Warum ist zu viel Sauerstoff gefährlich

In Akutsituationen

Wird die Indikation zu einer Sauerstofftherapie bei akuten Erkrankungen zu liberal gestellt, kann das lebensnotwendige Gas unter Umständen tödlich wirken. Das ist die Aussage einer kanadischen Studie.

Veröffentlicht: 29.05.2018, 05:01 Uhr

HAMILTON. Die Einschätzung, dass die großzügige Gabe von Sauerstoff bei Patienten mit akuter Erkrankung im besten Fall nützlich, im schlechtesten zumindest nicht schädlich sei, ist möglicherweise noch zu optimistisch: Einer Metaanalyse zufolge ist eine liberale Sauerstofftherapie bei diesen Patienten insgesamt mit einer erhöhten Kurz- und Langzeitmortalität assoziiert, ohne dass positive Effekte auf die Morbidität zu erwarten sind (Lancet 2018; 391: 1693–1705).

Hypoxämie-Patienten außen vor

Für die Metaanalyse werteten Ärzte um Derk Chu von der McMaster University im kanadischen Hamilton 25 randomisierte kontrollierte Studien aus. In den Studien waren liberale und konservative Sauerstofftherapie bei mehr als 16.000 Erwachsenen mit akuter Erkrankung – etwa Sepsis, kritische intensivmedizinisch behandelte Erkrankung, Schlaganfall, Trauma, Herzinfarkt, Herzstillstand oder Notoperation – verglichen worden.

Patienten mit Hypoxämie waren von zwölf, Patienten mit schwerer Hypoxämie von allen Studien ausgeschlossen; im Median erreichte die periphere Sauerstoffsättigung (SpO2) zu Beginn 96,4 Prozent bei den liberal und 96,7 Prozent bei den konservativ mit Sauerstoff Versorgten.

Als liberal galt jeweils die Therapie in dem Studienarm mit dem höheren Sauerstoffziel, wobei die Ziele zwischen den Studien variierten. Median betrug die inspiratorische Sauerstofffraktion (FIO2) 0,52 für acht Stunden bei liberaler und 0,21 bei konservativer Therapie. In den meisten Studien wurde über eine Gesichtsmaske (13 Studien) oder maschinell (acht Studien) beatmet.

Risiko um mehr als ein Fünftel erhöht

Die großzügige Sauerstoffgabe erhöhte im Vergleich zur konservativen Strategie das Risiko, im Krankenhaus zu sterben, um 21 Prozent. Die 30-Tages- und die Drei-Monats-Mortalität gingen um 14 und 10 Prozent nach oben, alle Unterschiede erwiesen sich als signifikant.

Der Zusammenhang war zudem dosisabhängig: Mit zunehmender SpO2 stieg das Sterberisiko im Krankenhaus und innerhalb von drei Monaten. Dabei machte es offenbar keinen Unterschied, ob die Patienten auf der Intensivstation behandelt bzw. invasiv beatmet wurden oder nicht.

Die absoluten Risikosteigerungen bei großzügiger Sauerstoffgabe beliefen sich auf 1,1 Prozent bei der Krankenhausmortalität und 1,4 bzw. 1,2 Prozent bei der Sterblichkeit nach 30 Tagen bzw. drei Monaten.

Die Number Needed to Harm errechnet sich damit zu etwa 71. Das heißt, wenn 71 akut erkrankte Patienten statt einer zurückhaltenden eine liberale Sauerstofftherapie erhalten, ist mit einem zusätzlichen Todesfall zu rechnen.

Strategie ohne Vorteile?

Im Hinblick auf die Morbidität war die liberale Strategie weitgehend ohne Vorteile: Weder die Behinderung nach Schlaganfall noch nosokomiale Infektionen bzw. Pneumonien oder die Dauer des Krankenhausaufenthalts wurden dadurch verändert.

Lediglich in der Gruppe der Patienten, die notfallmäßig operiert worden waren, traten bei großzügiger Sauerstoffgabe weniger nosokomiale Infektionen auf; in den entsprechenden Studien waren allerdings statistische Verzerrungen nicht auszuschließen.

"Für akut kranke Erwachsene haben wir Evidenz von hoher Qualität, dass eine liberale Sauerstofftherapie das Mortalitätsrisiko erhöht, ohne andere patientenrelevante Ergebnisse zu verbessern", so die Studienautoren. Oberhalb eines SpO2-Wertes von 94–96 Prozent könne sich eine zusätzliche Sauerstoffgabe ungünstig auswirken. Hier sei allerdings weitere Forschung notwendig, um die Schwellenwerte zu identifizieren, bei denen die Gefahren einer Hyperoxämie die Risiken einer Hypoxämie übersteigen.

Mortalität "biologisch plausibel"

Der Zusammenhang zwischen großzügiger Sauerstofftherapie und erhöhter Mortalität ist laut Chu und Kollegen "biologisch plausibel": Aus mechanistischen Untersuchungen wisse man, dass Vasokonstriktion, Entzündung und oxidativer Stress in Lungen, Herz-Kreislauf- und Nervensystem durch eine Hyperoxie gefördert würden.

Aus klinischen Studien gibt es zudem Hinweise auf ein erhöhtes Risiko von Atemversagen oder erneutes Auftreten von Schock oder Herzinfarkt. Im Klinikalltag könne eine liberale Sauerstofftherapie wegen der guten SpO2-Werte dazu beitragen, dass eine Zustandsverschlechterung der Patienten zu spät erkannt werde.

Ein Zuviel des lebenswichtigen Elementes fordert jedes Jahr Tote

Jedes Jahr passieren eine Vielzahl von Unfällen, bei denen die sauerstoff­angereicherte Kleidung von Beschäftigten Feuer gefangen hat. Feuer in sauerstoff­angereicherter Atmosphäre entzünden sich besonders leicht und brennen sehr intensiv. Sind Personen betroffen, so erleiden diese oft sehr ernsthafte Verbrennungen, die häufig zum Tode führen.

Es gibt keine klare Grenze, ab der die Sauerstoff­konzentration gefährlich wird. Schon wenige Prozente mehr verschärfen die Gefahr. Deshalb muss bei Tätigkeiten mit Sauerstoff immer darauf geachtet werden, dass kein überschüssiger Sauerstoff die Konzentration der Umgebung unnötig erhöhen kann.

Die European Industrial Gases Association (EIGA) und ihr deutsches Mitglied, der Industriegase­verband e.V. (IGV) in Köln, haben bei der Analyse von Unfall­ereignissen die Hauptursachen für eine mögliche Sauerstoff­anreicherung ermittelt. Leckagen durch beschädigte, schlecht gewartete oder schlecht gefertigte Verbindungen sowie das beabsichtigte oder unbeabsichtigte Öffnen von Ventilen spielen demnach eine große Rolle. Aber auch der Einsatz von überschüssigem Sauerstoff bei der Anwendung, z. B. beim Schweißen oder Schneiden, eine unzureichende Belüftung in Bereichen, in denen Sauerstoff verwendet wird, sowie die unzulässige Anwendung von Sauerstoff, z. B. für den Antrieb pneumatischer Werkzeuge, zum Befüllen von Reifen oder Gummibooten, zum Kühlen oder als Frischluft­zufuhr in engen Räumen, stehen bei den Unfallursachen mit vorne an.

Risiken und Gefahren durch Sauerstoff­anreicherung lassen sich erkennen und durch verantwortungs­bewusstes Verhalten sowie Beachtung der Sicherheits­bestimmungen vermeiden. Um das Bewusstsein zu schärfen hat die EIGA ein Faltblatt "Gefahr Sauerstoff­anreicherung" herausgegeben. Hierin werden alle, die mit Sauerstoff arbeiten und umgehen, für die Problematik sensibilisiert und zu engagiertem sicherheits­bewussten Handeln aufgefordert.

Das Faltblatt selbst kann beim Industriegaseverband e.V. (IGV), Komödienstraße 48, 50667 Köln, Kontakt(at)Industriegaseverband.de, kostenlos angefordert werden. Weitere Publikationen und Sicherheits­hinweise zum Thema "Gefahr durch Sauerstoff­anreicherung" sind auf der Homepage des IGV (www.Industriegaseverband.de) allgemein zugänglich. Ein Schulungs­programm "Brandgefahren in mit Sauerstoff angereicherten Atmosphären" kann von Mitgliedern des IGV kostenlos als Powerpoint-Präsentation heruntergeladen werden.

Was passiert wenn man zu viel Sauerstoff im Blut hat?

Zu viel Sauerstoff ist für den Körper giftig und kann in der Lunge, im Herz-Kreislauf- und Nervensystem Entzündungen, oxidativen Stress oder eine Verengung der Blutgefäße herbeiführen.

Was passiert wenn man 100% Sauerstoff atmet?

100 Prozent Sauerstoff: kurzfristig kein Problem beim Atmen 100 Prozent Sauerstoff wäre also eine völlig andere Situation. Trotzdem ist das kurzfristig kein Problem – in der Notfallmedizin kommt reiner Sauerstoff ja auch zum Einsatz. Auch in Raumschiffen liegt der Sauerstoff zumindest in erhöhter Konzentration vor.

Warum nicht mehr als 2 Liter Sauerstoff?

Bei Sauerstoffflüssen von mehr als 2 l pro Minute kann es zu einer Austrocknung der Nasenschleimhäute kommen. Dies kann durch Vorschalten eines Gasbefeuchters und durch Pflege der Schleimhäute mit entsprechenden Salben vermieden werden.

Wann wird Sauerstoff gefährlich?

Normalerweise enthält Luft 21 % Sauerstoff. Es wird gefährlich, wenn deren Sauerstoffgehalt unter 18 % fällt. Unter 10 % Sauerstoff schwindet das Bewusstsein ohne Warnung, Gehirnschädigung und Tod folgen in wenigen Minuten, wenn nicht sofort eine Wiederbelebung erfolgen kann.

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