Wenn es draußen regnet dann macht mir das nichts aus

In diesem Zimmer sind die Teppiche rot und tief. Es ist Abend. Hier ist es warm. Das Hotel hat Zentralheizung. Drau�en regnet es stark. Das Gep�ck ist schon da. Du hast alle deine Parf�ms. Du hast deine B�cher. Du hast deine Bilder. Und die Madonnen.

Du wirst deine Kn�chel nicht mehr verletzen, wenn du steile Treppen hinaufrennst . . . Warum ranntest du immer so die Treppen hinauf? . . . Mein Kind, vielleicht magst du sehr lange ausruhen. Wir fahren nicht mehr auf der Eisenbahn. Kaffee, Br�tchen, Zigaretten kommen ans Bett. Die elektrische Leselampe kommt ans Bett. In diesem Spiegel — —

Germaine:

Ich bin soweit. . . Bei mir geht das rasch . . . Ein Korsett trug ich zuletzt in . . . Krakau. Meine Kleider sa�en viel besser. Sie sa�en besser an. Aber jetzt trage ich keins mehr. Bei dir habe ich es gut. Ich brauche auch meine Haare nicht zu brennen. Ich darf sie glatt tragen. Du schickst mich nicht hinaus. Aber wenn du willst, will ich sofort in den Regen hinausgehen.

Ostap:

Nein . . . Ich denke daran, wie mi�trauisch gegen mich Madame Chantavoine war, als ich am ersten Abend in euer Haus kam, Rue St. Fiacre im zweiten Arrondissement. Ihr stecktet alle in roten Kleidern. Ich empfand: da� alle M�dchen, die es noch geben w�rde, rote Kleider tragen w�rden. Wir sprachen zusammen. Aber wie ich aufstand, da trat Madame sehr schnell vor dich hin und hielt dich zur�ck. Im Atrium sah ich noch, durch einen hellen Streif, die letzte Welle deines roten Kleides . . . Man schob mich hinaus. An der T�r murmelte die Concierge ver�chtlich: ich sei ja schon aus vielen H�usern hinausgeworfen worden.

Germaine:

Niemand soll B�ses zu dir sagen! . . . Aber du kamst wieder. Du benahmst dich geschickt. Und als ich dich mit aufs Zimmer hinaufnehmen durfte —

Ostap:

. . . da verlangtest du zehn Franks von mir, Geliebte. Soviel wollte ich dir nicht geben. Schlie�lich sagtest du: „Mein Herr, Sie werden mir soviel geben, wie ich Ihnen wert gewesen sein werde.“ Das tat ich.

Germaine:

War ich zehn Franks wert?

Ostap:

Du warst mehr als zehn Franks wert. — — —

Germaine:

. . . Wir lieben uns ganz innig. Als man dir neulich den Hals schnitt, taten mir die Br�ste ebenso weh. Was ich dir gesagt habe, das hat dir noch kein M�dchen gesagt. Und du hast es angenommen! Das wei�t du. Wir verschieben es nur noch, nicht wahr? Aber . . . etwas m�chte ich gern wissen.

Ostap:

. . . . .

Germaine:

Warum du mich nicht heiratest.

Ostap:

. . . . .

Germaine:

Du brauchst es ja nicht zu tun. Du bist an nichts gebunden. Aber sag’ nur einen Augenblick, da� du es tun willst. Du brauchst es ja nicht zu tun. Es macht mich so namenlos gl�cklich, wenn du es nur sagst. Du bist an nichts gebunden.

Ostap:

Wir werden uns heiraten.

Germaine:

. . . W�re es m�glich, da� ich dich einst nicht mehr liebte, so k�nnte ich nicht sagen: „Ich habe dich geliebt.“ Das . . . d�chte ich dann nicht mehr aus. Vergangen k�nnte dies nur sein, wenn ich nicht mehr w��te, wie s�� es war. Wenn ich kein . . . Bewu�tsein mehr h�tte. Wenn ich . . . nicht mehr Herrin meiner selbst w�re. Sonst w�re es: grauenvoll. Du . . .

Ostap:

Bitte, sprich nicht von mir! Ich komme nicht im geringsten in Betracht! Ich bin ein alter Mann. Ich habe graue Haare. Ich bin . . . dein Publikum. Ich lebe von dem Gifte das du bist. Ich habe nie eine Rolle gespielt. Ich bin ja �bergl�cklich, wenn du totkrank bist, nur damit ich eine Rolle �bernehmen darf: in tiefster Seele um dich besorgt zu sein.

Germaine:

Und doch hast du eine Rolle von mir angenommen. Das wei�t du. H�ttest du sie aber nur gespielt, so w�rst du immer noch ein guter Schauspieler. Denn du hast so zu mir gesprochen, wie . . . Lupu Hood nicht zu mir gesprochen hat.

Ostap:

Wo ist Lupu Hood?

Germaine:

Im Zuchthaus.

Ostap:

Was hatte er getan?

Germaine:

. . . . .

Ostap:

Du hast ihn wahnsinnig geliebt.

Germaine:

Ich liebe dich.

Ostap:

. . . Aber vielleicht hast du alles nur gespielt! Alles das, was du f�r mich tun wolltest. Du warst freigebig, mein Kind. Du sagtest: „Denke dir aus, was ich tun soll. Ich tue alles!“

Germaine:

Das sage ich auch jetzt.

Ostap:

Der Regen kam immer dabei vor. Vielleicht hast du alles nur gespielt!?

Germaine:

Wenn ich es gespielt h�tte, h�tte ich es dir am anderen Morgen doch gesagt! Was ich dir gesagt habe, ist meine Natur. Eine Zeitlang hatte ich meine Natur vergessen. Du selbst hast mich sie wiedergelehrt. Du sprachst von dreierlei, was man anbete, und was ein jeder deshalb „du“ nennen d�rfe: Gott, K�nige und die Kokotten. Du sprachst wild. Ich hatte meinen Charakter verloren. Du hast mir meinen Charakter wiedergegeben. Ich f�hle es so tief.

Ostap:

. . . (h�), in der Nacht, als du dich pl�tzlich ver�ndertest. Ich erkannte dich nicht wieder. Deine Augen wurden wasserklar und bleich. Dein Gesicht wurde rein. Da schien mir jeder Atemzug, den du tatest, wie tausend Jahre der Weltgeschichte. Da ward die kleinste Bewegung, die du tatest, eine Revolution . . . Damals erz�hlte ich dir auch meine . . . armselige Lebensgeschichte.

Germaine:

Ja, M�dchen wie ich bin, denen erz�hlt man viel.

Ostap:

Bist du denn ein solches M�dchen?

Germaine:

Nat�rlich! So glaube es doch endlich! . . . Du sollst es gut haben. Du schl�fst bis Mittag. Dann komme ich. Kaffee, Br�tchen, Zigaretten kommen ans Bett. Du kannst den ganzen Tag im Caf� sitzen. Wir werden dich alle lieb haben. Du hast mir versprochen, da� du es tun willst.

Ostap:

. . . Wer will mich lieb haben?

Germaine:

Wir M�dchen und unsere Freunde.

Ostap:

. . . Was wollte ich tun?

Germaine:

Nichts tun. Mich tun lassen.

Ostap:

. . . Du sollst alles f�r mich tun. So tun, da� du es merkst, mein Kind, da� es f�r mich ist! Am�sant soll das f�r dich nicht sein! Dein Tun soll ganz gef�rbt, ganz . . . entstellt, ganz verzerrt sein von dem Willen, es f�r mich zu tun. Du sollst die Aufopferung kennen lernen, Germaine!

Germaine:

Ich bin irrsinnig gl�cklich, Geliebter. Wir sind weithin gereist, aber mir fehlte etwas. Am unendlichen Ozean hatt’ ich nur den einen Wunsch: eingesperrt zu sein in einem Gef�ngnis oder in einem Haus, wie es das in der Rue St. Fiacre war. In all den vornehmen Hotels hatt’ ich nur den einen Wunsch, von der Polizei verfolgt zu sein mit dir. In jedem Augenblick m��te es drau�en klopfen k�nnen . . . Wir m��ten etwas zusammen getan haben.

Ostap:

. . . Ich f�rchte, es ist schwierig, die Aufmerksamkeit der Polizei zu erreichen. Falls man ihr nicht ganz . . . approbierte Themata bietet, r�cht sie sich durch eine . . . beleidigende Nichtachtung. F�r die Nuancen hat sie kein Organ. Und die . . . B�rger wissen nicht einmal die Verbrechen zu w�rdigen, die auf ihre eigenen Kosten begangen werden. Das entwaffnet ein bi�chen. Schlie�lich verliert der Abenteuerlustigste die Neigung, jemanden in die Luft zu sprengen, der f�r den . . . Reiz dieser Operation nicht das geringste Verst�ndnis mitbringt. Deshalb gibt es auf beiden Seiten der Barrikade so wenig Gefahren . . . Du hast recht: wir m�ssen uns die Gef�hrdung, die wir brauchen, mit den verzweifeltsten Mitteln fortw�hrend selbst schaffen.

Germaine:

— — Wie sp�t ist es?

Ostap
(sieht nach seiner Uhr):

. . . halb zw�lf. — Ich kann nur Leute zerst�ren die f�hlen, was das bedeutet.

Germaine:

Oh! schon — Komm, trink Kognak.

(Sie gibt ihm die Flasche.)

Ostap
(trinkt gierig aus der Flasche. — Sie schweigen.)

Ostap:

. . . Ich lebte einmal mit einem M�dchen wie du.

Germaine:

Mon petit loup, das habe ich gemerkt. Wie hie� sie?

Ostap:

Aber ich liebte sie nicht. Das war der Unterschied. Ein; paarmal soupierten wir im Pavillon d’Armenonville. Am n�chsten Morgen hatten wir nichts. . . . Sie hie� Suzanne. Ich malte damals in der Art von Matisse. Es galt noch als modern. Wir waren so gl�cklich, da� ich das Rot aus Suzannes Schminkt�pfen als Abendrot auf meine Leinwand schmierte und das Indisch-Gelb aus meinen Tuben als Butter aufs Brot quetschte. Sie hie� Suzanne. Vor mir hatte sie einen Boxer geliebt. Damals war ich gl�cklich; ich war ja dumm genug dazu.

Germaine
(sich ankleidend):

Trink doch mehr Kognak.

Ostap
(trinkt gierig aus der Flasche):

Du auch.

Germaine
(trinkt gierig aus der Flasche):

Ja. Wir beide denken mehr, als wir sagen.

Ostap:

Ja. Dein Gesicht ist ganz zerdacht. Aber nicht von dir. Von anderen. Dein Gesicht sieht schlimm aus. Es sieht . . . wundervoll aus!

Germaine:

Ja, ich sehe manchmal schlimm aus. Ich habe auch das Schlimme in dir erkannt.

Ostap
(h�hnisch):

. . . Du hast dich geirrt, Germaine. Es spricht gegen dich, da� du mich liebst.

(Er trinkt aus der Flasche.)

. . . Ich h�re Symphonien, die ich nicht angeordnet habe. Auf dem Teppich die Blumen duften roh . . . Gib mir deine Hand, Germaine, nur einen Augenblick. Mir ist . . .

Germaine:

Wie sp�t ist es jetzt?

Ostap:

Danke sehr . . . Etwas nach halb zw�lf. Warum fragst du danach?

Germaine:

Ach bitte, kn�pfe mir die Schuhe zu. Der verdammte Schuhkn�pfer ist wieder mal nicht da.

Ostap
(kniet nieder . . . und erhebt sich rasch):

Warum hast du dich angezogen? Warum hast du dich geschminkt? Was soll dies Kleid?

Germaine:

In diesem Kleide habe ich immer Gl�ck gehabt. La� mich jetzt gehen. Wir treffen uns nachher wieder.

Ostap:

Das nennst du Gl�ck! — Du bleibst hier!

Germaine:

Hast du alles nur gespielt?

Ostap:

Nein. Aber heute abend bleibst du hier! Es ist warm hier. Das Hotel hat Zentralheizung. Da sind 4 . . . 5 . . . 600 Franken. Noch mehr. Bitte, nimm sie.

Germaine:

Das verstehst du nicht. Es mu� sein. Ich sehne mich nach Ordnung . . .

(In der T�r:)

Wir treffen uns nachher wieder.

Ostap:

Du kannst das Hotel jetzt unm�glich verlassen. Es ist Mitternacht. . . Ich will mein Leben lang f�r dich arbeiten.

Germaine:

Das werden wir sehen! . . . — Sei doch vern�nftig.

(Sie kommt ins Zimmer zur�ck und tritt ans Fenster.)

Siehst du? Auf der Place Stanislas gehen die Kavaliere im Regen. Die suchen doch! Es ist Mitternacht. Und ich bin nicht da . . . Ich bin wundersch�n! Ich komme. Ich sehne mich nach meinem Charakter. Ich mu� in Ordnung kommen.

Ostap
(packt sie am Handgelenk):

Du bleibst hier! Du . . .

Germaine:

So sag’ doch, was ich bin! So sag’ es doch endlich! Du hast es doch tausendmal gesagt! Du hast mich so frech beschimpft, da� ich dachte: „Was ist das f�r ein Mensch!“ Und jetzt willst du mich einsperren! Ich soll wohl keinen Menschen mehr ansehen d�rfen! Mich soll wohl kein Mensch mehr ansehen d�rfen! Ich war so gut im Gange. Du hast mich herausgenommen. Aber du hast mir versprochen, da� du mich der Stra�e zur�ckgeben wolltest. Ich bin einmal nicht wie die B�rgerm�dchen, die keine Ehre im Leibe haben. Ich kann ohne Ehre nicht leben! Ich kann meine Zeit nicht verlieren. In diesem Kleid habe ich immer Gl�ck gehabt. — Du hast mir versprochen, da� ich f�r dich verdienen sollte. Du hast mir versprochen, da� ich meinen Charakter wieder haben sollte. So sei doch endlich, was du sagst! Bei mir ist alles Wirklichkeit. Bei mir langweilt man sich nicht. Du sollst es gut haben. Du schl�fst bis Mittag.

Ostap
(l��t Germaines Handgelenk los):

Hast du in deiner Tasche alles, was du brauchst?

Germaine
(erfreut):

Ja.

Ostap:

. . . auch . . .?

Germaine:

Ja!

Ostap:

Wo wollen wir uns treffen?

Germaine:

Um 3 Uhr, im Caf� de la R�gence.

Ostap:

Es regnet ja drau�en.

Germaine:

Ja, la� mich in den Regen hinausgehen. F�r dich.

(Sie geht an die T�r.)

Ostap:

Du wirst dich erk�lten, mein Kind.

Germaine:

Ich erk�lte mich nie.

(Sie tritt auf die Schwelle.)

Ostap:

Mein Gott!

Germaine:

Auf Wiedersehen, mein Liebling.

(Sie geht hinaus.)

Ostap:

Nein!

(Er st�rzt zur T�r, rei�t einen Browning aus der Tasche und feuert zwei Sch�sse ab — in einer vagen Richtung. Die Kugeln schlagen in die Wand.)

Germaine
(auf der Treppe):

La� mich aus diesem Hause hinaus! La� mich auf die Stra�e hinaus! . . . Und f�r einen solchen Jammermenschen habe ich mich interessiert! An einen solchen Feigling habe ich mich weggeworfen! Ich mu� ganz von Gott verlassen gewesen sein. Meine erste Dummheit! . . . Gute Nacht.

Ostap:

H�tte die im Mittelalter gelebt, so h�tte man sie heilig gesprochen!

(Man h�rt, wie Germaine die Treppe hinuntereilt. Auf Ostaps Gesicht bildet sich ein feiges, unendlich trauriges L�cheln. Eine Zeitlang bleibt alles still. Dann entsteht Ger�usch.)