Wie verändern sich Menschen die Drogen nehmen?

4,7 Millionen Abhängige in Deutschland: Experte erklärt, warum manche Menschen zur Droge greifen - und andere nicht

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Wie verändern sich Menschen die Drogen nehmen?

dpa/Daniel Karmann/Archiv Vielen Menschen ist die Gefahr nicht bewusst.

  • Experte Christoph Middendorf

Freitag, 10.06.2016, 09:53

Laut Bundesministerium für Gesundheit sind in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen süchtig nach Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Ein Gesundheitsexperte erklärt, warum sich Menschen so gerne an gefährlichen Substanzen berauschen.

Nicht nur die Deutschen, sondern die ganze Menschheit ist anfällig für Drogen. Schon seit Jahrtausenden konsumieren Menschen Suchtmittel. Was sich im Laufe der Zivilisation verändert hat, sind Verfügbarkeit und Vielfalt. Es gibt inzwischen unzählige Suchtmittel, die ständig erreichbar sind.

Drogen- und Suchtbericht 2016

Laut Drogen- und Suchtbericht 2016 des Bundesministerium für Gesundheit sind in Deutschland über 1,8 Millionen Menschen alkoholabhängig, rund 600.000 süchtig nach illegalen Drogen und rund 2,3 Millionen Menschen medikamentenabhängig.

Die Ritualisierung des Drogennehmens, zum Beispiel in Form bestimmter religiöser Handlungen, existiert in unserer Gesellschaft aber nicht mehr. Jeder kann sich individuell bedienen, wie er möchte.

Immer mehr Tote durch Crystal Meth und Heroin

Vielen Menschen ist die Gefahr nicht bewusst. In Deutschland sind wir in den letzten Jahren gerade bei Heroin und Kokain auf einem relativ niedrigen Niveau angekommen. Das kann dann schnell bagatellisiert werden.

Wohin das führt, sehen wir – es werden wieder mehr harte Drogen konsumiert. Die Drogenmafia trägt natürlich dazu bei: Mit den immer größeren Möglichkeiten, die das Internet bietet, steuert sie ihre Zielgruppen direkt an.

Volksdroge Nummer eins bleibt Alkohol

Die Menschen neigen dazu, Rauschmittel zu konsumieren. Vor allem der Umgang mit Alkohol ist in unserer Gesellschaft sehr unkritisch. Natürlich wird nicht jeder süchtig, der Alkohol trinkt. Doch solange es Drogen gibt, wird immer ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung süchtig sein.

Das liegt auch an der Genetik und der Biologie unseres Gehirns. Es gibt Menschen, die einen Stoffwechsel im Gehirn haben, der eher dazu neigt, eine Sucht zu entwickeln. Bei anderen ist das eben weniger der Fall.

Es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen den einzelnen Substanzen: Crystal Meth zum Beispiel dringt direkt in die biochemischen Suchtmechanismen im Gehirn ein und macht sehr viel rascher abhängig als etwa Alkohol oder nicht stoffgebundene Süchte.

Entstehung einer Sucht im Gehirn

Wir haben ein sogenanntes Belohnungssystem in unserem Gehirn. Hat eine gewisse Substanz ein schönes Gefühl hervorgerufen, signalisiert das System, dass es dieses Gefühl immer wieder haben möchte. Das kann schnell aus dem Ruder laufen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird der Zwang, eine gewisse Substanz haben oder ein gewisses Verhalten an den Tag legen zu müssen, immer größer. Das Gehirn fordert den Wohlfühleffekt immer stärker ein.

Menschen, die bereits suchtkranke Personen in der Familie haben, müssen vorsichtig sein. Denn der genetische Anteil der Sucht ist hoch. Zudem sind Bevölkerungsgruppen betroffen, in denen es selbstverständlich ist, dass viel und früh konsumiert wird – Familien etwa, die Kindern den täglichen Konsum wie selbstverständlich vorleben. Und auch psychisch erkrankte Menschen sind stärker suchtgefährdet.

Stress kann sich auf Drogenmissbrauch auswirken

Menschen, die seelisch belastet sind und sich mit Alkohol oder Medikamenten entspannen, möchten diesen Effekt möglicherweise immer wieder erreichen. Sie merken, dass es ihnen mit der Droge besser geht. Und das sogenannte Belohnungssystem ihres Gehirns signalisiert ihnen, dass sie die Droge erneut nehmen sollen. Daraus entsteht ein Teufelskreis.

Wege aus dem Teufelskreis

In der Regel ist bei stoffgebundenen Abhängigkeiten eine vollständige Abstinenz das Ziel. Wenn die Suchterkrankung noch nicht fortgeschritten ist, reicht dazu manchmal schon die eigene Einsicht. Vielen Menschen hilft auch der Besuch von Selbsthilfegruppen. Bei schweren Suchterkrankungen mit entsprechenden Folgeschäden sind jedoch stationäre Therapien unerlässlich. Nur so lässt sich die Sucht überwinden.

Viele Betroffene erleiden nach der Therapie einen Rückfall. Durch eine gute Nachsorge lässt sich das Risiko minimieren. Auch wenn eine Person ihre Abstinenz schon erreicht hat, sollte sie ambulante Therapien und Selbsthilfegruppen besuchen, denn die Suchterkrankung verschwindet nicht aus dem Gehirn.

Hat man einmal eine Suchterkrankung entwickelt, bleibt man für die jeweilige Substanz anfällig. Das ist ja der Irrglaube vieler: Wenn ich mal ein halbes Jahr abstinent war, kann ich wieder normal konsumieren. Das Suchtgedächtnis erinnert sich aber und ist schnell wieder im alten Fahrwasser. Man kann es mit unserem Immunsystem vergleichen: Wenn eine Person vor Jahren einen Virus hatte und dieser Virus zurückkehrt, erinnert sich das Immunsystem sofort und reagiert entsprechend.

Drogen im Wandel der Zeit

Was konsumiert wird, ist Ausdruck des Zeitgeistes. Unsere heutige Gesellschaft lässt sich mit den Begriffen narzisstisch, selbstdarstellerisch und leistungsorientiert beschreiben. Das kann man auch an den konsumierten Drogen ablesen. Gerade Substanzen, die aufputschen, die „die Performance verbessern“, wie man sagt, sind beliebt. Die Botschaft dabei ist: „Ich bin gut drauf, ich bin immer fit, ich bin toll.“ Jeder will sich ja heutzutage in Szene setzen, sein eigener kleiner Superstar sein. Das ist eben der Zeitgeist. Die Drogen machen da keine Ausnahme.

Über den Experten

Christoph Middendorf ist Facharzt für Psychiatrie und für Psychotherapeutische Medizin. Er ist medizinischer Geschäftsführer der Oberbergkliniken in Berlin.

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Was machen Drogen mit der Persönlichkeit?

Die psychischen Veränderungen sind stark abhängig von der Persönlichkeit des Konsumenten, doch am häufigsten treten Enthemmung, Kontrollverlust, Aggressivität und Beeinträchtigungen der Persönlichkeit auf. Soziale Folgen sind Arbeitsunfähigkeit, Verlust von Familie, Freunden und Eigenständigkeit.

Wie verändert sich ein süchtiger Mensch?

Klassische Verhaltensweisen eines Süchtigen sind: Interessenverlust/Desinteresse. Stimmungsschwankungen. Gleichgültigkeit. Beschönigung und Bagatellisierung seines Konsums.

Wie verhalten sich Drogenabhängige?

Aggressives Verhalten, Depressionen, Angst und Panik oder aber völlige Teilnahmslosigkeit und ein Verlust der Empathie können auftreten. Suchtkranke reagieren vor allem in sozialen Situationen häufig unangemessen, wirken emotionslos oder gehen übertrieben große Risiken ein.

Welche Drogen verändern Wahrnehmung?

Halluzinogene sind Substanzen, die Halluzinationen, Visionen und Wahrnehmungsveränderungen hervorrufen. Dazu gehören etwa LSD, Meskalin und die Sekrete bestimmter Kröten.