In welchem Land durften die Frauen zuerst wählen?

Dass die Schweiz das Stimm- und Wahlrecht erst 1971 einführte, schmeichelt ihr nicht. Doch schämen tue ich mich deswegen nicht, denn obwohl ich mich inzwischen leider zur älteren Generation zählen sollte, war ich selbst damals noch um einiges zu jung, um stimm- und wahlberechtigt zu sein. Die Jüngsten, die 1971 bereits abstimmen durften, sind heute 67 Jahre alt. Zu vermuten ist, dass die damals jüngsten Stimmberechtigten bereits Jahre zuvor zugunsten der Frauen gestimmt hätten, wenn dies möglich gewesen wäre. Die Verhinderer waren eine andere Generation! Dafür schäme ich mich nicht.

Das Frauenwahlrecht ist in Deutschland wie auch in anderen Staaten nicht einfach vom Himmel gefallen. Das Wahlrecht musste von Frauen mindestens genauso ersehnt, eingefordert und erkämpft werden wie das Wahlrecht für die männlichen Bürger. Doch der Weg zum Wahlrecht war für Frauen deutlich länger und steiniger.

Historische Wurzeln des Wahlrechts liegen in der Französischen Revolution von 1789 mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789 forderte das Wahlrecht für alle männlichen Bürger Frankreichs. Dass die "Brüderlichkeit" Frauenrechte ausschloss und dies Frauen durchaus deutlich war, zeigt die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“, die Olympe de Gouges (1748-1793) bereits 1791 verfasste. Da sie eine Regierung ablehnte, die Frauenrechte nicht anerkannte und sich auch in anderen Fragen nicht mit der herrschenden Politik der Revolutionäre einverstanden erklärte, wurde sie zwei Jahre später zum Tode verurteilt und starb unter der Guillotine: Ihr Engagement für gleiche Rechte für Männer und Frauen bezahlte sie mit dem Leben.

In Preußen, dem größten deutschen Einzelstaat,  galt seit 1848 das sogenannte Dreiklassenwahlrecht. Das aktive Wahlrecht stand Männern nach Vollendung des 24. Lebensjahres zu. Frauen und Fürsorgeempfänger durften jedoch nicht wählen. Die Wähler wurden entsprechend der Höhe ihrer Steuerzahlungen in drei Abteilungen (Klassen) eingeteilt. Der ersten Abteilung, die sich aus Adeligen und Großgrundbesitzern zusammensetzte, gehörten die Wähler mit den höchsten Steuerzahlungen an. Die zweite Abteilung, in der etwa Kaufleute vertreten waren, umfasste die Wähler mit einem mittleren Steueraufkommen. Die Wähler mit dem geringsten Steueraufkommen bildeten die dritte Abteilung. 1850 umfasste die erste Abteilung ca. 5 Prozent, die zweite Abteilung ca. 13 Prozent und die dritte Abteilung ca. 83 Prozent der preußischen Wähler.

Die Abgeordneten wurden indirekt von Wahlmännern gewählt. Jede der drei Abteilungen wählte durch öffentliche Stimmabgabe ein Drittel der Wahlmänner. Die gewählten Wahlmänner wählten wiederum die Landtagsabgeordneten. Aufgrund dieses Wahlsystems hatte die Stimme eines wohlhabenden Wählers der ersten Abteilung im Jahr 1850 ungefähr das 17,5-fache Gewicht der Stimme eines „einfachen"  Wählers der dritten Abteilung. Von einem allgemeinen gleichen und demokratischen Wahlrecht konnte noch nicht die Rede sein.

Zum ersten Mal in Europa erhielten Frauen in Finnland 1906 das aktive und passive Wahlrecht. Finnland war damit das erste europäische Land, das das Frauenwahlrecht einführte.

Sanna Marin übernahm im Dezember 2019 als jüngste Regierungschefin weltweit das Amt der Ministerpräsidentin Finnlands. Bereits 1906 führte das Land sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht für Frauen ein. (© picture-alliance, AA/Dursun Aydemir)

Historischer Hintergrund

Am 20. Juli 1906 erhielten Frauen in Finnland das uneingeschränkte Wahlrecht. Erstmals in einem europäischen Land durften damit auch Frauen das Parlament wählen (aktives Wahlrecht) und sich selbst zur Wahl zu stellen (passives Wahlrecht).

Im schwedisch-russischen Krieg (1808-1809) hatte das russische Zarenreich Finnland erobert. Erst am 6. Dezember 1917 erlangte Finnland seine Unabhängigkeit. 1906 stand Finnland somit unter der Herrschaft des Russischen Reichs. Für die Reformierung des Wahlrechts war deshalb die Zustimmung des russischen Zaren und Großfürsten von Finnland, Nikolaus II, notwendig.

Trotz der Zugehörigkeit zum Russischen Reich besaß Finnland als autonomes Großfürstentum weitgehende Autonomie. Es hatte einen Vierständelandtag – in dem Adel, Kirche, Bürger und Freibauern vertreten waren – sowie ein eigenes Grundgesetz. Das Wahlrecht für diesen Landtag besaßen jedoch nur 15 Prozent der männlichen Bevölkerung.

Proteste und Generalstreik

Mit dem Februarmanifest hatte Zar Nikolaus II. im Jahr 1899 die finnische Autonomie im Russischen Reich aufgehoben. Das löste Proteste in Finnland aus. Die finnische Bevölkerung wollte ihre weitgehende Unabhängigkeit zurückgewinnen. Gleichzeitig forderte die Arbeiterbewegung, in der auch Frauen eine wichtige Rolle einnahmen, soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Das Wahlrecht für alle war eines der zentralen Themen ihres Kampfes. Ende Oktober 1905 kam es zu einem Generalstreik.

Um die Lage zu beruhigen, entschied der russische Zar den Forderungen nachzugeben. Das Novembermanifest stellte nicht nur die finnische Autonomie wieder her, sondern sah auch eine Reform des Vierständelandtags vor. Am 20. Juli 1906 bestätigte der Zar die neue Landtagsverordnung. Das Ständesystem Finnlands wurde durch ein Einkammer-Parlament ersetzt, das in allgemeinen und gleichen Wahlen bestimmt wurde. Nun durften alle finnischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ab 24 Jahren wählen – unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrem gesellschaftlichen Stand.

Parlamentswahlen in Finnland 1907

Bei den Parlamentswahlen 1907 stellten sich 62 Kandidatinnen erstmals zur Wahl. Am 25. Mai 1907 zogen neben 181 Männern schließlich auch 19 Frauen in das finnische Parlament, die Eduskunta, ein. Die meisten Frauen gehörten der Sozialdemokratischen Partei (auf Finnisch: Suomen sosialidemokraattinen puolue) an, die auch die meisten Stimmen – 80 Sitze im Parlament – erhielt. Eine von ihnen war Miina Sillanpäa. Sie blieb rund 40 Jahre im finnischen Parlament und war 1926 als Sozialministerin die erste Frau in einem finnischen Ministeramt.

Kampf um das Frauenwahlrecht in anderen Ländern

Frauenwahlrecht

Uneingeschränkt: Alle Bürgerinnen und Bürger erhielten das volle Wahlrecht.
* = mit Einschränkungen (Wahlrecht auf kommunaler Ebene)
Quelle: Externer Link: UN Women: In Pursuit of Justice – Progress of the World’s Women (2011-2012), S. 122-125; Externer Link: United Nations Economic and Social Commission for Western Asia (UNESCWA), Women’s Political Representation in the Arab Region, 2017, S. 9.

Uneingeschränkt: Alle Bürgerinnen und Bürger erhielten das volle Wahlrecht.
* = mit Einschränkungen (Wahlrecht auf kommunaler Ebene)
Quelle: Externer Link: UN Women: In Pursuit of Justice – Progress of the World’s Women (2011-2012), S. 122-125; Externer Link: United Nations Economic and Social Commission for Western Asia (UNESCWA), Women’s Political Representation in the Arab Region, 2017, S. 9.

In Neuseeland erhielten Frauen bereits 1893 das aktive Wahlrecht. In Australien wurde das aktive und passive Wahlrecht für Frauen im Jahr 1902 eingeführt. Allerdings war die indigene Bevölkerung bis 1962 von der Wahl ausgeschlossen.

Der Kampf um das Frauenwahlrecht wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in vielen anderen Teilen Europas geführt. In Großbritannien kämpften die Suffragetten (suffrage, deutsch: Wahlrecht) – teilweise militant – für mehr Rechte. In Berlin gründete sich 1904 der Weltbund für das Frauenstimmrecht, an dem Frauenrechtlerinnen aus acht Ländern teilnahmen.

Nachdem Finnland das Frauenwahlrecht 1906 eingeführt hatte, folgten in Europa Norwegen (1913), Dänemark und Island (1915), Estland (1917) sowie Lettland (1918). In Deutschland führte der Interner Link: Rat der Volksbeauftragten im November 1918 das aktive und passive Wahlrecht ein. Bei den Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung im Januar 1919 durften Frauen in Deutschland somit zum ersten Mal wählen und gewählt werden. In Großbritannien erhielten Frauen 1928 das Wahlrecht, in Frankreich 1944. Als letztes europäisches Land führte Liechtenstein im Jahr 1984 das Frauenwahlrecht ein.

Frauenwahlrecht heute

1953 sprachen die Vereinten Nationen in der Konvention über die politischen Rechte der Frau allen Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu. Inzwischen wurde das Frauenwahlrecht in fast allen Ländern der Welt eingeführt. Seit 2005 haben Frauen auch in Interner Link: Kuwait das aktive und passive Wahlrecht, in Bhutan fanden die ersten Wahlen mit Wahlrecht für Frauen und Männer im Jahr 2008 statt. Seit 2006 dürfen Frauen auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten ihre Stimme abgeben. In Saudi-Arabien durften Frauen erstmals im Dezember 2015 die Gemeinderäte wählen und auch kandidieren.

Mehr zum Thema:

  • Interner Link: Dossier Frauenwahlrecht
  • Interner Link: Kerstin Wolff: Aufbauphase im Kaiserreich: Die Frauenbewegung organisiert sich
  • Interner Link: Hoda Salah: Partizipation und Repräsentation von Frauen in arabischen Ländern (APUZ 42/2018)
  • Interner Link: APuZ 42/2018: Frauen wählen
  • Interner Link: Sylvia Schraut: Frauen und bürgerliche Frauenbewegung nach 1848 (APuZ 8/2019)

Fussnoten

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In welchem Land können Frauen zuerst wählen?

Neuseeland war das erste Land, in dem Frauen wählen gehen durften. Sie dürfen dort seit 1893 wählen gehen. Seit 1919 dürfen Frauen in Neuseeland auch gewählt werden. Seit 1902 haben Frauen auch in Australien das Wahlrecht.

Welches Land hat das Frauenstimmrecht?

Die Schweiz liegt mit Einführungsjahr 1971 des Frauenstimmrechts ziemlich weit hinten. Die Schweiz ist weltweit die zweitälteste kontinuierliche Demokratie nach den USA. Bei der Einführung des Frauenstimmrechts rangiert sie aber am anderen Ende der Liste: Nur Portugal und Liechtenstein waren in Europa noch später.

Welches europäische Land führte das Frauenwahlrecht in Europa als letztes ein 1984?

In Großbritannien erhielten Frauen 1928 das Wahlrecht, in Frankreich 1944. Als letztes europäisches Land führte Liechtenstein im Jahr 1984 das Frauenwahlrecht ein.

Welches Gebiet bekam als erstes Gebiet der Welt ein Frauenwahlrecht?

Neuseeland war der erste Staat mit aktivem Frauenwahlrecht (1893). Frauen durften in Australien seit dem 12. Juni 1902 wählen.