Thomas mann mario und der zauberer

Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Inhalt und Aufbau der Novelle

3. Autobiographische Bezüge

4. Politische Aspekte
4.1 Historische und politische Einordnung
4.2 Bezug zum Faschismus in Italien
4.3 Faschismus und Macht: Die Figur des Cipolla

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Seit dem Erscheinen der Novelle „Mario und der Zauberer“ von Thomas Mann im Jahre 1930 wird immer wieder diskutiert, wie sie einzuordnen sei. Liegt ihr ein politischer Gehalt zugrunde, der den Faschismus in Italien zum Thema macht, oder ist das Werk rein literarisch zu betrachten? Als die Novelle erstmals erschien, empfanden die meisten Leser sie als leichtes Vergnügen. Einige erkannten damals schon, dass die Novelle den Zeitgeist des italienischen Bürgertums, und Cipolla einen Herrscher, ähnlich Mussolini, abzeichnet.1

Ziel dieser Arbeit soll es sein, den politischen Gehalt der Novelle darzulegen. Dazu wird in Kapitel zwei ein kurzer Exkurs zum Inhalt der Novelle gegeben, Kapitel drei soll die autobiographischen Bezüge zu Thomas Mann näher beleuchten. In Kapitel vier sollen die politischen Aspekte der Novelle herausgearbeitet werden, angefangen mit der historischen und politischen Einordnung bis hin zum konkreten Bezug zum Faschismus in Italien. Die Figur des Cipolla soll in Kapitel 4.3 nähere Betrachtung finden, in der Thomas Mann die Funktion der Macht des Faschismus auf die Bevölkerung deutlich werden lässt. Abschließend wird in Kapitel fünf ein Fazit der Arbeit gezogen, welches die politischen Aspekte der Novelle zusammenfasst und die Kernaspekte dieser Arbeit rekapitulieren soll.

2. Inhalt und Aufbau der Novelle

In der Novelle Mario und der Zauberer von Thomas Mann berichtet der Ich-Erzähler von seinem Urlaub mit Frau und Kindern in dem italienischen Fantasieort Torre di Venere. Die Stimmung ist jedoch getrübt, da der Erzähler mit seiner Familie gezwungenermaßen sein Hotelzimmer wechseln muss. Er fühlt sich, im Gegensatz zu den Einheimischen, zweitrangig behandelt. Die Stimmung findet ihren Tiefpunkt, als die Tochter des Erzählers ihren Badeanzug am Strand auswaschen will und sich dabei entblößt. Die Nacktheit löst unter den Badegästen große Empörung aus, letztlich muss der Erzähler eine Geldstrafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zahlen. Des Öfteren überlegen der Erzähler und seine Frau, den Urlaub vorzeitig abzubrechen, was jedoch nicht geschieht. Schließlich besucht die Familie eine Vorführung des Zauberers Cipolla. Dieser stellt sich als bösartiger und selbstgefälliger Hypnotiseur heraus, welcher durch seine ausgefeilte Rhetorik und psychische Gewalt die Zuschauer in seinen Bann zieht und ihnen seinen Willen aufdrängt. Nachdem er schon zahlreiche Zuschauer hypnotisiert hat, suggeriert er dem Kellner Mario unter Hypnose, er sei seine heimliche Angebetete Silvestra, bringt ihn sogar dazu, ihn zu küssen. Als Mario aus der Trance erwacht, erschießt er den Zauberer Cipolla. Der Ich-Erzähler gibt sich bestürzt, aber dennoch erleichtert2.

Die Novelle ist nicht in Kapitel, sondern in zwei ungleich große Teile aufgeteilt. Der erste Teil ist weitaus kürzer als der zweite und bereitet durch die Beschreibung der kollektiven Dynamiken, z.B. in der Strandszene, den Auftritt Cipollas vor.3

3. Autobiographische Bezüge

Die Novelle entstand im August 1929 und erschien im April 1930. Die kritische Distanz zum Inhalt, die laut Thomas Mann unentbehrlich sei, fehlt in dieser Novelle. Sie ist im höchsten Sinne autobiographisch, denn „bis auf den letalen Ausgang geht die Novelle auf Selbsterlebtes zurück“.4 1926 verlebte Thomas Mann zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern einen Urlaub im italienischen Badeort Forte dei Marmi. In einem Brief an einen Freund beschreibt er, wie sich die Badegäste am Strand unfreundlich, sogar fremdenfeindlich verhalten. Auch der Zwischenfall der Tochter des Ich-Erzählers, die am Strand ihren Badeanzug auszieht, ist den Erlebnissen Thomas Manns nachempfunden. Die Familie besucht eines Abends die Vorstellung des Hypnotiseurs Cesare Gabrielli, welcher wohl als Vorlage des Cipolla gelten kann. Die Reiseerlebnisse schreibt Mann erst drei Jahre später in seinem Urlaub an der Ostsee nieder. Zu dieser Zeit hat sich auch der nationale Gemütszustand der Deutschen verändert, der Faschismus ist nicht mehr zu übersehen.5 Das politische Klima ist „geprägt durch Nationalismus, Überhandnehmen der Irrationalität, Kult der autoritären Führerpersönlichkeit, Kontrolle der Massen.“6 Thomas Mann greift diese Aspekte auf und fügt sie zu der Novelle Mario und der Zauberer zusammen.

Für Thomas Mann sind das Ästhetisch-künstlerische und Politische nicht zwangsläufig voneinander zu trennen, denn man könne nicht angesichts politischer Radikalisierungen und Umschichtungen als Künstler existieren, ohne sich um soziale Gewissenssorgen zu scheren.7 In diesem Ausdruck wird fast schon die Notwendigkeit erkennbar, seine Erlebnisse in Italien in einer Novelle zusammenzufassen, welche die politischen Aspekte und die Faschismuskritik deutlich herausarbeitet.

4. Politische Aspekte

Im Folgenden sollen die politischen Aspekte der Novelle näher betrachtet werden. Wie im vorangegangenen Kapitel bereits beschrieben, konnte und wollte Thomas Mann zu den komplexen politischen Wandlungen nicht schweigen. Dementsprechend finden sich viele Bezüge in der Novelle, die die Situation Italiens vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs widerspiegeln.

4.1 Historische und politische Einordnung

Zur Zeit der Entstehung der Novelle Mario und der Zauberer herrscht in Italien der Faschismus unter dem Staatsführer Benito Mussolini. Obwohl Italien als Siegermacht aus dem ersten Weltkrieg hervorgeht, ist der Nährboden für diese politische Ideologie nicht zuletzt die Unzufriedenheit der Arbeiter, welche unter einer schwachen Industrie und einer Inflation zu leiden haben. 1922 bedrängt Mussolinis Partei die italienische Regierung und den König, um anschließend die Macht an sich zu reißen. Der Weg ist frei für eine Italianisierungspolitik, deren Resultat als eine sprachliche und kulturelle Diskriminierung von Minderheiten zutage tritt.8 In Italien kann eine Übersetzung der Novelle Mario und der Zauberer, aufgrund ihrer politischen Brisanz, erst 1945 nach Kriegsende erscheinen.9

In Deutschland sucht die Bevölkerung die Schuldigen für die Niederlage im ersten Weltkrieg bei den Siegermächten oder, der Dolchstoßlegende nach, in den eigenen Reihen. Ein Teil der Bevölkerung sucht in immer konservativeren und verfassungsfeindlicheren Verbänden Zuflucht, bis schließlich 1920 die NSDAP gegründet wurde. Nach Putschversuchen und Adolf Hitlers Werk „Mein Kampf“ sind die faschistischen Tendenzen, auf die das Land zusteuert, längst nicht mehr zu leugnen10.

Im Spiegel dieses faschistischen Italiens wird auch der Präfaschismus Deutschlands deutlich. In einer 1930 verfassten Rede für Pan-Europa beschreibt Thomas Mann die faschistischen Grundzüge, die zuvor in Mario und der Zauberer deutlich werden, als einen die Freiheit unterminierenden Ungeist.11

4.2 Bezug zum Faschismus in Italien

Thomas Mann schreibt in einem Brief 1932: „Was „Mario und der Zauberer“ betrifft, so sehe ich nicht gern, wenn man diese Erzählung als eine politische Satire betrachtet. […]. Ich will nicht leugnen, daß [sic] kleine politische Glanzlichter und Anspielungen aktueller Art darin eingebracht sind, aber das Politische ist ein weiter Begriff, der ohne Scharfe Grenzen ins Problem und Gebiet des Ethischen übergeht, und ich möchte die Bedeutung der kleinen Geschichte, von Kleinigkeiten abgesehen, doch lieber im Ethischen als im Politischen sehen.“12. Nach achtzehn Jahren weiterer politischer Entwicklungen im faschistischen Europa revidiert Mann seine Aussage, indem er angibt, Mario und der Zauberer sei eine „[…] stark ins Politische herüberspielende Geschichte, die mit der Psychologie der des Faschismus- und derjenigen der „Freiheit“, ihrer Willensleere […] innerlich beschäftigt ist.“13 Daraus wird ersichtlich, dass Manns Novelle durchaus politisch geprägt ist. Dem Leser wird schon zu Beginn der Novelle klar, dass die nationalistisch-faschistische Ideologie den Alltag der Italiener ganz und gar durchdringt, selbst den Kindern scheint der Nationalismus eingeflößt worden zu sein. Deutlich wird dies bei Manns Beschreibung der Szenen am Strand, an dem es von patriotischen Kindern nur so wimmele. Die übertriebene Vaterlandsliebe des Faschismus als Selbstverständlichkeit und fester Teil der Erziehung kommt hier besonders zum Vorschein. Erwachsene mischen sich in einen unnatürlichen „Flaggenzwist“ der Kinder ein, „Redensarten von der Größe und Würde Italiens fielen, unheiter-spielverderberische Redensarten“14. Die Kinder verstehen die eigenartige Fremdheit noch nicht. Der Vater erläutert in ihrer Ratlosigkeit die Situation, indem er ihnen erklärt, die Leute würden gerade einen Zustand, dem einer Krankheit ähnlich, durchmachen.15 Sautermeister gibt zu bedenken, dass die Strandszene sich von der Hypnoseszene dahingehend unterscheide, dass hier nicht der Faschismus in all seiner Härte dargestellt wird. Vielmehr werden hier die Grundlagen, die eine solche Ideologie überhaupt erst entstehen lassen, wie ein chauvinistisch geprägter Nationalismus, vorgestellt.16

Aber den Anhängern des Faschismus, wie Thomas Mann sie in der Novelle beschreibt, stehen auch Figuren gegenüber, die sich zur Wehr setzen wollen. Doch obwohl sie ihre Freiheit verteidigen wollen, können sie nicht: „Er schien zu wollen und nicht zu können-aber er konnte wohl nur nicht wollen“.17 Der Ich-Erzähler gesteht an einigen Stellen seine eigene Willen- und Hilfslosigkeit ein. Obwohl das Ehepaar zwischenzeitlich des Öfteren Torre di Venere verlassen wollte, sind sie doch durch ihre Faszination in ihrer Entschlusskraft gelähmt.18 Damit stehen der Ich-Erzähler und seine Frau stellvertretend für viele Menschen während des Faschismus. Innerlich geben sie vor, die Geschehnisse abzulehnen oder gar zu verabscheuen, jedoch werden sie zu keiner Zeit aktiv. Damit leisten sie dem Geschehen Vorschub. Georg Lukács beschreibt dieses Verhalten treffend: „Die Wehrlosigkeit jener Menschen aus dem deutschen Bürgertum, die Hitler nicht wollten, ihm jedoch über ein Jahrzehnt widerstandslos gehorchten, kann nicht besser beschrieben werden.“19 Wenngleich sich der Vergleich auf die deutsche Bevölkerung bezieht, so lässt sich die Situation doch gleichermaßen auf die italienische Bevölkerung übertragen. Durch die Haltung des Herrn aus Rom wird die Hilf- und Tatenlosigkeit der Zuschauer, und letztlich des italienischen Volkes, deutlich. Der Ich-Erzähler scheint Cipollas Machtspiel zu durchschauen, leistet aber ebenfalls keinen aktiven Widerstand. Hier kann auch ein Hinweis auf die „innere Emigration“ gesehen werden, die Thomas Mann durch die „äußere Emigration“ vermieden hat. Der Herr aus Rom will seine Ruhe und verkörpert das Prinzip der Verweigerung.20

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1 Vgl. Böhme, Hartmut: Thomas Mann: Mario und der Zauberer-Positionen des Erzählers und Psychologie der Herrschaft, in: Kurzke, Hermann (Hrsg.): Stationen der Thomas-Mann-Forschung. Aufsätze seit 1970. Würzburg: Königshausen + Neumann 1985, S.166-189.

2 Vgl. Mann, Thomas: Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis. Berlin: Fischer 2013.

3 Vgl. Blödorn ,Andreas & Marx, Friedhelm (Hrsg.): Thomas Mann Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart: Metzler 2015, 137

4 Mann, Thomas: Briefe 1889-1936, S.299 f. Zitiert nach: Spelsberg, Helmut: Thomas Manns Durchbruch zum Politischen in seinem kleinepischen Werk ; Untersuchungen zur Entwicklung von Gehalt und Form in 'Gladius Dei', 'Beim Propheten', 'Mario und der Zauberer' und 'Das Gesetz'. Marburg: Elwert 1972, S.32.

5 Vgl. Blödorn ,Andreas & Marx, Friedhelm (Hrsg.): Thomas Mann Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, a.a.O., S.137 .

6 Vgl. Ebd., S.138.

7 Vgl. Sautermeister, Gert: Thomas Mann: "Mario und der Zauberer". München: Fink 1981, S. 24.

8 Vgl. Bajohr, Stefan: Kleine Weltgeschichte des demokratischen Zeitalters. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden 2014, S. 370 ff.

9 Vgl. Blödorn ,Andreas & Marx, Friedhelm (Hrsg.): Thomas Mann Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, a.a.O., S.139.

10 Vgl. Bajohr, Stefan: Kleine Weltgeschichte des demokratischen Zeitalters. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden 2014, S. 370 ff.S. 372.

11 Vgl. Ebd., S.21.

12 Mann, Thomas: Briefe 1869-1936, Brief vom 15.4.1932, a.a.O., S. 33

13 Mann, Thomas: Altes und Neues, S.679. Zitiert nach: Spelsberg, Helmut: Thomas Manns Durchbruch zum Politischen in seinem kleinepischen Werk ; Untersuchungen zur Entwicklung von Gehalt und Form in 'Gladius Dei', 'Beim Propheten', 'Mario und der Zauberer' und 'Das Gesetz', a.a.O., S.33.

14 Vgl. Mann, Thomas: Mario und der Zauberer, a.a.O., S. 24 ff.

15 Vgl. Ebd.

16 Vgl. Sautermeister, Gert: Thomas Mann: "Mario und der Zauberer", a.a.O., S.54.

17 Vgl. Spelsberg, Helmut, a.a.O, S.35

18 Vgl. Mann, Thomas: Mario und der Zauberer, a.a.O., S. 56.

19 Georg Lukács: Thomas Mann, S.35, in: Spelsberg, Helmut, a.a.O, S.36.

20 Vgl. Ebd., S. 36.

Warum schrieb Thomas Mann Mario und der Zauberer?

Er wollte sich beim Schreiben eines kürzeren Textes von der rechercheaufwändigen Arbeit an dem Romanzyklus Joseph und seine Brüder erholen. Die Handlung von Mario und der Zauberer basiert auf realen Erlebnissen während des Italienurlaubs von 1926, den das Ehepaar Mann mit den beiden jüngsten Kindern verbrachte.

Warum hat Mario Cipolla erschossen?

Gegen Ende der Vorstellung holt der Zauberer den Kellner Mario, einen Freund der beiden Kinder, auf die Bühne. Er hypnotisiert ihn und spielt ihm vor, dessen Geliebte zu sein, so dass Mario ihn auf die Wange küsst. Als Mario erkennt, dass er den Zauberer geküsst hat, zieht er eine Pistole und erschießt ihn.

Warum heißt Cipolla Cipolla?

Das italienische Wort Cipolla heißt übersetzt Zwiebel und könnte symbolisch für die verschiedenen Phasen stehen, die der Zauberer an dem Abend durchläuft: So beginnt er seine Vorstellung damit, sein Publikum mit einfachen „Zaubertricks“ zu beindrucken, versucht aber gleichzeitig sie verbal und rhetorisch an ihn zu ...

Warum nennt man Thomas Mann den Zauberer?

Sein Titel "Der Zauberer" bezieht sich auf einen Kosenamen, den die sechs Kinder von Katia und Thomas Mann ihrem Vater gegeben haben, der sie am Esstisch mit Zauberkunststücken unterhielt.