nen Kacheln; in den Kacheln spiegelte freudig warm das matte Lampenlicht, unterm Ofen lag ein schwarzer Hund und schlief. Die Wirtin sagte Gr�� Gott, als ich hereinkam, und einer von den Bauern schaute pr�fend her.

„Was ist das f�r einer?“ fragte er zweifelnd.

„Wei� nicht,“ sagte die Wirtin.

Ich setzte mich an den Tisch, gr��te und lie� Wein kommen. Es gab nur Heurigen, einen hellroten jungen Most, der schon stark im Rei�en war und mir pr�chtig warm machte. Dann fragte ich nach einem Nachtlager.

„Das ist so eine Sache,“ meinte die Frau und zuckte die Achseln. „Wir haben schon ein Zimmer, freilich, aber da ist gerade heut ein Herr drin. Es w�re auch ein zweites Bett in der Stube, aber der Herr schl�ft schon. Wenn Sie hinaufgehen und mit ihm reden wollen —?“

„Nicht gern. Und sonst gibt’s keinen Platz?“

„Platz schon, aber kein Bett mehr.“

„Und wenn ich mich da zum Ofen lege?“

„Ja, wenn Sie das wollen, freilich. Ich geb Ihnen dann eine Decke und wir legen ein paar Scheiter nach, so m�ssen Sie nicht frieren.“

Nun lie� ich mir Eier kochen und eine Wurst geben, und w�hrend des Essens fragte ich, wie weit ich noch von meinem Reiseziel sei.

„Sagen Sie, wie lang geht man von hier nach Ilgenberg?“

„F�nf Stunden. Der Herr droben, der die Stube hat, will morgen auch wieder hin�ber. Er ist dort daheim.“

„So so. Und was treibt er denn hier?“

„Holz kaufen. Er kommt jedes Jahr.“

Die drei Bauern mischten sich nicht in unser Gespr�ch. Es waren, dachte ich mir, die Waldbesitzer und Fuhrleute, mit denen der Ilgenberger H�ndler den Holzkauf abgeschlossen hatte. Mich hielten sie offenbar f�r einen Gesch�ftemacher oder Beamten und trauten mir nicht. So lie� ich sie auch in Ruhe.

Kaum hatte ich gegessen und lehnte mich im Sessel zurecht, da fing der M�dchengesang von vorher pl�tzlich wieder an, ganz laut und nahe. Sie sangen das Lied von der sch�nen G�rtnersfrau, und beim dritten Vers stand ich auf und ging an die K�chent�r und klinkte leise auf. Da sa�en zwei junge Dirnen und eine �ltere Magd am wei�en tannenen Tisch bei einem Kerzenstumpen, hatten einen Berg Bohnen zum Ausschoten vor sich und sangen w�hrend der leichten Feierabendbesch�ftigung. Wie die �ltere aussah, wei� ich nicht mehr. Aber von den jungen war die eine r�tlichblond, breit und bl�hend, und die zweite war eine sch�ne Braune mit ernstem Gesicht. Sie hatte die Z�pfe in einem sogenannten ‚Nest‘ rund um den Kopf gewunden und sang selbstvergessen mit einer hellen Kinderstimme vor sich hin, w�hrend das sich spiegelnde Kerzenfl�mmlein in ihren lieben Augen blitzte.

Als sie mich in der T�r stehen sahen, lachte die Alte, die R�tliche schnitt eine Fratze und die Braune sah mir eine Weile ins Gesicht, dann senkte sie den Kopf, wurde ein wenig rot und sang lauter. Sie fingen gerade einen neuen Vers an und ich fiel mit ein, so gut und kr�ftig ich es vermochte. Dann holte ich meinen Wein her�ber, nahm eine dreibeinige Stabelle her und setzte mich singend mit an den K�chentisch. Die Rotblonde schob mir eine Handvoll Bohnen zu und ich half denn mit aush�lsen.

Als alle die vielen Strophen ausgesungen waren, sahen wir einander an und mu�ten lachen, was der Braunen �beraus pr�chtig zu Gesichte stand. Ich bot ihr mein Glas hin, doch nahm sie es nicht an.

„Sie sind aber eine Stolze,“ sagte ich betr�bt. „Sind Sie denn etwa von Stuttgart?“

„Nein. Warum von Stuttgart?“

„Weil es hei�t:

Stuegert isch e sch�ne Stadt,

Stuegert lit im Tale,

wos so sch�ne M�dle hat,

aber so brutale.“

„Er ist ein Schwab,“ sagte die Alte zur Blonden.

„Ja, er ist einer,“ best�tigte ich. „Und Sie sind vom Oberland, wo die Schlehen wachsen.“

„Kann sein,“ meinte sie und kicherte.

Ich sah aber immer die Braune an, und ich setzte aus Bohnen den Buchstaben M zusammen und fragte sie, ob sie so hei�e. Sie sch�ttelte den Kopf und ich machte nun ein A. Da nickte sie und ich begann nun zu raten.

„Agnes?“

„Nein.“

„Anna.“

„Nichts.“

„Adelheid?“

„Auch nicht.“

Und so viel ich riet, es war alles falsch, sie aber wurde ganz fr�hlich dar�ber und rief schlie�lich: „O Sie Unvernunft!“ Als ich sie dann sehr bat, sie m�chte mir jetzt ihren Namen sagen, sch�mte sie sich eine kleine Zeit, dann sagte sie schnell und leise: „Agathe“ und wurde rot dabei, wie wenn sie ein Geheimnis preisgegeben h�tte.

„Sind Sie auch ein Holzh�ndler?“ fragte die Blonde.

„Nein, das nicht. Seh ich denn so aus?“

„Oder ein Geometer, nicht?“

„Auch nicht. Warum soll ich Geometer sein?“

„Warum? Darum.“

„Ihr Schatz wird einer sein, gelt?“

„Mir w�r’s schon recht.“

„Singen wir noch eins, zum Schlu�?“ fragte die Sch�ne, und w�hrend die letzten Schoten uns durch die Finger gingen, sangen wir das Lied „Steh ich in finstrer Mitternacht“. Als das zu Ende war, standen die M�dchen auf und ich auch.

„Gut Nacht,“ sagte ich zu jeder und gab jeder die Hand, und zu der Braunen sagte ich: „Gut Nacht, Agathe.“

In der Wirtsstube brachen jetzt die drei Rauhbeine auf. Sie nahmen keinerlei Notiz von mir, tranken langsam ihre Reste aus und zahlten nichts, waren also jedenfalls f�r diesen Abend die G�ste des Ilgenbergers gewesen.

„Gute Nacht auch,“ sagte ich, als sie gingen, bekam aber keine Antwort und schlug hinter den Dickk�pfen die T�re kr�ftig zu. Gleich darauf kam die Wirtin mit Pferdedecken und einem Bettkissen. Wir bauten aus der Ofenbank und drei St�hlen ein leidliches Nachtlager, und zum Troste teilte die Frau mir beim Weggehen mit, das �bernachten solle mich nichts kosten. Das war mir auch recht.

Halb ausgekleidet und mit meinem Mantel zugedeckt lag ich am Ofen, der noch wohlig w�rmte, und dachte an die braune Agathe. Ein Vers aus einem alten frommen Liede, das ich in Kinderzeiten oft mit meiner Mutter gesungen hatte, fiel mir ein:

Sch�n sind die Blumen,

sch�ner sind die Menschen

in der sch�nen Jugendzeit — — —

So eine war Agathe, sch�ner als Blumen, und doch mit ihnen verwandt. Es gibt �berall, in allen L�ndern, einzelne solche Sch�nheiten, doch sind sie nicht allzu h�ufig, und so oft ich eine sah, hat es mir wohlgetan. Sie sind wie gro�e Kinder, so scheu wie zutraulich, und haben in ihren ungetr�bten Augen den unbewu�t seligen Blick eines sch�nen Tieres oder einer Waldquelle. Man sieht sie an und hat sie lieb, ohne ihrer zu begehren, und w�hrend man sie ansieht, will es einem wehetun, da� diese feinen Bilder der Jugend und Menschenbl�te auch einmal altern und vergehen m�ssen.

Bald schlief ich ein, und es mag von der Ofenw�rme gekommen sein, da� mir tr�umte, ich liege am Felsgestade einer s�dlichen Insel, sp�re die hei�e Sonne auf meinen R�cken brennen und s�he einem braunen M�dchen zu, das allein in einer Barke seew�rts ruderte und langsam ferner und kleiner wurde.

Morgengang

Erst als der Ofen erkaltet war und mir die F��e starr wurden, wachte ich frierend auf, und da war es auch schon Morgen und nebenzu in der K�che h�rte ich jemand den Herd anheizen. Drau�en lag, zum ersten Mal in diesem Herbst, ein d�nner Reif auf den Wiesen. Ich war vom harten Liegen steif und mitgenommen, aber gut ausgeschlafen. In der K�che, wo die alte Magd mich begr��te, wusch ich mich am Wasserstein und b�rstete meine Kleider aus, die gestern bei dem windigen Wetter sehr staubig geworden waren.

Kaum sa� ich in der Stube beim hei�en Kaffee, da kam der Gast aus der Stadt herein, gr��te h�flich und setzte sich zu mir an den Tisch, wo schon f�r ihn gedeckt war. Er tat aus einer flachen Reiseflasche ein wenig alten Kirschgeist in seine Tasse und bot auch mir davon an.

„Danke,“ sagte ich, „ich trinke keinen Schnaps.“

„Wirklich? Sehen Sie, ich mu� es tun, weil ich die Milch sonst nicht vertragen kann, leider. Jeder hat ja so seinen Bresten.“

„Na, wenn Ihnen sonst nichts fehlt, d�rfen Sie nicht klagen.“

„Gewi�, ja. Ich klage auch nicht. Es liegt mir fern — —“

Er geh�rte zu den Leuten, denen es ein Bed�rfnis ist, sich recht oft ohne Ursache zu entschuldigen. Zwar wei� ich, da� diese Art von Narren leicht l�stig wird und da� ihre Bescheidenheit, sobald sie irgendwie zu Courage kommen, ins Gegenteil umschl�gt, doch sind sie immerhin am�sant und ich habe sie nicht ungern. Im �brigen machte er einen anst�ndigen Eindruck, etwas zu h�flich, aber intelligent und offen. Gekleidet war er kleinst�dtisch, sehr solid und sauber, aber schwerf�llig.

Auch er musterte mich, und da er mich in Kniehosen sah, fragte er, ob ich auf dem Veloziped gekommen sei.

„Nein, zu Fu�.“

„So so. Eine Fu�tour, ich verstehe. Ja, der Sport ist eine sch�ne Sache, wenn man Zeit hat.“

„Sie haben Holz gekauft?“

„O, eine Kleinigkeit, nur f�r den eigenen Bedarf.“

„Ich dachte, Sie w�ren Holzh�ndler.“

„Nein, doch nicht. Ich habe ein Tuchgesch�ft. Das hei�t einen Tuchladen, wissen Sie.“

Wir a�en Butterbrot zum Kaffee, und w�hrend er sich Butter nahm, fielen mir seine wohlgebildeten langen und schmalen H�nde auf.

Den Weg nach Ilgenberg sch�tzte er auf sechs Stunden. Er hatte seinen Wagen da und lud mich freundlich zum Mitfahren ein, doch nahm ich nicht an. Ich fragte nach Fu�wegen und bekam leidliche Auskunft. Dann rief ich die Wirtin und zahlte meine kleine Zeche, steckte Brot in die Tasche, sagte dem Kaufmann Adieu und ging die Treppe hinab und durch die gepflasterte Flur in den kalten Morgen hinaus.

Vor dem Hause stand des Tuchh�ndlers Gef�hrt, eine leichte zweisitzige Kutsche, und eben zog ein Knecht den Gaul aus dem Stall, ein kleines fettes R��lein, das wei� und r�tlich wie eine Kuh gefleckt war.

Der Weg f�hrte talaufw�rts, eine Strecke den Bach entlang, dann ansteigend gegen die Waldh�hen. Indem ich allein dahin marschierte, fiel mir ein, da� ich im Grunde alle meine Wege so einsam gemacht habe, und nicht nur die Spazierg�nge, sondern alle Schritte meines Lebens. Freunde und Verwandte, gute Bekannte und Liebschaften waren ja immer dabei, aber sie umfa�ten mich nie, erf�llten mich nie, rissen mich nie in andere Bahnen als die ich selber einschlug. Vielleicht ist jedem Menschen, er sei wie er wolle, wie einem geschleuderten Ball seine Wurfbahn vorgezeichnet und er folgt einer l�ngst bestimmten Linie, w�hrend er das Schicksal zu zwingen oder zu h�nseln meint. Jedenfalls aber ruht das „Schicksal“ in uns und nicht au�er uns, und damit bekommt die Oberfl�che des Lebens, das sichtbare Geschehen, eine gewisse Unwichtigkeit, etwas erg�tzlich Spielzeughaftes, dessen Anblick einen stillen Zuschauer sein Leben lang angenehm besch�ftigen kann. Was man gew�hnlich schwer nimmt und gar tragisch nennt, wird dann oft zur Bagatelle. Und dieselben Leute, die vor dem Anschein des Tragischen in die Kniee sinken, leiden und gehen unter an Dingen, die sie nie beachtet haben.

Ich dachte: Was treibt mich jetzt, mich freien Mann, nach dem St�dtlein Ilgenberg, wo H�user und Menschen mich nichts mehr angehen und wo ich kaum anderes als Entt�uschung und vielleicht Leid zu finden hoffen kann? Und ich sah mir selber verwundert zu, wie ich ging und ging und zwischen Humor und Bangigkeit hin und wider schwankte.

Es war ein sch�ner Morgen, die herbstliche Erde und Luft vom ersten Winterduft gestreift, dessen herbe Klarheit mit dem Steigen des Tages abnahm. Gro�e Starenz�ge strichen in sch�ner keilf�rmiger Ordnung mit lautem Schwirren �ber die Felder. Im Tale zog langsam die Herde eines Wandersch�fers hin, und mit ihrem leichten Staube vermischte sich der d�nne blaue Rauch aus des Sch�fers Pfeife. Das alles samt den Bergz�gen, farbigen Waldr�cken und weidenbestandenen Bachl�ufen stand in der glasklaren Luft frisch wie ein gemaltes Bild, und die ergreifende Sch�nheit der Erde redete ihre leise, sehns�chtige Sprache, unbek�mmert wer sie h�re.

Das ist mir immer wieder sonderbar, unbegreiflich und hinrei�ender als alle Fragen und Taten des Tages und Menschengeistes: wie ein Berg sich in den Himmel reckt und wie die L�fte lautlos in einem Tale ruhen, wie gelbe Birkenbl�tter vom Zweige gleiten und Vogelz�ge durch die Bl�ue fahren. Da greift einem das ewig R�tselhafte so besch�mend und so s�� ans Herz, da� man allen Hochmut ablegt, mit dem man sonst �ber das Unerkl�rliche redet, und da� man doch nicht erliegt, sondern alles dankbar annimmt und sich bescheiden und stolz als Gast des Weltalls f�hlt.

Am Saume des Waldes flog mit lautklatschendem Fl�gelschlagen ein Wildhuhn vor mir aus dem Unterholz. Braune Brombeerbl�tter an langen Ranken hingen �ber den Weg herein, und auf jedem Blatte lag seidig der durchsichtig d�nne Reif, silbrig flimmernd wie die feinen H�rchen auf einem St�ck Sammet. Wenn einem Maler oder Kunststicker oder Keramiker eine halbe Nachahmung solcher T�ne gelingt, so rei�t man in der Stadt die Augen auf.

Als ich nach l�ngerem Steigen im Walde eine H�he und eine aussichtsreiche freie Halde erreichte, kannte ich mich bald wieder in der Landschaft aus. Den Namen des D�rfleins, in dem ich gen�chtigt hatte, wu�te ich aber nicht und habe auch nicht nach ihm gefragt.

Mein Weg f�hrte am Rand des Waldes weiter, der hier die Wetterseite hatte, und ich fand meine Kurzweil an den k�hnen, bedeutungsvoll grotesken Formen der St�mme, �ste und Wurzeln. Nichts kann die Phantasie st�rker und inniger besch�ftigen. Zuerst herrschen meistens komische Eindr�cke vor: Fratzen, Spottgestalten, und Karikaturen bekannter Gesichter werden in Wurzelverschlingungen, Erdspalten, Astgebilden, Laubmassen erkennbar. Dann ist das Auge gesch�rft und sieht, ohne zu suchen, ganze Heere von wunderlichen Formen. Das Komische verschwindet, denn alle diese Gebilde stehen so entschlossen, keck und unverr�ckbar da, da� ihre schweigende Schar bald Gesetzm��igkeit und ernste Notwendigkeit verk�ndet. Und endlich werden sie unheimlich und anklagend. Es ist nicht anders, der wandelbare und maskentragende Mensch erschrickt, sobald er ernsthaft zusieht, vor den Z�gen jedes nat�rlich Gewachsenen. Denselben Eindruck wie vor den Formen des Gesteins und der B�ume hatte ich einst vor einigen Photographieen von Indianern, deren gewaltige, furchtbare Gesichter Z�ge wie von Holz oder Eisen hatten — vielleicht auch Masken, aber unver�nderliche.

Es ist lustig, im Umrisse eines Berggipfels ein Gesichtsprofil zu entdecken und in einem Felsen die Figur eines Tieres. Aber wer nie anders als so betrachtet, wer nie �bers Zuf�llige hinaus die nat�rlich entstandenen Formen vergleicht und sieht, wem diese Formen nie zu ergreifenden Geb�rden, zu stummer Sprache, zu gefesselter Kraft und Leidenschaft werden, der ist ein Tropf, und und es gibt nichts �rgerlicheres, als eine Strecke weit mit so einem wandern zu m�ssen.

Ilgenberg

Das Dorf, das ich nach zwei Stunden auf Fu�wegen erreichte, hie� Schluchtersingen und war mir von einem fr�heren Besuche her bekannt. Als ich durch die Dorfgasse schritt, sah ich vor einem neugebauten Gasthof einen Wagen stehen und erkannte sofort das Gef�hrt des Kaufmanns aus Ilgenberg und sein kleines, sonderbar geflecktes Pferd.

Er selber trat gerade aus der T�re, um wieder einzusteigen, als er mich daherkommen sah. Sogleich gr��te er lebhaft und winkte mir zu.

„Ich habe hier noch Gesch�fte gehabt, fahre jetzt aber direkt nach Ilgenberg. Wollen Sie nicht mitkommen? Das hei�t, wenn Sie nicht lieber zu Fu� gehen.“

Er sah so gutm�tig aus und mein Verlangen nach dem Ziel meiner Reise war allm�hlich so gespannt, da� ich annahm und einstieg. Er gab dem Hausknecht ein Trinkgeld, nahm die Z�gel und fuhr los. Der Wagen lief gar leicht und bequem auf der guten, harten Stra�e und mir tat nach tagelangem Fu�g�ngertum das herrschaftliche Gef�hl des Fahrens wohl.

Wohl tat mir auch, da� der Kaufmann keine Versuche machte mich auszufragen. Ich w�re sonst sogleich wieder ausgestiegen. Er fragte nur, ob ich auf einer Erholungsreise sei und ob ich die Gegend schon kenne.

„Wo steigt man denn jetzt in Ilgenberg am besten ab?“ fragte ich. „Fr�her war der Hirschen gut; der Besitzer hie� B�liger.“

„Der lebt nimmer. Die Wirtschaft hat jetzt ein Fremder, ein Bayer, und sie soll zur�ckgegangen sein. Doch will ich das nicht beschw�ren, ich hab’s vom H�rensagen.“

„Und wie ist’s mit dem Schw�bischen Hof? Da war seinerzeit einer namens Schuster drauf.“

„Der ist noch da, und das Haus gilt f�r gut.“

„Dann will ich dort einkehren.“

Mehrmals machte mein Begleiter Miene, sich mir vorzustellen, doch lie� ich es nicht dazu kommen. So fuhren wir durch den lichten, farbigen Tag.

„Es geht so doch ringer als zu Fu�,“ meinte der Ilgenberger.

„Das wohl, ja. Ein Freund von mir, ein Basler, hat das auch herausgefunden. Er schw�rmt f�r Fu�touren, aber im zweiten oder dritten Dorf nimmt er jedesmal einen Einsp�nner und steigt dann erst kurz vor der Stadt wieder ab.“

„Die Art kenn ich, ja. Aber zu Fu� ist es ges�nder.“

„Wenn man gute Stiefel hat. �brigens ist Ihr Gaul ein lustiger Patron, mit seinen Flecken.“

Er seufzte ein wenig und lachte dann.

„F�llt’s Ihnen auch auf? Freilich, die Flecken sind gesp��ig. In der Stadt haben sie ihn mir ‚die Kuh‘ getauft, und man soll die Leute spotten lassen, aber es �rgert mich doch.“

„Gehalten ist das Tier gut.“

„Nicht wahr? Es geht ihm nichts ab. Sehen Sie, ich hab’ das R��lein gern. Jetzt spitzt es schon die Ohren, weil wir von ihm reden. Es ist sieben Jahr alt.“

In der letzten Stunde redeten wir wenig mehr. Mein Begleiter schien erm�det, und mir nahm der Anblick der mit jedem Schritt vertrauter werdenden Gegend alle Gedanken gefangen. Ein bangk�stliches Gef�hl, Orte der Jugendzeit wiederzusehen! Erinnerungen blitzen in verwirrender Menge auf, man lebt ganze Entwicklungen in traumhafter Sekundeneile wieder durch, unwiederbringlich Verlorenes blickt uns heimatlich und schmerzlich an.

Eine schwache Erh�hung �ber die unser Wagen im Trabe lief, �ffnete den Blick auf die Stadt. Zwei Kirchen, ein Mauerturm, der hohe Rathausgiebel lachten aus dem Gewirre der H�user, Gassen und G�rten her�ber. Da� ich den humoristischen Zwiebelturm einmal mit R�hrung und klopfendem Herzen begr��en w�rde, h�tte ich damals nicht gedacht. Er schielte mich mit seinem heimlichen Kupferglanz behaglich an, als kenne er mich noch und als habe er schon ganz andere Ausrei�er und Weltst�rmer als bescheidene und stille Leute heimkommen sehen.

Noch sah ich die unvermeidlichen Ver�nderungen, Neubauten und Vorstadtstra�en nicht, alles sah aus wie vorzeiten, und mich �berfiel beim Anblick die Erinnerung wie ein hei�er S�dsturm. Unter diesen T�rmen und D�chern hatte ich die m�rchenhafte Jugendzeit gelebt, sehnsuchtsvolle Tage und N�chte, wunderbare schwerm�tige Fr�hlinge und lange, in der schlecht geheizten Mansarde vertr�umte Winter. In diesen Gartenstr��chen war ich nachts in Liebeszeiten brennend und verzweifelnd umhergewandert, den hei�en Kopf voll von abenteuerlichen Pl�nen. Und hier war ich gl�cklich gewesen wie ein Seliger �ber den Gru� eines M�dchens und �ber die ersten sch�chternen Gespr�che und K�sse unserer Liebe.

„Ja, es zieht sich noch,“ sagte der Kaufmann, „aber in zehn Minuten sind wir daheim.“

Daheim! dachte ich. Du hast gut reden.

Garten um Garten, Bild um Bild glitt an mir vor�ber, Dinge, an die ich nie mehr gedacht hatte und die mich nun empfingen, als sei ich nur f�r Stunden fortgewesen. Ich hielt es nimmer im Wagen aus.

„Bitte halten Sie einen Augenblick, ich gehe von hier vollends zu Fu� hinein.“

Etwas erstaunt zog er die Z�gel an und lie� mich absteigen. Ich hatte ihm schon gedankt und die Hand gedr�ckt und wollte gehen, da hustete er und sagte: „Vielleicht sehen wir uns noch, wenn Sie im Schw�bischen Hof wohnen wollen. Darf ich um Ihren Namen bitten?“

Zugleich stellte er sich vor. Er hie� Herschel und war, ich konnte nicht zweifeln, Julies Mann.

Ich h�tte ihn am liebsten erschlagen, doch nannte ich meinen Namen, zog den Hut und lie� ihn weiterfahren. Also das war Herr Herschel. Ein angenehmer Mann, und wohlhabend. Wenn ich an Julie dachte, was f�r ein stolzes und pr�chtiges M�dchen sie gewesen war und wie sie meine damaligen phantastisch k�hnen Ansichten und Lebenspl�ne verstanden und geteilt hatte, dann w�rgte es mich im Halse. Mein Zorn war augenblicks verflogen. Gedankenlos in tiefer, hilfloser Traurigkeit ging ich durch die alte, kahle Kastanienallee in das St�dtchen hinein.

Im Gasthaus war gegen fr�her alles ein wenig feiner und modern geworden, es gab sogar ein Billard und vernickelte Serviettenbeh�lter, die wie Globusse aussahen. Der Wirt war noch derselbe, K�che und Keller waren einfach und gut geblieben. Im alten Hof stand noch der schlanke Ahornbaum und lief noch der zweir�hrige Trogbrunnen, in deren k�hler Nachbarschaft ich manche warme Sommerabende bei einem Bier vertr�delt hatte.

Nach dem Essen machte ich mich auf und schlenderte langsam durch die wenig ver�nderten Stra�en, las die alten wohlbekannten Namen auf den Ladenschildern, lie� mich rasieren, kaufte einen Bleistift, sah an den H�usern hinauf und strich an den Z�unen hin durch die ruhigen Gartenwege der Vorstadt. Eine Ahnung beschlich mich, da� meine Ilgenberger Reise eine gro�e Torheit gewesen sei, und doch schmeichelte mir Luft und Boden heimatlich und wiegte mich in umri�lose, sch�ne, wirre Erinnerungen. Ich lie� keine einzige Gasse unbesucht, stieg auf den Kirchturm, las die ins Geb�lk des Glockenstuhls geschnitzten Lateinsch�lernamen, stieg wieder hinunter und las die �ffentlichen Anschl�ge am Rathaus, bis es anfing zu dunkeln.

Dann stand ich auf dem unverh�ltnism��ig gro�en, �den Marktplatz, schritt die lange Reihe der alten Giebelh�user ab, stolperte �ber Vortreppen und Pflasterl�cken und hielt am Ende vor dem Herschelschen Hause an. Am kleinen Laden wurden gerade die Roll�den heruntergelassen, im ersten Stockwerk hatten vier Fenster Licht. Ich stand unschl�ssig da und schaute am Haus hinauf, m�de und beklommen. Ein kleiner Junge marschierte den Platz herauf und pfiff den Jungfernkranz; als er mich dastehen sah, h�rte er zu pfeifen auf und sah mich beobachtend an. Ich schenkte ihm zehn Pfennig und hie� ihn weitergehen. Dann kam ein Lohndiener und bot sich mir an.

„Danke,“ sagte ich, und pl�tzlich hatte ich den Glockenzug in der Hand und schellte kr�ftig.

Julie

Die schwere Haust�r ging z�gernd auf, im Spalt erschien das Gesicht einer jungen Dienstmagd. Ich fragte nach dem Hausherrn und wurde eine dunkle Treppe hinaufgef�hrt. Im Gang oben brannte ein �llicht, und w�hrend ich meine angelaufene Brille abnahm, kam Herschel heraus und begr��te mich.

„Ich wu�te, da� Sie kommen w�rden,“ sagte er halblaut.

„Wie konnten Sie das wissen?“

„Durch meine Frau. Ich wei�, wer Sie sind. Aber legen Sie, bitte, ab. Hier, wenn ich bitten darf. — Es ist mir ein Vergn�gen. — O, bitte. So, ja.“

Es war ihm offenbar nicht sonderlich wohl, und mir auch nicht. Wir traten in ein kleines Zimmer, wo auf dem wei�gedeckten Tisch eine Lampe brannte und zum Abendessen serviert war.

„Hier also. Meine Bekanntschaft von heute morgen, Julie. Darf ich vorstellen, Herr — —“

„Ich kenne Sie,“ sagte Julie und erwiderte meine Verbeugung durch ein Nicken, ohne mir die Hand zu geben.

„Nehmen Sie Platz.“

Ich sa� auf einem Rohrsessel, sie auf dem Diwan. Ich sah sie an. Sie war kr�ftiger, schien aber kleiner als fr�her. Ihre H�nde waren noch jung und fein, das Gesicht frisch, aber voller und h�rter, noch immer stolz, aber gr�ber und glanzlos. Ein Schimmer von der ehemaligen Sch�nheit und zarten Anmut war noch vorhanden, an den Schl�fen und in den Bewegungen der Arme, ein leiser Schimmer — —

„Wie kommen Sie denn nach Ilgenberg?“

„Zu Fu�, gn�dige Frau.“

„Haben Sie Gesch�fte hier?“

„Nein, ich wollte nur die Stadt wieder einmal sehen.“

„Wann waren Sie denn zuletzt hier?“

„Vor zehn Jahren. Sie wissen ja. �brigens fand ich die Stadt nicht allzusehr ver�ndert.“

„Wirklich? Sie h�tte ich kaum wieder erkannt.“

„Ich Sie sofort, gn�dige Frau.“

Herr Herschel hustete.

„Wollen Sie nicht zum Abendessen bei uns vorlieb nehmen?“

„Wenn es Sie gar nicht st�rt —“

„Bitte sehr, nur ein Butterbrot.“

Es gab jedoch kalten Braten mit Gallerte, Bohnensalat, Reis und gekochte Birnen. Getrunken wurde Tee und Milch. Der Hausherr bediente mich und machte ein wenig Konversation. Julie sprach kaum ein Wort, sah mich aber zuweilen hochm�tig und mi�trauisch an als m�chte sie herausbringen, warum ich eigentlich gekommen sei. Wenn ich es nur selber gewu�t h�tte!

„Haben Sie Kinder?“ fragte ich, und nun wurde sie ein wenig gespr�chiger. Schulsorgen, Krankheiten, Erziehungssorgen, alles im besseren Philisterstil.

„Ein Segen ist ja die Schule trotz alledem doch,“ sagte Herschel dazwischen.

„Wirklich? Ich dachte immer, ein Kind sollte m�glichst lange ausschlie�lich von den Eltern erzogen werden.“

„Man sieht, Sie selber haben keine Kinder.“

„Ich bin nicht so gl�cklich.“

„Aber Sie sind verheiratet?“

„Nein, Herr Herschel, ich lebe allein.“

Die Bohnen w�rgten mich elend, sie waren schlecht entf�det.

Als das Essen abgetragen war, schlug der Mann eine Flasche Wein vor, was ich nicht ablehnte. Wie ich gehofft hatte, ging er selber in den Keller, und ich blieb eine Weile mit der Frau allein.

„Julie,“ sagte ich.

„Was beliebt?“

„Sie haben mir noch nicht einmal die Hand gegeben.“

„Ich hielt es f�r richtiger —“

„Wie Sie wollen. — Es freut mich zu sehen, da� es Ihnen gut geht. Es geht Ihnen doch gut?“

„O ja, wir k�nnen zufrieden sein.“

„Und damals — sagen Sie mir, Julie, denken Sie nie mehr an damals?“

„Was wollen Sie von mir? Lassen wir doch die alten Geschichten ruhen! Es ist gekommen, wie es kommen mu�te und wie es f�r uns alle gut war, meine ich. Sie haben schon damals nicht recht nach Ilgenberg hereingepa�t, mit allen Ihren Ideen, und es w�re nicht das Richtige gewesen —“

„Gewi�, Julie. Ich will nichts Geschehenes ungeschehen w�nschen. Ich wollte nur irgend ein Wort von damals h�ren, eine Erinnerung. Sie sollen nicht an mich denken, gewi� nicht, aber an alles andere, was dazumal sch�n und lieb war. Es ist doch unsere Jugendzeit gewesen, und die wollte ich noch einmal aufsuchen und ihr ins Auge sehen.“

„Bitte, reden Sie von anderem. F�r Sie mag es anders sein, aber f�r mich liegt zu viel dazwischen.“

Ich sah sie an. Alle Sch�nheit von damals hatte sie verlassen, sie war nur noch Frau Herschel.

„Allerdings,“ sagte ich grob und hatte nichts dagegen, als nun der Mann mit zwei Flaschen Wein zur�ckkam. Die erste Flasche wurde aufgemacht und ich war nicht verletzt, als Julie das Mittrinken ablehnte.

Es war schwerer Burgunder, und Herschel, der sichtlich kein Weintrinker war, begann schon beim zweiten Glase anders zu werden. Er fing an, seine Frau mit mir zu necken. Als sie nicht darauf einging, lachte er und stie� sein Glas an meines.

„Zuerst wollte sie Sie gar nicht ins Haus haben,“ vertraute er mir an.

Julie stand auf.

„Entschuldigen Sie, ich mu� nach den Kindern sehen. Das M�del ist noch immer nicht ganz wohl.“

Damit ging sie hinaus, und ich wu�te, sie w�rde nicht zur�ckkommen. Ihr Mann machte zwinkernd die zweite Flasche auf.

„Sie h�tten das vorher nicht sagen d�rfen,“ warf ich ihm vor.

Er lachte nur.

„Lieber Gott, so gr�tig ist sie schlie�lich nicht, da� sie das �belnimmt. Trinken Sie doch! Oder schmeckt Ihnen der Wein nicht?“

„Der Wein ist gut.“

„Nicht wahr? Ja, sagen Sie, wie war denn das nun damals mit Ihnen und meiner Frau? Kindereien, was?“

„Kindereien. Doch tun Sie besser, nicht davon zu reden.“

„Gewi� — freilich — ich will ja nicht indiskret sein. Zehn Jahre ist es her, nicht?“

„Verzeihen Sie, ich mu� es vorziehen jetzt zu gehen.“

„Warum denn schon?“

„Es ist besser. Vielleicht sehen wir uns ja morgen noch.“

„Na, wenn Sie durchaus gehen wollen —. Warten Sie, ich leuchte Ihnen. Und wann kommen Sie morgen?“

„Nach Mittag, denke ich.“

„Also gut, zum schwarzen Kaffee. Ich begleite Sie ins Hotel. Nein, ich bestehe darauf. Wir k�nnen ja dort noch etwas zusammen nehmen.“

„Danke, ich will zu Bett, ich bin m�de. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau, bis morgen.“

Vor der Haust�r schob ich ihn ab und ging allein davon, �ber den gro�en Marktplatz und durch die stillen dunkeln Stra�en. Ich lief noch lange in der kleinen Stadt herum, und wenn von irgend einem alten Dach ein Ziegel gefallen w�re und h�tte mich erschlagen, so w�re es mir auch recht gewesen. Ich Narr! Ich Narr!

Nebel

Am Morgen wachte ich zeitig auf und beschlo�, sogleich weiter zu wandern. Es war kalt und ein Nebel lag so dicht, da� man kaum �ber die Stra�e sah. Frierend trank ich Kaffee, bezahlte Zeche und Nachtlager und ging mit langen Schritten in die d�mmernde Morgenstille hinein.

Rasch erwarmend lie� ich Stadt und G�rten hinter mir und drang in die schwimmende Nebelwelt. Das ist immer wunderlich ergreifend zu sehen, wie der Nebel alles Benachbarte und scheinbar Zusammengeh�rige trennt, wie er jede Gestalt umh�llt und abschlie�t und unentrinnbar einsam macht. Es geht auf der Landstra�e ein Mann an dir vorbei, er treibt eine Kuh oder Ziege oder schiebt einen Karren oder tr�gt ein B�ndel, und hinter ihm her trabt wedelnd sein Hund. Du siehst ihn herkommen und sagst Gr�� Gott, und er dankt; aber kaum ist er an dir vorbei und du wendest dich und schaust ihm nach, so siehst du ihn alsbald undeutlich werden und spurlos ins Graue hinein verschwinden. Nicht anders ist es mit den H�usern, Gartenz�unen, B�umen und Weinberghecken. Du glaubtest die ganze Umgebung auswendig zu kennen und bist nun eigent�mlich erstaunt, wie weit jene Mauer von der Stra�e entfernt steht, wie hoch dieser Baum und wie niedrig jenes H�uschen ist. H�tten, die du eng benachbart glaubtest, liegen einander nun so ferne, da� von der T�rschwelle der einen die andere dem Blick nicht mehr erreichbar ist. Und du h�rst in n�chster N�he Menschen und Tiere, die du nicht sehen kannst, gehen und arbeiten und Rufe aussto�en. Alles das hat etwas M�rchenhaftes, Fremdes, Entr�cktes, und f�r Augenblicke empfindest du das Symbolische darin erschreckend deutlich. Wie ein Ding dem andern und ein Mensch dem andern, er sei wer er wolle, im Grunde unerbittlich fremd ist, und wie unsere Wege immer nur f�r wenig Schritte und Augenblicke sich kreuzen und den fl�chtigen Anschein der Zusammengeh�rigkeit, Nachbarlichkeit und Freundschaft gewinnen.

Verse fielen mir ein und ich sagte sie im Gehen leise vor mich hin:

Seltsam, im Nebel zu wandern!

Einsam ist jeder Busch und Stein,

kein Baum sieht den andern,

jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,

als noch mein Leben licht war;

nun, da der Nebel f�llt,

ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,

der nicht das Dunkel kennt,

das unentrinnbar und leise

von Allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!

Leben ist Einsamsein.

Kein Mensch kennt den andern,

jeder ist allein.

Ende

Buchdruckerei Roitzsch, G. m. b. H., Roitzsch

Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Fremdsprachige Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einem anderen Schriftstil markiert.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgef�hrt (vorher/nachher):

  • ... geschwisterlich hin und wieder. Das geht doch ...
    ... geschwisterlich hin und wider. Das geht doch ...
  • ... mit der Mutter ...
    ... mit der Mutter. ...
  • ... Am Nachmitag aber, w�hrend ihm auf seine ...
    ... Am Nachmittag aber, w�hrend ihm auf seine ...
  • ... Staub fielen ...
    ... Staub fielen. ...
  • ... ungleich und tr�umend hin und wieder, der Himmel ...
    ... ungleich und tr�umend hin und wider, der Himmel ...
  • ... herzlich hatte lachen h�ren. Er war ein Esel gegewesen, ...
    ... herzlich hatte lachen h�ren. Er war ein Esel gewesen, ...
  • ... wie das andre, sondern er zog die M�rchen und und Sagen ...
    ... wie das andre, sondern er zog die M�rchen und Sagen ...
  • ... Abendhimmel noch in schwachem mildblauen ...
    ... Abendhimmel noch in schwachem mildblauem ...
  • ... lie� er weg, aber die Babett f�gte ein solche aus ...
    ... lie� er weg, aber die Babett f�gte eine solche aus ...
  • ... „Dann wei� ich dir gleich etwas,“ rief Babette ...
    ... „Dann wei� ich dir gleich etwas,“ rief Babett ...
  • ... Babette trug einen ungeheuer gro�en und massiven ...
    ... Babett trug einen ungeheuer gro�en und massiven ...
  • ... und Pflichten des allt�glichen Lebens teilnahmlos ...
    ... und Pflichten des allt�glichen Lebens teilnahmslos ...

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
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While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

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