Das tagebuch des frantz schmidt aus nürnberg

Frantz Schmidt tötete fast 400 Menschen und hat unzählige weitere grausam gefoltert oder verstümmelt. Am Ende seines Lebens hatte der Nürnberger Henker über 700 Menschen Leid zugefügt. Der Historiker Joel F. Harrington hat nun erstmals dessen historisches Tagebuch aus dem 16. Jahrhundert ausgewertet. Dabei erhielt er seltene Einblicke in die Berufspraxis und den Alltag dieses Mannes, der neben seiner Rolle als gefürchteter Scharfrichter zugleich als Wundarzt tätig war.

Franz Schmidt bei der Hinrichtung von Hans Fröschel, 1591. Diese Zeichnung aus Gerichtsunterlagen ist die einzige verlässliche Darstellung des Scharfrichters. (Staatsarchiv Nürnberg)

Frantz Schmidt richtete in Bamberg und Nürnberg 400 Menschen hin. Doch der Scharfrichter war das Gegenteil eines Sadisten.

Von Florian Welle

  • Anhören
  • Teilen
  • Feedback
  • Drucken

Johann Martin Friedrich von Endter wollte seine Mitmenschen aufklären. Um zu zeigen, wie grausam einst Recht gesprochen wurde, schickte sich der Nürnberger Jurist um die Wende zum 19. Jahrhundert an, eine höchst ungewöhnliche Schrift herauszugeben: das Tagebuch des "Meister Frantzen Nachrichter". Darin hat Frantz Schmidt, der einstige Nürnberger Henker, den man in der Reichsstadt Nachrichter nannte, sein langes Berufsleben geflissentlich dokumentiert. Freilich handelt es sich bei der Schrift nicht um ein Tagebuch im heutigen Sinne: "Ich" sagt Meister Frantz, der um 1554 in Hof geboren wurde, nur in wenigen Fällen.

Außergewöhnliche 45 Jahre lang übte der Scharfrichter seine Tätigkeit aus: von 1573 bis zu seiner Pensionierung 1618. Dabei beförderte er nach eigener Zählung knapp 400 Menschen vom Leben zum Tode, noch sehr viel mehr Delinquenten peitschte er aus. Als das Tagebuch, in dem jeder Fall "fleißig beschriben, deßgleichen auch zu lesen" ist, 1801 erschien, weckte es allerdings weniger das Interesse der Justiz. Dafür stürzten sich umso eifriger die Romantiker mit ihrer blumenblaublühenden Fantasie darauf.

1810 wies Achim von Arnim die Gebrüder Grimm auf die "bekannten Annalen des Nürnberger Schinders" hin, "der fünfhundert Menschen hingerichtet" hat. In Clemens Brentanos einige Jahre später erschienener Novelle "Die Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl", ist aus dem historischen Nachrichter endgültig eine schauerromantische Figur geworden. "Ich kenne mein Schwert, es ist lebendig!", lauten die Worte, die der Dichter Meister Frantz in den Mund legt.

Es galt abzuschrecken

1913 wurde eine überarbeitete Neuedition des Tagebuchs veröffentlicht, die 1979 erneut aufgelegt wurde. 2013 beschloss der Nürnberger Verein "Geschichte für Alle" schließlich, die längst vergriffene Ausgabe wieder herauszubringen, nun ergänzt um Textvarianten und eine historische Einordnung. Es ist eine sozial- und kriminalhistorische Fundgrube, in der man umso interessierter blättert, seit Joel F. Harrington vor gar nicht langer Zeit die flott geschriebene Studie "Die Ehre des Scharfrichters" vorgelegt hat.

Darin stützt sich der amerikanische Historiker auf die früheste Abschrift des einzigartigen Dokuments von 1634 - dem Jahr, in dem Meister Frantz im Alter von 80 Jahren in Nürnberg starb. Harrington entdeckte im österreichischen Staatsarchiv in Wien eine weitere Quelle, die noch ein ganz neues Licht auf den Scharfrichter wirft. Ihr Adressat? Kein geringerer als Kaiser Ferdinand II. Ihr Absender? Der 70-jährige Henker.

Mit diesem Rüstzeug im Gepäck entführt Harrington den Leser in eine Zeit, die eine vollkommen andere Auffassung von Verbrechen und Strafe hatte. Es galt abzuschrecken sowie die weltliche und göttliche Ordnung wiederherzustellen. Zwischen Verhör, Urteil und Hinrichtungsstätte kam Meister Frantz eine Schlüsselrolle zu. Aber was, so fragt Harrington, ging in seinem Kopf vor?

Postkartenidyll mit Fröstelfaktor: Das Henkerhaus liegt zwischen Henkersteg und dem Weinstadel in der Nürnberger Altstadt.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Der Scharfrichter Franz Schmidt hatte Muße und die notwendige Buchstabenfertigkeit, um ein Tagebuch über sein Tun zu führen. In Nürnberg kann man in sein Wirken eintauchen - und braucht dafür starke Nerven.

Von

Olaf Przybilla, Nürnberg

  • Anhören
  • Merken
  • Teilen
  • Feedback
  • Drucken

Unter einem sehr speziellen Blickwinkel trug Franz Schmidt - der posthum wohl berüchtigtste Scharfrichter des alten Reiches - sogar humane Züge. So jedenfalls wurde das in Nürnberg lange noch weitererzählt, während sich in jüngerer Zeit die Lesart durchgesetzt hat, dass sein vermeintlich menschenfreundlicher Einsatz gegen das Frauenversenken in der Pegnitz doch eher einer pragmatischen Überlegung geschuldet gewesen sein dürfte. Kindsmörderinnen waren von dieser Henkersmethode betroffen, die Pegnitz aber war flach, es bedurfte allerlei Aufwands, die Praktik galt als zeitintensiv. Und Schmidt war ja Vollprofi, Hunderte Menschen starben von seiner Hand, eigenen Aufzeichnungen zufolge.

Der Mann musste sich seine Kräfte also ordentlich einteilen. Was er davon gehalten hätte, dass er ex post nicht nur zum Paradebeispiel für Henkerstätigkeiten aller Art - sondern seine Nürnberger Dienstwohnung auch zur Touristenattraktion wurde? Man weiß es nicht. Jedenfalls zählt das Henkerhaus samt Henkersteg und Weinstadel nicht nur zu den Postkartenhotspots der Mittelaltermetropole.

Das tagebuch des frantz schmidt aus nürnberg

Newsletter abonnieren

Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Seit 2007 beherbergt das Haus auch mehrere Dokumentationsräume, die sich bei Stadtgästen schon deshalb hoher Beliebtheit erfreuen, weil man in dem alten Wehrgang über den Fluss bestrickende Bilder in Richtung Deutsches Museum hier, Kettenbrücke dort schießen kann, absolut instagrammable.

Wobei das - soeben auf den neuesten museologischen Stand gebrachte - Kleinmuseum eher durch seinen Namen Publikum auf der Suche nach dem Gruselzeitalter anlocken dürfte. "Henkerhaus" klingt nach musealem Frösteln, wer indes ganz konkretes mordtechnisches Werkzeug sehen will, "der muss nach Rothenburg ob der Tauber", sagt der Hausherr Bernd Windsheimer, Geschäftsführer des Vereins "Geschichte für Alle". Rothenburg hat sein überaus beliebtes "Kriminalmuseum", ausstellungstechnisch ist das eine ganz andere Hausnummer.

Das tagebuch des frantz schmidt aus nürnberg
Detailansicht öffnen

Enthauptung war nur eine der praktizierten Hinrichtungsmethoden im Mittelalter. Andere Delinquenten wurden erhängt, gerädert, verbrannt oder ertränkt.

(Foto: Olaf Przybilla)

Das Henkerhaus hat dafür seinen Franz Schmidt und damit jenen Mann, der Muße, Akribie und die notwendige Buchstabenfertigkeit mitbrachte, um ein untadeliges Henkerstagebuch über seine Profession zu führen - und es damit spätestens anderthalb Jahrhunderte nach seinem Ableben zu Ruhm brachte. Das literarische Zeitalter des Achim von Arnim und Clemens von Brentano war eben nicht nur süchtig nach der blauen Blume, auch die schwarze Romantik versprach reizvollen Zugang zur Seele. Und da boten die Annalen des F. Schmidt, dieses anerkannten Nürnberger Schinders und frühen Tod-Meisters aus Deutschland, allerlei dunkle Anknüpfungspunkte.

Zumal Meister Franz ja biografisch einigermaßen exkulpiert war. 1553 war sein Vater, ein Hofer Bürger, gezwungen worden, drei in ein Mordkomplott verwickelte Schurken hinzurichten, in Ermangelung eines professionellen Henkers. Der Mann war zuvor Forstarbeiter, komplett unbescholten - wurde aber durch die markgräflich veranlasste Umschulung gewissermaßen "unehrlich". An eine ehrbare Tätigkeit war fortan nicht mehr zu denken. Eine missliche Situation, die er wenigstens insofern zu lindern suchte, indem er einen konsequenten beruflichen Aufstieg hinlegte. Alsbald gelang ihm die Beförderung zum Scharfrichter über das gesamte vom Bamberger Fürstbischof beherrschte Hochstift, das war schon was. Dass sein Sohn diese eingeübte Profession fortführen würde - verstand sich.

Das tagebuch des frantz schmidt aus nürnberg
Detailansicht öffnen

In einem Foltermuseum waren in Nürnberg noch lange Mordwerkzeuge zu sehen, etwa die Eiserne Jungfrau - auf Englisch: Iron Maiden. Das Henkerhaus verzichtet darauf.

(Foto: Olaf Przybilla)

Heute würde man wohl von einer normalen Berufsbiografie sprechen, an eine Familientradition anknüpfend. Zumal in Nürnberg - mit dem aufgeklärten Großstadtflair des Mittelalters gesegnet - ein Henker deutlich weniger außerhalb der anerkannten Stadtgesellschaft stand als andernorts, sagt die Kuratorin Lena Prechsl. So blieb ihm Gelegenheit zur Reflexion. Ein klassisches "Ego-Dokument" ist sein Tagebuch zwar nicht, wie der einschlägige Franz-Schmidt-Forscher Joel F. Harrington einmal formuliert hat. Eher eine nüchterne Chronik des Hinrichtens. Aber fortführende Gedanken erlaubte sich der Profihenker eben schon. Mit der Notiz "Was du thus, bedenck das end" endet sein Tagebuch.

© SZ/mz- Rechte am Artikel können Siehier erwerben.

  • Teilen
  • Feedback
  • Drucken

Zur SZ-Startseite

Das tagebuch des frantz schmidt aus nürnberg

Todesstrafe:Bayerns letzter Henker

Johann Reichhart richtete mehr als 3000 Menschen hin - für die Nazis wie für die US-Amerikaner. Eine neue Biografie wertet erstmals auch die Akten seines Spruchkammerverfahrens aus.

Wie wurde man zum Henker?

Meist ging der Beruf des Henkers vom Vater auf den Sohn über, der als Lehrling und Geselle zunächst nur hängen und foltern durfte. Für das Köpfen musste Jakob erst eine standesgemäße Meisterprüfung ablegen und einem Verbrecher vorschriftsgemäß unter Aufsicht des ausbildenden Meisters den Kopf abschlagen.

War Henker ein Beruf?

Im Frühmittelalter genießte der Henker noch ein hohes Ansehen und galt als hochangesehener Beamter. Gegen Ende des Spätmittelalters war er jedoch zum Stadtangestellten degradiert worden, führte als Staatsdiener die Befehle des Gerichts, Herrschers oder Inquisitors aus, und war dennoch ein Ausgestoßener.

Was ist ein Henker im Mittelalter?

Der Scharfrichter wurde im Mittelalter auch als Henker, Freimann, Schinder oder Züchtiger bezeichnet. Henker ist dabei der Name für jene Gerichtsperson, die die Todesurteile zunächst durch den Strang, dann auch auf andere Weise vollzieht.

Was ist der Henker?

Henker ist überwiegend Ausdruck der Volkssprache im Unterschied zu offiziellen Bezeichnungen wie Nachrichter m. 'dem Richter untergeordneter Vollstrecker eines Straf-, Todesurteils', mhd. nāchrihter, und Scharfrichter (s. d.).