Der einzige unterschied besteht in deiner wahrnehmung

Von Kleidern und Affen

Ausgestattet mit dem immer zugriffsbereiten Wissensschatz des Internets, verstehen wir uns heute sehr viel stärker als noch vor 30 Jahren als informierte, abgeklärte und kritische Menschen. Trotz einer steigenden Komplexität glauben wir, unsere Realität im Griff zu haben. Aber gibt es denn überhaupt die EINE Realität? Ein Beispiel: Im Februar 2015 sorgte ein Foto eines Abendkleids  unter dem Schlagwort #dressgate für einen Diskussionshype im Netz (siehe Foto). Während die eine Fraktion die Farbe ganz klar als „schwarz-blau“ erkannt, behaupteten Millionen andere, es wäre unverkennbar ein „weiß-goldfarbenes“ Abendkleid. Angeblich sollen über die Diskussion der richtigen Farbe sogar Beziehungen zerbrochen sein. Die Erklärung des Kleid-Phänomens ist verblüffend. Unsere Farbwahrnehmung ist nicht objektiv. Die eine Gruppe gewichtet die Helligkeit um das Kleid besonders stark und nimmt dadurch das Kleid eher dunkler – also blau-schwarz wahr. Menschen, die die Beleuchtung weniger stark gewichten, deuten das Kleid heller und es erscheint weiß-gold. Dieser Vorgang geschieht vollkommen unbewusst und ist nur schwer korrigierbar. Wenn unser Gehirn erstmal Farben zugeordnet hat, lässt es sich nicht so leicht umstimmen.

Die Realität – unsere Umwelt und alle Reize mit denen konfrontiert werden – unterliegt einer subjektiven Verzerrung: Unsere individuelle Wahrnehmung. Verhaltenswissenschaftliche Studien zeigen, dass unsere Wahrnehmung und Interpretation selektiv, interessengeleitet, überwiegend unbewusst und gefärbt durch unsere bisherigen Erfahrungen ist. Es geht also nicht um DIE Produktqualität, DEN günstigen Preis oder DIE kompetente Kundenberaterin, sondern um wahrgenommene Qualität, subjektive Preiswahrnehmung und wahrgenommene Kompetenz.

Trotz dieser – zugegeben nicht ganz neuen Erkenntnis – halten wir unsere Wahrnehmung von Personen, Produkten oder auch Werbung für rational und faktenbasiert. Sei es der Kauf der letzten Aktie, die Einstellungsentscheidung des Mitarbeiters oder auch die Auswahl der Werbeagentur – wir können unsere Entscheidungen und unser Verhalten begründen und gegen Kritik strukturiert und logisch verteidigen. Der Homo sapiens des 21. Jahrhunderts hat alles im Griff – denkt er. In Wahrheit sind wir nicht weit entfernt von unseren eher reizgesteuerten haarigen Verwandten, die sich von Baum zu Baum hangeln. Unser Erbgut unterscheidet sich in nur 1,37 Prozent von dem des Schimpansen. Ähnlich wie bei unseren engsten genetischen Verwandten werden unsere Wahrnehmung und unser Verhalten maßgeblich emotional gesteuert: Bis zu 20.000 Entscheidungen treffen wir täglich. Studien zeigen, dass 70 bis 80 Prozent dieser Entscheidungen unbewusst, blitzschnell und vor allem emotional getroffen werden. Die restlichen 20 bis 30 Prozent werden zumindest teilweise emotional mitgeprägt.
Drei kurze Beispiele aus der Marketingwissenschaft:

In einem Hirnscanner-Experiment (fMRT) wurden Probanden verschiedene Produkte mit und ohne Rabattschild präsentiert  – der Preis blieb immer identisch. Beim Betrachten der Produkte mit Rabattschild zeigte sich eine deutliche Aktivität des emotionalen Belohnungszentrums (Stratium). Gleichzeitig zeigte das Kontrollzentrum (Anteriore cingulum) eine stark reduzierte Aktivität. Rabatte schalten unseren Verstand aus.
Forscher der Universität München verströmten in einem Waggon der Deutschen Bahn einen Duft aus Jasmin, Rosenholz und Melone. Die unbewusste und subtile Wirkung des Dufts führte bei den Reisenden zu einem signifikant besseren wahrgenommenen Erlebnis der Bahnfahrt und einer positiveren Einstellung zu Marke „Deutsche Bahn“ als bei Reisenden ohne Duft.
In einem Supermarkt wurde in der Weinabteilung zwei Wochen lang abwechselnd deutsche Blasmusik oder französische Akkordeonmusik abgespielt. An den Tagen mit deutscher Musik kauften die Konsumenten deutlich mehr deutsche Weine, an den Tagen mit französischer Musik kauften 77% der Kunden französische Weine.
Unser Gehirn fährt folglich fast immer mit dem unbewussten Autopilot, während wir der Meinung sind, bewusste und vor allem rationale Entscheidungen zu treffen. Emotionen sind der Taktgeber unserer Wahrnehmung und unseres Verhaltens, während die Ratio nur Co-Pilot für schwierige Fälle ist. Insbesondere Unternehmen in Industriegütermärkten (B2B) unterliegen noch dem Trugschluss, in einem Markt mit rationalen Akteuren zu handeln und dementsprechend über harte Fakten statt Emotionen agieren zu müssen. Ein Blick auf die Webseiten vieler Unternehmen zeigt entsprechend das identische Bild: Textflut, Informationen über Produkteigenschaften, Fotos von Büro- oder Fertigungsgebäuden. Die Messeauftritte sind nüchtern statt begeisternd, zeigen Produkt statt sie emotional zu inszenieren.

Den Affen füttern – Chancen für Unternehmen

Unsere Welt ist stets subjektiv gefärbt und diese Färbung mehrheitlich unbewusst und emotional. Die Konsequenzen dieser Erkenntnis sind für Unternehmen weitreichend. Nachfolgend werden drei  Chancen für Unternehmen näher beleuchtet.

1. Emotionale „Terrains“ besetzen
Menschen kaufen Marken – vor allem emotionale Marken. Die zeigt sich auch im B2B-Bereich. Eine B2B-Studie aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass eine starke, emotionale Marke den Absatz um bis zu 25 Prozent und den Umsatz um bis zu 18 Prozent gegenüber dem Branchendurchschnitt steigern kann. Wichtig dabei ist, dass Marken ein eigenes „emotionales Terrain“ besetzten und sich damit von anderen Wettbewerbern klar abheben. Obwohl 95% der Pilstrinker keinen Unterschied zwischen Becks und Krombacher im Blindtest erschmecken konnten, unterscheiden sich die Käufer klar. Während Becks sich bei jüngeren Käufern auf den emotionalen Terrains „Gemeinschaft“ und „Abenteuer“ im Hirn verankert hat, spricht Krombacher mit den Emotionen „Genuss“ und „Natürlichkeit“ eine eher ältere Zielgruppe an. Der Anlagenbauer ThyssenKrupp setzt bereits seit 2001 auf die Terrains „zukunftsfähig“ und „menschlich nah“, die durch Kinder von Mitarbeitern bildlich transportiert werden. Die Basis hierfür bildet eine klare Markenidentität und ein gutes Verständnis der Zielgruppe. Aus dem Selbstverständnis der Marke heraus muss eine passende und vor allem differenzierende emotionale Position entwickelt werden. Das gewählte Terrain sollte nachhaltig über mehrere Jahre bzw. Jahrzehnte verfolgt und besetzt werden.

2. Emotional inszenieren statt informieren
Der emotionale Autopilot macht selbst vor dem gewieftesten Einkäufer eines Automobilherstellers nicht halt. Trotz aller Scoringmodelle und Checklisten werden Entscheidungen durch „weiche Faktoren“ bzw. emotionale Marker beeinflusst. Insbesondere bei sich immer mehr angleichenden Leistungsniveaus von Produkten machen Emotionen den Unterschied. Emotionale Botschaften wie die neue SAP Kampagne für die IT-Plattform HANA wecken unsere Aufmerksamkeit, stechen aus dem täglichen Werbebombardement heraus und beeinflussen unsere Wahrnehmung positiv. Bilder werden zudem besser erinnert – sie können innerhalb kürzester Zeit von unserem begrenzten Wahrnehmungssystem aufgenommen und assoziativ im Gedächtnis abgelegt werden.
Emotionale Botschaften besitzen zudem die Macht, virale Mundpropaganda zu triggern. Aktuelle Studien konnten zeigen, dass insbesondere Werbespots, die Emotionen beim Betrachter auslösen, mit Freunden und Bekannten online wie offline geteilt werden. Neben dem bewussten Motiv „anderen eine Freude zu machen“ drängt uns ein unbewusster innerer Spannungszustand zum Teilen des Erlebten – ähnlich dem starken Mitteilungsbedarf nach einer bestandenen Prüfung. Wahre Emotionen auslösen, statt nur zu zeigen, ist jedoch kein Kinderspiel – nur 2% der viralen Videos werden nach Marktstudien wirklich nennenswert im Netz verbreitet. Deutsche Industriegüterunternehmen tun sich insbesondere hier noch sehr schwer. Das Onlinevideo über das Tischtennisduell zwischen Europameister Timo Boll und einem KUKA-Roboter mit fast 7 Millionen Klicks zeigt, welches Potenzial in emotionalen Werbebotschaften steckt.

3. Schön schlägt funktional
Wie viele Testsiege von renommierten Fachmagazinen hat das Apple iPhone in den letzten Jahren erringen können? Keinen einzigen! Der Erfolg des Produkts basiert nicht auf seiner überlegenen funktionalen Performanz, sondern auf Ästhetik und Einfachheit. Insbesondere die visuelle Anmutung eines Produkts dient uns unbewusst als emotionaler Marker und beeinflusst unsere Wahrnehmung maßgeblich. Studien zeigen eine um bis zu 64% höhere Zahlungsbereitschaft für das „schönere“ Produkt – bei gleicher Funktionalität. Vom Design schließen wir auf höhere Produktqualität, Zuverlässigkeit und Begehrtheit. Der Werkzeughersteller Hilti hat die Wichtigkeit von Emotionen bei der Produktgestaltung erkannt: „Sieben Sekunden. Länger dauert es nicht, bis ein Handwerksprofi sein erstes Urteil fällt, wenn er zu einem neuen Gerät greift“, so Stephan Niehaus, Chefdesigner bei Hilti. Dies schafft man nicht mit Fakten und Argumenten, sondern maßgeblich über das Produktdesign.

Emotionale Marker kennen und nutzen

Die Realität von Marketingverantwortlichen wie auch die ihrer Kunden und Zielgruppen ist geprägt durch eine individuell subjektiv verzerrte Wahrnehmung. Ihr Verhalten und ihre Entscheidungen werden maßgeblich von einem emotionalen, unbewussten Autopilot geprägt. Eine große Relevanz haben emotionale „Marker“ wie Farben, Düfte, Marken oder Bilder. Marketingverantwortliche insbesondere in B2B-Unternehmen sollten sich der Macht dieser Marker bewusst sein und sie aktiv für sich und ihr Unternehmen nutzen. Messeauftritte, Produktbroschüren, Printanzeigen oder auch Kundengespräche – alle Kontaktpunkte sollten der Devise folgen „Gefallen geht über Verstehen“. Gleichzeitig hilft die Erkenntnis selbst ein kleiner „Konsumaffe“ zu sein, die eigenen Entscheidungen zu hinterfragen. Bei der Beurteilung von Lieferanten, Produktideen oder Werbekampagnen lassen wir uns genauso unbewusst beeinflussen – Scoringmodelle, Kriterienkataloge und Checklisten „objektivieren“ die Entscheidung, können jedoch unseren emotionalen Autopilot nie ganz ausschalten.

Welche Unterschiede gibt es bei der Wahrnehmung?

2 Physiologie.
Visuelle Wahrnehmung ("Sehen").
Auditive Wahrnehmung ("Hören").
Gustatorische Wahrnehmung ("Schmecken").
Olfaktorische Wahrnehmung ("Riechen").
Vestibuläre Wahrnehmung ("Gleichgewichtssinn").
Sensibilität ("Fühlen") Protopathische Sensibilität. Epikritische Sensibilität..

Was versteht man unter Wahrnehmung?

Wahrnehmung ist die Fähigkeit, Reize aus der Umwelt über unsere Sinne aktiv aufzunehmen, zu verarbeiten und ihnen Sinn zu geben. Die Verarbeitung dieser Sinneseindrücke läuft organisiert ab und umfasst eine ganze Reihe von Prozessen: Da wir unzähligen Eindrücken ausgesetzt sind, müssen diese gefiltert werden.

Was ist der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein?

In der kognitiven Psychologie sprechen wir meistens von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, eher nicht über Bewusstsein. Wichtig ist, das Reize auch verhaltenswirksam verarbeitet werden können, ohne bewusst zu werden, also ohne wahrgenommen zu werden.

Wie lauten die 5 Gestaltgesetze?

Gestaltgesetze - Das Wichtigste Gestaltgesetze folgen dem Wahrscheinlichkeitsprinzip. Die wichtigsten neun sind die Gesetze der Nähe, Ähnlichkeit, Prägnanz, Geschlossenheit, guten Fortsetzung, gemeinsamen Schicksals, gemeinsamen Region, Gleichzeitigkeit und verbundenen Elemente.