Das Jahr nach dem Abitur Film

Wenn Mittvierziger von Coolness träumen: In "Der Sommer nach dem Abitur" wollen drei Freunde das verpasste Madness-Konzert ihrer Jugend nachholen. Ein tragikomischer Trip in männliche Stil- und Lebenskatastrophen.

Von Christian Buß

25.06.2020, 10.11 Uhr

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Das Jahr nach dem Abitur Film

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Fabian Busch, Bastian Pastewka und Hans Löw in "Der Sommer nach dem Abitur": extra erworbener Golf

Foto: Britta Krehl/ ZDF

In einem bestimmten Alter stellen Jungs das Reden ein. Damit sie trotzdem Freunde finden können, gibt es T-Shirts mit Bandlogos drauf. Dann wissen die sprach- und bindungsgestörten Jungs: Ah, das sind meine Leute, da gehöre ich hin. Das Problem ist: Viele alt gewordene Jungs haben Jahrzehnte später immer noch nicht das Reden gelernt, vermuten aber in Menschen, die ähnliche Band-Shirts tragen, Seelenverwandte. Ein Irrglaube, der zu vielen Enttäuschungen führt.

Der tragikomische Fernsehfilm "Der Sommer nach dem Abitur" ist um diesen Irrglauben gebaut: Drei Jungs Mitte 40 brechen in einem alten, extra für diesen Zweck erworbenen Golf zu einer Reise auf, um ein Open-Air-Konzert der britischen Ska-Band Madness zu besuchen. Nach ihrem Abitur 25 Jahre zuvor war der gleiche Plan schon mal auf halber Strecke schiefgegangen, die Wiederholung des Roadtrips soll zugleich ein Revival der Freundschaft werden. Fanshirts und Karoklamotten im Reisegepäck sorgen für eine Eintracht, die nicht verbalisiert werden muss.

Das Jahr nach dem Abitur Film
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Freunde Alexander, Paul und Ole: drei Ska-Oldies

Foto: Britta Krehl/ ZDF

Oder muss sie das vielleicht doch? Der Drehbuchautor Marc Terjung ("Danni Lowinski") hat den Plot als klassisches Roadmovie angelegt, und wie es sich für das Genre gehört, kommt es während der Reise zu etlichen Zwischenfällen, die dann ungeahnte Facetten an den Freunden freilegen. Und irgendwann wird schließlich doch gesprochen. Etwa über die Tablettensucht des spießigen Pharmalobbyisten Alexander (Bastian Pastewka). Oder über die krummen Geschäfte des Hallodris Paul (Hans Löw). Oder die Lebenstauglichkeit des Ratgeberautors Ole (Fabian Busch). Generation Golf, gegen die Wand gefahren.

Polizeigewalt, die wir unbedingt unterstützen

Zugegeben, die Charaktere und ihre Problemlagen sind sehr plakativ angelegt. Auch der dramaturgische Konflikt stellt sich überschaubar dar. Für die Madness-Männchen Alexander, Paul und Ole ist der Feind leicht ausgemacht: Es ist der alte Mitschüler, der im Heimatkaff als Supermarkfilialleiter auf Phil Collins hängengeblieben ist. Oder der Security-Mann, der über ihren zwischenzeitlich von der Polizei einkassierten Golf wacht, aber ausgetrickst werden kann, weil er verträumt in seiner Security-Baracke Whitney Houstons "I Will Always Love You" mitjault.

Das Jahr nach dem Abitur Film
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Ska-Band Madness in den frühen Achtzigerjahren

Foto: Virginia Turbett/ Redferns

Doch das Madness-gegen-den-Mainstream-Szenario wird stets in dem Moment, wo es allzu nostalgisch zu werden droht, über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus entfesselt. Regie führte der irische Regisseur Eoin Moore, der zuvor das angenehm zwielichtige Figurenensemble zum Rostocker "Polizeiruf" mit Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner (beide haben im ZDF-Film Gastauftritte) entwickelt hat. Das ZDF-Roadmovie hält nun ein paar Augenblicke parat, in denen der Sympathiezwang, der sonst in den Komödien in der Primetime des Zweiten herrscht, konsequent unterlaufen wird.

Etwa in der Szene, in der die Freunde einen Schlenker zu Pauls Ex machen, damit er seinen inzwischen erwachsenen Sohn treffen kann. Der junge Mann hat Trisomie 21, und Paul klaut ihm das Geld, das dieser in der Werkstatt verdient hat. Als Paul später wegen des defekten Golfs von einem Polizisten festgesetzt wird, entpuppt der sich als der Stiefvater des bestohlenen Sohnes. Er informiert Pauls Ex und reicht ihr den eigenen Schlagstock, damit sie den leiblichen Arschloch-Vater zusammenknüppeln kann. Polizeigewalt, die wir unbedingt unterstützen - eine interessante Wendung.

Überhaupt gelingt es Moore und seinen Darstellern in den richtigen Momenten, die in der Kumpel-Comedy angelegte Feelgood-Atmosphäre zu brechen, oder eben so auf die Spitze zu treiben, dass es sich schon nicht mehr gut anfühlt. Auch machen die Filmemacher niemals den Fehler, dem vollkommen unbegründeten modischen Überlegenheitsgefühl der spät pubertierenden Helden zu folgen. Ganz ehrlich: Niemand muss Madness -Fan sein in einer Welt, in der es die Specials gibt!

Erbarmungswürdig der Anblick, wenn die drei Ska-Oldies mit der Melonen-Kopfbedeckung und den Creepers-Latschen ihrer Helden auf dem Festivalgelände trottelig den Eingang suchen. Es ist das kleine Kunststück dieser Tragikomödie, dass man da am meisten bei den Charakteren ist, wo sie am uncoolsten sind.