Welche besondere bedeutung haben krankenkassen und pflegekassen für die praxis

Interview

Ablauf einer Pflegebegutachtung aus der Sicht einer Gutachterin

Dr. Regina Grundler

Im Interview

Dr. Regina Grundler

Ärztin

Dr. Regina Grundler ist Ärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Sozialmedizin. Nach einigen Jahren in Klinik und Praxis arbeitet sie seit 1998 als Pflegegutachterin und seit 2013 als ärztliche Mitarbeiterin im Supervisionsteam von MEDICPROOF. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der bundesweiten Schulung der Pflegegutachter und der Sicherung der Gutachtenqualität.

Wie läuft eine Pflegebegutachtung ab? Wie lange dauert der Termin? Werden wirklich alle 64 Fragen aus dem Neuen Begutachtungsverfahren (NBA) abgefragt? Und wie können sich Familien auf den Besuch des Gutachters vorbereiten? pflege.de sprach im Interview mit Dr. Regina Grundler, die seit 1998 Pflegebegutachtungen für den Medizinischen Dienst MD (ehemals MDK) und MEDICPROOF durchführt. Sie verrät ihre spannendsten Erlebnisse als Pflegebegutachterin und schildert im Detail, was Sie bei einer Pflegegrad-Begutachtung erwartet.

Liebe Frau Grundler, Sie arbeiten seit 1998 als Pflegegutachterin, haben also sehr viel Erfahrung. Was würden Sie als Expertin sagen: Wie lange dauert eine durchschnittliche Pflegebegutachtung?

Frau Dr. Grundler: Wenn Sie von mir begutachtet werden, kommen Sie niemals unter einer Stunde davon. (lacht) Eher etwas länger und dort liegt auch der Durchschnitt unserer Gutachter. Es gibt Gutachten, die könnten Sie auch in der Hälfte der Zeit erledigen, wenn Sie nur strikt die Fakten abfragen. Aber für uns ist es wichtig, dass die Begutachtung in einer empathischen Atmosphäre abläuft. So werden wir als Gutachter auch geschult.

Das heißt ich frage beim Hausbesuch zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nicht nur meine Punkte ab, sondern ich informiere und ich berate und vor allem höre ich auch zu. Und wenn Sie das alles beherzigen, kommen Sie mit einer halben Stunde nicht aus, sondern sind ganz schnell bei einer Stunde.

Wenn wir Gutachter zu erkrankten oder behinderten Kindern schicken, können Sie allerdings fast mit dem Doppelten rechnen. 1,5 bis 2 Stunden sind dann keine Seltenheit. Auch eine Zweitbegutachtung nach einem Widerspruch dauert oft länger.

Was unsere Leser natürlich besonders interessiert, ist der Ablauf der Pflegebegutachtung. Können Sie einmal aus Ihrer Sicht beschreiben, wie die Begutachtung abläuft?

Frau Dr. Grundler: Ich selbst halte mich an kein einheitliches Schema, mir ist wichtiger, dass ich ins Gespräch komme. Ich stelle eigentlich immer erst folgende eingehende Frage, sofern ich keine Vorunterlagen habe: „Warum haben Sie denn gerade jetzt einen Antrag auf Pflegebegutachtung gestellt? Ist irgendetwas passiert? Hat Ihnen jemand den Tipp gegeben, einen Antrag auf Pflegegrad zu stellen? Erzählen Sie mal!“

Und dann lasse ich, wenn es irgendwie geht, den Versicherten selber erzählen. Für mich ist der Versicherte die Hauptperson und alle anderen, die noch dabei sind, mögen ergänzen, aber das Hauptwort hat der Versicherte.

Allein aus dem Bericht kann ich schon relativ viel ableiten und ich kann auch sehr schön überleiten auf die Frage nach dem Hausarzt und nach Medikamenten. Das heißt, ich verflechte die Aufnahme der Fakten und Daten in ein Gespräch. Das ist mein Ansatz und deswegen dauert es bei mir vielleicht auch bisschen länger als bei anderen.

Ich versuche immer, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, weil die Situation vielen Menschen unangenehm ist.

Dr. Regina Grundler

Des Weiteren versuche ich, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, weil die Situation vielen Menschen unangenehm ist. Da kommt ein Gutachter und der Versicherte muss über Dinge sprechen, die ihm vielleicht unangenehm sind. Er muss einem deutlich jüngeren Menschen erzählen, was er alles nicht mehr kann und auch auf Fragen wie „Kommen Sie noch auf der Toilette zurecht?“ oder „Gibt es manchmal ein Malheur?“ antworten.

Dabei muss man als Gutachter ganz genau auf die Worte achten. Man kann nicht fragen „Nässen Sie ein?“ oder sowas. Das geht überhaupt gar nicht, das muss alles wertschätzend passieren.

Die Versicherten wissen aber, dass solche Themen kommen, und daher ist ihnen der Termin von Vornherein unangenehm. Ich versuche daher, am Anfang schon immer klarzustellen, dass das nichts Schlimmes ist und es keine peinlichen Situationen gibt und sie hinterher sehen werden, dass es gar nicht weh getan hat.

Versicherte sollen bitte immer alles erzählen, sonst muss ich nachfragen. Denn all das, was vom Versicherten nicht erzählt oder von mir erfragt wird, kann im Gutachten nicht berücksichtigt werden – und das hat vielleicht Einfluss auf das Ergebnis.

All das, was vom Versicherten nicht erzählt oder von mir erfragt wird, kann im Gutachten nicht berücksichtigt werden – und das hat vielleicht Einfluss auf das Ergebnis.

Dr. Regina Grundler

Im Laufe dieses Gesprächs frage ich dann auch die Dinge ab, die ich für das Gutachten brauche. Ich muss ja wissen, was der Versicherte noch kann. „Wenn Sie morgens wach werden, müssen Sie ans Aufstehen erinnert werden? Muss man Sie motivieren? Kommen Sie alleine aus dem Bett? Und dann geht’s ins Bad oder geht’s dann zum Frühstück? Hat das schon jemand gemacht oder machen Sie sich das selbst?“ Nach diesem Schema führe ich den Versicherten so durch den ganzen Tag und stelle die Fragen so, wie ich sie fürs Gutachten brauche.

Und wenn mir zwischendrin etwas nicht klar ist, bitte ich den Versicherten auch, mir mal etwas zu zeigen. Zum Beispiel wenn ich das Gefühl habe, dass der Antragsteller mit seinen Armen nicht mehr bis zu seinen Haaren kommt, mache ich ihm das vor und lasse es ihn nachmachen. Oder ich lasse Antragsteller zum Beispiel auch trinken, damit ich es mir besser vorstellen kann.

Zum Ende bitte ich immer noch darum, die Wohnung sehen zu dürfen – das gehört zu einer Begutachtung dazu – und bitte den Versicherten, dass er mir die Wohnung selbst zeigt, sofern das eben geht. Das heißt, ich lasse ihn vorher gar nicht aufstehen und marschieren, sondern stelle Fragen wie „Können Sie mir Ihr Schlafzimmer noch zeigen?“.

Und dann sehe ich ja, wie er vom Küchenstuhl aufsteht und seinen Rollator greift und vor mir mühsam den Flur entlanggeht. Ich kann dann auch schon sehen, ob er in der Wohnung orientiert ist oder ob er das Badezimmer suchen muss, oder sich an den Wänden festhält und solche Sachen.

Dabei informieren wir Gutachter auch immer, was es noch so an Hilfsmitteln und Umbaumaßnahmen zur Wohnraumanpassung gibt.

Dr. Regina Grundler

Dabei informieren wir Gutachter auch immer, was es noch so an Hilfsmitteln und Umbaumaßnahmen zur Wohnraumanpassung gibt. Wenn jemand von der Toilette nicht hochkommt, ist eine Toilettensitzerhöhung zu empfehlen. Oder wenn jemand nachts sturzgefährdet ist, wenn er alleine aufs WC geht, kann man einen Toilettenstuhl neben das Bett stellen. So etwas muss man einfach vor Ort besprechen und auch den Angehörigen die Sorge und die Angst nehmen.

So läuft das bei mir ab. Wenn ich in dem Gespräch mit dem Versicherten nicht alle Informationen bekomme oder merke, dass er mit der Sprache nicht so richtig rauskommt, versuche ich auf dem Weg zur Haustür oder an der Haustür mit seinen Angehörigen unter vier Augen zu sprechen. Wenn das nicht geht, dann rufe ich die hinterher auch nochmal an. „Ich habe das Gefühl, Sie wollten den geistigen Abbau von Ihrem Vater nicht direkt im Gespräch thematisieren, erzählen Sie aber doch mal. Haben Sie Sorge, dass es in Richtung Demenz geht?“

Das ist manchmal schwierig, da muss man auch Rücksicht nehmen und kann eben hinterher nochmal mit den Angehörigen sprechen. Wenn zum Beispiel der Versicherte sagt, dass er noch alles kann und die Tochter im Hintergrund verzweifelt den Kopf schüttelt. Das stellt man dann besser unter vier Augen mit der Tochter nochmal klar.

Wow, das war jetzt ausführlich, aber spannend! Und ich könnte mir vorstellen, dass das unseren Lesern wirklich die Unruhe vor einem solchen Termin nimmt, wenn sie jetzt wissen, wie die Begutachtung abläuft. Wissen Sie schon beim Verlassen der Wohnung, welcher Pflegegrad es wird?

Frau Dr. Grundler: Nein. Das ist auch eine Frage, die beim Hausbesuch immer vom Versicherten oder Angehörigen gestellt wird. Wir Gutachter arbeiten das Gutachten in Ruhe zu Hause aus. Wir müssen erst einmal alles sortieren und alle 64 Kriterien des Begutachtungssystems bearbeiten. Deshalb sagen wir vor Ort nichts zum Ergebnis. Das Gutachten wird in der Regel am nächsten Tag verschickt, so dass der Versicherte spätestens eine Woche nach der Begutachtung den Bescheid vom Versicherungsunternehmen hat.

Nehmen Sie dazu auch Dokumente wie einen Medikamentenplan, eine Pflegedokumentation oder Arztbriefe vom Versicherten mit nach Hause? Helfen Ihnen solche Dokumente bei der Einschätzung?

Frau Dr. Grundler: Grundsätzlich nehmen wir so etwas gerne an, aber bitte nicht im Original. Wir sind verpflichtet, Originale zurückzuschicken, daher ist das also ein relativ großer Aufwand. Was auf jeden Fall sinnvoll ist und was wir gerne annehmen, ist eine Kopie der Medikamentenverordnung. Dann kann der Gutachter die Zeit bei der Begutachtung sinnvoller nutzen als die Namen der Medikamente und deren Dosierung abzufragen. Zudem ist ein Pflegetagebuch sinnvoll.

MEDICPROOF hat die alte Pflegedokumentation auf das neue Verfahren umgearbeitet, die man auf unserer Website herunterladen kann. Ich persönlich finde das sehr sinnvoll, weil sich dann Angehörige und Beteiligte schon mal mit den Inhalten beschäftigen, die relevant sind.

Auch auf pflege.de können solche wichtigen Inhalte nachgelesen werden. Eine solche Vorbereitung und Pflegedokumentation ist zur Orientierung für den Pflegebegutachter sehr hilfreich und kann beim Begutachtungstermin vor Ort Zeit für wichtigere Dinge sparen. Wir können die Angaben zwar meistens nicht 1:1 übernehmen, da oft eine große Lücke zwischen der Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung klafft, doch es ist eine gute Orientierung!

Wie können sich Familien auf die Begutachtung vorbereiten?

Frau Dr. Grundler: Da gibt es schon ein paar Dinge, die helfen:

  1. Nehmen Sie sich die Zeit und planen Sie zusätzliche Minuten ein, falls es etwas länger dauert. Es kommt in der Regel dem Begutachtungsergebnis zugute.
  2. Bereiten Sie, wie eben beschrieben, Dokumente wie die Pflegedokumentation, Arztbriefe und den Medikamentenplan vor. Das erspart dem Gutachter Zeit, die er besser für andere Fragen nutzen kann.
  3. Alle Beteiligten sollten offen an diesen Hausbesuch rangehen. Familien sollten wissen, dass Gutachter neutral sind, nicht das Geld für die Versicherungsunternehmen einsparen müssen und nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Manche Versicherte haben das Gefühl, dass ein Gutachter ihnen Leistungen verwehren will. Das stimmt so nicht. Wenn man das weiß, herrscht von Vornherein eine ganz andere Atmosphäre bei Begutachtungen.
  4. Beschäftigen Sie sich mit den Inhalten. Antragsteller sollten sich unsere Pflegedokumentation ansehen oder sich auf pflege.de informieren. So wissen der Antragsteller und seine Familie, was auf sie zukommt.
  5. Familien sollten realistisch sein und realistisch berichten, wenn der Gutachter da ist. Man sollte nicht übertreiben und nicht untertreiben. Beschäftigen Sie sich inhaltlich und gedanklich mit den Begutachtungskriterien – das hilft sehr. Viele Antragsteller berichten mir oft bei einer Widerspruchsbegutachtung, dass sie bei der ersten Begutachtung eigentlich gar nicht genau wussten, worum es geht. Das kann man vermeiden, indem man sich gut vorbereitet.

„Realistisch berichten“ – Ihr fünfter Tipp. Wie schaffen Sie es als Gutachter, dass Versicherte Ihnen z. B. auch von einer Inkontinenz erzählen, statt verschämt zu schweigen? Ähnlich wird es ja bei einer Demenz sein.

Frau Dr. Grundler: Ich vermeide dieses Frage-Antwort-Spiel und versuche, ein empathisches Gespräch aufzubauen. Ich spreche eine Inkontinenz konkret an und frage danach. Wenn man sie nicht anspricht, dann kriegt man es nicht raus. Man muss das Kind schon beim Namen nennen. Aber man kann das freundlich und mitfühlend machen und z. B. darauf hinweisen, dass man eben im Badezimmer die Packung Tena Lady gesehen hat oder auf dem Krankenhausbrief von einer Harninkontinenz gelesen hat.

Und wie schaffen Sie es, dass sich Antragsteller realistisch darstellen? Viele ältere Menschen präsentieren sich am Tag der Begutachtung aus Stolz deutlich selbstständiger als sie eigentlich sind. Aber es bringt ja nichts, wenn derjenige frisch geduscht, mobil und zurechtgemacht am Tisch sitzt, oder? Haben Sie Tipps für Angehörige, damit sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Begutachtung realistisch zeigt?

Frau Dr. Grundler: Der wichtigste Tipp ist, dass man so ist, wie man sonst im Alltag auch ist. Wenn der Versicherte sonst immer im Schlafanzug auf dem Sofa liegt und das Anziehen schwerfällt und in der Regel erst mittags erledigt ist, dann soll er das bitte zum Hausbesuch genauso machen. Es ist ganz wichtig, dass der Gutachter erlebt, wie der Alltag abläuft. Angefangen beim Waschen und Anziehen über das Essen bis hin zur Mobilität.

Machen Sie bitte keinen Aufstand für mich. Putzen Sie nicht für mich. Waschen Sie Ihren Angehörigen nicht extra. Wenn er sonst den ganzen Tag im Schlafanzug im Sessel sitzt, dann lassen sie ihn auch an diesem Tag im Schlafanzug im Sessel sitzen.

Dr. Regina Grundler

Der Gutachter merkt, was Sache ist. Ich sage den Familien oft bereits am Telefon, wenn ich den Termin ankündige: „Machen Sie bitte keinen Aufstand für mich. Putzen Sie nicht für mich. Waschen Sie Ihren Angehörigen nicht extra. Wenn er sonst den ganzen Tag im Schlafanzug im Sessel sitzt, dann lassen sie ihn auch an diesem Tag im Schlafanzug im Sessel sitzen.“

Merkt ein Gutachter, wenn sich ein Antragsteller selbstständiger als sonst präsentiert? Kann ein Gutachter aufgrund von Arztbriefen, Diagnose und Beobachtungen den Pflegebedarf realistisch einschätzen?

Frau Dr. Grundler: In der Regel schafft man das, ja, weil man ja auch eine Stunde oder länger vor Ort ist. Als Gutachter bekommt man ja auch nicht nur die Befunde, Arztbriefe und Dokumente, sondern hat auch Angehörige, die einem manchmal das Gegenteil des Betroffenen erzählen.

Und als Gutachter hat man auch seine eigenen Beobachtungen. Wenn ich jemanden frage „Wie geht’s denn morgens im Bad beim Zähneputzen, Prothese einsetzen, An- und Ausziehen?“ höre ich sehr oft „Das kann ich alles alleine“. Dann bitte ich denjenigen, er möge mir doch den letzten Arztbrief einmal zeigen, und er muss ihn dafür aus dem Briefkuvert holen.

Wenn ich dabei sehe, wie das nicht gelingt, dann weiß ich auch, dass morgens die Bluse jemand anders zuknöpft. Da zählt man als Gutachter dann eins zu eins zusammen. Ich will nicht sagen, dass man als Gutachter immer alles rausbekommt, aber wenn man so lange vor Ort ist, dann bekommt man ein ganz gutes Gesamtbild und das ist ja das Wesentliche.

Und was ist, wenn sich ein Versicherter unselbstständiger darstellt als er eigentlich ist? Merken Sie das als Gutachter, wenn falscher Hilfebedarf vorgespielt wird?

Frau Dr. Grundler: Ja, das kommt vor, aber sehr selten. Ich habe es in meiner ganzen Laufbahn einmal erlebt, es war einer meiner ersten Hausbesuche. Ich hatte eine Person begutachtet, die mir sehr pflegebedürftig erschien. Dann war ich auf dem Nachhauseweg im Supermarkt und da kam mir der Versicherte, der mich nicht erkannt hat, agil und selbstständig mit dem Einkaufswagen entgegen.

Oh, das ist peinlich.

Frau Dr. Grundler: Er hat mich nicht erkannt, ich habe ihn wohl erkannt und habe abends das Gutachten entsprechend anders geschrieben. In der Regel kriegt man so etwas aber beim Hausbesuch mit. Wenn Ihnen z. B. jemand gegenüber sitzt und Gelenkprobleme hat und erzählt Ihnen, dass er gar nichts mehr kann.

Dann klingelt das Handy und plötzlich kann er ganz flugs das Telefon hinter dem Sofakissen hervorholen. Und sagt: „Entschuldigung bitte, da ist mein Enkelkind dran“ und bedient das Handy problemlos.

Das Verstellen über 60 Minuten durchzuhalten ist sehr schwierig. Insofern merkt man das als Gutachter in der Regel. Oft passt es auch nicht zu den Befunden des Hausarztes. Um all diese Verwirbelungen zu vermeiden, sollte man am besten bei der Realität bleiben.

Welche Punkte können die Chancen auf einen Pflegegrad erhöhen? Gibt es bestimmte Module oder Bewertungskriterien, die man als Antragsteller beim Begutachtungstermin intensiver thematisieren und beschreiben sollte als andere?

Frau Dr. Grundler: Nein, es gibt keine besonders ausschlaggebenden Themen. Es zählt jeder Punkt und das ist einer der wichtigen Unterschiede zum alten System (bis Dezember 2016): Der Versicherte wird im Pflegegrade-System ganzheitlich erfasst.

Werden alle 64 Kriterien des Begutachtungssystems beim Hausbesuch tatsächlich abgefragt?

Frau Dr. Grundler: Nein, die Kriterien werden nicht 1:1 tatsächlich gefragt, aber der Gutachter muss sie alle beantworten. Wenn ein Antragsteller z. B. nicht gehen kann, dann muss ich gar nicht fragen, ob er die Treppen im Haus noch alleine bewältigen kann oder einen Treppenlift benötigt. Insofern ist es sehr viel Inhalt, aber wir fragen nicht alle explizit Kriterien ab.

Was sind die häufigsten Fragen, die Ihnen bei einem Hausbesuch gestellt werden?

Frau Dr. Grundler: Eine Frage kommt fast immer: „Können wir die Pflege zu Hause organisieren oder muss Mutter/Vater ins Pflegeheim?“ Und meine Antwort darauf lautet: „Man kann zuhause alles organisieren.“

Es müssen die Bedingungen stimmen, d. h. man muss motiviert sein dazu und es ist ein soziales Netz aus Angehörigen und Nachbarn erforderlich. Man darf sich nicht scheuen, auch professionelle ambulante Pflege dazuzuholen, weil es oftmals ohne gar nicht geht.

Diesen Schritt müssen viele pflegende Angehörige aber erst mal machen. In der Regel ist es so: Die Ehefrau versorgt ihren Ehemann so lange, bis sie selber nicht mehr kann. Hier muss noch viel Umdenken erfolgen und die professionelle Pflege muss früher mit in die häusliche Versorgung! Zugleich könnten viele Versicherte früher unterstützende Hilfsmittel annehmen.

Was empfehlen Sie Versicherten, die das Gefühl haben, dass das Ergebnis des Gutachtens nicht der Realität entspricht?

Frau Dr. Grundler: Wenn Antragsteller und deren Familien finden, dass die Entscheidung gar nicht passt, können sie Widerspruch einlegen und den Weg der Zweitbegutachtung gehen. Wir weisen im Hausbesuch darauf hin, wenn dieses Thema angesprochen wird.

Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass ein Antrag im zweiten Anlauf doch noch bewilligt wird?

Frau Dr. Grundler: Im ersten Hausbesuch wissen die meisten Versicherten und Angehörigen noch gar nicht, worum es geht. Und man merkt diesen Unterschied eklatant in der Zweitbegutachtung. Entweder sind die Familien dann beraten worden oder haben sich im Internet schlau gemacht – auch auf Portalen wie pflege.de.

Wenn sie sich besser auskennen und wissen, was überhaupt alles bewertet wird, dann ist auch das Verständnis für den vielleicht niedrigeren Pflegegrad da. Und es werden beim zweiten Hausbesuch auch die richtigen Dinge erzählt – und nicht verschwiegen, wie eben eine Inkontinenz, so dass man tatsächlich zu einem höheren Pflegegrad kommt.

Was ich auch öfter erlebe, ist, dass beim ersten Termin die wesentlichen Personen nicht alle dabei waren. Ich bringe jetzt meine eigene Erfahrung: Wenn ich meine Mutter jetzt alleine zu einer Pflegebegutachtung schicken würde und sage „Mama, Du machst das schon“, würde sie in dem Moment auch nicht alles erzählen.

Was ich auch öfter erlebe, ist, dass beim ersten Termin die wesentlichen Personen nicht alle dabei waren.

Dr. Regina Grundler

Das heißt, die Angehörigen, die Bezugspersonen müssen unbedingt dabei sein. Bei Widerspruchsbegutachtungen ist es so, dass viel mehr Personen dabei sind als beim ersten Mal. Die Angehörigen haben gelernt. Und auch dadurch wird sehr viel mehr zur Begutachtung und zu einem richtigen Ergebnis beigetragen.

Und was wir auch relativ häufig haben bei Widersprüchen, das ist eine Verschlechterung, die zwischenzeitlich aufgetreten ist. Der Gutachter war im Februar da, der Versicherte bekommt Anfang März den Bescheid und legt dann Ende März einen Widerspruch ein. Der zweite Gutachter stellt dann im April fest, dass es z. B. tatsächlich einen fortschreitenden Parkinson-Verlauf gibt, der im Februar so noch nicht abzusehen war.

Dann war das Vorgutachten korrekt, aber seitdem hat sich der Zustand des Versicherten stetig verschlechtert, so dass ihm wirklich ein höherer Pflegegrad zusteht.

Nichtsdestotrotz gibt es auch Widersprüche, die auch beim zweiten Mal kein anderes Ergebnis ergeben.

Inwiefern unterscheidet sich ein zweites Gutachten nach dem Widerspruch des Versicherten vom ersten Gutachten?

Frau Dr. Grundler: Der Hausbesuch läuft genauso ab. Der Zweitgutachter macht ein komplett neues Gutachten und tut tatsächlich so, als gäbe es das erste Gutachten nicht. Er macht sich sein komplett eigenes Bild. So weit ist alles identisch.

Und dann kommt ein Unterschied: Er bespricht das Widerspruchsschreiben zusammen mit dem Versicherten. Versicherte oder Angehörige müssen einen Widerspruch ja begründen, wie z. B. „In Modul 1 ist das dritte Kriterium falsch, weil ich nicht so gut gehen kann und auch in Modul 4 muss es einen Fehler geben, da ich nicht selbstständig essen kann.“

Der Gutachter diskutiert im Widerspruchsgutachten diese Einsprüche vor Ort mit dem Versicherten und kann Unklarheiten bereinigen. „Sie haben hier geschrieben, dass Sie nicht so gut gehen können, aber gerade eben haben Sie es mir gezeigt. Vielleicht gibt es Tage, wo es nicht so gut ist, aber eigentlich können Sie es ja doch.“

Es ist wichtig, dass man das vor Ort schon mal ein bisschen diskutiert, damit das Verständnis da ist, falls ein Widerspruch abgelehnt werden sollte. Oder auch, dass man offen sagt: „Sie haben Recht. Ich habe das eben gesehen, Sie können tatsächlich nicht mehr so gut gehen, wie es im Vorgutachten steht.“

Wie hoch ist der Anteil der Pflegebedürftigen, die gegen die Einstufung Widerspruch einlegen? Kennt jeder sein Recht, zu widersprechen?

Frau Dr. Grundler: Es gibt nicht viele Widersprüche. Das Recht darauf sollten eigentlich alle Versicherten kennen. Ich weise im Hausbesuch nicht explizit darauf hin, es sei denn jemand fragt, was er tun kann, wenn er mit dem Ergebnis nicht einverstanden ist.  In der Regel sollte dem Schreiben mit dem Bescheid über den Pflegegrad ein Hinweis über die Möglichkeit zum Widerspruch beiliegen.

Was ich immer sage, ist aber, dass es jederzeit die Möglichkeit gibt, einen Antrag auf Höherstufung bzw. Änderungsantrag zu stellen, wenn sich der Zustand verschlechtert.

Was war Ihr bisher spannendstes Erlebnis?

Frau Dr. Grundler: Ich glaube das spannendste war tatsächlich 9/11, also der 11. September 2001. Als da nachmittags die Terroranschläge passiert sind, war ich nämlich bei einer Pflegebegutachtung bei einer älteren Dame und die hatte im Hintergrund den Fernseher laufen. Allerdings auf stumm und wir haben am Esstisch gesessen und das Begutachtungsgespräch durchgeführt und haben so im Augenwinkel mitbekommen, dass da im Fernsehen was passiert ist.

Wir haben unser Gespräch dann unterbrochen und gemeinsam die Ereignisse im Fernsehen verfolgt, das war bestimmt eine halbe Stunde. Die Dame sagte ganz am Ende der Begutachtung: „Nachdem wir das jetzt gesehen haben, glaube ich, geht es mir eigentlich sehr gut“. Der Frau ging es aber nicht wirklich gut, das ist mir dann schon ein bisschen nahe gegangen.

Liebe Frau Grundler, vielen Dank für das spannende Gespräch und die interessanten Einblicke in Ihre Arbeit!

Erstelldatum: 8102.40.6|Zuletzt geändert: 2202.11.3

Warum ist die Krankenkasse wichtig?

§ 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung ( SGB V) nennt als Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern sowie die Versicherten aufzuklären, zu beraten und auf eine gesunde Lebensführung hinzuwirken.

Was sind die wichtigsten Leistungen der Krankenversicherung?

Gesetzliche Krankenkassen nutzen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um sich auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Versicherten einzustellen. Dazu gehören Wahltarife, Zusatzleistungen und Bonusprogramme. Auch die Höhe des Zusatzbeitragssatzes einer Krankenkasse ist ein wichtiges Auswahlkriterium für Mitglieder.

Was versteht man unter Pflegeversicherung?

Die Pflegeversicherung dient der Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, allerdings deckt sie das Risiko nicht vollumfänglich ab. Sie umfasst häusliche und stationäre Pflegeleistungen.

Wer zahlt Kranken und Pflegeversicherung?

Ihr Arbeitgeber übernimmt für Sie ab dem 1. Januar 2022 neben der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes zur Krankenversicherung, derzeit also 7,3 Prozent, auch die Hälfte des kassenindividuellen Zusatzbeitrages. Er zahlt außerdem die Hälfte des Beitrags zur Pflegeversicherung, derzeit 1,525 Prozent.