Deshalb liegen corona-patienten wirklich auf der intensivstation

Wie man aus den beiden Werten (Anteil an allen Fällen und Impfquote) dann die geschätzte Impfeffektivität berechnet, gibt das RKI in jedem Wochenbericht selbst an (wenngleich für die IfSG-Daten), nämlich mit der Formel:

VE = 1 – 𝑃𝐶𝑉/(1−𝑃𝐶𝑉) ∗ (1−𝑃𝑃𝑉)/𝑃𝑃𝑉

Dabei ist VE die Impfeffektivität, PCV (proportion of cases vaccinated) der Anteil der geimpften Fälle und PPV (proportion of population vaccinated) der Anteil der geimpften Bevölkerung. Wenn wir diese Formel auf die Intensivregister-Daten anwenden würden, ergäber sich sich ein rechnerischer Rückgang der Impfeffektivität von anfangs ca. 90 Prozent auf nur noch ca. 60 Prozent in etwa sieben Wochen.

Daten-Probleme

Wäre so eine Rechnung zulässig? In den Wochenberichten des RKI heißt es, die Intensivregister-Daten seien in dieser Form nicht geeignet, um die Wirksamkeit der Impfung einzuschätzen. Es müsse die generelle Altersverteilung von Intensivpatienten sowie die Entwicklung der allgemeinen Impfquote der Bevölkerung berücksichtigt werden.

Außerdem schrieb uns das RKI: "Zum anderen sollten Impfeffektivitäten nur für einzelne Altersgruppen berechnet werden, da davon auszugehen ist, dass diese sich in den Altersgruppen deutlich unterscheiden können. Die Differenzierung nach Altersgruppen ist mit den Intensivregister-Daten nicht möglich."

Die Impfquote könnte man berücksichtigen. Die Definition von "geboostert" ist dabei in der Impfquote und auch auf den Intensivstationen deckungsgleich, wie im Intensivregister nachzulesen ist, nämlich: Drei Impfungen – egal, wann sie waren und egal, ob noch ein Genesenenstatus hinzukommt oder nicht. Bleibt das Problem der Altersgruppen. Bei den Impfquoten könnte man nach Alter unterscheiden, diese Daten gibt es. Aber tatsächlich fehlen die Altersdaten, was die Intensivstationen angeht. Denn man bräuchte dort das Alter bzw. die Altersgruppe von "Neuankömmlingen", so dass jeder Patient genau einmal gezählt wird, analog zur Impfstatuserfassung. Es gibt aber nur die tägliche Entwicklung der Altersstruktur insgesamt. Dort fließen Intensivpatienten unterschiedlich oft ein, je nachdem, wie lange sie auf der Station liegen. Eine Tendenz zeigen diese Zahlen trotzdem.

Der Anteil älterer Covid-19-Intensivpatienten (über 60 Jahre) ist also zumindest seit Mitte/Ende Januar angestiegen. Wenn man im Diagramm die Anteile aller Patienten über 60 Jahre (60-69, 70-79, 80+) addiert, kommt man zu Beginn des ersten Melde-Zeitraums (14.12.) auf etwa 62 Prozent - und am Ende des (vorläufig) letzten Melde-Zeitraums (27.2.) auf etwa 73 Prozent.

Dieser steigende Anteil älterer Patienten wird mit Sicherheit ein Grund für die steigenden Geboosterten-Zahlen sein, denn der Anteil Geboosterter ist im gesamten Beobachtungszeitraum bei den Über-60-Jährigen um einige Prozentpunkte höher als bei den 18- bis 59-Jährigen.

Aber dieser Unterschied wird tendenziell geringer (im ersten Vier-Wochen-Zeitraum ca. 24 Prozentpunkte, im achten nur noch ca. 16 Prozentpunkte). Die alleinige Erklärung dürfte die Altersstruktur kaum sein, zumal sie bis Mitte/Ende Januar in etwa gleich geblieben ist und schon damals der Anteil der Geboosterten Woche für Woche stieg.

Weitere Unsicherheiten

Eine zweite Unsicherheit, die eine Rechnung mit den Intensivregister-Daten in Frage stellt, gibt es auch noch. Bei den Intensivpatienten wird nicht unterschieden, ob sie wegen oder "nur" mit Covid-19 auf der Intensivstation liegen. Insofern kann es sein, dass es eine Anzahl Patienten gibt, die zwar Covid-19-positiv, aber aus anderen Gründen intensivpflichtig sind. Diese Anzahl ist leider unbekannt.

Und außerdem - nur mal angenommen, die Rechnung trifft zu, dass es derzeit nach der Booster-Impfung im Schnitt nur noch einen ca. 60-prozentigen Schutz gibt, im Fall einer Erkrankung auf einer Intensivstation behandelt werden zu müssen: Der Wert in den einzelnen Altersgruppen (18-59 und 60+) kann trotzdem jeweils höher sein. Das liegt am sogenannten Simpson-Paradoxon.

Für bessere Rechnungen fehlen aber leider die Daten. Berechnungen auf Grundlage der IfSG-Daten erscheinen uns fragwürdig, denn nach aktuellem Stand beleuchten diese Daten nur knapp fünf Prozent aller Intensivstationsfälle, ca. 300 von ca. 6.000. Das RKI verwendet diese Datengrundlage trotzdem. Zum Thema Impfeffektivität teilt die Behörde mit: "Wir sehen weder in den IfSG-Meldedaten noch in den Studienergebnissen anderer Länder starke Hinweise darauf, dass die Effektivität der Booster-Impfung gegenüber schwersten Verläufen wie intensivstationäre Betreuung oder Tod deutlich nachlässt."

Am Ende bleibt vor allem eine Erkenntnis: Die zur Verfügung stehenden Daten sind mangelhaft. Warum wird neben dem Impfstatus nicht auch das Alter bzw. die Altersgruppe von neuen Intensivpatienten erfasst und übermittelt? Das wäre extrem wünschenswert und nützlich.

(rr)